Neue Publikation unseres Mitglieds Rudolf Herrmann erschienen

Herrmann, Rudolf: Die Tieftemperaturphysik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Vom Nernst-Effekt zum Quanten-Hall-Effekt hin zu den Topologischen Isolatoren. 2. Auflage.

Berlin, Heidelberg: Springer Spektrum 2025, XXVII, 323 S.; ISBN 978-3-662-69992-8 (Buch), ISBN 978-3-662-69993-5 (eBook) http://doi.org/10.1007/978-3-662-69993-5

Abstract:

Die 1. Ausgabe des Buches, erschienen 2019, beginnt mit den Bemühungen, tiefe Temperaturen bis zum absoluten Nullpunkt zu erreichen, die von den Franzosen Cailletet und Pictet und den Polen Olszewski und von Wroblewski vorbereitet wurden, und 1908 dem Holländer Heike Kamerling Onnes in Konkurrenz mit dem Engländer James Dewar gelang.

Es wird auf die Arbeiten von Walter Nernst mit seinen Schülern Franz Simon und Fred Lindemann an der Berliner Universität eingegangen, mit denen er die Quantentheorie der Phononen von Albert Einstein mit Messungen der Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärme von Metallen experimentell bestätigen und seinen Wärmesatz, den 3. Hauptsatz der Thermodynamik, beweisen wollte. Dazu brauchte Nernst tiefe Temperaturen.

Fast zur selben Zeit als Nernst einen einfachen Wasserstoffverflüssiger entwickelte, war Walter Meissner dabei, an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Charlottenburg einen Wasserstoffverflüssiger aufzubauen, um danach weltweit den dritten Heliumverflüssiger zu entwickelte, den er für die Erforschung der Supraleitung benötigte.

Es wird berichtet, wie nach dem 2. Weltkrieg die Tieftemperaturphysik basierend auf den Entwicklungsarbeiten von Franz Simon und mit Unterstützung von Pjotr Kapitza an der Humboldt-Universität wieder aufgebaut wurde.

Es folgen die Forschungsarbeiten zur Elektronenstruktur an einkristallinen Metallen und Halbleitern bei tiefen Temperaturen an der Humboldt-Universität. Es werden die umfangreichen Untersuchungen der Halbmetalle und Halbleiter der Wismut-Antimo-Legierungen und des Halbleiters Tellur dargestellt. Dabei ergab sich, dass bei tiefen Temperaturen die Oberflächen des Halbleiters Tellur supraleitend sind. Intensive Messungen ergaben, dass die effektiven Massen der Elektronen in den halbleitenden Wismut-Antimon-Legeirungen, unerwartet gegen Null streben, was zunächst nicht erklärt werden konnte. Beides sind Erscheinungen, die heute die topologischen Isolatoren ausmachen.

In den folgenden Kapiteln wird auf die Erzeugung von tiefen Temperaturen im Milli-Kelvin-Bereich und auf die Erzeugung tiefer Temperaturen, ohne dass dabei verflüssigte Gase benutzt werden, eingegangen. Die letzten beiden Kapitel gehen auf die Erzeugung extrem tiefer Temperaturen und die Entwicklung tiefgekühlter Detektoren ein.  Mit Milli-Kelvin-Detektoren gelang im Jahr 2019 die Entdeckung des ersten schwarzen Lochs im Zentrum der 55 Mio. Lichtjahre entfernten Galaxie Messier 87. Im Kapitel 14.3 „Das Bose-Einstein-Kondensat in einer magnetischen Falle“ wird die Erzeugung ultratiefer Temperaturen unter 200 Nano-Kelvin (<0,0000002 K) durch die Kondensation einzelner Atome in ein Bose-Einstein-Kondensat beschrieben.

Mit der Kondensation von Atomen, ohne dass die Atome kristallisieren, hat sich schon Walter Nernst bei seinen Überlegungen zur Thermodynamik befasst und die heutigen Forschungen gehen auf die Überlegungen von Nernst zurück. Die ultrakalten Atome sind als Bosonen bei diesen extrem tiefen Temperaturen Materiewellen, mit denen Präzisionsmessungen der Erdanziehung auf Satelliten durchgeführt werden, über die Harald Schuh (MLS) in der Sitzung der Klasse für Naturwissenschaften und Technikwissenschaften unter dem Titel „Aktuelle Missionen der Satellitengeodäsie und Satellitenmessmethoden“, am 12.06.2025 vorgetragen hat.

Der erste Anhang im Buch enthält die Namen der Dekane der Physik der Berliner Universität, der Friedrich-Wilhelms- Universität seit 1870, der Humboldt-Universität, die Fachrichtungsleiter der Humboldt-Universität seit 1957, sowie die Direktoren der Sektion Physik der Humboldt-Universität seit 1965.

Im zweiten Anhang sind Experimente der Sektion Physik der Humboldt-Universität zusammengefasst, die für den Weltraumflug des ersten deutschen Weltraumfliegers Siegmund Jähn mit dem russischen Kosmonauten Valeri Bykowski vorbereitet wurden.

In die 2. Auflage wurde neben inhaltlichen Ergänzungen ein neuer Teil mit zwei Kapiteln aufgenommen. Der Teil „Hin zu den topologischen Isolatoren“ umfasst die neuen Kapitel 10 und 11: „Die Topologie der Energiebandstruktur von Festkörpern“ und „Die Experimente an der Humboldt-Universität zu Berlin aus der Sicht der Topologie“.

In der 2. Auflage wird der Nernst-Effekt, den Nernst und Ettingshausen 1886 am Wismut und anderen Metallen und Legierungen gefunden haben über den Quanten-Hall-Effekt hin zu den topologischen Isolatoren gerichtet. Dabei stehen die vom Team des Autors intensiv untersuchten Festkörper Tellur, Wismut und die Wismut-Antimon-Legierungen im Vordergrund.

Walter Nernst, dessen Bemühungen den absoluten Nullpunkt zu erreichen, um die Quantentheorie der Phononen, die Einstein 1905 entwickelt hatte, und damit generell die Quantenphysik, experimentell nachzuweisen (wie im 2. Kapitel ausführlich dargestellt), hat schon mit seiner Dissertation  „Über die elektromotorischen Kräfte, welche durch den Magnetismus in von einem Wärmestrom durchflossenen Metallplatten geweckt werden“, 1888, mit Wismut und Wismut-Legierungen erste Schritte für die Erforschung der elektronischen Eigenschaften von Festkörpern gemacht. Und diese Materialien stehen heute mit im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten zur Topologie der Elektronenstruktur von Festkörpern.

Im Kapitel „Die Topologie der Energiebandstruktur von Festkörpern“ werden ausgehend von den Zyklotronresonanzmessungen an der Humboldt-Universität in den 1960er und 1970er Jahren an der Humboldt-Universität die magnetischen Quantenzustände an Festkörperoberflächen und der Quanten-Hall-Effekt dargestellt. Der Quanten-Hall-Effekt führte zu der Entdeckung, dass die Topologie der Energiezustände in Festkörpern neben der Symmetrie die zweite Säule der Elektronenstruktur ist. Es werden die für Elektronenstrukturen wesentlichen Eigenschaften der Topologie und die damit verbundenen Veränderungen beschrieben, wie die Bandinversion, die Zeitumkehrsymmetrie und die Spin-Bahn-Kopplung, wobei auf den Quanten-Spin-Hall-Effekt, die Spinströme und die Dirac- und Weyl-Halbmetalle eingegangen wird. Nach der Darstellung der winkelauflösenden Photoelektronen-Spektroskopie wird die neue Materialklasse mit der Beschreibung einiger topologischer Isolatoren konkret vorgestellt.

In dem Kapitel „Die Tieftemperaturexperimente der Humboldt-Universität zu Berlin aus der Sicht der Topologie“ werden die in den 1960er und 1970er Jahren als Oberflächenzustände im Tellur gefunden Resonanzen analysiert, sowie die heute als Dirac-Fermionen bezeichneten Erscheinungen in den Wismut-Antimon-Legierungen dargestellt.

Mit den magnetischen Oberflächenzuständen wurde sowohl im Tellur im Mikrowellenfrequenzbereich als auch in den Wismut-Antimon-Legierungen im Radiofrequenzbereich ein Größeneffekt gemessen. Beim Größeneffekt wird der Strom in die Oberfläche der Messprobe getragen, wenn im Magnetfeld der Durchmesser der Zyklotronbahn die Dicke der Proben erreicht hat.

Text auf der Cover-Rückseite des Buches:

Dieses Wer macht die Entwicklung der Tieftemperaturphysik sowie der Festkörperphysik bei tiefen Temperaturen an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt erlebbar und bette diese in den zeitgeschichtlichen Hintergrund ein.

Die Erforschung tiefer Temperaturen beginnt am Anfang des 20. Jahrhunderts. Dabei wurde auch der Einfluss von politischen Gegebenheiten beleuchtet, wie der durch beide Weltkriege und die Teilung Deutschlands auf die Forschung. Beispielsweise erforderte ein Embargo von Forschungseinrichtungen kreative Lösungen abzuwägen, wie die illegale Gerätebeschaffung.

Angefangen bei der experimentellen Bestätigung der Quantentheorie bis zur Supraleitung und zur Bose-Einstein-Kondensation werden auch technische Lösungen zur Kühlung u.a. von Detektoren und Radioteleskopen dargestellt. Und es wird gezeigt, dass die Materialien, die untersucht worden waren, topologische Isolatoren sind.

Das Buch ist mit der Darstellung der Physik tiefer Temperaturen, sowie der Grundlagen der Topologie in Festkörpern und des Quanten-Hall-Effekts vielseitig einsetzbar als Einführung in die Seminarliteratur und zur Fachwissensvertiefung.

Über den Autor:

Rudolf Herrmann studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Physik und promovierte an der Staatlichen Moskauer Universität. Er arbeitete einige Zeit bei dem Nobelpreisträger Pjotr L. Kapitza. Er war Professor für Experimentelle Physik auf dem Lehrstuhl für Tieftemperaturphysik an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Gastprofessor an der Universität Paris 7 und an der Ritsumeikan Universität in Kyoto. Seit 2011 ist Rudolf Herrmann Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V.

Gerhard Pfaff