Ehrenkolloquium für Lothar Kolditz zum Thema „Fluorchemie“

Die Leibniz-Sozietät feiert Lothar Kolditz

Am 26. September 2019 fand aus Anlass des 90. Geburtstages des langjährigen Mitglieds der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin Lothar Kolditz ein Ehrenkolloquium zum Thema „Fluorchemie“ statt. Gleichzeitig wurde mit diesem Kolloquium die 50-jährige Mitgliedschaft von Lothar Kolditz in der von Gottfried Wilhelm Leibniz gegründeten Gelehrtengesellschaft gewürdigt.

Im Plenarsaal des Rathauses Berlin-Tiergarten begrüßte der Präsident der Leibniz-Sozietät Rainer E. Zimmermann über 50 Mitglieder und Freunde der Sozietät, eine Tochter des zu Ehrenden sowie Weggefährten und Freunde. In seiner Eröffnung ging der Präsident auf die außergewöhnliche Lebensleistung von Lothar Kolditz ein. Er stellte dabei fest, dass die Biographie des Jubilars auf ein umfangreiches Arbeitsleben hinweist, vor dem man großen Respekt haben muss.  Neben der langen Liste von Fachpublikationen und Ehrungen falle vor allem die große Zahl an Schülerinnen und Schülern bzw. Absolventinnen und Absolventen auf, die der zu Ehrende im Verlaufe seiner Tätigkeit als Hochschullehrer betreut hat. Der Präsident sah darin ein wichtiges  Kriterium für den Erfolg einer Lehrtätigkeit und einen wesentlichen Aspekt für ein erfülltes Arbeitsleben. Die Aktivitäten unserer Schülerinnen und Schüler, so stellte er verallgemeinernd fest, verbreiten mindestens genauso viel von unserer Präsenz wie unsere veröffentlichten Werke.

 

 

Nach der Eröffnung spielte der junge Solocellist Lewin Krella eindrucksvoll Stücke von Maurice Ravel und Johann Sebastian Bach auf seinem Instrument.

In seiner nun folgenden Laudatio würdigte der Vizepräsident der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, Lutz-Günther Fleischer, den wissenschaftlichen Werdegang von Lothar Kolditz, angefangen von seinem Chemiestudium an der Humboldt-Universität zu Berlin bis zur aktiven Mitgliedschaft in der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin. Dabei verwies er zunächst auf die vor 10 Jahren erfolgte Würdigung von Leben und Wirken des Jubilars durch Dietmar Linke, die jederzeit in den Sitzungsberichten der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin 111(2011), S. 81–92 nachlesbar ist.

Seit seiner Diplomarbeit im Jahr 1952 gehörte die Fluorchemie zu den Arbeitsgebieten von Lothar Kolditz. Im Laufe seiner weiteren wissenschaftlichen Entwicklung kamen Themen aus den Bereichen Phosphor-, Halogen- und Silicatchemie hinzu. In späteren Arbeitsphasen wurden dann auch moderne Glas- und Keramikwerkstoffe entwickelt. Der Jubilar zählt mit diesen Arbeiten zweifellos zu den führenden Vertretern der Festkörperchemie in der DDR.

Nach dem Studium der Chemie von 1948 bis 1952 an der Humboldt-Universität zu Berlin, das mit  der Diplomarbeit „Über Kaliumborfluoridtetraschwefeltrioxyd und die Darstellung von Trisulfurylfluorid“) seinen Abschluss fand, erfolgte bereits 1954 die Promotion an der gleichen Einrichtung mit einer Arbeit zum Thema „Über Polyarsenatophosphate“. 1957 habilitierte er sich „Über Verbindungen von fünfwertigem Phosphor, Arsen und Antimon mit Fluor und Chlor“. Noch als Dozent für Anorganische Chemie in Berlin tätig, erhielt Lothar Kolditz 1957 die Berufung zum Professor mit Lehrauftrag für anorganische und Radiochemie an die 1954 gegründete TH Leuna-Merseburg. Schon 1959 wechselte er an die Friedrich-Schiller-Universität Jena und wirkte dort bis 1962 als Professor mit vollem Lehrauftrag für anorganische Chemie und Direktor des Anorganisch-Chemischen Instituts. Bereits 1962 folgte er einem Ruf zurück an die Humboldt-Universität zu Berlin, seinem für die nächsten Jahrzehnte profilbestimmenden und nachhaltig erfüllenden wissenschaftlichen Wirkungsfeld. Von 1962 bis 1980 fungierte Lothar Kolditz als Professor mit Lehrstuhl an der Humboldt-Universität, bis 1968 als Direktor des 1. Chemischen Instituts und von 1971 bis 1979 als Direktor der Sektion Chemie. Von 1965 bis 1968 war er überdies Prorektor für Naturwissenschaften. In den 1960er Jahren war er maßgeblich an der Modernisierung des Chemiestudiums in der DDR und besonders in Berlin beteiligt. Beispielhaft kann hier das von ihm 1963 aufgebaute und in der Folge geleitete Isotopenlabor genannt werden, in dem die Arbeit mit Radionukliden für alle Studierenden obligatorisch wurde. Bis heute ist der Einsatz von Radionukliden nicht aus der Forschung wegzudenken, besonders für biomedizinische Anwendungen, etwa bei der Produktion rekombinanter Proteine, der Analyse enzymatischer Reaktionen oder der Identifizierung von Enzym-Substraten.

Neben einer Vielzahl von Publikationen in Fachzeitschriften und Büchern sind zwei von Lothar Kolditz und seinen Mitarbeitern im Kollektiv geschaffene Standardwerke der Chemie besonders hervorzuheben: das „Anorganikum: Lehr- und Praktikumsbuch der anorganischen Chemie mit einer Einführung in die physikalische Chemie“ (mit 13 Auflagen von 1967 bis 1993, und 1984 einer Edition in russischer Sprache) sowie die „Anorganische Chemie“ (mit 3 Auflagen ab 1978).

Von 1980 – 1990 wirkte Lothar Koldidtz als Direktor des Zentralinstitutes für Anorganische Chemie der Akademie der Wissenschaften der DDR (ZIAC) und ab 1990 als Projektleiter Fluorchemie im Zentralinstitut. Im ZIAC wurden die festkörperchemischen Arbeiten mit Themen aus den Gebieten der Halogen-, Phosphor- und Silicatchemie weiter vorangetrieben und die bereits erwähnten Aktivitäten zu moderne Glas- und Keramikwerkstoffen aufgenommen. Als Mitglied des Wissenschaftlichen Rates des Forschungsprogramms Chemie und Vorsitzendem des „Wissenschaftlichen Rates der Hauptforschungsrichtung Anorganische Chemie“ oblag es ihm, die diesbezüglichen Forschungen der Akademie-Institute und der Hochschul-Einrichtungen der DDR zu koordinieren.

Lothar Kolditz begleitete herausragende gesellschaftliche Funktionen: nachdem er 1980 stellvertretender Vorsitzender des Bezirksausschusses Berlin der Nationalen Front geworden war, fiel 1981 die Wahl zum Präsidenten des Nationalrates der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands auf ihn. Er steht in der Nachfolge des 1981 nach über 30 Jahren im Amt verstorbenen Chemikers und Faserstoffspezialisten Erich Correns. Damit war Lothar Kolditz der zweite und zugleich der letzte Präsident des Nationalrates.

Lutz-Günther Fleischer stellte im letzten Teil seiner Laudatio fest, dass Lothar Kolditz in logischer Konsequenz seines  wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Wirkens seit 1993 Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin ist. Ab 1996 war der Jubilar stellvertretender Sekretar der Klasse Naturwissenschaften, von Mitte 2000 bis Anfang 2009 engagierte er sich erfolgreich als Vizepräsident der Sozietät. Sein  verantwortungsbewusstes und umfangreiches Schaffen wurde mit der Ehrenurkunde der Leibniz-Sozietät und der Daniel-Ernst-Jablonski-Medaille gewürdigt. Mehrere Jahre trug er Verantwortung für die Vorbereitung und Moderation der  von der Öffentlichkeit  positiv wahrgenommen Toleranz-Konferenzen in Oranienburg.

Die Sitzungen der  Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften sowie die Plenar-Veranstaltungen der Leibniz-Sozietät bereichert Lothar Kolditz regelmäßig mit stark  beachteten Themen, was sowohl die Teilnehmerzahlen als auch die anregenden interdisziplinären Diskussionen belegen. Hier sind vor allem seine Beiträge „Kollektivität und Emergenz – die Weltformel“ (2010), „Deterministisches Chaos und Gesellschaft“ (2011) sowie „Über Entwicklung von Erkenntnis und rational wissenschaftlicher Denkweise“ (2013 – 2018) zu nennen. Diese und viele weitere Beiträge sind in den Sitzungsberichten der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften bzw. in „Leibniz-Online“ nachzulesen. Lothar Kolditz hat vor und während seiner Zeit in der Leibniz-Sozietät beständig den kollegialen Meinungsaustausch gepflegt und die wissenschaftliche Diskussion gesucht, beides engagiert, konsistent und argumentativ ausgewogen.

Abschließend wünschte Lutz-Günther Fleischer dem Jubilar bestmögliche Gesundheit, eine noch lange währende erfüllende Teilhabe und die anregende aktive Teilnahme am wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Leben.

Nach der Laudatio bereicherte der Gymnasiast Lewin Krella das Programm des Ehrenkolloquiums ein zweites Mal. Er spielte in diesem Teil weitere Stücke von Johann Sebastian Bach.

 

 

Das Programm des Ehrenkolloquiums wurde im wissenschaftlichen Teil vom Sekretar der Klasse für Naturwissenschaften und Technikwissenschaften der Leibniz-Sozietät zu Berlin, Gerhard Pfaff, moderiert und mit zwei Vorträgen zum Thema „Fluorchemie“ fortgesetzt, bei denen es nicht nur um chemische Fragestellungen, sondern auch um die persönliche Beziehungen der beiden Referenten zu Lothar Kolditz ging.

Adalbert Feltz bei seinem Vortrag

Adalbert Feltz aus Deutschlandsberg, der lange Jahre als Professor für anorganischen Chemie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena forschte und lehrte, später Forschungsverantwortung in der Industrie bei Siemens-Matsushita und TDK Electronics übernahm und zudem als Honorarprofessor für Elektrokeramik an der Montan-Universität Leoben tätig war, gehörte zur ersten Diplomanden- und Doktorandengeneration von Lothar Kolditz. In seinem Vortrag „Erinnerungen an kreatives Schaffen im Arbeitskreis Lothar Kolditz vor mehr als 60 Jahren und an sein Fortwirken“ gelang es ihm eindrucksvoll den Bogen von den Arbeiten des noch jungen Professors in Berlin, Merseburg und Jena bis hin zu modernen Struktur- und Bindungskonzepten in der anorganischen Chemie zu schlagen.

Als Diplomand und Doktorand des Jubilars war Adalbert Feltz frühzeitig einbezogen in die Erschließung einer Gruppe neuer anorganischer Verbindungen, die das Phänomen einer Bindungsisomerie zwischen Kovalenz und Ionenbindung zeigten. Im ersten Teil seines Vortrags ging er auf einige wesentliche Forschungsergebnisse aus jener Schaffensperiode von Lothar Kolditz ein. Dabei wurde deutlich, unter welch komplizierten Bedingungen in den 1950er und frühen 1960er Jahren in der DDR studiert und chemisch gearbeitet wurde. Unter dem maßgeblichen Einfluss des Jubilars entwickelte sich eine Chemikerg-Generation, die später selbst Verantwortung übernahm und an Universitäten, Akademieeinrichtungen und in der Industrie über Jahrzehnte wirkungsvoll leitend tätig war.

Adalbert Feltz erinnert in seinem Vortrag an die ersten Diplomanden des Jubilars im Jahr 1956

Im zweiten Teil seiner Ausführungen machte der Vortragende deutlich , dass das von Kolditz und seinen ersten Schülern entwickelte Konzept der Bindungsisomerie Jahrzehnte später ein tieferes Verständnis auch für die Bindungsstruktur in Halbleitern, und hier vor allem in amorphen Halbleitern, liefert. Die dort auftretenden Wechselbeziehungen zwischen neutralen Defektzentren mit ungepaarten Elektronen (wie sie im Ergebnis einer homolytischen Bindungsspaltung in kondensierten Systemen vorliegen, zu denen typische Halbleiter zählen) und paarweise geladenen Defektzentren mit jeweils einer positiven und einer negativen Ladung (wie sie in Festkörpern mit freien Elektronenpaaren dominieren) können mit dem Konzept der Bindungsisomerie verstanden und erklärt werden.

Dirk-Henning Menz aus Königsbrunn, der zweite Vortragende zum Thema „Fluorchemie“, promovierte nach seinem Chemiestudium an der Humboldt-Universität zu Berlin im Arbeitskreis Kolditz und arbeitete dort anschließend mehrere Jahre am ZIAC in Berlin Adlershof an festkörperchemischen Themen. 1992 übernehm er die Geschäftsführung der neu gegründeten Pharmpur GmbH in Augsburg, die er bis heute innehat. In seinem Vortrag „Berliner Fluorchemie – die Wiege für Produktsicherheit von Perfluorcarbonen“ spannte er den Bogen von den Arbeiten des von Lothar Kolditz in den 1980er Jahren geführten Instituts bis hin zur Verwendung von Fluorverbindungen in der heutigen Augenchirurgie.

Dirk-Henning Menz führte nach einem Rückblick auf die gemeinsame Zeit mit dem Jubilar aus, dass die Verwendung von Perfluorcarbonen bei Manipulationen an der Netzhaut des menschlichen Auges die Augenchirurgie seit den 1990er Jahren revolutioniert hat. Basierend auf Arbeiten der Berliner Fluorchemie zu Blutersatzstoffen wurden Verfahren zur Hochreinigung und Überwachung der Qualität von Perfluorcarbonen entwickelt, die signifikante Fortschritte in der Augenheilkunde ermöglichten.

Der Vortragende ging im zweiten Teil seiner Ausführungen auf Berichte über schwere Nebenwirkungen der Perfluorcarbone ein, die in den letzten Jahren zu großer Verunsicherung bei den Anwendern führten. Die Aufklärung der Ursachen dieser Nebenwirkungen gelang mit chemischen und mikrobiologischen Verfahren. Demnach müssen die Besonderheiten der vollfluorierten Perfluorcarbone vor allem bei der Probenvorbereitung berücksichtigt werden. Der Schlüssel für die Sicherheit dieser Produktgruppe liegt in der akribischen Abtrennung toxischer Verunreinigungen, die bei der Herstellung entstehen oder eingetragen werden können. Zudem ist die Überwachung der Produktion mit hochsensitiven und validen Analysenmethoden unabdingbar.

 

Der Jubilar mit Lutz-Günther Fleischer, Adalbert Feltz, Dirk-Henning Menz und Gerhard Pfaff

Abschließend nahm der mit diesem Kolloquium Geehrte das Wort. Er dankte dem Präsidenten der Leibniz-Sozietät Rainer E. Zimmermann für dessen Begrüßung und Gratulation, dem Vizepräsidenten Lutz-Günther Fleischer für die Laudatio und allen, die an der inhaltlichen und organisatorischen Vorbereitung und Durchführung des Ehrenkolloquiums beteiligt waren. Sein Dank ging auch an die beiden Vortragenden, die das Thema des Kolloquiums „Fluorchemie“ aus fachlicher Sicht behandelt hatten. Beide Vorträge hätten dabei wesentliche Stationen seines Wirkens aufgegriffen und gezeigt, welch erfolgreiche Fortsetzung die unter seiner Leitung begonnenen Arbeiten genommen haben. Besonders herzlich dankte er noch einmal  dem Präsidium, den Organisatoren, den Vortragenden und allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kolloquiums.

In einem anschließenden Empfang traten die Teilnehmenden des Kolloquiums in einen zwanglosen Meinungs- und Erfahrungsaustausch und stießen auf das Wohl des Geehrten an.

Es ist vorgesehen, die Vorträge gegenwartsnah in einem Band der „Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften“ zu publizieren.

Gerhard Pfaff

 Fotos: Dietmar Linke