BIESDORFER BEGEGNUNG mit der Bildhauerin Christiane Rößler

Am 14. Juni 2023 fand eine weitere „BIESDORFER BEGEGNUNG“ statt, diesmal in Kooperation mit der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin im 30. Jahr ihres Bestehens. Für die „Begegnung“ konnte die aus Berlin stammende Bildhauerin Christiane Rößler (Jahrgang 1972) mit ihren „Köpfen“ gewonnen werden: Seit 1999 hat sie mehr als 20 Bronze-Porträts von Persönlichkeiten insbesondere aus den Bereichen Kunst und Wissenschaft gestaltet.

Der Vorsitzende der „Freunde Schloss Biesdorf e. V“, Dr. Heinrich Niemann, begrüßte über 40 Gäste im Heino-Schmieden-Saal. Mit Blick auf die beiden vorgesehenen Ärzteporträts verwies er darauf, dass der Architekt des Schlosses zu den wichtigsten europäischen Krankenhauserbauern gehörte.

Professor Dr. Gerhard Banse, Altpräsident der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, stellte die Bildhauerin und ihr Werk vor. Er hatte sie zur Eröffnung ihrer Ausstellung „Begegnungen 2009 – 2019“ am 9. August 2019 im Rathaus Berlin-Mitte kennengelernt und hob hervor, dass Christiane Rößler im Zeitraum von 1999 bis 2019 bildhauerische Porträts geschaffen hat. Auf dem Weg „von einem Kopf zum anderen“, wie sie es selbst beschreibt, war sie zahlreichen Künstlern und Wissenschaftlern begegnet, die sie als Gesprächspartner und zu Porträtierende auswählte. Insbesondere ging es ihr dabei um jene, die nach 1945 als Emigranten zurückgekehrt waren bzw. eine Generation später in Literatur, Bühnenkunst und Wissenschaft arbeiteten und die in Europa und der Welt anerkannt waren und in ihr wirkten. Dieser Punkt ist ihr besonders wichtig, denn er erklärt ihren Antrieb: den Biografien der zu portraitierenden Persönlichkeiten in dieser Tiefe auf den Grund zu gehen. Gemeinsam für alle Porträtierten sind die Wohn- und Schaffensorte in Berlin, Hauptstadt der DDR, und nach 1989 in der vereinigten Bundesrepublik.

In ihrer kürzlich erschienenen Publikation „KÖPFE“ (ein „gewichtiger“ Doppelband in einem Schuber) hat die Bildhauerin deren Entstehung in Briefen und Gesprächen beschrieben. Indem sie ihre persönlichen Begegnungen und Gespräche schildert, dokumentiert sie den Werdegang der Entstehung der Portraits sowie den Austausch mit den Portraitierten. So trägt das Buch nicht nur zur Bewahrung aktueller Zeit- und Kulturgeschichte bei, sondern auch zum Selbstverständnis von Kunst und Kunstschaffenden, und leistet damit einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der jüngsten deutsch-deutschen Vergangenheit.

Für den Abend waren vier der inzwischen 25 Porträtierten ausgewählt worden: der Schriftsteller Hermann Kant, die Ärzte Stephan Tanneberger (Krebsforscher) und Moritz Mebel (Nierentransplanteur) sowie die Schauspielerin Inge Keller. In einem „Prolog“ erläuterte sie die Motivation für ihr bildhauerisches Schaffen: „Von den Pfaden, den notwendigen Umwegen, dem Zweifeln und Irren, den Entdeckungen und dem Begriffenen, den Begegnungen, Gesprächen und Gedanken, der Sehnsucht und dem Genuss möchte ich hier erzählen.“

Bevor jedoch die Künstlerin ans Rednerpult trat, begrüßte mit einer online-Aufzeichnung Horst Klinkmann aus Rostock die Anwesenden. Der international bekannte Forscher und Arzt war der letzte Präsident der Akademie der Wissenschaften der DDR und vor dreißig Jahren Gründungsmitglied der Leibniz-Sozietät. Er würdigte insbesondere die porträtierten Mediziner, die er aus jahrelanger Zusammenarbeit kannte. Beide hatten in der Krebsforschung bzw. bei Organtransplantationen bis heute gültige Beiträge geleistet.

In eindrucksvoller Weise schilderte Christiane Rößler dann den Werdegang ihrer bildnerischen Arbeit sowie ihre persönlichen Begegnungen und Gespräche mit diesen Persönlichkeiten.

Den Zugang zu den Porträtierten und ihren Porträts fand sie durch Antworten auf jeweils folgende Fragen:

  1. Wie oder durch wen wurde ich auf den Porträtierten aufmerksam gemacht?
  2. Wann oder warum habe ich entschieden, die Figur zu beginnen?
  3. Welcher Gedanke künstlerischer oder praktischer Art der/des Porträtierten begleitet mich?
  4. Welche Beobachtungen sind für die „innere Skizze“ relevant?

Durch dieses strukturierte Vorgehen brachte Frau Rößler den Zuhörern die Porträtierten auf eine sehr persönliche Weise nahe.

Am Beispiel des Portraits von Hermann Kant wurden zudem die Schritte auf dem Weg zum „Werk“ benannt: Beobachtung und innere Idee, erste Skizze, Fotoaufnahmen, Modellsitzen, Modellieren in Ton, Arbeit des Kunstgießers, Abformen und Auspinseln mit Wachs, Retuschieren, Ausschmelzen und Gießen, Ziselieren und Patinieren. Und von den Gesprächen „zwischen Modell und Künstlerin“ wurde berichtet. So waren vier charakteristische Bildnisse am Ende ihres Lebens im Saal zu betrachten.

Abschließender emotionaler Höhepunkt war das Abspielen eines Tondokuments: Auf Bitte der Bildhauerin trug Inge Keller – auf einer Tonaufnahme aus dem Jahr 2015 – mit ihrer charakteristischen Stimme die „Kinderhymne“ von Bertolt Brecht (aus dem Jahr 1950) vor:

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Dass ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

Dass die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern woll‘n wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir‘s
Und das Liebste mag‘s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs

Die sich anschließende Diskussion wurde von Hermann Klenner eröffnet. Der 97jährige Rechtsphilosoph und Mitgründer der Leibniz-Sozietät gehört zu den Porträtierten und berichtete, wie das Modellsitzen seinen Zugang zur Kunst vertieft und er der Bildhauerin den Zugang zu anderen „Köpfen“ gebahnt habe. 

Im weiteren Verlauf ging es um einzelne Porträts, die Unterschiede zwischen Fotografie und bildhauerischer Plastik sowie von der Bildhauerin zukünftig Geplantes. Am Ende der Veranstaltung stand der Wunsch, einmal alle Porträts und ihre Geschichten in einer Ausstellung zugänglich zu machen – möglichst im Schloss Biesdorf.

Heinrich Niemann bedankte sich im Namen aller Anwesenden bei Christiane Rößler und charakterisierte diese BIESDORFER BEGEGNUNG mit den Worten: Wichtig, bewegend und ermutigend! Die in Bronze gegossenen Porträtbüsten – eine seltener gewordene Kunstform – bringen uns Persönlichkeiten nahe, legen über den Tag hinaus Zeugnis ab. Für jeden, der genau hinsieht und ihre Geschichte kennenlernen will.

Gerhard Banse / Heinrich Niemann

[Fotos: Alexej Stoljarow]