Nekrolog für unser Mitglied Moritz Mebel
Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V. trauert um ihr Mitglied, den Urologen Prof. Dr. Moritz Mebel
Am 21.04.2021 ist der Professor für Urologie Moritz Mebel, Mitglied der Leibniz-Sozietät, im Alter von 98 Jahren verstorben
Moritz Mebel wurde am 23. Februar 1923 in Erfurt als Sohn deutsch-russischer Eltern mit jüdischen Wurzeln geboren. Er verstarb am 21. April 2021 in Berlin nach einem Leben, das geprägt war von den Katastrophen und Umbrüchen des letzten Jahrhunderts, von Krieg, Holocaust, Vertreibung und dem Zusammenbruch seines Weltbildes mit dem Ende der Sowjetunion.
Schon im Alter von 9 Jahren emigrierte er gemeinsam mit seiner Familie vor dem heraufziehenden Faschismus nach Moskau. Dort schloss er in den Unsicherheiten des Emigrantendaseins seine Schulbildung an deutschen und russischen Schulen ab und begann 1940 sein Medizinstudium, das er allerdings schon 1941 unterbrach, um sich freiwillig den sowjetischen Streitkräften im Kampf gegen die deutschen Invasoren anzuschließen. Er erlebte die Grausamkeiten des 2. Weltkrieges bis zu dessen Ende an vorderster Front. Sie prägten seine Weltsicht unveränderlich bis an sein Lebensende.
Von 1945 bis 1947 kehrte er im Dienst der Sowjetischen Militäradministration (MAD) erstmals in sein Geburtsland zurück, bevor er sein Medizinstudium in Moskau fortsetzte und es 1951 erfolgreich abschloss. Im Rahmen seiner weiteren Ausbildung arbeitete er zunächst bei Professor A. P. Frumkin, dem seinerzeit bekanntesten Moskauer Urologen, bei dem er 1958, kurz vor seiner Übersiedlung in die DDR, auch promovierte.
Moritz Mebel kam in die DDR mit dem Ziel, seine durch die eigenen Lebenserfahrungen geprägten Visionen von einem anderen Deutschland in einer anderen Welt zu realisieren. An diesem Ziel hielt er trotz aller Korrekturen durch die Realität unverändert bis zu seinem Tode fest. In all den Jahren war ihm seine aus der Emigration mit ihm heimgekehrte Ehefrau Professor Dr. Sonja Mebel, eine anerkannte Mikrobiologin, unersetzliche Stütze. Die Familie mit der geliebten Tochter Anne war Rückzugsort und Mittelpunkt des privaten Lebens.
Seine ärztliche Ausbildung und Tätigkeit setzte Moritz Mebel zielgerichtet in Berlin an der Charité, dem Hufeland Krankenhaus und dem Krankenhaus am Friedrichshain fort, wo er die Stelle des Chefarztes der Urologischen Klinik bekleidete. 1963 habilitierte er an der Charité. 1977 erfolgte die Berufung auf den Lehrstuhl für Urologie, den er bis zu seiner Emeritierung 1988 innehatte. Als OMR Professor Dr. sc. med. Moritz Mebel war er einer der anerkanntesten Urologen der DDR.
Sehr frühzeitig galt sein Interesse der Nierentransplantation. Er baute mit der ihm eigenen Zielstrebigkeit seit 1962 das erste Nierentransplantationszentrum der DDR einschließlich der dazugehörigen Forschungsabteilung an seiner Klinik im Krankenhaus am Friedrichshain auf. Dort führte er dann 1967 die erste erfolgreiche Nierentransplantation in der DDR durch. In der Ausübung seines Berufes war neben dem fachlichen Können Disziplin eine der essentiellen Anforderungen an sich und seine Mitarbeiter, stets unter Beachtung der bei medizinischen Entscheidungen notwendigen Hierarchie.
Der durch den Einsatz der künstlichen Niere erstmals in der Geschichte der Medizin mögliche Ersatz eines lebensnotwendigen Organs und die Fortschritte in der Transplantationsmedizin ermöglichten weltweit eine Revolution bei der Therapie des Nierenversagens. Diese Revolution war aber auch – wie so viele Meilensteine in der Medizin – verbunden mit großen ökonomischen und organisatorischen Herausforderungen. Es bleibt das Verdienst von Moritz Mebel, dass er sowohl durch seine fachliche Kompetenz als auch durch seine herausragende Stellung im gesellschaftlichen System der DDR erreichte, dass die DDR auf diesem Gebiet Pionierarbeit für die Patienten im damaligen „Ostblock“ leisten konnte. Durch die Zusammenarbeit zwischen Intertransplant (Ost) und Eurotransplant (West) beim Austausch von Spenderorganen wurde der Eiserne Vorhang zum Wohle der Patienten auf beiden Seiten durchbrochen.
Wissenschaftsorganisatorisch wirkte Moritz Mebel als Leiter des zentralen Forschungsprojektes „Chronische Niereninsuffizienz“ und als Mitglied des Rates für Medizinische Wissenschaften – dem Pendant zu den Akademien der Medizinischen Wissenschaften in den anderen Ostblockländern – für ein enges und unter den begrenzten ökonomischen Bedingungen so notwendiges Zusammenwirken zwischen allen an der Nierenheilkunde beteiligten Fachdisziplinen. Rund 180 wissenschaftliche Publikationen und Mitarbeit an Fachbüchern sind ein beredtes Zeugnis seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und Ausstrahlung.
Die Akademie der Wissenschaften wählte Moritz Mebel 1973 zum Korrespondierenden und 1975 zum Ordentlichen Mitglied. 1984 wurde er Ausländisches Mitglied der Akademie der Medizinischen Wissenschaften der UdSSR, die 1992 in die Russische Akademie der Medizinischen Wissenschaften überging. 2014 erfolgte seine Aufnahme in die Russische Akademie der Wissenschaften als Auswärtiges Mitglied. Seine beruflichen und gesellschaftlichen Aktivitäten wurden mit hohen Auszeichnungen geehrt. Darunter befinden sich der Orden des Vaterländischen Krieges der UdSSR in Gold, der Nationalpreis 1. Klasse für Wissenschaft und Technik der DDR, und der Karl Marx Orden. Seine letzten Lebensjahre waren gezeichnet von der für ihn so bitteren Korrektur seiner Lebensvisionen durch den Zerfall der Sowjetunion und die dadurch eingeleiteten gesellschaftlichen Veränderungen.
Die Leibniz Sozietät verliert mit Moritz Mebel eines ihrer Gründungsmitglieder, das noch am 8. Mai 2020 im Gedenken an das Kriegsende in einem offenen Brief an den Außenminister der Bundesrepublik Deutschland seine Sorge um das Verhältnis seiner beiden Vaterländer artikulierte.
Horst Klinkmann