Wissenschaftliche Sitzungen des Plenums der Leibniz-Sozietät im Jahre 2002
Nachfolgend werden die im Jahr 2002 stattgefundenen wissenschaftlichen Sitzungen im Plenum der Leibniz-Sozietät zusammen mit den Kurzreferaten und Angaben zu den C.V. der Vortragenden aufgelistet.
Die Namen der Autoren sind mit dem Autorenverzeichnis verlinkt und die einzelnen Beiträge, die bereits in einer Publikationsreihe der Leibniz-Sozietät erschienen sind, sind als PDF-Dateien unterlegt.
17. Januar 2002
Parviz Khalatbari
Die demographische Transition in den Entwicklungsländern – Ursachen, Spezifikum, Konsequenzen.
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte, Lessing-Saal
Prof. Khalatbari (75) ist Demograph und Mit¬glied der Leibniz-Sozietät seit 1998. In Teheran (Iran) aufgewachsen und studiert, wurde er 1949 wegen seiner politischen Tätigkeit verhaftet und von ei¬nem Militärtribunal zu drei Jahren Haft verurteilt. 1950 gelang es ihm, auszubrechen und 1954, Iran illegal zu verlassen. 1956 kam er in die DDR, wurde 1961 an der Humboldt-Universität Berlin pro¬moviert und habilitierte sich 1966 zum Thema „Überbevölkerung in den Entwicklungsländern”. 1969 wurde er auf den Lehrstuhl Demographie zum ordentlichen Professor berufen – zunächst an die Ostberliner Hochschule für Ökonomie, 1972 an die Humboldt-Universität. Bis zu seiner Emeritie¬rung (1991) blieb er Inhaber dieses Lehrstuhls.
Hier entfaltete er umfangreiche Aktivitäten zur Förderung des Faches Demographie. Er gründete den Arbeitskreis Demographie (1973), das Internationale Demographische Seminar (IDS)(1974), die Schriftenreihe „Beiträge zur Demographie“ (Akademie Verlag Berlin, 1977) und war maßgeblich beteiligt an der Gründung der Gesellschaft für Demographie (1989), deren Vorsitzender er bis 2000 war. Sein jüngstes Buch trägt den Titel „Globale Probleme aus demographischer Sicht“.
Horst Bloch
Grundwasser-Ressourcen in der saharischen Sahel-Zone
Kurzvortrag
21. Februar 2002
Herbert Hörz
Philosophen zwischen Rechtfertigungsdruck und Interpretationsnot Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte, Lessing-Saal
Prof. Hörz (68) ist Philosoph und Präsident der Leibniz-Sozietät, der er seit 1993 angehört. Seit 1965 war er Professor für philosophische Probleme der Naturwissenschaften an der Humboldt-Universität, seit 1973 Leiter des Bereichs Philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung am Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1989 – 1992 Vizepräsident der Akademie der Wisssenschaften der DDR für die Gelehrtensozietät (jetzt Leibniz-Sozietät), 1992-1995 wissen¬schaftlicher Mitarbeiter der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW). Er hat sich besonders beschäftigt mit Methodologie, Erkenntnistheorie und Geschichte der Wissen¬schaften, philosophischer Entwicklungstheorie und interdisziplinären Beziehungen zwischen Natur-, Technik- und Sozialwissenschaften sowie die Korrespondenz von Hermann v. Helmholtz ediert. Zu Vorträgen weilte er in den USA, China, Japan und den Ländern Ost- und Westeuropas, zu Gastpro¬fessuren in Moskau und Graz. Von seinen zahlreichen Buchpublikationen seien nur genannt: Werner Heisenberg und die Philosophie (1966); Philosophische Entwicklungstheorie (1983); Naturphilo¬sophie als Heuristik? (2000).
Der Beginn des 21. Jahrhunderts stellt viele Fragen an die Philosophen. Sie reichen von globalen Pro¬blemen über die Rechtfertigung von militärischen Einsätzen zur Durchsetzung von Menschenrechten bis zum Klonen von Lebewesen. Antworten fehlen meist. Das führt zum Rechtfertigungsdruck und der Interpretationsnot.
Philosophie teilt sich immer mehr in Spezialdisziplinen auf, verkommt oft zur Magd der Politik und lehnt Visionen für eine humane Zukunft als eine große Geschichte ab, weshalb sie in der Öffentlich¬keit eine geringe Rolle spielt. Philosophie muss sich jedoch als Welterklärung, Ideengenerator und Lebenshilfe bewähren. Nur dann wird sie akzeptiert. Wir leben mit einem Utopiedefizit, pragmatischer Alltagsbewätigung und einer ethischen Lücke.
Der Vortrag befasst sich dazu mit den Fallbeispielen Habermas und Sloterdijk. Die neuen Bedingun¬gen, unter denen zu philosophieren ist, werden benannt, um dann auf den Wandel der Philosophie einzugehen. Zivilisation oder Barbarei wird immer mehr zur Grundsatzfrage weiterer Orientierung des Handelns. Huntingtons „Kampf der Kulturen“ macht deutlich, dass der westlich geprägte Universalis¬mus auf dem Prüfstand steht. Ein Ausblick wird versucht.
Das Fazit ist: Wenn die Menschheit nicht der Barbarei verfallen will, sind Wege zu suchen, die sie von einer sich bekämpfenden Katastrophengesellschaft zu einer solidarischen Verantwortungsgemein¬schaft führen. Dabei könnte eine globale Philosophie des Friedens, der Humanität und der Toleranz helfen, Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen aufzudecken und Unterschiede zu achten.
21. März 2002
Heinz Kautzleben
Geodäsie zu Beginn des 21. Jahrhunderts
(Regionalbeitrag zum Jahr der Geowissenschaften)
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte, Lessing-Saal
Prof. Kautzleben (67) ist Geophysiker und Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, der jetzigen Leibniz-Sozietät, seit 1978. Der Ungarischen Akademie der Wissenschaften gehört er als Ehrenmitglied an. Auf dem Gebiet der Geodäsie war er von 1969 bis 1988 forschend und leitend im damaligen Zentralinstitut für Physik der Erde der AdW der DDR tätig. In seinen wissenschaft¬lichen Untersuchungen, mit denen er international bekannt geworden ist und die er in der Leibniz-Sozietät fortsetzt, befasst er sich vor allem mit den geodynamischen Problemen der Geodäsie. Von 1975 bis 1991 war er Mitglied des Exekutivkomitees der Internationalen Assoziation für Geodäsie (IAG), zu¬letzt ihr Vizepräsident. Seitdem ist er Fellow der IAG. Im Vortrag analysiert er die Ergebnisse der jüngsten wissenschaftlichen Generalversammlung der IAG in Budapest, an der er als Gast teilgenommen hat.
Die Geodäsie befaßt sich mit der Vermessung der Erde. Dabei sind Wissenschaft und Praxis auf das engste miteinander verknüpft. Auf den ersten Blick erscheinen die Aufgaben der Geodäsie einfach und klar. Das Problem ist die Genauigkeit. Die Geodäsie ist eine der ältesten wissenschaftlichen Diszipli¬nen. Ihre Entstehung und ihre Entwicklung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft resultieren aus dem gesellschaftlichen Bedürfnis, das Eigentum an Grund und Boden und an Territorien zu defi¬nieren und zu sichern. In ihrer langen Geschichte hat sie das Weltbild geprägt und wesentliche Bei¬träge zur Entwicklung der mathematisch-physikalischen Naturwissenschaften geleistet. Nach grundle¬genden technischen Innovationen und dem damit verbundenen Sprung in der Meßgenauigkeit um drei Zehnerpotenzen innerhalb von drei Jahrzehnten kann die Geodäsie zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit der Vermessung der gesamten Erdoberfläche – der “festen” Kontinente, der “dynamischen” Meere und der vereisten Gebiete – global einheitlich auf dem Genauigkeitsniveau von 1:1 Milliarde beginnen. Dabei erfordern die “alten” Probleme der Geodäsie wieder einmal neue Lösungen.
18. April 2002
Monika Hardygóra
Heutiger Stand und die Zukunft der Bergbauindustrie in Polen
(Regional¬beitrag zum Jahr der Geowissenschaften)
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte, Lessing-Saal
Frau Prof. Hardygóra (50) ist Montanwissenschaftlerin und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2000. Nach Studium und Promotion an der Technischen Universität Wrocław habilitierte sie sich 1989 an der Bergakademie Freiberg. Studienaufenthalte führten sie auch in die Niederlande, nach Italien und Australien. Seit 1996 steht sie der Bergbaufakultät der TU Wroclaw als Dekanin vor. Ihre wissenschaftliche Arbeit spiegelt sich u.a. in 135 wissenschaftlichen Veröffentlichungen und zwei Fachbüchern wider. Sie ist Mitinhaberin und Autorin von drei Patenten und Industrienormen und arbeitet als Gutachterin für die Oberste Bergbehörde Polens sowie als Mitglied des Bergbaukomitees der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN). Sie gehört der internationalen „Sozietät der Bergbauprofessoren“ sowie der „Europäischen Konferenz der Fördertechnik-Professoren“ an, ebenso dem Organisationskomitee des Symposiums „Planing & Equipment Selektion“ sowie der amerikanischen „Society of Mining, Metallurgy and Exploration“.
Im Jahr 2000 wurden in Polen mehr als 50 verschiedene mineralische Rohstoffe gewonnen, vor allem
* 102,5 Mill. t Steinkohle,
* 59,5 Mill. t Braunkohle,
* 28,6 Mill. t Kupfererz,
* 4,9 Mill. t Blei- und Zinkerze,
* 3,22 Mill. t Salz,
* 1,48 Mill. t Schwefel,
* 180 Mill. t Gesteinsrohstoffe und
* 4,9 Mrd. m3 Gas.
Damit versorgt der polnische Bergbau praktisch alle Industriezweige, von der Energiewirtschaft bis zur chemischen Industrie. Im Bergbau sind etwa 261 100 Mitarbeiter beschäftigt – 8.5% aller Beschäftigten in der polnischen Industrie.
16. Mai 2002
Klaus Goldmann
Das Ende des 2. Weltkriegs und das Schicksal von Kulturschätzen Berliner Museen
(Mit Videofilm über jahrzehntelange Recherchen)
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte, Lessing-Saal
20. Juni 2002
Hans-Joachim Schellnhuber
Globale Koevolution: Wie und wohin können wir das Raumschiff Erde steuern?
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte, Lessing-Saal
19. September 2002
Heinz David
Rudolf Virchow – Naturwissenschaftler, Sozialmediziner, Berliner Stadtpolitiker und Lehren aus seinem Wirken für unsere Zeit
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte, Lessing-Saal
Prof. David (70) ist Pathologe und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1993. Als 7. Nachfolger auf dem Virchow’schen Lehrstuhl war er von 1987 – 1991 Direktor des Instituts für Pathologie der Medizinischen Fakultät (Charité) “Rudolf-Virchow-Haus”, von 1980 – 1990 überdies Dekan der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität. Er kann auf 400 Publikationen und 30 Monographien, Lehr- und Handbücher verweisen, darunter “Rudolf Virchow und die Medizin des 20.Jahrhunderts” (1993).
Der Vortrag wird begründen, warum der Ehrenbürger Berlins – Rudolf Virchow – auch 100 Jahre nach seinem Tod noch für die Wissenschaft und darüber hinaus auf vielen anderen Gebieten aktuelle Bedeutung hat.
Rudolf Virchow
– war einer der Begründer der Medizin als Naturwissenschaft,
– formulierte die Zellularpathologie als Paradigma der Medizin,
– entwickelte Vorstellungen zur praktischen und klinischen Medizin und zur Ausbildung von Ärzten,
– war Vorkämpfer der Medizin als sozialer Aufgabe,
– war Organisator von gesundheits- und kommunalpolitischen Aufgaben in der Stadt Berlin, z.B. für den Bau der Kanalisation und von Krankenhäusern,
– forschte auf dem Gebiet der Anthropologie, Archäologie und Urgeschichte,
– war politisch aktiv als Abgeordneter des Reichstags, des Preußischen Landtags und als Berliner Stadtverordneter,
– wirkte an der Berliner Universität als Rektor und mehrfach als Dekan der Medizinischen Fa¬kultät,
– gründete Museen und bemühte sich darum, die Öffentlichkeit über wissenschaftliche Fragen aufzuklären.
Das einmalige Werk des Gelehrten und Akademiemitglieds Rudolf Virchow hat auf so vielen Gebieten Spuren hinterlassen und ist in seiner Komplexität und Modernität so umfassend, dass es auch heute noch Basis für wissenschaftliche, medizinische und sozialpolitische Studien ist, was die zahlreichen Veranstaltungen anläßlich seines Todestages beweisen.
17. Oktober 2002
Volkmar Schöneburg
Terrorismusbekämpfung im Rechtsstaat
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte, Lessing-Saal
Prof. Schöneburg (44) ist Rechtswissenschaftler und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1996.
1. November 2002
Friedhart Klix
Evolution von Denken und Sprache
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte, Lessing-Saal
Prof. Klix (75) ist Psychologe und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1993. Nach Promotion und Dozentur in Jena war er seit 1963 Professor an der Humboldt-Universität, bis 1984 leitete er de-ren Institut für Psychologie. Seine Forschungen hat er stets interdisziplinär angelegt. Seine wich-tigsten Publikationen sind „Information und Verhalten“, „Erwachendes Denken“ und „Zur Ent-wicklungsgeschichte der menschlichen Intelligenz“. 1980 – 1984 war er Präsident der Internatio-nalen Union für Psychologie; seit 1984 gehört er dem Wissenschaftlichen Beirat des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin an. Außer der Leibniz-Sozietät zählen ihn die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, die Königlich Schwedische Akademie der Wissen¬schaften, die New York Academie of Science und die Londoner Academia Europea zu ihren Mitgliedern; die Berlin-Bandenburgische Akademie der Wissenschaften hat ihn in eine Arbeits¬gruppe berufen.
Die von der Psychologie betrachteten Phänomene haben eine unterschiedlich alte Entwicklungs-geschichte. Wahrnehmung z.B. gehört zu den evolutiv ältesten Fähigkeiten, die bereits bei der Herausbildung der Wirbeltiere entstanden ist; Sprache hingegen ist erst bei der Menschwerdung gewachsen. Dazwischen stehen Fähigkeiten wie Merkmals-Kombination – eine Vorform unserer Begriffsbildung.
Wortverstehen (Spracherkennung) und Wortbildung (Spracherzeugung) gehen in unterschiedli-chen Hirnregionen vor sich; erstere in einer entwicklungsgeschichtlich weit älteren als letztere. Bei dieser sind sprachliche Operationen (Pluralbildung, Negation, Aktiv-Passiv-Wechsel, Kon-junktiv, Zeitformen) eng an materielle konstruktive Leistungen (Bau zusammengesetzter Werk-zeuge) gebunden.
In der Nacheiszeit fanden weltweite Wanderungen des Menschen bis nach Australien, Ostasien und Nordsibirien statt, wobei die Menschengruppen sich differenzierten. In dieser Zeit entstanden auch die ältesten Sprachgruppen – die erste große Verzweigung im Stammbaum der Sprachen.
19. Dezember 2002
Dieter Seeliger
Interdisziplinäre Anforderungen und Lösungen der Sanierung von Altlasten des Uranbergbaus
Staatsbibliothek Unter den Linden 8, Berlin-Mitte, Lessing-Saal
Prof. Seeliger (63) ist Physiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2002. Seit etwa zehn Jahren leitet er als Geschäftsführer die Umwelt- und Ingenieurtechnik GmbH Dresden und wirkt selbst aktiv an Projekten der Uranbergbau-Sanierung in Sachsen und Thüringen mit. Darüber hinaus ar¬beitet sein Team aus Physikern, Mathematikern, Softwarespezialisten, Verfahrenstechnikern, Konstrukteuren und Planungsingenieuren an zahlreichen weiteren nationalen und internationalen Projekten der Umweltsanierung und -überwachung.
Gewaltige Umweltschäden und -belastungen waren das Erbe des 40-jährigen Uranbergbaus auf dem Gebiet der heutigen Länder Sachsen und Thüringen.
Im Rahmen eines beispiellosen Sanierungsprogramms wurde in den vergangenen 10 Jahren ein großer Teil der erforderlichen Arbeiten zur Überwindung dieser Schäden und der von ihnen aus-gehenden Gefahren geleistet. Hierfür mussten komplexe und weitgehend neue Lösungen durch Bergleute, Ingenieure und Naturwissenschaftler der WISMUT AG und zahlreicher weiterer Fir-men und Ingenieurgesellschaften erbracht werden.
Anhand beispielhaft gewählter Projekte aus der Arbeit einer sächsischen Ingenieurgesellschaft werden die Vielseitigkeit und der interdisziplinäre Anspruch der zu lösenden Aufgaben der Uran¬bergbau-Sanierung sowie einige Ergebnisse dargestellt.