Plenarsitzung der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften am 22. April 2021; Bericht und Videomitschnitt

Am 22. April 2021 fand im Rahmen einer Videokonferenz ein Vortrag zum Thema Zirkulation von Begriffen und Argumenten zwischen Naturwissenschaften und der Sprachwissenschaft statt. Vortragende war die Sprachwissenschaftlerin und Romanistin Gerda Haßler von der Universität Potsdam, die zu den Schwerpunkten funktionale Grammatik und Pragmatik, historische Semantik und Diskurstheorie sowie Geschichte der Sprachwissenschaft forscht.

Einleitend begrüßte Dorothée Röseberg, Vizepräsidentin der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, alle Kolleginnen und Kollegen sowie die Gäste, die sich zugeschaltet hatten. Danach stellte sie die Referentin vor und verwies dabei insbesondere auf deren internationale Erfahrung.

In ihrem Vortrag ging Gerda Haßler von der These aus, dass in der Vergangenheit und der Gegenwart ein ständiger Austausch von Konzepten und Argumentationsmustern zwischen den Naturwissenschaften und der Sprachwissenschaft stattgefunden habe, der zur Weiterentwicklung von Erklärungsansätzen beigetragen habe, aber auch die Grenzen einer einfachen Übertragbarkeit verdeutliche. Parallel zur technischen Innovation wertete die Orientierung an den Naturwissenschaften bereits vor der Institutionalisierung der Sprachwissenschaft die Werke einzelner Sprach- und Universalgelehrter auf. Andererseits wurde die Frage aufgeworfen, ob möglicherweise schon im 17. Jahrhundert eine Art linguistic turn stattgefunden habe, wenn die Erkenntnismöglichkeiten der Menschen als durch Zeichen beeinflusst betrachtet wurden. Leibniz verfolgte das Programm der characteristica universalis, hatte aber auch die Sprachwissenschaft als historische und auf die Vielfalt der Sprachen, deren Vergleich und die Suche nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten ausgerichtete Disziplin umrissen. Anhand von Metaphern wie Morphologie, Organismus und Leben der Sprache wurde die Orientierung der Sprachwissenschaft an den Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert dargestellt, wobei jedoch auch rückwirkende konzeptionelle und argumentative Einflüsse, zum Beispiel des Sprachwissenschaftlers August Schleicher auf den Naturwissenschaftler Ernst Haeckel, dargestellt wurden. Für die moderne Sprachwissenschaft stellte die Vortragende drei positive Einflüsse naturwissenschaftlicher Betrachtungsweisen fest: (1) die Suche nach Gesetzmäßigkeiten im Wandel und Funktionieren von Sprachen, (2) die empirische Basiertheit sprachwissenschaftlicher Forschungen, (3) die Mathematisierung von Hypothesen und Forschungsergebnissen. Für eine Erklärung des Funktionierens und der Entwicklung von Sprachen gelte es jedoch, das Ineinandergreifen naturwissenschaftlich erklärbarer Gesetzmäßigkeiten, sozialhistorischer Gegebenheiten und psychologischer Dispositionen zu berücksichtigen. Eine bis heute aktuelle Frage ist die nach der Rolle von Experimenten in der Sprachwissenschaft, die wichtige Aufschlüsse erbringen, aber auch zu Einschränkungen des Forschungsgegenstands führen können. Die Geschichte der Sprachwissenschaft verdeutlicht die großen Möglichkeiten, aber auch die Grenzen und Gefahren interdisziplinären Arbeitens.

Im Anschluss an den Vortrag kam es zu einer Diskussion, in der vor allem die Rolle psychologischer Experimente für die Klärung semantischer Fragen, die Perspektiven normierender Eingriffe in die Sprachentwicklung und die ethischen Implikationen von Sprachtechnologien thematisiert wurden.

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