Plenarveranstaltung im Juni

Bericht zum Vortrag von Dr. Michael Kaasch „Schwieriges Erbe? Der Arzt, Naturforscher und Maler Carl Gustav Carus, ein (umstrittener) Zeitgenosse von Caspar David Friedrich“

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin veranstaltete ihre öffentliche Juni-Plenarveranstaltung am 12.06.2025 zum Thema „Schwieriges Erbe? Der Arzt, Naturforscher und Maler Carl Gustav Carus, ein (umstrittener) Zeitgenosse von Caspar David Friedrich“.

Referent hierzu war Dr. Michael Kaasch (MLS), der vor allem durch seine Beiträge auf den Gebieten Biologiegeschichte und Akademiegeschichte bekannt ist. Die Veranstaltung fand in der „Hoftheke“ des Historischen Rathauses Berlin-Friedrichshagen statt.

Einleitend begrüßte Gerda Haßler, Präsidentin der Leibniz-Sozietät, die Teilnehmenden und stellte den Referenten vor. Michael Kaasch ist Biologe, Biologiehistoriker und wissenschaftlicher Redakteur der Schriften der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften. Schwerpunkte seiner Forschungen sind die Biologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Publizistik, die wissenschaftliche Biographik und die Historie Gelehrter Gesellschaften und wissenschaftlicher Akademien. 2024 erhielt er den Ilse-Jahn-Ehrenpreis der Deutschen Gesellschaft für Geschichte und Theorie der Biologie. Er ist seit 2020 Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V. und stellvertretender Sekretar der Klasse für Naturwissenschaften und Technikwissenschaften.

Michael Kaasch eröffnete seinen Vortrag mit dem Hinweis darauf, dass die Malerei der Romantik und ihres bedeutendsten Vertreters Caspar David Friedrich (1774–1840) 2024 aus Anlass von dessen 250. Geburtstag im Mittelpunkt kulturgeschichtlicher Aufmerksamkeit standen. In umfangreichen repräsentativen Ausstellungen in Hamburg, Berlin, Greifswald (seiner Heimatstadt), Dresden (seinem langjährigen Wirkungsort) und Weimar wurde Friedrich gefeiert und gewürdigt. In den weiteren Ausführungen wurde Carl Gustav Carus (1789–1869), der ,,Naturforscher und Arzt – Philosoph und Künstler“ – so die auf den Biologiehistoriker Rudolph Zaunick (1893–1967) zurückgehende, heute noch gültige Kennzeichnung seines Wirkens – ein Zeitgenosse in den Mittelpunkt gerückt, der in Dresden in Verbindung zu Friedrich stand und der einerseits als Künstler in eigenständiger Weise dessen Anregungen aufnahm und der andererseits diesen ärztlich beriet. Carus war als Naturforscher in der vergleichenden Anatomie und in der Physiologie, als Frauenarzt und Geburtshelfer, als Leibarzt des sächsischen Herrscherhauses und gefragter Arzt mit großer Privatpraxis sowie als Mitbegründer (1822) und Förderer der Gesellschaft Deutscher Naturforscher Ärzte (GDNÄ) und XIII. Präsident der Naturforscherakademie Leopoldina (Amtszeit 1862–1869) ein wichtiger Repräsentant der Medizin seiner Zeit. Mit seinen Analysen der Psyche (vor allem zur Bedeutung des Unbewussten) gehört Carus zu den Vorläufern der modernen Psychologie. Als begeisterter Goetheverehrer versuchte er in Hinblick auf die eigenen Lebensziele und seine Lebensgestaltung, diesem Vorbild weitgehend nachzufolgen. Darüber hinaus beschäftigte sich Carus mit philosophischen Fragen und hinterließ ein umfassendes schriftstellerisches Werk (u. a. eine umfangreiche Autobiographie). Seine Vielseitigkeit spiegelt sich auch in – heute durchaus als problematisch angesehenen – Vorstellungen und Herangehensweisen (z. B. in seiner Cranioskopie und in der Behandlung der Menschenrassen) wider. Noch zu Lebzeiten geriet Carus mit seinen (nach-) romantischen Auffassungen in Widerspruch zur tonangebenden wissenschaftlichen und künstlerischen Elite. Wie das künstlerische Œuvre von Caspar David Friedrich fiel auch das Werk und Wirken von Carus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr dem Vergessen anheim. Nach 1900 wurde mit der Renaissance der romantischen Malerei Friedrichs zunächst auch das künstlerische Werk von Carus wiederentdeckt und schließlich auch sein wissenschaftliches und ärztliches Wirken erneut erschlossen. Dabei zeichnen sich verschiedene Perioden und problematische Aspekte der Aneignung zu unterschiedlichen Zeiten ab (1920er Jahre, NS-Zeit, DDR-Zeit, bundesdeutsche „Gegenwart“). Ein sich wandelnder Umgang mit Tradition zeigt sich einerseits am nunmehr eher unkritischen Hype um Caspar David Friedrich und andererseits einer immer mehr nur auf die problematischen Aspekte verengten Auseinandersetzung mit dem Werk von Carus. Missverständnisse und ein unreflektierter Zugang zur Wissenschaftsgeschichte bzw. Instrumentalisierungen moralischer Werturteile spielen dabei eine entscheidende Rolle und müssen dringend hinterfragt werden.

Das Interesse der Teilnehmenden an den Ausführungen von Michael Kaasch bestätigte sich durch die nachfolgende intensive Diskussion. Es ist vorgesehen, den Inhalt des Vortrags zu publizieren.

Gerhard Pfaff