Plenarsitzung vom 11. März 2021 zu Ehren unseres Mitglieds Hermann Grimmeiss (durchgeführt als Videokonferenz, Online-Zoom-Meeting)

Im Mittelpunkt des Plenums der Leibniz-Sozietät stand die Ehrung von Hermann Grimmeiss zur Auszeichnung mit der Daniel-Ernst-Jablonski-Medaille sowie die Würdigung seines am 19.08.2020 begangenen 90. Geburtstags. Nach einer Laudatio auf Hermann Grimmeiss durch den Alt-Präsidenten Gerhard Banse und den Dankesworten des Geehrten folgte der Fachvortrag des Vizepräsidenten Lutz-Günther Fleischer zum Thema

Probleme und Potentiale im interaktiven Verhältnis von Wissenschaft, Technologie und Innovationen

Nach der Begrüßung der 36 Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch den Sekretar der Klasse für Naturwissenschaften und Technikwissenschaften, Gerhard Pfaff, folgte eine Laudatio auf Hermann Grimmeiss, gehalten von Gerhard Banse.
Hermann Grimmeiss, seit 2003 Mitglied der Leibniz-Sozietät, war im November 2020 zum Leibniz-Tag in Abwesenheit mit der Daniel-Ernst-Jablonski-Medaille ausgezeichnet worden. Die Corona-bedingten Einschränkungen ließen eine Reise von Hermann Grimmeiss, der in Schweden seinen Wohnsitz hat, nach Deutschland in den letzten Monaten nicht zu. Das Präsidium der Leibniz-Sozietät beschloss daher, Hermann Grimmeiss auf der Plenarsitzung am 11. März 2021 zu ehren. Die Laudatio von Gerhard Banse  würdigte das wissenschaftliche Leben des Geehrten und vor allem seinen Einsatz für die Leibniz-Sozietät. Bis in die Gegenwart hinein bringt sich Hermann Grimmeiss immer wieder mit ideenreichen und herausfordernden Wortmeldungen zur Wissenschaftsentwicklung allgemein sowie zur Trialektik von Wissenschaft, Innovation und Technologie in die Gelehrtengesellschaft ein. Seine Anmerkungen zu Entwicklungen in verschiedenen Fachgebieten zeigen den interdisziplinären Ansatz seines wissenschaftlichen Denkens.

Nach der Laudatio ergriff Hermann Grimmeiss das Wort und bedankte sich für die Glückwünsche zum 90. Geburtstag und ganz besonders für die Auszeichnung mit der Daniel-Ernst-Jablonski-Medaille (Dankesworte). Er hob dabei die wichtige Rolle der Leibniz-Sozietät und deren Einfluss auf sein wissenschaftliches Leben hervor, insbesondere würdigte er die Kontakte zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der unterschiedlichen Fachgebiete und die vielfältigen Anregungen, die er in den Jahren seiner Mitgliedschaft in der Gelehrtengesellschaft erhalten hat.

 

 

Zentraler Teil des sich anschließenden Fachvortrags von Lutz-Günther Fleischer (Wortlaut des Vortrages hier) zum Thema „Probleme und Potentiale im interaktiven Verhältnis von Wissenschaft, Technologie und Innovationen“ waren die 3 folgenden Thesen:

1.These:
In dem bezeichneten hochkomplexen Wechselwirkungssystem sind die Phänomene und Effekte von Innovationen nicht nur mit den anderen Gesamtheiten der Triade multipel vernetzt bis verschachtelt, sondern wirken auch auf das induzierende System selbst zurück (Rückkopplung). Die Holons („Ganze/Teile“) unterliegen neben der Selbstorganisation (Genese) zudem der Fremdorganisation und der Kontingenz (Dynamik). Das erschwert die Analysen außerordentlich. Diese generelle theoretische und praktische Herausforderung wird bis in die Gegenwart unzulänglich bewältigt, bestimmt aber die funktionale Qualität derartiger ‚Wirkgefüge‘.

2.These:
Der rezente Terminus technicus Technologie kennzeichnet in guter Näherung die Art und Weise, den Charakter, die maßgeblichen Umstände eines Geschehens und Tuns (Praxis) sowie die diesbezüglichen Methoden, Konzepte und Strategien (Theorie) in allen Tätigkeits- und Lebensbereichen des Menschen. Nach diesem Begriffsverständnis apostrophiert der vieldeutige, problematische und umstrittene Ausdruck Technologie eine Dualität praxisorientierter, funktional gestalteter (ideographischer) Sachsysteme und erkenntnisorientierter, akkumulierender und systematisierender (nomothetischer) Wissenssysteme. Mit techné und epistémé repräsentiert die Technologie eine bereichsübergreifende hochpotente dialektische Einheit von Realdialektik und Widerspiegelungsdialektik. Die beiden konstitutiven Elemente umgreifen und prägen den gesamten Produktionsprozess sowie zunehmend den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess mit beschleunigten Erneuerungen und nachhaltigen Transformationen. Seit Francis Bacons ‚Neuorganisation der Wissenschaften‘ sind die konsequent empirisch gestützten, überdies logisch-induktiv fundierten modernen Wissenschaften genuin und programmatisch mit der Technik verflochten. Das induzierte und trug eine tiefgreifende co-evolvierende Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Technologie und konsolidierte ein adäquates wissenschaftlich-technisches Weltbild.

3.These:
Industrial exploitation ist nur eine, wenn auch eine gesellschaftlich besonders wichtige Form der Innovation. Im 1995 publizierten ‚Green Paper on Innovation‘ der Europäischen Kommission wird Innovation als Synonym für die erfolgreiche Produktion/Kreation, Assimilation und Nutzung von Neuheiten im wirtschaftlichen und sozialen und – es sei ausdrücklich hinzugefügt – im geistig-kulturellen Bereich verstanden. Innovationen bieten neue Problemlösungen und ermöglichen so, den Bedürfnissen des Einzelnen und der Gesellschaft gerecht zu werden. Ziel dieses Grünbuchs war es, die – positiven oder negativen – Faktoren zu ermitteln, von denen die Innovationen in Europa abhängen, und Vorschläge für Maßnahmen zu formulieren, mit denen die Innovationsfähigkeit der Europäischen Union verbessert werden kann. Das wahrgenommene Versagen der europäischen Länder, wissenschaftliche Fortschritte in marktfähige Innovationen umzusetzen, wurde als ‚European Paradox‘ bezeichnet. Sowohl die theoretischen Interpretationen, als auch die empirischen Untermauerungen zu dieser Paradoxie-Vermutung werden heute intensiv verfochten und ebenso in Frage gestellt. Dennoch existieren derartige Sachverhalte und zumindest anhaltende, wenn nicht sogar wachsende, fundamentale Probleme vor allem im Kontext mit den zukunftsbestimmenden Schlüsseltechnologien. Sie drängen auf rasche und zielsichere multidisziplinäre Lösungen.

Anschließend dankte Gerhard Pfaff dem Vortragenden für seine Ausführungen und eröffnete die Diskussion, die von mehreren Teilnehmerinnen und Teilnehmern genutzt, wurde, um Fragen zu stellen, aber auch um fachbezogene Anmerkungen zu machen. Einigkeit bestand darin, die im Vortrag behandelte Problematik weiter in geeigneter Weise, wenn möglich sogar klassenübergreifend, zu verfolgen.

Am Ende der Plenarsitzung sprach Gerhard Pfaff allen Referenten und Diskussionsteilnehmern sowie dem für die technische Absicherung des Vortrages zuständigen Kollegen Reiner Creutzburg seinen Dank aus.

Gerhard Pfaff (24.03.2021)