Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V. trauert um ihr Mitglied, den Chemiker Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Achim Müller

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Achim Müller, MLS (1938-2024) Foto Norma Langohr, Uni Bielefeld

Wir trauern um unser Mitglied, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Achim Müller, der am 28. Februar 2024 in Detmold verstorben ist

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Achim Müller wurde am 14. Februar 1938 in Detmold geboren. Nach dem Studium der Chemie und der Theoretischen Physik promovierte er 1965 bei dem Anorganiker. Oskar Glemser an der Universität Göttingen mit einer Arbeit über Reaktionen zwischen Oxiden und Wasserdampf. Zwei Jahre später habilitierte er sich mit einem Thema aus dem Bereich der Schwingungsspektroskopie in Göttingen und erhielt die venia legendi von der dortigen Universität. 1971 nahm er einem Ruf an die Universität Dortmund an. Wenige Jahre später, im Jahr 1977, wurde er auf eine Professur an die Universität Bielefeld berufen, an der er bis zu seiner Emeritierung 2003 und auch danach erfolgreich wissenschaftlich tätig war.Einen ehrenvollen Ruf an die Universität des Saarlandes (Nachfolge Fritz Seel) lehnte er ab.

Achim Müllers Forschungsinteressen lagen auf dem Gebiet der Anorganischen Chemie. Sie reichten von der Chemie der Übergangsmetalle über die HDS-Katalyse und die Bioanorganische Chemie, die Magnetochemie, die Spektroskopie und die Nanowissenschaft bis hin zur Wissenschaftsphilosophie. In den frühen Jahren seiner wissenschaftlichen Tätigkeit arbeitete er vor allem mit Übergangsmetall-Thioanionen und Metallsulfido-Clustern. Eine seiner Stärken in all den aktiven Jahren bestand darin, naturwissenschaftliche Sachverhalte in allgemein-verständlicher Form darzustellen.

In den frühen 1990er Jahren begann eine sehr erfolgreiche Arbeit für Achim Müller und seine Arbeitsgruppe mit der Erforschung von Polyoxometallaten (POMs). Dabei handelt es sich um sehr große und komplex zusammengesetzte Moleküle, die aus mehreren Metallatomen und Sauerstoffatomen bestehen. POMs können zur Herstellung von Nanopartikeln und Sensoren, aber auch für die Beschleunigung chemischer Reaktionen und zur Speicherung von Lichtenergie verwendet werden. Achim Müllers Team synthetisierte verschiedene neue POMs und entwickelte Verfahren zur gezielten Beeinflussung der Anordnung von Atomen in den POM-Strukturen.Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Chemie und die Anwendung der Polyoxometallate durch Achim Müller und seine Arbeitsgruppe eine zuvor nicht gekannte, neue Qualität erfahren hat. 1995 stellte er das „Bielefelder Riesenrad“ dar, das die nationale und internationale Fachwelt zum Staunen brachte. Als das radförmige Riesenmolekül in Fachjournalen und Präsentationen vorgestellt wurde, titelte das britische Magazin „New Scientist“: „Big wheel rolls back the molecular frontier“ (Riesenrad drängt die molekulare Grenze zurück). Achim Müller und seinem Team war es gelungen, das damals größte Molekül zu synthetisieren, welches aus 154 über Sauerstoffbrücken miteinander verbundenen Molybdän-Atomen bestand. Derartige Strukturen sind im Vergleich zu gewöhnlichen anorganischen Molekülen, die Durchmesser von mehreren ZehntelnNanometer aufweisen, riesig. Die Durchmesser der „Bielefelder Riesenmoleküle“ betragen mehrere Nanometer. Interessant sind die Eigenschaften solcher Moleküle, die u. a. katalytische Reaktionen ermöglichen, die mit anderen chemischen Substanzen nicht möglich sind.

1998 konnte Achim Müllers Arbeitsgruppe mit der Herstellung des „Nano-Fußballs“ erneut die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf sich ziehen. Dabei handelt es sich um ein kugelförmiges Molekül mit über 700 Atomen und 20 Öffnungen. Die Struktur dieses Moleküls erinnert an die Form eines Fußballs. Die Forschungsarbeiten führten bald auch zu noch größeren Molekülen mit 176, 248 und schließlich zum „Nano-Igel“, einem Molekül mit 368 Metallatomen und der Größe eines Proteins. Die ungewöhnliche Bezeichnung des Moleküls leitet sich von der Form ab, die der eines Igels ähnelt. Im Zuge der Arbeiten gelang mit der Synthese einer Serie neuer Hybridmoleküls eine weitere bahnbrechende Entwicklung, nämlich die der „Keplerate“.

Achim Müller hat seine herausragenden wissenschaftlichen Ergebnisse in mehr als 900 Beiträgen in Fachzeitschriften und Büchern publiziert. Sein hohes wissenschaftliches Ansehen wurde durch eine Ehrenprofessur und fünf Ehrendoktorate gewürdigt. 1994 wurde er Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und 1998 der Academia Europaea. Seit 2002 war er Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin. Zu seinen Auszeichnungen gehören der Alfred-Stock-Gedächtnispreis der Gesellschaft Deutscher Chemiker, der Gay-Lussac-Humboldt-Preis und der Sir Geoffrey Wilkinson Preis. 2005 wurde er mit dem Elhuyar-Goldschmidt-Preis der Spanischen Königlichen Gesellschaft für Chemie geehrt. 2008 wurde er mit dem Centenary Prize der Royal Society of Chemistry in London geehrt. Schließlich erhielt er 2012 den Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC). Dieses kann als ein Zeichen einer aktiven Forschung über die Emeritierung hinaus angesehen werden.

Die Leibniz-Sozietät verliert mit Achim Müller einen ehrenvollen und international hoch angesehenen Kollegen. Die Mitglieder der Leibniz-Sozietät werden ihm ein bleibendes Andenken bewahren. Den Hinterbliebenen bekunden wir unser tief empfundenes Beileid.

Gerhard Pfaff und Ekkehard Diemann