Nekrolog für unser Mitglied Reimar Müller
Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften trauert um ihr Mitglied,
den Altphilologen Prof. Dr. Reimar Müller,
der am 9. April 2020 im Alter von 87 Jahren verstorben ist
Reimar Müller war und bleibt einer der produktivsten und bedeutendsten deutschen Altphilologen des 20./ Anfang des 21. Jahrhunderts. 1981 wurde er Korrespondierendes, 1989 Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR. 1993 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V., die in der Tradition und Nachfolge der 1700 entstandenen Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften steht.
Stammend aus der einzigartigen weimaraner-jenaer Kulturlandschaft, empfing Reimar Müller frühzeitig geistige Impulse, die ihn empfänglich machten für die Beschäftigung mit der deutschen Klassik und der Antike. Immer wieder hat er dabei dankbar die vermittelnde Rolle seiner Lehrer betont, die ihn 1951 zum Abitur führten. Aus der jung erfahrenen kulturell-geistigen Weite erwuchs während des Studiums der Klassischen Philologie an der Universität Jena (1952 – 1957) jenes, den späteren Wissenschaftler kennzeichnende Interesse an der Verbindung von antiker und moderner Welt, der Klassischen Philologie mit neuzeitlicher Kulturgeschichte. Es war die Brücke von Platon und Aristoteles, von klassischer Rhetorik und klassischer Bildung hinüber zu Jean-Jacques Rousseau, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder, Wilhelm von Humboldt, Georg W. F. Hegel, Karl Marx, ferner zu Hermann Hesse, Georg Lukács, Werner Krauss, Hans Mayer und Bertolt Becht, über die Reimar Müller künftig schreiten sollte, weg von der reinen Sach- und Wortphilologie hin zu einem ganzheitlichen Blick auf das antike Leben in all seinen Erscheinungsformen, zu den Zusammenhängen von Theorie und Praxis, von Philosophie und Politik. Er fühlte sich einer synthetischen Behandlung des antiken Erbes verpflichtet, die ihren Ausgangspunkt noch im 19. Jahrhundert bei August Boeckh hatte. Auf diesem Weg begleiteten ihn u. a. Fritz Jürß, Ernst Günther Schmidt, Werner Hartke, Johannes Irmscher, Joachim Herrmann, Herrmann Klenner, Wolfgang Kirsch, Wolfgang Schindler, Siegfried Wollgast, Wolfgang Heise, Werner Mittenzwei, Rita Schober, Michael Franz. Reimar Müllers Herangehensweise fand bereits ihren Ausdruck in seiner Dissertation „Die Wertung der Bildungsdisziplinen bei Cicero“ (1963) und dann – ausgeprägter – in der B-Promotionsschrift (1970) „Die epikureische Gesellschaftstheorie (Sozial- und Rechtsphilosophie)“, die 1972 als Monographie erschien und eine Forschungslücke schloss (2. Aufl. 1974).