Bericht zur Sitzung der Klasse für Naturwissenschaften und Technikwissenschaften der Leibniz-Sozietät am 12. Juni 2025

(Foto: Gerhard Pfaff)
Am 12.6.2025 fand die Sitzung der Klasse für Naturwissenschaften und Technikwissenschaften der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin als öffentliche Veranstaltung in der „Hoftheke“ des Historischen Rathauses Berlin-Friedrichshagen statt (parallel Übertragung per Zoom). Mit der Sitzung ehrte die Klasse ihr Mitglied Heinz Kautzleben zum 90. Geburtstag mit Vorträgen zur Thematik
Aktuelle Missionen der Satellitengeodäsie und Satellitenmessmethoden
Einleitend begrüßte der Sekretar der Klasse für Naturwissenschaften und Technikwissenschaften, Gerhard Pfaff, die Teilnehmenden im Rathaus Berlin-Friedrichshagen sowie die per Zoom zugeschalteten Kolleginnen, Kollegen und Gäste mit einer Laudatio für Heinz Kautzleben, in der er ausführlich dessen beeindruckendes Lebenswerk und seinen unermüdlichen Einsatz für die Leibniz-Sozietät würdigte. Der Laudatio schlossen sich vier Fachvorträge an, die von den Mitgliedern der Leibniz-Sozietät Reinhard Rummel, Roland Pail, Jürgen Müller und Harald Schuh gehalten wurden.
Reinhard Rummel (MLS): Begegnungen mit dem Geowissenschaftler Heinz Kautzleben
Reinhard Rummel verwies zu Beginn seines Vortrags darauf, dass Heinz Kautzleben am Anfang der 1970er Jahre die sehr erfolgreiche Reihe der Symposien „Geodesy and Physics of the Earth“ ins Leben gerufen hat. Dabei handelte es sich um Symposien, in denen sich Geodäten, Geophysiker und Astronomen zum Gedankenaustausch trafen und in denen Wissenschaftler aus Ost und West in Kontakt kamen. Über das Thema der Ähnlichkeitstransformation von Kugelfunktionsdarstellungen des Erdmagnet- und Erdschwerefeldes waren dem Referenten des Vortrags die Arbeiten von Heinz Kautzleben bereits ein Begriff. Dieses Thema wurde beim vierten Symposium der Reihe aufgegriffen und diskutiert. Reiner Rummel selbst durfte bereits beim zweiten Symposium in Potsdam seine Geoidberechnung von Westdeutschland vortragen. Eine völlig andere Darstellung der Potentialfelder, nämlich mit Punktmassen wurde von Barthelmes und Kautzleben auf einem ähnlichen Symposium in Prag 1983 präsentiert und im gleichen Jahr auch auf dem IUGG General Assembly in Hamburg vorgetragen. Dieser Ansatz wurde damals für die Modellierung des Gravitationsfeldes des Mondes gewählt und ist nun auch für die Erde wieder sehr aktuell.
Reinhard Rummel stellte abschließend fest, dass Heinz Kautzleben in der Leibniz-Sozietät eine sehr starke Gruppe von Geodäten ins Leben gerufen hat, u.a. mit den leider verstorbenen Helmut Moritz und Erik Grafarend. Es entstand eine Reihe von Kolloquien, auf denen die aktuellen Themen der Geodäsie besprochen wurden und auch zukünftig diskutiert werden.
Roland Pail (MLS): Die zukünftigen Schwerefeldmissionen von NASA, ESA und dem DLR/GFZ
Roland Pail führte aus, dass Satellitenmissionen zur Bestimmung des Schwerefelds der Erde und dessen zeitlicher Veränderungen unser Verständnis für zahlreiche Erdsystemprozesse revolutioniert haben. In den Zeitvariationen des Schwerefelds spiegeln sich Veränderungen in der Massenverteilung der Erde wider. Damit beobachten Schwerefeldsatelliten beispielsweise Veränderungen im globalen Wasserkreislauf, Abschmelzen der großen Eisschilde sowie Inlandgletscher und massenbasierte Meeresspiegeländerungen. Sie tragen daher wichtige Informationen zu Klimawandelindikatoren bei. Nicht zuletzt sind sie auch eine wichtige Komponente des Global Geodetic Observing Systems (GGOS) der International Association of Geodesy (IAG).
Nach den großen Erfolgen der ESA-Mission GOCE (2009 bis 2013) und der NASA/DLR/GFZ-Mission GRACE (2002 bis 2017) wird das globale Schwerefeld-Monitoring aktuell mittels der Mission GRACE-Follow On (GRACE-FO) durchgeführt. Trotz bahnbrechender Erkenntnisse sind diese Missionen limitiert durch begrenzte räumliche und zeitliche Auflösung. Eine große Fehlerquelle ergibt sich darüber hinaus durch zeitliche Unterabtastung des Zielsignals, wie z.B. hochfrequenter Phänomene im Ozean und der Atmosphäre. Deshalb werden seit vielen Jahren erweiterte Messkonzepte entwickelt, um diese und weitere Aspekte in zukünftigen Missionen zu verbessern.
Der Vortrag von Roland Pail zeigte außerdem ein bereits in der Umsetzung befindliches Konzept für zukünftige Schwerefeldbeobachtung aus dem Weltraum auf – die Satellitenkonstellation MAGIC (Mass-change And Geoscience International Constellation), bestehend aus zwei Satellitenpaaren. Zusätzlich zu einem polaren Paar (vergleichbar mit GRACE und GRACE-FO) wird ein zweites inkliniertes Paar einen erheblichen Mehrwert hinsichtlich räumlicher und zeitlicher Auflösung sowie Genauigkeit bringen. Mit Hilfe umfangreicher numerischer Simulationsergebnisse wurden in der Präsentation die Leistungsfähigkeit dieses Konzepts quantifiziert und der Mehrwert für zahlreiche Anwendungen demonstriert.
Jürgen Müller (MLS): Quantensensoren auf Satelliten
Jürgen Müller machte in seinen Ausführungen deutlich, dass Satellitenmissionen wie das Gravity Recovery And Climate Experiment (GRACE) oder die aktuelle GRACE-FO-Mission die globale Bestimmung des Erdschwerefeldes und dessen Veränderungen ermöglichen. Dabei werden essentielle Größen bestimmt, die für das Verständnis der Auswirkungen des Klimawandels von hoher Bedeutung sind. Eine Verbesserung der räumlichen und zeitlichen Auflösung ist für zukünftige Schwerefeldmissionen erforderlich. Neben den nicht-ausreichenden Modellen für die hochfrequenten Massenvariationen in Ozean und Atmosphäre ist ein weiterer limitierender Faktor die elektrostatische Messung der nicht-gravitativen Beschleunigungen. Als vielversprechendes alternatives Sensorkonzept werden Beschleunigungsmesser auf Basis der Atominterferometrie gesehen, die sich durch eine hohe Empfindlichkeit und Langzeitstabilität auszeichnen. Die europäische Pathfinder-Mission CARIOQA soll innerhalb der nächsten 5 Jahre den Prototypen eines atom-interferometrischen Beschleunigungsmessers im Weltraum testen. Eine Option ist auch die hybride Nutzung von klassischen und atom-interferometrischen Sensoren. Der Vortrag von Jürgen Müller machte deutlich, dass anhand von Simulationen das Potential, aber auch die Limitierung der neuen Messkonzepte quantifiziert werden kann und zeigte die Nutzungsmöglichkeiten der Sensorkonzepte auf.
Harald Schuh: ESA’s GENESIS Mission – wissenschaftliche Notwendigkeit und gesellschaftliche Relevanz
Die am 23.11.2023 bewilligte ESA Mission GENESIS, so legte Harald Schuh dar, zielt auf die Verbesserung der geodätischen Referenzrahmen ab. Diese werden aus einer Kombination von vier verschiedenen Weltraumverfahren gewonnen; den Globalen Navigationssatellitensystemen (Global Navigation Satellite Systems, GNSS), zu denen u.a. Galileo und GPS gehören, der Very Long Baseline Interferometry (VLBI), Satellite Laser Ranging (SLR) und dem französischen DORIS-System. Nur durch eine rigorose Kombination können die Stärken jedes Weltraumverfahrens optimal genutzt werden. Mit der GENESIS Mission wird die Idee der Kombination eines GNSS-Empfängers, eines VLBI-Senders, einer DORIS-Antenne, und eines SLR-Retroreflektors auf demselben Satelliten umgesetzt.
Die Referenzrahmen können als Koordinatensysteme der Erde verstanden werden und bilden die messtechnische Grundlage für zahlreiche mit der Erde verbundenen Erdsystemparameter, wie z.B. dem globalen Meeresspiegelanstieg als wesentliche Folge der globalen Klimaänderungen oder den Bewegungen der Kontinentalplatten, die für die Erdbebenforschung von höchster Bedeutung sind. Um diese Parameter genau und zuverlässig ableiten zu können, wie auch für jegliche Positionierung und Navigation auf der Erde, wird vom Globalen Geodätischen Beobachtungssystem (GGOS) der Internationalen Assoziation für Geodäsie (IAG) für den Referenzrahmen eine Genauigkeit von 1 mm und eine Langzeitstabilität von 1 mm/Dekade gefordert. Allerdings erfüllen derzeitige globale Referenzrahmen diese Anforderungen noch nicht. Die Vereinten Nationen haben 2015 in der ersten Resolution über Geodäsie (A/RES/69/266) die Wichtigkeit genauer und stabiler Referenzrahmen hervorgehoben und auf eine politische Ebene gebracht.
Bisherige Unsicherheiten liegen in den Weltraumverfahren selbst und in deren Kombination, die aktuell nur über die Bodenstationen (local ties) erfolgt. Anzahl und globale Verteilung der dafür geeigneten Bodenstationen sind allerdings nicht ausreichend, um die oben beschriebenen Genauigkeitsanforderungen zu erfüllen. Der GENESIS-Satellit kann mit allen vier Weltraumverfahren von den weltweit verteilten Bodenstationen aus beobachtet werde, wodurch eine Kombination direkt am Satelliten ermöglicht wird (space ties) und die Verknüpfung der Verfahren im Weltraum gesichert ist. Damit können etwaige Diskrepanzen zwischen den Weltraumverfahren aufgedeckt und die sonst sehr kritischen systematischen Verfälschungen vermieden werden. Durch die alternative Kombination am Satelliten kann zudem die Standard-Methode am Boden (local ties) unabhängig verglichen und bewertet werden. GENESIS kann seine Stärke zur Verbesserung des geodätischen Referenzrahmens nur im Zusammenspiel mit den „klassischen“ Beobachtungen der GNSS-, VLBI- und SLR-Bodenstationen entfalten. Harald Schuh führte abschließend aus, dass zu erwarten ist, dass damit die geodätischen Referenzrahmen signifikant verbessert werden können und sich die oben genannten globalen Umweltveränderungen wie der Meeresspiegelanstieg sowie die durch Plattenbewegung verursachten Naturgefahren wesentlich besser als bisher beobachten lassen.
Nach den vier Fachbeiträgen bedankte sich Heinz Kautzleben bei den Referenten für die hohe Qualität der Vorträge sowie bei den Teilnehmenden für die ihm mit der Sitzung erwiesene Ehrung.
Gerhard Pfaff