Bericht zum Kolloquium „Die Energiewende 2.0: Im Fokus die Stoffwirtschaft“

Am 9. Juni 2023 veranstaltete die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin das Kolloquium „Die Energiewende 2.0: Im Fokus die Stoffwirtschaft“. Das Kolloquium war die Fortsetzung einer Vortragsreihe zu energiebezogenen Themen, deren Ausgangspunkt die 5. Jahrestagung der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V. im Jahre 2012 zum Thema „Energiewende – Produktivkraftentwicklung und Gesellschaftsvertrag“ war. Bereits in den zurückliegenden Jahren wurden verschiedene Aspekte der Energiewende systematisch betrachtet (5 Kolloquien und 2 Disputationen).

Im Vortragsraum der Brandenburgischen Ingenieurkammer (Haus der Wirtschaft) in Potsdam begrüßte die Präsidentin der Leibniz-Sozietät Gerda Haßler die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kolloquiums. Diese nahmen sowohl in Präsenz als auch per Zoom am Kolloquium teil. In ihren Ausführungen wies Gerda Haßler auf die lange Tradition der Auseinandersetzung mit der Energiewende in der Leibniz-Sozietät hin und hob die große Bedeutung der Energie-Problematik im Zusammenhang mit den klimapolitischen Veränderungen in Deutschland und in der Welt hervor.

Das Kolloquium war dem am 26. Januar 2023 verstorbenen Vizepräsidenten der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V., Lutz-Günther Fleischer, gewidmet, der sich über viele Jahre engagiert mit Fragen der Energiewende beschäftigt hat und damit auch der Initiator der diesbezüglichen Vortragsreihe wurde. Gerhard Banse (MLS) würdigte in einem einleitenden Vortrag die Lebensleistung von Lutz-Günther Fleischer und ging dabei besonders auf dessen wissenschaftliche Leistungen und sein außerordentliches Engagement in der URANIA – Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse und in der Leibniz-Sozietät ein, in welcher der Gewürdigte als Klassensekretar und Vizepräsident bleibende Akzente gesetzt hat.

Anschließend übernahm Wolfgang Methling (MLS) die Moderation der Veranstaltung.

Den wissenschaftlichen Einführungsvortrag von Gerhard Pfaff, Norbert Mertzsch und Ernst-Peter Jeremias (alle MLS) hielt Gerhard Pfaff. Der Vortrag ging u. a. darauf ein, dass der Mensch in den zurückliegenden Jahrtausenden seit dem Gebrauch des Feuers bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zur Erzeugung von Energie sowohl auf Einkommensenergien, wie Sonne, Wind, Wasserkraft und Geothermie sowie auf Holz zurückgreifen konnte. Dabei spielte der nachwachsende Rohstoff Holz neben der Wasserkraft und der Windkraft auch im Bereich der Stoffwirtschaft die dominierende Rolle. Erst spät setzte sich die Verwendung von Vermögensenergien, wie Kohle, Erdgas und Erdöl, umfassend durch. Der sich daraus ergebende Anstieg der Konzentration von Kohlendioxid (Kohlenstoffdioxid, CO2) in der Erdatmosphäre mit gravierenden Einflüssen auf das Klimasystem der Erde erfordert inzwischen die Rückkehr zur vorrangigen Nutzung von Einkommensenergien („grüne Energien“). Diese Rückbesinnung wird in Deutschland mit dem Begriff Energiewende umschrieben. Die damit verbundenen Maßnahmen haben auch umfangreiche Auswirkungen auf die Stoffwirtschaft, bei denen die genannten Vermögensenergieträger nicht nur energetisch genutzt werden, sondern auch stofflich als Reaktionspartner beteiligt sind. Grundsätzlich geht es bei allen Veränderungen in der Energie- und Stoffwirtschaft um die Verringerung des Einsatzes von Produkten, bei deren Herstellung und Anwendung große Mengen an Kohlendioxid freigesetzt werden.

Als Keynote Speech sprach Robert Schlögl (Fritz-Haber-Institut der MPG, Berlin) darüber, dass die angestrebte und erforderliche Umstellung der Energie- und Stoffwirtschaft für alle Grundstoffe unserer Industriekultur erhebliche Mengen an zusätzlichen erneuerbaren Energien erfordern wird. Er verwies darauf, dass es aus seiner Sicht keineswegs gewährleistet ist, dass die bedarfsgerechte Versorgung mit „erneuerbarem Strom“ in der Volkswirtschaft gesichert ist. Kohlenstoff, den wir niemals aus dem Energiesystem entfernen können, gehört zu den wichtigsten Grundstoffen und benötigt einen geeigneten Stoffkreislauf. Das CCS-Verfahren (Carbon Capture and Storage) eignet sich nach Ansicht von Robert Schlögl allerdings nicht dafür. Die Vorstellung, solche Prozesse der Grundstoffversorgung aus Deutschland auszulagern, erscheint dabei wenig zielführend. Vielmehr sollten wir in Wirtschaftsräumen (z. B. European Union) denken und gemeinsam und ohne Konkurrenz die notwendigen Umstellungen vornehmen. Dabei dürfen wir uns von den heutigen Kostenstrukturen nicht leiten lassen. Welche Kosten in Zukunft entstehen, ist heute schwer auszumachen, da vielfältige Faktoren darauf Einfluss haben werden. Auf jeden Fall, wird die erforderliche Transformation nicht zum „Nulltarif“ zu erhalten sein.

Harry Gnorski (Geschäftsführer der PCK Raffinerie GmbH, Schwedt/Oder) zeigte in seinem Vortrag Wege der zukünftigen Transformation der PCK Raffinerie GmbH in Schwedt/Oder auf. Dazu erarbeite die Raffinerie gemeinsam mit ENERTRAG eine sektorübergreifende Studie, die Synergien aus beiden Welten nutzt und PCK die Möglichkeit eröffnet, sich zu einer „Grünen Raffinerie“ zu entwickeln. Anhand der Untersuchungen kann gezeigt werden, wie ein stufenweiser Ausbau gelingen kann, welche regulatorischen Rahmenbedingungen beachtet werden müssen und warum an „grünem Wasserstoff“ kein Weg vorbeiführt. Für die Region wird aufgezeigt, wie in einem zweistufigen Ansatz (300 MW und 2 GW) der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Installation von Elektrolysekapazität und die Integration in die vorhandene Infrastruktur gelingen kann. Im Endausbau ist die „Grüne Raffinerie“ integraler Bestandteil der überregionalen Infrastruktur, speist Wasserstoff für industrielle Abnehmer in das H2-Netz ein und stellt nachhaltige Produkte, wie „grünes Methanol“ oder Sustainable Aviation Fuel (SAF) in signifikanten Mengen her.

Ulrich Schwarz (Hochschule für nachhaltige Entwicklung, Eberswalde) zeigte in seinem Vortrag „Potenzial von Holzbauten als Kohlenstoffsenke“ das Potential für die Speicherung von Kohlendioxid im Rahmen von Holzbauten auf. Die Hemmnisse dafür sind vielfältig. Aus diesem offenen Potential lassen sich aber verschiedene positive Aspekte erkennen. Einerseits kann gegenüber der klassischen mineralischen Bauweise in Holzkonstruktionen deutlich schneller sowie leichter gebaut werden und andererseits über die leichteren Bauweisen sowie das verwendete Holz CO2 gespeichert, aber auch z. B bei der Fundamentierung „eingespart“ werden. Bei sehr übersichtlicher Betrachtung stellt sich sehr schnell die Frage, ob die Holzressourcen im Sinne des nachhaltigen Bauens (regionale Rohstoffverfügbarkeit bzw. ebenso regionale Be- und Verarbeitung) zur Verfügung stehen. Hier sind bei der Rohstoffbeschaffung differenzierte Betrachtungen notwendig, da einerseits in Deutschland große Bestände an Fichte (Picea abies) bestehen bzw. bestanden und auf der anderen Seite auch große Vorräte an Kiefer (Pinus sylvestris) vorhanden sind. Mit einem Blick in die Zukunft sind hier die Verfügbarkeiten der beiden vorgenannten Holzarten zu betrachten aber auch neue Aspekte, wie die Verwendung von Buche (Fagus sylvatica) als Bauholz in die Überlegungen mit einzubeziehen. Werden diese Aspekte weiter aufgeschlüsselt, dann spielen auch die Bauweisen wie Massivholzbauweise, Holzrahmenbau oder Holzskelettbau eine wesentliche Rolle bei der Betrachtung des eingesetzten Materials in Hinblick auf die herzustellenden Produkte.

Wird ein Blick auf das Land Brandenburg geworfen, so stellt sich hier die Situation als etwas besonders dar. Hier ist in die Überlegung der Verfügbarkeit von entsprechenden Holzmengen auch immer der Bedarf der Bundeshauptstadt Berlin mit einzubeziehen. Ein weiterer Aspekt bei der Betrachtung zur Speicherung von Kohlendioxid im Rahmen von Holzbauwerken ist auch die wirtschaftliche Situation, die sich im Umfeld von Berlin bezüglich des Holzbaus weiter entwickeln muss. Hier bleibt letztlich die Frage, ob genügend Kapazitäten für die Herstellung von mehrgeschossigen Holzbauten regional vorhanden sind. Zusammenfassend stellte Ulrich Schwarz fest, dass für die Region Brandenburg/Berlin Konzepte und Entwicklungsstrategien erarbeitet werden müssen, um den zukünftigen Anforderungen im Sinne der Speicherung von CO2 gerecht zu werden.

„Jenseits der Batterie – die Elektrochemie in der Stoff- und Energiewende“, unter diesem Titel trug Uwe Schröder (MLS) zur Möglichkeit der Nutzung elektrochemischer Verfahren im Rahmen der Energiewende vor. Dabei zeigte er auf, welche Beiträge die Elektrochemie als Baustein und Bindeglied künftiger regenerativer Energie- und Stoffwandlungstechnologien leisten kann. Im Mittelpunkt standen ausgewählte Arbeiten des Arbeitskreises von Uwe Schröder an der Universität Greifswald. Diese umspannen Fragestellungen künftiger Mobilität (regenerative Kraftstoffe), nachhaltiger chemischer Prozesse und einer potentiellen Rückgewinnung von Energie aus Abwasserströmen mittels bioelektrochemischer Systeme.

Angela Kruth (Leibniz-Institut für Pharmaforschung und Technologie e. V. Greifswald) zeigte in ihrem Vortrag „Grüne Ammoniak-Technologien für Energiesicherheit, Klimaschutz und Wirtschaftswachstum“, dass Ammoniak als stickstoff-gebundener Wasserstoff gegenüber ungebundenem Wasserstoff in vielen Bereichen Vorteile hat, da er sich einfacher und kostengünstiger speichern und transportieren lässt. Er gilt zunehmend als der tragende Baustein für das Ausrollen einer Wasserstoff-Wirtschaft und Schlüssel für die Realisierung der Versorgungssicherheit in Europa. Für den Aufbau von Versorgungsstrukturen und die Nutzung von Ammoniak als Energieträger sind innovative Technologien für die Erzeugung von „grünem Ammoniak“ zur Speicherung von fluktuierender Wind- und Solarenergie, die flexible Betankung von Ammoniak-betriebenen Schiffen, für die Nutzung von Ammoniak als Kraftstoff in Schiffsmotoren, im landseitigen Schwerlastverkehr, in Arbeitsmaschinen oder zur Versorgung von Blockheizkraftwerken und Strom-Tankstellen erforderlich. Neue Technologien werden auch für die Rückumwandlung von Ammoniak in hochreinen Wasserstoff benötigt. Angesicht dieses Bedarfs sind enorme Zukunftschancen für die deutsche Wirtschaft gegeben. Das im Rahmen von BMBF „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ gegründete CAMPFIRE-Bündnis aus über 70 Partnern erforscht und entwickelt seit 2019 Technologien für „grünen Ammoniak“ anhand einer durch ein Open Innovation – Fast Innovation Management entwickelten Technologie-Roadmap. Für die industrielle Entwicklung von innovativen Hochtechnologien werden am Standort Poppendorf bei Rostock europaweit einmalige Voraussetzungen geschaffen, um Startups und kleine und mittlere Unternehmen aus den Branchen Anlagenbau, Energietechnik, Energiehandel, Sondermaschinenbau, Schiffbau und Automatisierungstechnik Niederlassungen, nachhaltige Geschäftsfelder und Produkt-Rollout im Markthochlauf von Ammoniak und Wasserstoff zu ermöglichen.

Tim Klewe (Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin) trug im Vortrag „Methodenentwicklung der sensorgestützten Sortierung von Bau- und Abbruchabfällen“ Ergebnisse eines gemeinsamen Projektes von Partnern aus Industrie und Forschungseinrichtungen vor, die an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) gewonnen wurden. Um das Ziel, eine automatisierte, sensorgestützte Sortierung von Baustoffen zu erreichen, sind die Verarbeitungsgeschwindigkeit, die Recyclingquote, die Sortierqualität und die gesundheitlichen Bedingungen zu verbessern. Im Vortrag wurde die Kombination von Laser-induzierter Breakdown-Spektroskopie (LIBS) und VIS/NIR-Spektroskopie beschrieben. Ziel ist es, durch die gemeinsame Verarbeitung der Informationen die Sortierqualität verschiedener Materialien wie Beton, Hauptmauerwerksbaustoffe und organische Bestandteile deutlich zu verbessern. Darüber hinaus könnten Verunreinigungen wie SO3-haltige Baustoffe (Gips, Porenbeton u. a.) erkannt und getrennt werden. Die aktuellen Fortschritte und Ergebnisse der Entwicklung eines Prüfstands wurden vorgestellt, der LIBS mit NIR-Spektroskopie und visueller Bildgebung kombiniert. In Zukunft soll dieser Laborprototyp als vollautomatischer Messaufbau dienen, um eine Echtzeitklassifizierung von Bau- und Abbruchabfällen auf einem Förderband zu ermöglichen.

Julia Seher (Bundesanstalt für Materialforschung und-prüfung) stellte in ihrem Vortrag „Hydrothermalgranulate – Verwertungsmöglichkeit für gemischten Mauerwerkbruch“ Ergebnisse des erfolgreich abgeschlossenen Projekts „HYTEGRA“ vor, welches u. a. bei der Bundesanstalt für Materialprüfung und -forschung (BAM) bearbeitet wurde. Eine Möglichkeit der effektiven Verwertung von Mauerwerkbruch stellt das rohstoffliche Recycling über einen hydrothermalen Stoffumwandlungsprozess dar, bei dem poröse Granulate entstehen. Aus den Eigenschaften der Hydrothermalgranulate, insbesondere ihrer Porenstruktur, ergeben sich Anwendungsmöglichkeiten als Filter- oder Speichermaterial, d. h., auch in Bereichen, die über den Bausektor hinausgehen. Hierbei können die Granulate Gesteinskörnungen natürlichen Ursprungs, z. B. Lavasand und Bims, oder aus natürlichen Rohstoffen hergestellte Körnungen, z. B. Blähtone, ersetzen. Somit wird ein Beitrag zur Schonung natürlicher Ressourcen und zur Energieeinsparung im Vergleich zur Blähtonherstellung geleistet. Ziel des ZIM-Kooperationsprojekts (zentrales Innovationsprogramm Mittelstand) „HYTEGRA – Hydrothermalgranulate“ war die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung leichter Gesteinskörnungen durch die hydrothermale Behandlung eines Gemisches quarz- und kalkreicher Reststoffe. Als Ausgangsstoffe dienten ziegelhaltiger Mauerwerkbruch als SiO2-Träger und Papierasche aus dem Altpapierrecycling als CaO-Träger. Die vollständige Prozesskette von der mechanisch-physikalischen Aufbereitung der Reststoffe über die Formgebung der Grüngranulate bis zur hydrothermalen Härtung der Leichtgranulate wurde im Labormaßstab entwickelt und erprobt. Die Anwendung der Hydrothermalgranulate als Speichermaterial zur inneren Nachbehandlung von Beton und als Pflanzsubstrat sowie als Filtermaterial in Bodenfiltern zur Abwasserbehandlung wurde untersucht.

Im Schlusswort dankte Norbert Mertzsch allen Vortragenden und Teilnehmern der Diskussion für ihre Beiträge. Es ist vorgesehen die Vorträge in einem Band der „Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften“ zu publizieren. In seinem Ausblick zeigte Norbert Mertzsch weitere Probleme der Energiewende auf, denen sich der Arbeitskreis Energie Mensch und Zivilisation in den nächsten Jahren widmen kann.

Gerhard Pfaff, Ernst-Peter Jeremias und Norbert Mertzsch