Mai-Sitzung der Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften: Bericht

Die Energiewende bleibt im Fokus des kritischen Interesses der Gesellschaft

Herr Uni.-Prof. Dr. Erik Gawel, Prof. für Volkswirtschaftslehre; Direktor des Instituts für Infrastruktur und Ressourcenmanagement an der Universität Leipzig  und Leiter des Department Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, trug auf Einladung des Präsidiums der Leibniz-Sozietät am 12. Mai zu dem Thema vor:

Die Energiewende zwischen Markt und Staat – aktuelle Herausforderungen aus ökonomischer Sicht“

Mit ihrer Jahrestagung im Mai 2012 stellte die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften unter der Thematik: „Energiewende–Produktivkraftentwicklung und Gesellschaftsvertragden  – inzwischen offenkundig und spürbar – tief in die Gesellschaft eingreifenden Transformationsprozess „Energiewende in Deutschland“ in der objektiv gebotenen inhaltlichen und methodischen Breite in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen. Seither hat sie insbesondere mit Kolloquien, wie Erneuerbare EnergieträgerEigenschaftsprofile, Probleme und Perspektiven ihrer Nutzung unter den Bedingungen Deutschlands; Energiespeichertechnologien: Notwendigkeiten, Problemspektren, wissenschaftlich-technische Entwicklungen und Perspektiven sowie Klima und Menschheit mit dem grundlegenden Vortrag unseres Mitgliedes  H.-J. Schellnhuber:  Die Nichtlinearität des Klimasystems, die Diskussionen fortgeführt und erweitert. Hinzu  kamen mehrere Beiträge mit engen Bezügen zu dem facettenreichen Themenfeld in der Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften sowie im AK GeoMUWA. Das liegt in der Logik der Sache und unserem Anliegen. Handelt es sich doch um einen zentralen Gegenstand aktueller wissenschaftlicher sowie  anhaltender politischer Debatten. Das hochkomplexe Thema verdeutlicht beinahe prototypisch das Grundanliegen der Leibniz-Sozietät: wissenschaftlich und gesellschaftlich bedeutsame Aufgaben und Herausforderungen interdisziplinär und transdisziplinär zu erörtern, um auf aktuell Erforderliches, Zukünftiges – Mögliches, Notwendiges, Erstrebenswertes und zu Verhinderndes – zu verweisen.

Die Sozietät befasst sich seitdem intensiv und systematisch mit den gesamtgesellschaftlich abzustimmenden, ebenso zu gestaltenden, zu verwirklichenden strukturellen Veränderungen im soziotechnischen und sozioökonomischen System unter den gegebenen und sich ständig wandelnden Bedingungen.

Als gedankliche Anregung sei auf die in der Grafik  dargestellten und knapp erörterten Ziele, Mittel sowie Teilprozesse des hoch komplexen Transformationsprozesses ‚Energiewende‘ hingewiesen.

Ziele, Mittel und Teilprozesse des hoch komplexen Transformationsprozesses ‚Energiewende‘ (L.-G. Fleischer, eigene Darstellung)
Ziele, Mittel und Teilprozesse des hoch komplexen Transformationsprozesses ‚Energiewende‘ (L.-G. Fleischer, eigene Darstellung)

Die Vorträge und die interdisziplinären (auch kontroversen) Diskussionen belegen, dass  für dieses Problemgeflecht kein Fundus ‚fertiger Lösungen’ existiert und dass es mannigfaltige und schwierige naturwissenschaftlich-technische, wirtschaftliche, ökologische, geistig-kulturelle, soziale und politische Herausforderungen generiert.

Weitgehend herrscht Einvernehmen: Eine schlüssige Energiewende ist wesensgemäß nur als länger währender – in seiner Gesamtheit nach mehreren Dezennien zu bemessender – gesamtgesellschaftlicher Umgestaltungsprozess und damit auch kultureller Umbruch zu verstehen sowie  als „Gemeinschaftswerk“ erfolgreich zu gestalten.

Mit der Energiewende in Deutschland setzt die Energiepolitik als essentieller Teil einer zumindest deklarierten ‚nachhaltigen Gesellschaftspolitik‘ in dem bisher unzureichend koordinierten dynamischen Mix aus Primärenergieträgern (traditionellen Vermögens- und Einkommensenergieträgern) verstärkt auf erneuerbare und sich erneuernde Energieträger sowie einen ordnungspolitisch ordinierten  speziellen technologischen Fortschritt.

Gegenwärtig dominieren kritische Debatten über die Ziele, Mittel sowie über faktische Erfolge und in ihrer Mehrzahl argumentativ gut begründete Vorschläge für dringliche Korrektive bis zur Sentenz Energiewende 2.0.

Zahlreiche Einwände betreffen die ökonomischen Perspektiven der Energiewende im Fokus der Ordnungspolitik und damit im Spannungsfeld  zwischen Markt und Staat, dem Thema unseres Referenten.

Mit hoher Kompetenz, faktenreich, konstruktiv-kritisch, stringent im Rahmen seines ökonomischen Paradigmas und  anregend trug Herr Gawel – mit zahlreichen Beispielen belegt – seine An- und Einsichten vor.

Im Mittelpunkt der Ausführungen stand aus ökonomischer  Perspektive das Problem, ob die Energieversorgung in Zukunft marktlicher gestaltet werden sollte, um Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit, aber auch Umwelt- und Sozialverträglichkeit der Energiewende zu gewährleisten. Hinzu kamen Aspekte der Förderung erneuerbarer Energien, einer grundlegenden Reform des Strommarktes sowie der Einbindung der nationalen Energiepolitik in den europäischen Rahmen.

Der Referent verwies darauf, dass die Energiewende  – allein an energietechnischen Zahlen gemessen – ein voller Erfolg zu sein scheint, der massive Ausbau erneuerbarer Energien jedoch neue Herausforderungen mit sich bringt, für die keine Blaupausen existieren . Gleichzeitig hinkt die Energiewende im Wärme- und Verkehrsbereich den politischen Ansprüchen weit hinterher. Immer stärker rücken die Kosten der Energiewende in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung und Kritik. Überdies wird in Frage gestellt, ob die deutsche Stromversorgung bei steigenden Anteilen der nicht permanent verfügbaren Einkommensenergieträger Wind und Sonne langfristig überhaupt gesichert werden kann. In Anbetracht dieser Herausforderungen wird häufig ein grundsätzliches Umdenken in der Energiepolitik gefordert.

An der sehr ausführlichen und tiefgründigen Diskussion zu den skizzierten Problemen, vor allem zu den Regelungszielen und Regelungsmechanismen der Energiewende, zu den Klimaziele sowie den  teils umstrittenen, obgleich als alternativlos deklarierten Lösungsvarianten, beteiligten sich die Herren Hörz, Kolditz, Thomas, Kriesel und Fleischer. In der Diskussion wurde thematisiert, dass der Strommarkt nahezu total geregelt und so unflexibel wird, während der energietechnisch und soziökonomisch kaum minder beachtenswerte  Wärmemarkt nahezu ungeregelt bleibt. Beides erweise sich als erheblicher Nachteil für die Gesellschaft und  für die Verbraucher, insbesondere  die Privathaushalte.

Die publizierte Präsentation des Vortrages bietet nunmehr jedem Interessierten die Möglichkeit, sich eingehender und genauer mit den relevanten Fakten, gravierenden Problemstrukturen und diskussionswürdigen Lösungsansätzen zu befassen.

L.-G. Fleischer