Klassensitzung SGW
Die Klassensitzung Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften findet im hybriden Format im Historischen Ratssaal und per Zoom statt.
Zugangsdaten für Zoom:
https://uni-potsdam.zoom.us/j/95397029406
Meeting ID : 953 9702 9406
Passwort: 13714361
Mario Kessler
Antisemitismus – der Sozialismus des dummen Kerls. Zum Wiederaufleben einer alten Denkfigur
Zeit: 10.00 bis 12.00 Uhr
Zusammenfassung (deutsch):
Der Vortrag behandelt das wechselvolle und diskontinuierliche Verhältnis der internationalen Linken zum Antisemitismus im Überblick. Noch bis zum letzten Viertel des 19. Jahrhunderts existierten in der europäischen Arbeiterbewegung starke Vorurteile gegenüber “dem Juden” als Sinnbild kapitalistischer Ausbeutung. Auch Marx und Engels waren von judenfeindlichen Vorurteilen nicht frei, die Engels jedoch am Ende seines Lebens überwand und zum Kampf gegen den Antisemitismus aufrief. Die Erkenntnis, dass Proletarier und Juden, wenn auch in verschiedener Weise, zu den ausgegrenzten Teilen der Gesellschaft gehörten, führten beide Gruppen schließlich zusammen. Dies betraf sowohl Sozialdemokraten wie Kommunisten. Den Höhenpunkt dieser Gemeinsamkeit bildete der Kampf gegen den Faschismus. Die Entstehung des Staates Israel, der Nahostkonflikt, aber auch der stalinistische und poststalinistische Antisemitismus sorgten für Risse in diesem Bündnis. Der Zerfall sozialistisch-kommunistischer Hoffnungen und das Aufkommen einer “postkolonialen” Ersatzideologie anstelle des Internationalismus, die de facto auch an den Interessen der Palästinenser vorbeigeht, gingen in den letzten Jahren mit einem ständig steigenden, als Israelkritik firmierten Judenhass einher, der nunmehr die Existenz der Juden als Gruppe in der sogenannten Diaspora ernsthaft infrage stellt. Das anderthalb Jahrhunderte währende Bündnis zwischen Linken und Juden liegt heute in vielen Teilen der Welt fast in Trümmern.
Abstract (English):
The lecture provides an overview of the changing and discontinuous relationship between the international left and anti-Semitism. Until the last quarter of the 19th century, there were still strong prejudices in the European labour movement against “the Jew” as a symbol of capitalist exploitation. Even Marx and Engels were not free from anti-Semitic prejudices, which Engels overcame at the end of his life and called for a fight against anti-Semitism. The realisation that proletarians and Jews were among society’s marginalised parts, albeit in different ways, ultimately brought the two groups together. This affected both social democrats and communists. The high point of this common ground was the fight against fascism. The emergence of the State of Israel, the Middle East conflict, but also Stalinist and post-Stalinist anti-Semitism caused cracks in this alliance. The collapse of socialist-communist hopes and the emergence of a “post-colonial” substitute ideology in place of internationalism, which de facto also ignores the interests of the Palestinians, have been accompanied in recent years by an ever-increasing hatred of Jews, labelled as criticism of Israel, which now seriously questions the existence of Jews as a group in the so-called diaspora. The century-and-a-half-long alliance between the left and the Jews is now almost in ruins in many parts of the world.
Vita:
Prof. Dr. Mario Keßler, MLS seit 2003. Bis 2021 am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam tätig. Lehrtätigkeit an der Universität Potsdam und an der Yeshiva University in New York sowie Gastprofessuren und Fellowships an vielen weiteren Universitäten, vor allem in den USA. Autor von 30 Büchern in deutscher und englischer Sprache. Hinzu kommt eine umfangreiche Herausgeber- und Übersetzertätigkeit.