Wir trauern um unser langjähriges Mitglied Erich Hahn

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. trauert um ihr Mitglied, den Philosophen Prof. Dr. Erich Hahn, der am 24. Juni 2025 in Berlin verstorben ist
Mit Betroffenheit und großer Trauer hat die Leibniz-Sozietät die Nachricht vernommen, dass Erich Hahn am 24. Juni 2025 im Alter von 95 Jahren verstorben ist. Sein Tod ist Anlass, unseres Gründungsmitglieds und langjährigen Kollegen voller Hochachtung zu gedenken.
Erich Hahn wurde am 5. März 1930 in Kiel als Sohn eines Volkswirtschaftlers geboren. 1948 machte er Abitur in Berlin (West) und arbeitete anschließend auf einem volkseigenen Gut. 1950-56 studierte er Philosophie und Geschichte an der Humboldt-Universität und schloss als Diplom-Philosoph ab. Er arbeitete als Assistent und Oberassistent am dortigen Institut für Philosophie und promovierte 1961 mit einer Arbeit zum Thema: „Über die Bedeutung des unmittelbar gesellschaftlichen Charakters der Arbeit für die Herausbildung des sozialistischen Bewußtseins der Klasse der Genossenschaftsbauern“. 1965 schloss er seine Habilschrift zum Thema „Philosophische Aspekte der soziologischen Theorie“ ab. Seine Arbeit wurde im Deutschen Verlag der Wissenschaften unter dem Titel „Soziale Wirklichkeit und soziologische Erkenntnis: philosophisch-methodologische Aspekte der soziologischen Theorie“ veröffentlicht. Erich Hahn leistete damit neben Kurt Braunreuther, Helmut Steiner u.a. einen wichtigen konzeptionellen Beitrag zur Begründung dieser in den sozialistischen Staaten lange als „bürgerlich“ beargwöhnten Disziplin. Seine Publikationen der damaligen Zeit – neben der genannten v.a. auch „Historischer Materialismus und marxistische Soziologie“ – fanden große Resonanz innerhalb der marxistischen Debatte in Ost und West. In dem Ausmaß war das kaum einem anderen Soziologen gelungen.
1966 bis 1971 leitete er den Lehrstuhl für marxistisch-leninistische Soziologie am Institut für Gesellschaftswissenschaften und den Wissenschaftlichen Rat für soziologische Forschungen. 1967 wurde er zum Professor für dialektischen und historischen Materialismus berufen. 1971 bis 1990 war er Direktor des Instituts für marxistisch-leninistische Philosophie an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rats für philosophische Forschungen der DDR. In dieser Funktion trat er auch auf Philosophiekongressen auf. So hielt er auf dem Vierten Philosophiekongress der DDR das Hauptreferat und das Schlusswort. 1974 wurde er zum korrespondierenden und 1980 zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR berufen. Von 1972 bis 1990 war er Co-Vorsitzender der Gemeinsamen Kommission von Philosophen der DDR und der UdSSR, 1970 – 1974 Vertreter der DDR im Council der „International Sociological Association“. Von 1973 bis 1988 vertrat er die Vereinigung der philosophischen Institutionen der DDR in der Generalversammlung der „Federation internationale des sociétés de philosophie“. Er gehörte der Internationalen Georg-Lukács-Gesellschaft und der Marx-Engels-Stiftung an.
Erich Hahn hat umfangreich geforscht und publiziert, zur Soziologie, zu ihrem Verhältnis zum Historischen Materialismus, zur Ideologie und Ideologiekritik. Dies waren seine philosophischen Schwerpunkte, die er in die wissenschaftliche Debatte einbrachte. Neben der Verantwortung für Wörterbücher in Philosophie und Soziologie stehen zahlreiche Einzel- und Gemeinschaftspublikationen. Seine Schriften wurden in 15 Sprachen übersetzt. Ab 1984 nahm er an allen Gesprächsrunden zwischen Vertretern der SPD und der SED teil, die 1987 in das vielbeachtete Papier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ mündeten. Über diese Erfahrung hat er 2002 in seinem Buch „SED und SPD. Ein Dialog“ berichtet. Mit der Abwicklung seines Instituts 1990 wurde er zwangsemeritiert.
Erich Hahn engagierte sich seit 1951 politisch in der SED. Seit 1976 gehörte er als Kandidat und seit 1981 als Mitglied dem ZK der SED an. Er war in seinen vielfältigen Funktionen vor allem ein parteipolitisch engagierter Philosoph. Manche der Entscheidungen haben z.T. deutliche Kritik hervorgerufen. Erich Hahn hat sich vor dieser nicht gedrückt, seine grundlegende Überzeugung aber nicht geändert. Er blieb Mitglied der sich erneuernden Partei PDS.
Erich Hahn wurden hohe staatliche Auszeichnungen verliehen, so der Vaterländische Verdienstorden in Bronze und Silber sowie der Nationalpreis der DDR.
Nach der Abwicklung der Gelehrtengesellschaft der AdW der DDR war er eines der Gründungsmitglieder der Leibniz Sozietät. In den ersten beiden Jahrzehnten ihrer Existenz beteiligte er sich umfangreich an deren Aktivitäten, trat in deren Klassensitzungen und Arbeitsgemeinschaften auf und veröffentlichte mehrere Beiträge in den Sitzungsberichten der Leibniz-Sozietät, in denen er sich u.a. mehrfach mit den Konzepten von Georg Lukács beschäftigte. Mit dem Erbe dieses von ihm geschätzten Philosophen verbindet sich auch seine letzte Publikation „Lukács und der orthodoxe Marxismus. Eine Studie zu Geschichte und Klassenbewusstsein“ (2016). 2024 wurde ihm die Ehrenurkunde für 50-jährige Mitgliedschaft in der Sozietät verliehen.
Die Leibniz-Sozietät verliert mit Erich Hahn einen hoch angesehenen und verdienstvollen Kollegen. Die Mitglieder unserer Gelehrtengesellschaft werden ihm ein bleibendes Andenken bewahren. Den Hinterbliebenen bekunden wir unser tief empfundenes Beileid.
Jürgen Hofmann, Dieter Segert
PS: Die Trauerfeier findet am 18. Juli um 10 Uhr im Evangelischen Friedhof Friedrichshagen statt