Sitzung des Arbeitskreises „Klassen und Gesellschaftsanalyse“ am 31.10.2013: Bericht
Bericht zum Workshop:
Bilanzierung und Systematisierung der Auseinandersetzungen um Transformation und gesellschaftlichen Wandel aus Sicht der Arbeit des Arbeitskreises
Der Workshop wurde am 31. Oktober in der Zeit von 10.00 – 16.30 im Rathaus Tiergarten durchgeführt. Unter den ca. 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren knapp die Hälfte Mitglieder der Sozietät. Vertreten waren Wirtschafts- und Sozialwissenschaften; nicht ungewöhnlich waren ein hoher Altersdurchschnitt und die Dominanz von Männern. Krankheitsbedingt erfolgten kleine Änderungen am Programm – für die erfreulicherweise notwendige Diskussionszeit war dies allerdings kein Nachteil. Zumal es auch keinesfalls um ein vollständiges Abdecken des Themas gehen sollte und konnte. Eher ging es um erste Grundlagen für ein umfassendes und systematisches Projekt, welches sich der Arbeitskreis für das nächste Jahr vorgenommen hat.
In seiner knappen thematischen Einführung konnte Michael Thomas darauf verweisen, dass der Anspruch einer Bilanzierung und Systematisierung in einem doppelten Sinn gerechtfertigt ist. Einmal hat der Arbeitskreis sich in den letzten drei Jahren in 15 seiner Sitzungen mit den unterschiedlichen Fragestellungen zum Thema gesellschaftlicher Transformationen befasst. Insofern liegt im Rückblick ein erklecklicher Fundus vor, der sich noch stärker in die aktuelle Transformdebatte einbringen lässt. Diese “leidet” – und das ist ein zweiter Bezugspunkt für die weitere theoretische und empirische Anstrengung – an einer großen Beliebigkeit und vielfach an begrifflichen Unklarheiten, die nur immer wieder transportiert, selten aber dezidiert aufgegriffen und geklärt werden. Und schließlich wurde noch auf einen dritten Punkt hingewiesen: Das nahezu selbstverständliche, „gewöhnliche“ Bekenntnis zur Transformation steht eher im Missverhältnis zu den Barrieren, die einer solchen Transformation entgegen stehen. Ein Beispiel dafür ist sicherlich die Energiewende.
Rolf Reißig gab eine gründliche Einführung in die aktuelle Transformationsdebatte. In verschiedenen Annäherungen und vor allem Untersuchungen zu vorliegenden Diskursansätzen konnte der Referent seine zentrale These über den stringenten Zusammenhang von Zeitdiagnose und dem speziellen Konzept einer Gesellschaftstransformation darlegen. Transformation ist heute notwendig Gesellschaftstransformation – und in dem Sinn kennzeichnet sie Reissig im Anschluss an die Überlegungen von Karl Polanyi zur „Großen Transformation“ als „Zweite Große Transformation”. Sie ist ein komplexer, vielfältiger Bewegungsprozess, für den die Frage nach einer klaren Theorieperspektive offen bleibt, der aber bei aller Offenheit und erforderlichen Suche die Richtung aufzeigt zu einem neuen Regulationsmodell, einer neuen Form des gesellschaftlichen Zusammenhangs, die Reißig als solidarische Teilhabegesellschaft fasst.
Die anschließende breite und intensive Diskussion, die Rolf Reißig dann noch einmal für einige Zuspitzungen und weiterführende Überlegungen nutzen konnte, konzentrierte sich vor allem auf die erforderliche stärkere Berücksichtigung von globalen Zusammenhängen und Dimensionen, auf die weiterhin diskutable Unterscheidung von Wandel und Transformation oder die Frage nach dem Ziel einer solchen Transformation heute: Systemalternative, oder nicht? Schließlich spielten viele Aspekte eine Rolle, die die Möglichkeiten heutiger Transformationen betreffen (Fragen der sozialen/sozialstrukturellen Verortung von Akteuren, der sozialen Gerechtigkeit, der ökonomischen Reproduktionsbedingungen, die doch immer noch Spielräume für neoliberale Strategien geben ,und das Problem konkreter Reformansätze). Zudem gab es mehrfach, nicht zuletzt bereits in dem einsteuernden Kommentar von Michael Brie zu dem Beitrag, Diskussionen zum Verhältnis von Intentionalität und Evolution, von Offenheit und Steuerung. Hier liegt, so das Fazit, wohl eher eine starke Anregung für weitere Diskussionen, denn ein erreichter Konsens. Aber immerhin wurde die Frage gehaltvoll gestellt.
Dieser systematischen Darstellung und Diskussion zur Makroproblematik schloss sich direkt ein kürzerer Teil zum historischen Vergleich an. Wolfgang Küttler gab hierzu eine Einführung, die zunächst noch einmal die Relevanz einer Bildung von Idealtypen auch für die vergleichende Transformationsdebatte unterstrich. War dies zunächst noch als Anschluss an geführte Debatten im Arbeitskreis und den ausgefallenen Beitrag von Kollmorgen zu verstehen, so entwickelte der Referent im zweiten Teil seine eigenständigen konzeptionellen Überlegungen zu Transformation und Formationskonzept. Dabei war es sein zentrales Anliegen, auch im historischen Vergleich den Kapitalismus nicht als einheitliche Etappe bzw. Folge im Schema von Gesellschaftsformationen zu sehen, sondern als eigenständige Entwicklungsreihe mit seiner Vielfalt von permanenten Systemveränderungen. Der Kapitalismus ist auch nicht nur als „bürgerliche Gesellschaft“ zu fassen. Beides hat Konsequenzen für die Bestimmung von Transformation bzw. Transformationen, worauf sich die nachfolgende Diskussion konzentrierte. Kontrovers diskutiert wurde zu Begrifflichkeiten (System und Ordnung), zu Einfluss und Zusammenhang von Ökonomie und Kultur etc. Hinsichtlich der generellen historischen Vergleichsperspektive scheint sich doch die Auffassung zu erhärten, dass zwischen den bisherigen Transformationen – die sich zumeist auf ein retrospektiv feststellbares Ziel hin bewegten – und der heute anstehenden Transformation – mit einem eher offenen Charakter – deutliche typologische Unterschiede bestehen.
Standen hier also systematisch wie im historischen Vergleich vor allem generalisierende Fragen im Mittelpunkt, so stellten die folgenden Beiträge konkrete Transformationskonzepte vor, wobei sie einerseits an allgemeinen Fragen an-geknüpften, andererseits eigenständige Akzente setzten. Für Rainer Land ist wichtig, zum Transformationskonzept über eine Theorie der sozioökonomischen Evolution zu kommen, die als universelles Modell von Entwicklung dienen kann und damit als zielgerichtete Veränderung zu begreifen sei, ohne diese in ein teleologisches Korsett zu pressen. Vererbung, Variation und Selektion sind die entsprechenden Schritte, wobei außerökonomischen Selektionskriterien ein größeres Gewicht zukommt. Dies unterscheidet (möglicherweise) Selektionen im Zusammenhang von Stabilisierungsprozessen von solchen im Umbruchsprozessen, den eigentlichen Transformationen. Schließlich sei Transformation dann die gelungene Etablierung eines neuen Selektions- und Regulationssystems.
Neben der Frage, welche Systeme sich denn in Selektionen (historisch wie aktuell) durchsetzen würden oder könnten, und dem Problem der anzunehmenden Vielfalt von Selektionen spielten in einer kontroversen Debatte vor allem die Übergänge/Zusammenhänge von Modell und historischer Ausprägung sowie die mit dem Konzept aufgeworfenen Analogien zur Biologie (Biologismus) eine Rolle. Diese Diskussion musste letztlich ebenso offen bleiben – und soll so evtl. nochmals vertieft werden – wie die zum Beitrag von Frank Adler, der Transformation in die Perspektive einer sozialökologisch orientierten Postwachstumsökonomie stellte. Der Referent musste in seinem Herangehen eine extreme Komplexität und Heterogenität der Positionen konstatieren, verzichtete so auf eine systematische Darstellung und hob die übergreifenden Kritikpunkte am Wachstumskonzept wie einige Eckpunkte einer solchen Wachstumsökonomie hervor. Dabei war ihm auch der Hinweis wichtig, dass es sich nicht mehr nur um eine Debatte handeln würde, sondern schon um absehbare Schritte realer Veränderung. Hierfür stünden verschiedene Akteure, bis hinein in die gesellschaftlichen Eliten.
In der nachfolgenden Diskussion wurde zum einen im Anschluss an die zuvor schon erörterten globalen Fragen eine klarere Unterscheidung zwischen Perspektiven für die westlichen Industrieländer und für den größeren Teil der Welt gefordert. Zum anderen ging es hinsichtlich einer nur in den westlichen Industrieländern möglichen Debatte um Postwachstum um die Kritik sowohl an einigen Postwachstums-Eliten als auch im Hinblick auf die für reale Durchsetzungschancen (von einigen angezweifelte) unvermeidliche generelle Trennung von Wachstumskonzepten. Der für notwendig erklärten normativen Zuspitzung stand zudem die Meinung gegenüber, hier sollten Zuspitzungen eher vermieden werden.
Der Bericht kann und will nicht die Fülle der Beiträge wie der Diskussion referieren. Zudem ist auch hier eine gewisse Subjektivität unvermeidlich. Diese aber berechtigt auch zur Einschätzung, dass der Workshop seine Ziele von Bilanzierung und Systematisierung im möglichen Rahmen erreicht hat und sich einige interessante neue Fragen aufgetan haben. Diesen wird sich die Arbeitsphase 2014 mit Diskussionsreihe und Publikation stellen.
Michael Thomas