Kolloquium „In memoriam Siegfried Wollgast (1933-2017)“
Am 09. November vormittags fand eine Plenarveranstaltung im Gedenken an Herrn Professor Dr. phil. habil. Siegfried Wollgast statt, der am 26. Juni 2017 verstorben war (vgl. Nekrolog auf unser Mitglied Prof. Dr. Siegfried Wollgast). Herr Wollgast war im Jahr 1995 zum Mitglied der Leibniz-Sozietät gewählt worden.
Der Ehrenpräsident der Leibniz-Sozietät, Herr Professor Dr. Herbert Hörz, begrüßte mehr als 40 Anwesende, insbesondere Frau Dr. Edith Wollgast, die Gattin des Verstorbenen. Er würdigte in seiner Eröffnung Herrn Wollgast als langjährigen Freund, Kollegen und Kooperationspartner, als ausgewiesenen Philosophiehistoriker sowie als unermüdlichen Akteur in der Leibniz-Sozietät, vor allem im Arbeitskreis Toleranz. Mit den nachfolgenden Vorträgen –so Herbert Hörz – werden je unterschiedliche Facetten des umfangreichen Wirkens von Herrn Wollgast nochmals deutlich gemacht, denn die Breite seines Wirkens ist beeindruckend.
Für Herrn Dr. phil. Berthold Heinecke, der im Jahre 1990 bei Siegfried Wollgast in Dresden promoviert hat, war es ein zufälliges Zusammentreffen, dass dreißig Jahre nach der Veröffentlichung der „Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung, 1550-1650“ im damaligen Akademie-Verlag Berlin 1989 das Gedenkkolloquium für Siegfried Wollgast stattfand. Dieses Werk – 1993 in zweiter Auflage erschienen – kann nicht nur, was Anspruch und Umfang betrifft (über 1.000 Druckseiten!), sondern auch nach eigenem Zeugnis des Verfassers mit Fug und Recht als ein Lebenswerk angesehen werden. Es stellte zu seiner Zeit eine Pioniertat dar. Herr Heinecke nahm in seinem Beitrag „Dreißig Jahre ‚Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung, 1550-1650‘“ dieses Werk und seine Rezeption in den Blick und leitete daraus zukünftige Aufgaben für die Geschichtsschreibung der frühneuzeitlichen Philosophie aus heutiger Perspektive ab.
Herr Professor Dr. Armin Jähne, Vizepräsident der Leibniz-Sozietät, ging in „Der ‚Oberlausitzer‘ Siegfried Wollgast. Es war nicht nur die deutsche und europäische Frühaufklärung…“ davon aus, dass es nicht nur die deutsche und die europäische Frühaufklärung war, mit der sich Siegfried Wollgast die längste Zeit seines Wissenschaftlerlebens beschäftigte, denn das Spektrum seiner Forschungen ginge weit darüber hinaus. Herr Jähne erinnerte beispielsweise an die vorbildlichen Studien von Herrn Wollgast zu Karl Christian Friedrich Krause (1781 – 1832), die ihn – natürlich und nicht bloß in diesem Zusammenhang – auf Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814) zurückführten. Der große Rammenauer war ebenso wie der Kamenzer Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781) nie zentraler Gegenstand einer Arbeit von Siegfried Wollgast, blieb aber in dessen philosphiegeschichtlichen Gedankenkreis immer präsent. Es sei die erstaunliche Vielzahl von Frühaufklärern in der Oberlausitz, die bei Wollgast eine besondere Affinität zu dieser eigenartigen politischen Region sui generis wachsen ließ. Es war vor allem Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651 – 1708; geboren in Kieslingswalde, zwischen Görlitz und Lauban), zu dem er sich, und damit auch zum Zittauer Gymnasialdirektor Christian Weise (1642 – 1708), wissenschaftlich hingezogen fühlte. Die Verbundenheit mit der Oberlausitz zeigte sich auch in seiner aktiven Teilnahme am gemeinsam von Leibniz-Sozietät und Deutscher Assoziation der Absolventen und Freunde der Moskauer Lomonossow-Universität (DAMU) in Bautzen 2012 veranstalteten Kolloquium „1812/1813 Russland im Krieg mit Napoleon. Von Borodino bis Bautzen“. Bewundernswert sei, so der Vortragende, wie weit Siegfried Wollgast den Bogen der ihn bewegenden Themen spannte: von der Frühaufklärung über die Utopie in Vergangenheit und Gegenwart, einschließlich von „‚Realen Sozialismus’ und Utopie“, bis hin zu aktuellen Problemen von Toleranz und Intoleranz, Patriotismus und Vaterland.
„Siegfried Wollgast und das ‚Phänomen‘ Technik“ war das Thema des sich anschließenden Vortrags von Herrn Professor Dr. Gerhard Banse, Präsident der Leibniz-Sozietät. Er konstatierte, dass es im vielfältigen wissenschaftlichen Wirken von Siegfried Wollgast einen kurzen Zeitraum gab, in dem die ebenso erfolg- wie ergebnisreiche philosophische Beschäftigung mit dem „Phänomen“ Technik ein zentraler Gegenstand war. Mit notwendigen Vorarbeiten und einigen „Nachwehen“ lässt sich dieser Zeitraum durch zwei Buchpublikationen eingrenzen: 1979 erschien die gemeinsam mit dem Vortragenden verfasste Monografie „Philosophie und Technik“ und 1984 wurde der Sammelband „Technikphilosophie in Vergangenheit und Gegenwart“ gemeinsam mit einer Kollegin der TU Budapest, Ungarn, herausgegeben. Inhaltlich ging es Wollgast dabei weniger um die systematische Behandlung der vielfältigen aktuellen Interdependenzen zwischen Philosophie und Technik, sondern sein Interesse galt vor allem (philosophie)historischen Zusammenhängen, galt der Geschichte dieser Interdependenzen, diese dabei nach „Mustern“ und Wiederholungen, aber auch nach Neuansätzen durcharbeitend. Zentral im Vortrag war ein Rückblick auf und ein Einblick in das Erarbeiten von „Philosophie und Technik“, ein Buch mit einem Umfang von 315 Seiten und einer Auflagenhöhe von über 1.500 Exemplaren, das zunächst nur als Taschenbuch mit einem Umfang von etwa 120 bis 150 Seiten geplant war. Herr Banse verwies darauf, dass in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von den Mitgliedern des Ausschusses „Technik und Philosophie“ des Vereins Deutscher Ingenieure die wichtigsten – vor allem deutschsprachigen – Bücher zur Technikphilosophie ausgewählt und in „Nachdenken über Technik. Die Klassiker der Technikphilosophie“ rezensiert worden waren. Eine der vier Rezensionen in diesem Buch, die Publikationen aus der DDR zum Gegenstand haben, macht „Philosophie und Technik“ nun zum „Klassiker“ der Technikphilosophie…
Abschließend wie abrundend befasste sich Herr PD Dr. phil. Hartmut Hecht mit „Vernunft und Glaube. Denkanstöße von Siegfried Wollgast“. Er konnte konstatieren, dass das Verhältnis von Vernunft und Glaube ein Thema bezeichne, das Siegfried Wollgast zeit seines Lebens beschäftigt hat. Es sei geeignet, sowohl seine Forschungsmethodologie als auch die Kreativität seines Denkens exemplarisch darzustellen. Die Auseinandersetzung von Siegfried Wollgast mit diesem Thema war zunächst durch seinen bevorzugten Forschungsgegenstand, die Frühaufklärung in Deutschland und Polen, bestimmt. Sie erlangte dann zunehmend allgemeinere Bedeutung und führte in dem Aufsatz „Zu Sinn- und Sachwissenschaften. ZU Emotionalität (Glauben) in der Philosophie heute“ aus dem Jahre 2012 zu Überlegungen, die den Glauben als philosophisches Problem thematisierten. Darauf ging Herr Hecht detailliert ein.
Siegfried Wollgast war – das machten alle Redner deutlich – ein Wissenschaftler, der akribisch aus einem enzyklopädischen Wissensfundus schöpfte und dabei stets Anreger und Ratgeber, aber auch (hilfreicher) Kritiker war. Mit dem Kolloquium wurde deutlich, dass er in seiner so vielseitigen Persönlichkeit nicht wenigen ein hilfreicher und treuer Freund geworden war. – Schmerzlich, dass er nicht mehr unter uns weilt…
Es ist geplant, die Vorträge in einem Band der „Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften“ zu publizieren.
Gerhard Banse