Wissenschaftliche Sitzungen des Plenums der Leibniz-Sozietät 2014

Nachfolgend werden die im Jahr 2014 stattgefundenen wissenschaftlichen Sitzungen im Plenum der Leibniz-Sozietät zusammen mit den Kurzreferaten und Angaben zu den C.V. der Vortragenden aufgelistet.
Die Namen der Autoren sind mit dem Autorenverzeichnis verlinkt und die einzelnen Beiträge, die bereits in einer Publikationsreihe der Leibniz-Sozietät erschienen sind, sind als PDF-Dateien unterlegt.

3. Januar 2014:

Wolfgang Küttler:
Das Dilemma der Wertfreiheit der Wissenschaft bei Max Weber

Prof. Küttler ist Historiker. Er wurde 1990 zum Korrespondierenden Mitglied der Gelehrtengesellschaft der AdW der DDR gewählt, ist seit 1993 Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. und z.Z. Ko-Vorsitzender ihres Wissenschaftlichen Beirats. Von 1974 bis 1991 leitete er den Wissenschaftsbereich „Theorie und Methodologie der Geschichtswissenschaft“ am Zentralinstitut für Geschichte der AdW der DDR; bis zur Emeritierung 2001 war er Mitarbeiter am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Mehrere Bücher und zahlreiche andere Publikationen repräsentieren seine Arbeitsergebnisse auf den Gebieten Geschichtsmethodologie, Historiographiegeschichte und Wissenschaftsgeschichte; seit Anfang 2012 ist er Mitherausgeber des “Historisch-Kritischen Wörterbuchs des Marxismus”.

Abstract:
Max Webers (1864-1920) Prinzip einer zwar perspektivengebundenen, dabei aber operativ wertfrei zu haltenden Wissenschaft fasziniert bis heute durch seine Postulate der Transparenz und Unabhängigkeit wissenschaftlicher Tätigkeit. Es soll jedoch nicht der absoluten Trennung, sondern vielmehr der kritischen Regulierung der von ihm als unvermeidlich betrachteten Wechselbeziehung von weltanschaulicher Position, Politik und Wissenschaft dienen, eine Frage, die gegenwärtig mehr denn je auch die Natur- und Technikwissenschaften angeht. Dabei impliziert das Wertfreiheits- und Wertbeziehungspostulat durch die ambivalente Begründung einerseits im kognitiv unentscheidbaren Kampf der Werte und andererseits in der formalen Rationalität des internen Erkenntnisvorgangs zugleich das Dilemma seines Konzepts. Danach kann der Paxisbeitrag empirischer Wissenschaft jenseits zweckrationaler technischer Anwendungen in Bezug auf die Lebensqualität nur in empirischer Wertanalyse, nicht aber in Urteilen über die Werte selbst bestehen. Dafür rekurriert Weber allein auf die subjektive Verantwortlichkeit der Akteure. Dadurch wird bei allen unbestreitbaren Vorzügen kritischer Distanz gegenüber Politik und Weltanschauung letztlich die Flanke zum “Dezisionismus”, d.h. zur Beliebigkeit der Wertewahl und zum Relativismus in der Realitätsbeziehung geöffnet. Das betrifft gleichermaßen die Parteilichkeits-, die Theorie- und die Sinnfrage von „Wissenschaft als Beruf“. Bei einer kritischen Analyse kommt es daher vor allem auf die Kernfrage an, wie die leitenden Wertperspektiven entstehen und wie sie sich zur substanziellen Erkenntnisleistung der Wissenschaften bei der Lösung von zivilisatorischern Existenzfragen verhalten.

14. Februar 2014:

Winfried Henke (MLS)
Der Mensch als Primat – Evolutionsbiologische Aspekte der Menschwerdung

Prof. Henke ist Anthropologe und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2013. Nach dem Studium der Biologie, Anthropologie, Geowissenschaften sowie Pädagogik und Philosophie in Kiel und Braunschweig wurde er 1971 in Kiel zum Dr. rer. nat. promoviert und habilitierte sich 1990 an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Seit 1971 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anthropologie der Mainzer Universität. Ab 1974 war er dort Akademischer Rat und Leiter der Verwaltung, seit 1993 bis zur Pensionierung (2010) Akademischer Direktor. 1996 wurde er zum apl. Professor ernannt. Auslandsforschungsaufenthalte führten ihn nach Island, Israel, Jordanien und den USA. An Universitäten in Athen, Bordeaux, Bilbao, Brno, Florenz, Heraklion, Madrid, Komotini/Xanthi und Poznan nahm er Erasmusdozenturen wahr. Die National and Kapodistrian University of Athens verlieh ihm 2006 die Ehrendoktorwürde; 2007 nahm ihn die Leopoldina  als  Mitglied auf. Seine Forschungs- und Lehrgebiete sind Paläoanthropologie, Primatologie, Prähistorische Anthropologie, Vergleichende Morphologie, Systematik, Demographie und Soziobiologie. Die Liste seiner Publikationen umfasst rd. 200 Originalarbeiten in wissenschaftlichen Zeitschriften und Sammelbänden, ca. 500 Rezensionen und die Coautorschaft mehrerer Standardwerke.

Abstract:
Die evolutionäre Anthropologie verfolgt das Ziel, den Prozess der Menschwerdung als adaptive Entwicklung in der Primaten-Evolution zu verstehen. Im Vortrag geht es darum, aus zwei wissenschaftlichen Blickwinkeln zu einem aktuellen biologischen Selbstverständnis des Menschen beizutragen: einerseits durch den Vergleich des Menschen mit dem weiten Spektrum rezenter Primaten (Die empirische Untersuchung der evolutiven Anpassungen rezenter Primaten lässt den ehemals angenommenen Sprung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Primaten zunehmend geringer erscheinen und belegt ein Entwicklungskontinuum. Phylogenetische Entwicklungstrends verdeutlichten, dass der Hominisationsprozess und speziell der Weg von der Natur in die Kultur {von der Bio- zur Tradigenese} unter gleichartigen biologischen Prinzipien erfolgte, jedoch mit einer innerhalb der Primaten einzigartigen Dynamikabgelaufen ist; andererseits durch die Analyse und Interpretation von Hominidenfossilien (Vielfältige methodische Ansätze der vergleichenden Morphologie, Archäometrie und Paläoökologie erlauben es, den Menschwerdungsprozess in seinem raum-zeitlichen Gefüge modellhaft zu rekonstruieren und die ökologische Nische unserer Gattung zu kennzeichnen.) Beide Forschungsansätze, der vergleichend-(rezent)primatologische und der fossilkundliche, geben dichte Hinweise auf die einmaligen evolutionsbiologischen Bedingungen und Konstellationen für den Menschwerdungsprozess und tragen – aus der Sicht der Evolutionsbiologie – dazu bei, tradierte Konflikte zwischen Naturalisten und Kulturalisten zu überwinden.

14. März 2013

Rainer Zimmermann (MLS):
Aktuelle Implikationen der Naturphilosophien Schellings und Blochs

Prof. Zimmermann ist Ethiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2013. Nach dem Studium der Physik und Mathematik an der TU und der FU Berlin sowie als DAAD-Stipendiat am Imperial College London (Promotion in Mathematik 1977) studierte er weiter Philosophie, Geschichte und Literaturwissenschaften an der TU Berlin, wo er 1988 in Philosophie promoviert wurde. 1995 wurde er zum Professor der Philosophie an der Fachhochschule München berufen. Die Habilitation in Naturphilosophie erfolgte 1998 an der Universität Kassel, wo er anschließend bis 2009 Privatdozent war. Zu Studienaufenthalten und Gastprofessuren weilte er in Cambridge (GB), Bologna, Salzburg, Berlin, León (Spanien) und Wien. Sein Hauptforschungsgebiet ist die Ableitung der Ethik aus Metaphysik und Naturphilosophie, unter besonderer Berücksichtigung der Wissenschaftstheorie der Quantengravitation, auch in Hinsicht auf die ontologischen und epistemologischen Konsequenzen der kognitiven Erfassung und linguistischen Modellierung der Welt, vor allem durch Raumbegriffe, Netzwerke und Systeme.
2002 – 2010 war er Korrespondierendes Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften, Kunst und Literatur, Paris. Seit 2005 steht er in bilateraler und seit 2010 in trilateraler Kooperation mit den Universitäten Salzburg bzw. TU Wien sowie der Universität León (Spanien) zum Thema Systemtheorie. Außerdem ist er Vorsitzender des Vorstands und Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Design Science, München e.V. sowie Mitherausgeber der Schriftenreihe des Instituts, Mitglied in verschiedenen wissenschaftlichen Beiräten und Gesellschaften sowie deren Vorständen, und seit 2011 gewähltes Mitglied der Internationalen Akademie für Kybernetik und Systemwissenschaften (iacys), Wien. 2012 war er an der Herausgabe des Bloch-Wörterbuches (Berlin) beteiligt. Seine Publikationsliste umfasst rd. 350 Titel.

Abstract:
Eine interdisziplinäre Annäherung an die Philosophie heute – mit Blick auf den Erkenntnisstand in der Einzelwissenschaften – verändert den Philosophiebegriff selbst: Zum einen wird die Metaphysik entgegen der traditionellen Sichtweise als eine ultima philosophia ausgewiesen, welche den Wissenschaften wesentlich nachgängig ist (Theunissen). Zum anderen systematisiert sie zugleich einen Begriff von der dialektisch vermittelten Totalität und stellt sich dadurch selbst als eine Wissenschaft vom Gesamtzusammenhang dar (Holz). Auf diese Weise gewinnen beide Seiten, Philosophie einerseits und die Wissenschaften andererseits, eine gemeinsame Erkenntnisebene, auf welcher ihre jeweiligen Modelle denselben onto-epistemisch begründeten (Sandkühler) Status besitzen. Mithin ist es möglich, die eine Seite durch die andere zu erhellen, und die Philosophie eröffnet hierbei strukturelle Einsichten in welthafte Zusammenhänge mittels einer präzisen Fundamentalheuristik (Hogrebe), die an der kataleptischen Phantasie ausgerichtet ist. Somit ist es nicht nur angemessen, die Ansätze Schellings und Blochs einer Neu-Interpretation zu unterziehen, sondern darüber hinaus ist auch die explizite Berücksichtigung einzelwissenschaftlicher, etwa physikalischer Einsichten mehr als geboten. Dieser Umstand soll im einzelnen dargelegt und auf ästhetische wie ethische Konsequenzen hin untersucht werden.

10. April 2014

Martin Hundt (MLS)
Wie und zu welchem Ende studierte Marx Geologie?

Prof. Hundt ist Historiker und Editor sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1995. Nach dem Studium der Journalistik an der Universität Leipzig war er von 1954 bis 1962 tätig als Redakteur in Karl-Marx-Stadt und Berlin (Studentenzeitung forum). Von 1963 bis 1989 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marxismusmus-Leninismus (IML) Berlin, wo er an der historisch-kritischen Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) mitarbeitete und zum Mitherausgeber von „Der Bund der Kommunisten. Dokumente und Materialien 1836-1852“ (3 Bde., Berlin 1970-1984) wurde. Außerdem gehörte er von 1979 bis 1991 dem Redaktionskollegium des Marx-Engels-Jahrbuchs an. Alle 3 Projekte bearbeitete er gemeinsam mit Mitarbeitern des IML Moskau. 1990 wurde er für vier Jahre Mitglied der Redaktionskommission der Internationalen Marx-Engels-Stiftung Amsterdam (IMES). Seit 1995 betreibt er Forschungen zum Junghegelianismus.

Abstract:
Ausgehend vom kürzlich erschienenen Bd. IV/27 der Historisch-kritischen Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) mit der Erstveröffentlichung von Marx’ geologischen Exzerpten von 1878 wird sein lebenslanges Verhältnis zu den Naturwissenschaften und speziell zu geologischen Problemen skizziert und davon abgeleitet die Wahl des zentralen Begriffs “Gesellschaftsformationen” dargelegt sowie dessen verschiedentliche Verwendung erläutert. Auf die Befassung der Sozietät seit Leibniz mit geologischen Fragen sowie deren weltanschauliche Dimension wird kurz eingegangen.
Dem Hinweis von Prof. Anneliese Griese, leitende Bearbeiterin des Bandes IV/27, wird nachgegangen, dass die Marxsche Beschäftigung mit den Naturwissenschaften Rückwirkungen auf dessen gesamte Forschungsmethode hatte. Damit sind Grundfragen der Auffassungen von Marx, speziell seines Wissenschaftsverständnisses, berührt, die im 20. Jahrhundert unter dogmatischen Fragestellungen untergingen.

8. Mai 2014:

Reinhard O. Greiling (MLS) & Frank R. Schilling
Atmosphäre-Rohstoffe-Energie: Geologische Wechselwirkungen und Bedeutung für die aktuelle Diskussion zur Energiewende sowie zur Klima- und Umweltproblematik

Reinhard O. Greiling:
Lehrstuhl für Strukturgeologie und Tektonophysik, Institut für Angewandte Geowissenschaften, Karlsruhe Institute of Technology, since 2007 Lehrstuhl für Strukturgeologie und Tektonophysik Institut für Angewandte Geowissenschaften, Karlsruhe Institute of Technology. Head of institute 2007-2011.
Education and earlier experience
1972: Diplom in Geology. Geologisch-Paläontologisches Institut, Philipps-Universität Marburg, Germany. Diploma thesis on structural evolution in the Scandinavian Caledonides, Sweden; supervised by Professor M. Lindström.
1977: Dr. rer. nat., Applied Geology. Institut für Angewandte Geologie, Freie Universität Berlin, Germany. Ph.D. thesis on stratabound sulphide deposits in the Variscan of SE-Sardinia, Italy; supervised by Professor H.-J. Schneider.
1975 – 1978: Assistant, Institut für Geologie, Freie Universität Berlin, Germany.
1978 – 1987: Assistant, Institut für Geowissenschaften, Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz, Germany, with temporary position:
1985 – 1986: Institut für Geologie, Ruhr-Universität, Bochum, Germany; replacement for Professor of Structural Geology (chair of Professor emeritus R. Hoeppener).
1987 – 1988: Heisenberg research fellow of Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), visiting scientist (6 months), Department of Geology, University of Wales, Cardiff, U.K. 1985: Dr. rer. nat. habil., Geology and Palaeontology, Institut für Geowissenschaften, Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz. Thesis on nappe tectonics and structural evolution in the Scandinavian Caledonides, supervised by Professor A. Kröner. Award of „venia legendi“.
Professional experience
1988 – 2007: Professor of Structural Geology and Tectonophysics, Geologisch-Paläontologisches Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Head or Vice-Head of Institute, alternating every two years
2007/2008: visiting professor (2 months) Jagiellonian University, Krakow, Poland
2006: visiting lecturer (one week), University of Uppsala, Sweden (DAAD)
2003: Lady Davis visiting professor (3 months), Department of Geology, Hebrew University of Jerusalem, Israel
2002/03: Dozor visiting fellow (2 weeks), Department of Geology, Ben Gurion University of the Negev, Beer Sheva, Israel
2002: visiting scientist (1 month), Department of Geology, Hebrew University of Jerusalem, Israel
1999: visiting professor (2 weeks), Departement de Géologie, Université Catholique de Louvain, Belgium
1997: visiting professor (4 months), Department of Earth Sciences, University of Cambridge, England, (Volkswagen Stiftung)
1992: visiting fellow (4 months), Corpus Christi College and Department of Earth Sciences, University of Cambridge, England, (Volkswagen Stiftung)

Frank Schilling:
Education
1983-1989 Mineralogie (Diplom) & Geologie (Vordiplom), Eberhard-Karls-Universität Tübingen;
1984-1985 Aufbaustudium „Hydrogeology and Engineering Geology of Tropical and Subtropical Regions“; Eberhard-Karls-Universität Tübingen 20. Februar 1991; Promotion Eberhard-Karls-Universität Tübingen
1998, Habilitation Freie Universität Berlin.
Professional Experience
1989 – 1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen;
1991 – 1997 Wissenschaftlicher Assistent an der Freien Universität Berlin;
1997 – 1998 Hochschuldozent an der Freien Universität Berlin;
1998-1999 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am GeoForschungsZentrum Potsdam (PB 4.4 (Geothermie);
1999-.2003 Heisenberg-Stipendium (an der University of Illinois at UC und am GFZ Potsdam)
2004-2009 S-Professor für Mineral und Petrophysik an der Freien Universität Berlin am GeoforschungsZentrum Postdam;
2006-2009 Leiter der Sektion Umwelt-Geotechnik am GeoForschungsZentrum Potsdam;
seit 2009 Professor für Technische Petrophysik am KIT – Universität Karlsruhe.
Sponsoring
DFG, EU. BMBF, BMWi, BMU, DAAD, Studienstiftung des Deutschen Volkes Stipendien / Preise:
Studienstiftung des Deutschen Volkes Heisenberg-Stipendium

Abstract
Der Beitrag gibt eine Übersicht über die Entwicklung der Atmosphäre und des Klimas im Laufe der Erdgeschichte und diskutiert die Bedeutung der Wechselwirkungen Atmosphäre-Lithosphäre. Das „Große Oxidations-Ereignis“ vor ca. 2,5 Ga und ein „neoproterozoisches Oxidations-Ereignis“ vor ca. 600 Ma, sowie einige weitere Ereignisse in den letzten 540 Ma bilden dabei die wichtigsten Stationen. Diese Vorgänge sind kausal für die Bildung von Lagerstätten einiger Metalle und Energierohstoffe.

Die im Laufe der Erdgeschichte gebildeten bzw. konzentrierten Rohstoffe werden immer intensiver ausgebeutet. Sie nehmen deshalb immer mehr ab und immer ärmere Vorkommen erscheinen als abbauwürdig. Je intensiver man aber z. B. die Erze aufbereiten muß, desto mehr Energie benötigt die Gewinnung der Rohstoffe. Ist es deshalb sinnvoll bzw. überhaupt möglich, immer ärmere Lagerstätten zu verwenden? Wie sieht dabei die Energiebilanz aus? Welche Rohstoffe und Energierohstoffe sind eventuell am effizientesten zu gewinnen und anzuwenden?

Die genannten Wechselwirkungen beeinflussen ebenso die Evolution der Lebewesen. Die jetzigen Veränderungen der Umwelt erreichen für die Lebewesen Ausmaße ähnlich den großen „Aussterbe-Ereignissen“ in der Erdgeschichte. Welches sind diese „evolutionsrelevanten“ Veränderungen und werden sie ausreichend beachtet? Beeinträchtigt ein steigender CO2-Gehalt die lebende Umwelt oder gibt es andere Faktoren die eher relevant sind?

12. Juni 2014

Werner Kriesel (MLS):
Kybernetik, Automation, Kommunikation – eine unkonventionelle Betrachtung zu sozialen – Auswirkungen in der Arbeitswelt. (Norbert Wiener zum 120. Geburtstag gewidmet)

Prof. Kriesel ist Automatisierungstechniker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2013. Nach dem Studium der Regelungstechnik an der TH Magdeburg war er von 1965-1971 in der Automatisierungs-Großindustrie in Berlin mit Entwicklung und Projektierung von Automatisierungssystemen befasst; als Externer wurde er 1968 an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. 1971-1979 war er Hochschuldozent für Regelungstechnik an der TH Magdeburg und dort von 1976–1979 Stellvertretender Direktor für Forschung der Sektion Technische Kybernetik und Elektrotechnik. Die Habilitation erfolgte 1978 an der HUB; danach war er 1979-1995 ordentlicher Professor für Automatisierungstechnik an der TH Leipzig, wo er 1981–1990 als Stellvertretender Direktor für Forschung der Sektion Automatisierungsanlagen wirkte. Es folgte 1995–2006 eine Professur für Automatisierungstechnik in Merseburg. Seit 1994 leitet er das Steinbeis-Transferzentrum “Automatisierungs-, Informations- und Elektrosysteme” Stuttgart/Leipzig (wo es u.a. um die Zertifizierung des Kommunikationssystems „AS-Interface“ geht).
Seine mehr als 200 Publikationen konzentrieren sich auf Automatisierungsgeräte und – anlagen sowie auf industrielle Kommunikationstechnik. Aus seinem akademischen Umfeld sind 6 Professoren hervorgegangen.

Abstract:
Im Jahre 2014 jährt sich der Geburtstag von Norbert Wiener zum 120. Mal, sein Todestag liegt 50 Jahre zurück. Die Kybernetik ist seit Norbert Wiener, Hermann Schmidt und Georg Klaus noch deutlich in ihrer sozialen Bedeutung gewachsen und ist keineswegs eine vorübergegangene Mode.
Die Technische Kybernetik hat in Gestalt der heutigen Automation und Kommunikation eine starke Massen- und Breitenwirkung mit anhaltendem Produktivitätszuwachs erlangt, dessen mehrfache soziale Auswirkungen angesprochen werden. Die Produktivität in Deutschland steigt im langjährigen Mittel 1,5 bis 2 % pro Jahr durch Automation und Rationalisierung sowie Technologiewandel, und dies vollzieht sich unabhängig vom Wirtschaftswachstum. Diese Entwicklung wirkt der schrumpfenden Bevölkerung massiv entgegen. Um die heutige Menge an Waren und Dienstleistungen zu erzeugen, benötigt man in 40 Jahren – im Jahr 2055 – nur noch etwa die halbe Arbeitszeit.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Beschäftigtenzahl auch um die Hälfte schrumpft, wenn die Gesamtbevölkerung in diesem Zeitraum lt. Demografie-Prognosen nur um 10 bis 15 % sinkt. Wahrscheinlicher ist ein Modell mit Beschäftigtenrückgang um 20 … 25 %. Dies bedeutet aber, es verbleibt ein deutlicher Zuwachs auf das 1,5-fache bei Waren und Dienstleistungen, der insbesondere ausreicht, um eine zunehmende Anzahl von Rentnern niveauvoll zu versorgen. Ein Renteneintritt mit 67 Jahren erscheint daher nicht zwingend. Dieses und ähnliche Zukunftsmodelle der Politik sind also fragwürdig, weil sie sich einseitig an der Bevölkerungspyramide orientieren und die technologischen Einflüsse auf die soziale Entwicklung zu wenig beachten – vielleicht eine Folge allgemeiner Technikfeindlichkeit? Mehrfache soziale Auswirkungen von Automation und Kommunikation werden unter dem Aspekt zukünftiger Entwicklungen an Beispielen angesprochen: In der Technik löst der Mikroprozessor international eine Revolution aus, in der Politik wird jedoch die Entwicklung von Kybernetik und Automation hierzu unterschiedlich bewertet. Zugleich ändern sich die Kybernetik-Auffassungen, zentrale und dezentrale Steuerungen in Technik und Gesellschaft werden diskutiert. Massenweise schleichen sich eingebettete Computer ein, intelligente Einrichtungen sind überall, auch in Konsumgütern, und sie werden zur Selbstverständlichkeit. Entscheidender Aspekt ist das bezahlbare Preisniveau als Resultat von Technik und Industrie. Für die Aus- und Weiterbildung werden gravierende Anpassungen gefordert, weil Automation einerseits viele Fachkräfte ersetzt, aber auch höhere Qualifikationen verlangt und gleichzeitig den Bedarf zu Angelernten verschiebt.

Das Zukunftsmodell Industrie 4.0 verstärkt diese sozialen Veränderungen. Die 2045-Initiative richtet Vorlaufforschungen von 30 Jahren auf vier Generationen von Avataren (Mischwesen) mit dem Ziel, Technologien zur Übertragung der Persönlichkeit in nicht-biologische Träger zu erschaffen und somit „Lebensverlängerung“ bis zur Unsterblichkeit zu erlangen. Dies wirft die Frage auf, ob der Mensch unter dem Einfluss von Automation und Kommunikation künftig immer mehr zum Avatar wird.
Vor diesem Hintergrund werden neuartige soziale Modelle zur Steuerung der künftigen Arbeitswelt diskutiert. Heute endet für viele Arbeitnehmer die Arbeitswoche bereits am Freitag gegen Mittag – ein beachtlicher sozialer Fortschritt. Aber die Ausnutzung vieler Investitionen wurde hier durch immer schlechter, und sie liegt nur noch bei etwa 60% gegenüber einer 6-Tage-Woche. Durch diese Arbeitszeitreduzierung ist also eine riesige Verschwendung schleichend eingetreten.
Zu diesem Widerspruch liefert eine intelligent gesteuerte Organisation breiter Arbeitsbereiche einen Lösungszugang: Eine 3-Tage-Woche der individuellen Arbeitszeit, eingebettet in eine 6-Tage-Woche der sozialen Arbeitszeit. Damit wird die Woche in zwei Scheiben zerlegt, und somit werden die Ausrüstungen für sehr viele Arbeitsplätze doppelt nutzbar. Die volle Erschließung brach liegender Reserven wirkt wie eine “Zauberformel”: Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewinnen zusätzlich; kein Wirtschaftswachstum hierfür erforderlich; Entlastung des Arbeitsmarktes; politisch steuerbar.
Berechnungen zur heutigen Jahresarbeitszeit unter Beachtung bundesweiter Feiertage haben den Autor zu einer interessanten Entdeckung geführt: Die Einführung einersolchen3-Tage-Woche ist ab sofort bei gleichem Jahresarbeitsvolumen möglichbei einer Arbeitszeit von rd. 10 Stunden/Arbeitstag (d. h. 3 Tage arbeiten, 4 Tage frei – also “verlängertes Wochenende” in jeder Woche). Vorteil: Arbeitsplatzausrüstungen werden innerhalb der sozialen Wochenarbeitszeit von 6 Tagen mindestens doppelt genutzt, dieser spart überflüssige Investitionen in Größenordnungen.
Die Einführung einer solchen individuellen und sozialen Regelarbeitszeit ist also nicht nur dringend nötig, sondern auch historisch erstmalig möglich geworden. Sie stellt als intelligente Grundform eines flexiblen Arbeitszeitmodells einen qualitativen Sprung dar, der viele Widersprüche auf neue Weise löst (Paradigmenwechsel).

In diesem Sinne werden interdisziplinäre wissenschaftliche Analysen und Forschungen zu diesem Gesamtkomplex angeregt. Der Öffentliche Dienst hat mehrere Millionen Beschäftigte, bei denen hierzu Modellprojekte starten sollten, um eine schrittweise Einführung dieses Weges zu erforschen, zu testen und danach in der Breite zu realisieren.
Automatik und Informatik markieren demnach historische Evolutionsstufen, die wir nicht mit einem „Fluch“ belegen, sondern deren Chancen wir als „Segen“ begreifen und gezielt auch sozial nutzen sollen.

11. September 2014:

Jörg Rösler (MLS):
Kurzfristige und langandauernde Wirkungen der Kriegswirtschaft in der UdSSR und den
USA während des Zweiten Weltkrieges.

Prof. Roesler ist Wirtschaftshistoriker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1996. Er studierte ab 1959 Wirtschaftswissenschaften und Geschichte an der Humboldt-Universität, arbeitete am dortigen Institut für Wirtschaftsgeschichte und ab 1974 am von Jürgen Kuczynski gegründeten Akademieinstitut in Berlin. Er hielt Vorlesungen zur Wirtschaftsgeschichte der DDR, Deutschlands und Osteuropas. Nach 1991 untersuchte er Probleme der Transformation von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft in Ostdeutschland und den osteuropäischen Ländern. Seine Lehrtätigkeit setzte er bis 2006 fort, u. a. an der Universität der Künste, Berlin, und als Gastprofessor in Liverpool, Montreal, Toronto und Portland/Oregon (USA). Sein jüngster Beitrag zum Thema Kriegswirtschaft war der Vortrag „War time economy – model of the planned economy? Considerations of an economic historian“ auf einer internationalen Konferenz anlässlich des 100. Jahrestages des Beginns des 1. Weltkrieges in Kaliningrad (Russische Föderation) Ende Juni 2014.

Abstract:
Das 20. Jahrhundert, das „Jahrhundert der Extreme“, brachte die Kriegsökonomie hervor, die durch die Ausrichtung aller wirtschaftlichen Aktivitäten eines Landes auf die Verteidigung bzw. auf den Sieg in einem militärischen Konflikt gekennzeichnet ist, und zwar unter den Bedingungen des voll ausgereiften Industriezeitalters mit seinem selbst dem 19. Jahrhundert gegenüber vervielfachten Produktions- und Zerstörungspotenzial.

Im Vortrag geht es in erster Linie um die ökonomischen und sozialen Auswirkungen von Kriegseintritt, Kriegsverlauf und Kriegsbeendigung auf die Wirtschaften der USA und der UdSSR 1941-1945. Beantwortet wird anhand der Analyse des Geschehens im „Hinterland“ die Frage, ob es sich bei der Kriegsökonomie um eine Wirtschaftsform sui generis handelt. Die beiden Länder wurden einerseits ausgewählt, weil sie für einen Vergleich genügend Gemeinsamkeiten aufwiesen – zögerliche Kriegsvorbereitung, erzwungener Kriegseintritt, großes Bevölkerungs- und gewaltiges Wirtschaftspotenzial, siegreicher Abschluss. Ihre Auswahl erfolgte andererseits, weil sie die Kriegswirtschaft auf der Basis ordnungspolitisch grundsätzlich unterschiedlicher „Friedenswirtschaften“ aufzubauen hatten: Die USA galten als Prototyp einer Marktwirtschaft, die UdSSR als Prototyp der Planwirtschaft. Wieweit erschwerte bzw. erleichterte diese Ausgangsbasis die Anpassung beider Volkswirtschaften an die Bedingungen der Kriegsökonomie? Drittens wird nachgewiesen, dass die 1941-1945 gesammelten Erfahrungen mit der Kriegswirtschaft sich ordnungspolitisch langfristig auf die plan- bzw. marktwirtschaftlichen Strukturen beider Länder auswirkten.

9. Oktober 2014:

Ehrenkolloquium anlässlich des 85. Geburtstages von Lothar Kolditz

Wolfgang Schiller (MLS):
Zum 85. Geburtstag von Lothar Kolditz: Von Keramovitronen zu LTCC-Multilayer-Modulen

Prof. Schiller ist Festkörperchemiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2005. Er studierte Chemie an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1971 wurde er dort bei Lothar Kolditz auf dem Gebiet der anorganischen Chemie zum Dr. rer. nat. promoviert. Von 1971 bis 1992 war er im Zentralinstitut für anorganische Chemie (ZIAC) der AdW der DDR im Bereich „Glas und Keramik“ tätig und leitete dort seit 1981 eine Arbeitsgruppe, die sich mit glaskeramischen Kompositen (von Keramovitronen bis zu LTCC-Werkstoffen) befasste.
Von 1992 bis 2009 arbeitete er in der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Dort leitete er zunächst das Labor „Funktionskeramik“ und ab 1999 den Fachbereich „Hochleistungskeramik“. Neue LTCC-Werkstoffe sowie deren Anwendung in der Hybrid-Mikroelektronik und Mikrosystemtechnik waren auch in der BAM ein Schwerpunkt seiner Forschung. Hierbei arbeitete er im Rahmen von Verbundprojekten mit den führenden Unternehmen auf diesem Gebiet (Bosch, CeramTec, Heraeus, Siemens u.a.) zusammen. 2010 gründete er die Fa. „ChemieFol“ und ist seitdem als wissenschaftlich-technischer Berater mehrerer Firmen für Chemie in der Keramik tätig.

Wolfgang Schiller ist Gründungsmitglied des Zentrums für Mikrosystemtechnik in Berlin-Adlershof (ZEMI) und war langjährig Vorstandsmitglied der DKG.

Abstract:
Keramovitrone sind dichte, glasier- und metallisierbare keramische Werkstoffe mit Sintertemperaturen unter 1000 °C. Sie werden hergestellt aus kompaktierten Gemischen feingemahlener Glaspulver (40-80) und inerten, kristallinen (keramischen) Pulvern (20-60 Vol.%) – und zwar in der Regel durch nichtreaktives Flüssigphasesintern. Keramovitrone sind glaskeramische Komposite (internat.: Glass Ceramic Composites GCC).
LTCC steht für Low Temperature Co-fired Ceramics. Es sind dichte metallisierbare Komposite aus Glas- und Keramikpulver mit niedrigen Sintertemperaturen. Diese liegen im Bereich des Sinterns solcher Metallpulver, die eine hohe elektrische Leitfähigkeit besitzen (Ag, Au, Cu, Ag/Pd 10) und damit als Feinlinien-Leiterbahnen auf der Oberfläche oder im Innern der Werkstoffe fungieren können. Keramik und Metall-Leiterbahn werden in einem Prozessschritt gesintert (Co-fired). Aus LTCC können dünne keramische Folien hergestellt werden (Foliengießen). Diese sind die Basis für eine Vielzahl von Mehrlagenbauelementen (Multilayer-Technik).
Die LTCC Multilayer Technik ist gegenwärtig eines der innovativsten Packungsverfahren für die Hybrid-Mikroelektronik, weil sie gleichermaßen eine zuverlässige Mikrointegration passiver Bauelemente wie die Miniaturisierung des Bauteils ermöglicht. Sie erschließt damit ständig neue Applikationsfelder, z.B.in der Mikrosystemtechnik, Sensorik, Aktorik, Automobilelektronik, Energietechnik, Medizin und Biotechnologie. Im Vortrag werden dazu jeweils Beispiele gezeigt.

Gerta Stecher (Berlin) & Hans-Otto Dill (MLS): Literarisch-musikalische Darbietung

 

13. November 2014:

Gemeinsame Wissenschaftliche Konferenz des Plenums und der Klassen Naturwissenschaften und Technikwissenschaften und Sozial- und Geisteswissenschaften anlässlich des 200. Todestages des Philosophen J. G. Fichte zum Thema
Natur und Nation, Bewusstsein und Selbstbewusstsein bei Johann Gottlieb Fichte

Abstracts
(in der Reihenfolge der Programmpunkte)

Armin Jaehne:
Johann Gottlieb Fichte der „Eiserne“. Region und Philosophie

In seinem Werk „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, einer der schönsten Prosaschriften deutscher Sprache überhaupt, schreibt Heinrich Heine (1797-1856) über Fichte das Folgende: „ Unter den Schülern Kants (Immanuel, 1724-1804) ragte schon früher hervor Johann Gottlieb Fichte. Ich verzweifle fast, von der Bedeutung dieses Mannes einen richtigern Begriff geben zu können. Bei Kant hatten wir nur ein Buch zu betrachten. Hier aber kommt außer dem Buche ein Mann in Betrachtung; in diesem Manne sind Gedanke und Gesinnung eins, und in solcher großartigen Einheit wirken sie auf die Mitwelt. Wir haben daher nicht bloß eine Philosophie zu erörtern, sondern auch einen Charakter, durch den sie gleichsam bedingt wird, und um beider Einfluß zu begreifen, bedürfte es auch wohl einer Darstellung der damaligen Zeitverhältnisse“. Diese Zeitverhältnisse, die nicht ohne Einfluss auf Fichtes Philosophie und die Eigenart seines Charakters waren, den Heine als unbeugsam, hartnäckig und eisern bezeichnet, schließen zweifelsohne die soziale Herkunft, die sozialen Besonderheiten seiner engeren wie weiteren Heimat ebenso ein wie den Zustand des Bildungswesens dort und die gesamte wissenschaftlich-literarische und geistige Situation in der Region, jene beflügelnde Aufgeschlossenheit und Regsamkeit des Geistes, die zu Wissen drängen und nach Erkennbarkeit der Welt streben.
Fichte erblickte am 19. Mai 1762 in Rammenau das Licht der Welt, einem Dorf in der seit 1635 sächsichen Oberlausitz geboren, etwa 15 km von Kamenz entfernt, dem Geburtsort des großen Gottfried Ephraim Lessing (1729-1781). Der Siebenjährige Krieg befand sich in seinem vorletzten Jahr. Er hatte Sachsen viel Unheil und Not gebracht, deren Folgen auch der kleine Fichte gespürt haben dürfte. Die Oberlausitz selbst war ein Gebiet sui generis: historisch-politisch, sozio-ökonomisch, kulturell, ethnisch, religionsgeschichtlich. Das Nebeneinander von Slawen/Sorben und Deutschen, zweier Sprachen und der evangelisch-lutherischen wie katholischen Konfessionen förderten eher Toleranz als Intoleranz. Außerdem stellte die damalige Oberlausitz „von sämtlichen Landschaften Mitteleuropas…, im Vergleich zur Bevölkerungszahl, … mit die meisten Aufklärer von Rang“ und besaß damit einen Vorsprung „gegenüber anderen Lanschaften des ostelbischen Europas“ (G. Mühlpfort). In diese besondere geistig aufgeschlossene Atmosphäre, in diese geradezu philosophisch aufgeladene oberlausitzische Landschaft wurde Fichte hineingeboren. Zwar verließ Fichte bereits mit acht Jahren sein Vaterhaus, um außerhalb, im Meißnischen und anschließend in Schulpforta seine Bildung zu vervollkommnen. Aber nicht ohne Grund verweist Ernst Bloch (1885-1977) zu Beginn seines Werkes „Das Prinzip Hoffnung“ auf die Rolle der Kindheit hin, in der sich Zukunftsträume formen, entstehend aus der vorgefundenen Realität, sich Charaktereigenschaften entwickeln, die kindliche Enge sich weitet und sich der künftige Erwachsene erahnen läßt. Auch Leo Tolstois (1828-1910) Sentenz, dass die ersten sieben Kinderjahre entscheidend für das gesamte Leben eines Menschen seien, sollte nicht unerwähnt bleiben. Was also hat Fichte aus seiner Kindheit im Oberlausitzer Rammenau, nachwirkend in Charakter und Philosophie, mitbekommen oder könnte er mitgenommen haben, welche Eindrücke empfing er in der Familie, im Dorf, welchen direkten oder mittelbaren Impulsen aus der in jeder Hinsicht regsamen Oberlausitzer Gesellschaft war er ausgesetzt? Welche geistigen oder sozialen Verbindungslinien lassen sich von hier zu Lessing, der sich immer auch als Oberlausitzer bekannte, ziehen? Wurde sein Verhältnis zu Krieg und Frieden etwa schon in der Kindheit vorgeprägt? Diesen und ähnlichen Fragen versucht der Autor, in seinem Beitrag nachzugehen.

Heinz-Jürgen Rothe:
Fichte als Zögling in Schulpforta

Durch Landesherrliche Anordnung des Kurfürsten Moritz von Sachsen vom März 1543 wurde im säkularisierten Zisterzienserkloster St. Marien zur Pforte die Landesschule Pforta gegründet, „darinnen [sollen] ein Magister, drey Baccalaureen, ein Cantor und einhundert Knaben seyn und an allen Orten mit Vorstehern und Dienern, Lehre, Kosten und anderer Nothdurfft, wie folget, umsonst versehen, und unterhalten werden“. Insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich die Landesschule zu einer der führenden Bildungseinrichtungen in Deutschland, was sie bis zum heutigen Tage geblieben ist.
G. Fichte wurde nach erfolgreicher Aufnahmeprüfung im Oktober 1774 in Pforta für 6 Jahre aufgenommen. Im Oktober 1780 hielt er seine im Original in der Bibliothek der heutigen Landesschule Pforta vorliegende Valediktionsrede „Über den rechten Gebrauch der Regeln der Dichtkunst und Rhetorik“.
Auch nach neueren Erkenntnissen der Fichte-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (s. Bacin, S. (2007). Fichte in Schulpforta (1774-1780). Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog Verlag) sind außer der Valediktionsrede, nur ein Brief Fichtes von 1775 an seinen Vater und ein Schriftsatz von Fichte und zwei Mitschülern an den Pfortenser Rektor aus dem Jahr 1780 als Originaldokumente aus der Schulzeit Fichtes erhalten. Über die Verhältnisse an der Schule Auskunft geben die „Erneuerte Schulordnung für die Chursächsischen drey Fürsten- und Landesschulen, Meißen, Grimma und Pforta“ von 1773 und die Erinnerungen des Schulfreundes von Fichte, F. A. Weißhuhn, die dieser unter dem Titel „Über die Schulpforte. Nebst einigen vorläufigen Betrachtungen über die Schulerziehung überhaupt.“ 1786 veröffentlicht hatte. Auf für die Entwicklung Heranwachsender relevante Regelungen und deren Umsetzung bzw. Reflexion durch Betroffene (hier: Weißhuhn) wird im Beitrag eingegangen.
In seiner Valediktionsrede diskutiert Fichte, nach welchen Regeln Dichter im Speziellen und Redner im Allgemeinen argumentieren müssen, damit sie Leser und Zuhörer „zu belehren, zu bewegen und zu erfreuen“ vermögen. Besondere Bedeutung misst er der Vermittlung dieser Regeln entsprechend der „Natur des menschlichen Gemüts“ zu. Anhand von ausgewählten Beispielen wird das im Beitrag demonstriert.

Die Bedeutung der Schulzeit in Pforta für die weitere intellektuelle Entwicklung Fichtes zu einem der bedeutendsten deutschen Philosophen ist in der Literatur umstritten. Immanuel Hermann Fichte hebt in der von ihm 1830 veröffentlichten Biografie hervor, dass die Auseinandersetzung mit dem „strengen und kärglichen Verhältnissen“ in Pforta dazu geführt hätten, dass sein Vater „ein von höchstem Stolze erfülltes Selbstbewusstsein“ entwickelt habe. Zum Einfluss von Erziehung und Bildung in Schulpforta auf den jungen Fichte hat er nur oberflächliche Anmerkungen gemacht. Eine gewisse Oberflächlichkeit in der Darstellung von Lebensphasen attestieren Immanuel Hermann Fichte auch spätere Biografen. Für Bacin (2007) ist vor allem die Valediktionsrede ein deutlicher Beleg für die kreative Auseinandersetzung Fichtes mit dem Schulstoff und nicht allein das Ergebnis von Selbststudium von zeitgenössischer Literatur und von Werken aus der Antike.
Auf einige entwicklungspsychologische Aspekte des Lebensabschnitts von Fichte in Schulpforta wird abschließend eingegangen.

Rainer E. Zimmermann:
Bewußtsein1 und Selbstbewußtsein2 bei Fichte in der Perspektive Manfred Franks

Selbstreferentialität ist nicht denkbar ohne Rekurs auf ein selbstreferentes Subjekt bzw. eine selbstreflexive Subjektivität. Nur Subjekte können sich zu sich verhalten. 3 Insbesondere scheint Rationalität in einem wesentlichen Sinne ohne den Begriff der Subjektivität nicht gedacht werden zu können. Wenn wir Manfred Frank folgen und mit Subjekt (und Ich) ein Allgemeines meinen, mit Person ein Besonderes und mit Individuum ein Einzelnes (Singuläres), so daß ein aus einem Allgemeinen Ableitbares ein Besonderes genannt wird und nicht ein Individuelles, dann kann folgendes gesagt werden: Fichte zeigt zunächst, daß das endliche Vernunftwesen sich in der sinnlichen Welt keine freie Wirksamkeit zuschreiben kann, ohne sie anderen Subjekten ebenfalls zuzuschreiben […]: ohne das Dasein anderer Vernunftwesen außer ihm anzunehmen; sodann, daß es nicht noch andere annehmen kann, ohne sich in ein bestimmtes Verhältnis zu ihnen zu setzen. (WW III, 30-56, Frank, 66) Schelling hat diesen Gedanken genauer ausgeführt: Er bringt ihn auf die frappante Formel, daß die Anschauung der Handlung fremder Intelligenzen außer mir die „Bedingung meines eigenen SBWS“ sei, insofern ich nicht nur ein BWS-überhaupt […], sondern dieses konkrete, allseits determinierte Subjekt bin. (3, 545-6) (Frank: Der unendliche Mangel, 1975, 94-102) Daraus resultiert insbesondere, daß eine Leistung des Individuums ist, die hypothetische Identität der Zeichen – die immer unter einem Index des Vergangenseins zu denken ist: ‚so wurde bislang gesprochen‘ – durch den Akt der Realisierung [Aktualisierung?] ihres Sinns (…) in die Schwebe zu bringen. Die Struktur kann die Kontinuität zwischen der ihr eingeschriebenen und im Akt des Sprachgebrauchs immer schon vergangenen (also nur hypothetisch geltenden) Bedeutung mit der im individuellen Gebrauch (neu-) erworbenen nicht garantieren. Dieser vom Individuum erzeugte Mangel eines Kriteriums für die semantische Identifikation verweist jede Sinnzuweisung auf den unendlichen (…) Weg der Hermeneutik. (Frank, 124) Somit muß BWS zudem unmittelbar, der Vergegenständlichung durch ein nachfolgendes BWS zuvor, mit sich vertraut gewesen sein. (448) Wie Fichte sagt: „Daß wir nun dieses wissen, so fragt sich abermals, wie haben wir dies nun gefunden?
Offenbar, daß wir die Anschauung des in sich handelnden Ichs selbst anschauten. Es ist demnach eine Anschauung des in sich handelnden Ichs möglich. Eine solche Anschauung ist eine intellektuelle.“ (Nova Methodo, 357) In neuerer Zeit hat aber Frank unerwartet folgendes formuliert: „Ich selbst [Frank] hatte früher (mit Sartre) gedacht, das präreflexive SBWS fundiere das reflexive […]. Verstehen wir aber unter ‚pr. cogito‘ etwas Vorbegriffliches und unter ‚r. cogito‘ etwas Begriffliches […], dann ist diese These sicher falsch. Ich habe mir das erst vor etwa zehn Jahren (2002) wirklich klargemacht, als ich, vor allem unter dem Einfluß von repräsentationalistischen Theorien, dieselbe Äquivokation im Ausdruck ‚SBWS‘ entdeckte.“4 Dieser überraschenden Wende soll im Vorliegenden nachgegangen werden.

Fußnoten:
1 = BWS;
2 = SBWS;
3 Manfred Frank: Die Unhintergehbarkeit von Individualität. Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1986, 12.

Klaus Fuchs-Kittowski:
Sein und Selbst – Bewusstsein und Selbstbewusstsein aus der Sicht Fichtes und des evolutionären Stufenkonzepts der Information

Selbstbewusstsein – Erkenntnis und Selbsterkenntnis – ist eines der großen Themen der Klassischen Deutschen Philosophie. Für Johann Gottlieb Fischte ist der besondere epistemische Zugang eines Subjekts zu seinen eigenen Bewusstseinszuständen der Kern seiner Philosophie der Subjektivität.5 Die Wissenschaftslehre6 zum philosophischen System erhoben, besteht für Fichte in der Ableitung alles Vorhandenen aus einem einzigen, unbedingten Prinzip: dem Selbstbewußtsein. Während für Kant die Anschauungsformen und Begriffe in Bezug auf die „Erfahrung“ abgeleitet werden, will sie Fichte aus dem Wesen der Intelligenz gewinnen. Dies so vollständig, so dass kein Faktor zurückbleiben soll, der nicht als im Selbstbewusstsein wurzelnd nachzuweisen wäre.7
Die Klassische Deutsche Philosophie stellt das tätige menschliche Individuum in das Zentrum ihrer Überlegungen. Eine solche Sicht war bisher in der Philosophie kaum bekannt. Zuvor wurde von außen (meist von Gott her) auf den Menschen geschaut und aufgezeigt, welchen Forderungen der Mensch genügen muss und welches Schicksal er in dieser Welt erleiden wird. Die Sicht in dieser Weise umzukehren, war und ist eine außerordentliche Herausforderung an das Selbstverständnis des Menschen. Aufklärung bedeutet somit nicht eine Interpretation der (an sich bösen) Welt vorzulegen, sondern ein Bild von den Höhen und Tiefen menschlicher Individualität zu gewinnen. Fichte sieht (wie auch Hegel) den einzigen Sinn der Welt in dem Wissen, welches man über sie erwerben kann. Er schreibt in seinem Werk: „Die Bestimmung des Menschen“: “Wer bin Ich? Subjekt und Objekt in Einem, das allgegenwärtig Bewusstseiende und Bewusste, Anschauende und Angeschaute, Denkende und Gedachte zugleich.” 8

Fichtes Philosophie lässt sich wohl am treffendsten als ethischer Idealismus bezeichnen. Emil Fuchs hat in seinem frühen Werk:“ Vom Werden dreier Denker – Was wollten Fichte, Schelling und Schleiermacher in der ersten Periode ihrer Entwicklung?“,9 welches 1914 erschien und nun genau nach 100 Jahren, im Jahr seines 140. Geburtstages, übers Internet wieder erhältlich ist, dieses ethische Interesse Fichtes am Idealismus besonders herausgearbeitet. Die Wissenschaftslehre kann Gott nicht als „Substanz“ verstehen. Sie müsste dann ja etwas abgeleitetes sein. Sie kann den Gottesbegriff nur im „allgemeinen Ich“, in dem absolut freien, die Welt erzeugendem Tun suchen. Demnach ist für Fichte die vornehmste philosophische Disziplin die Sittenlehre. E. Fuchs schreibt: Diese Wirkungen des Idealismus sind nicht zu verstehen ohne die Erkenntnis, wie sehr für diese Denker, vor allem für die drei von denen das Folgende handelt, das Denken eben nicht abstrakte Spekulation, graue Theorie war, sondern ein Mittel – man kann vielleicht sagen `das Mittel` eine andere Grund lage für das praktische sittliche Leben zu erkämpfen.“ 10 . Dies gilt auch und vielleicht in besonderer Weise, für den späteren Fichte. Der im Wintersemester 1807- 1808 seine berühmte „Rede an die deutsche Nation“11 hielt. In ihr forderte er die Wiedererneuerung der Nation durch eine von Grund auf veränderte Erziehung. Wie berichtet wird, plante E. Bloch, noch in den USA, seine erste Vorlesung in Leipzig über „Fichte, Schelling und Hegel“ zu halten. Speziell um dem Missbrauch Fichtes Patriotismus durch die Nazis entgegenzutreten und zu verdeutlichen, dass Fichte durchaus an seinen früheren revolutionären Positionen, so auch an seinem Kosmopolitismus festhielt. Das er nach Blochs Interpretation schon damals kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland für erstrebenswert hielt.
Die Fragestellungen zu Sein und Bewusstsein, Objekt und Subjekt gehören zu den zentralen Problemen des Philosophierens. Darin steckt auch immer die Frage nach einem „Selbst“ und auch nach seinem ontischen Modus. Selbstsein wurde jedoch lange Zeit nur mit dem Menschen (und den Göttern) verbunden. Erst im vorigen Jahr hundert, mit der Entwicklung der Kybernetik I. und II. Ordnung, mit speziellen Entwicklungen in der Biophysik, der modernen Thermodynamik, der Theorie dissipativer Strukturen, werden Begriffe wie Selbsterhaltung, Selbststrukturierung, Selbstregelung und Selbstorganisation bereits auf physikalischer Ebene gebraucht und aufgezeigt, dass solche Phänomene auch in biologischen, psychologischen und sozialen Prozessen eine entscheidende Rolle spielen.
In diesem Beitrag soll die Problematik: „Sein und Selbst“ und damit auch „Bewusst sein und Selbstbewusstsein“ aus der Sicht Fichtes und im Zusammenhang mit der Theorie der Selbstorganisation sowie Informationsentstehung und Evolution behandelt werden. Es soll aufgezeigt werden, dass durch die moderne Systemtheorie, mit ihrem Grundbegriff der Selbstorganisation und dem damit verbundenen evolutionären Verständnis der Information12, der in der Philosophiegeschichte, speziell in der Philosophie des Geistes, auch von Fichte, entwickelte Begriff des „Selbst“, eine ontologische Ausprägung findet.13 Es kann gezeigt werden, dass von den Vertretern dieser Wissenschaftsentwicklung die Selbstheit der Menschen als Sonderfall des autopoietischen Systemverhaltens herausgearbeitet wird und sie dieser Selbstheit, im Gegensatz zu Vertretern der Postmoderne, weitere Entfaltungsmög­lichkeiten voraussagen.14
Auf der Grundlage dieser theoretischen Voraussetzungen werden zwei Schemata der Evolution vorgestellt. Im ersten Schema werden (in Anlehnung an Gedanken von G.Tembrock15) Grundeigenschaften des Lebendigen in Bezug zu den großen Ebenen der biologischen Evolution dargestellt. Von den elementaren “Vorzellern” bis zum Menschen. Es werden für die fünf unterschiedenen Entwicklungsstufen die typischen Wechselwirkungen mit den charakteristischen Potentialen zur Selbstorganisation dargestellt. Dabei ist wichtig, dass die Ebenen als ‘Enkapsis’ verstanden wer den. Jede höhere Ebene wird von den tieferen eingeschlossen, deren Grundgesetze im neuen Rahmen weiter wirksam sind. Die höchste Entwicklungsstufe repräsentiert die Geschichte des Menschen, die gesellschaftliche Selbstorganisation. Mit dieser Darstellung wird zu gleich verdeutlicht, dass wir die „typische Ausprägung des ‘Selbstbewusstseins’ ab der soziokulturellen Ebene antreffen.“ 16
Mit dem zweiten Schema werden ebenfalls fünf Entwicklungsstufen unterschieden.
Es soll gezeigt werden, dass die Entwicklungsebenen zu den Phänomenen in Beziehung stehen, die wir unter dem Sammelbegriff `Bewusstsein` zusammenfassen. Denn die Information besitzt einen Doppelcharakter: als Bedeutung (Semantik) ist sie ideell, als Codierung (Syntax) ist sie materiell. Ausgehend von dem Verständnis der Information als Trias: von Form (Syntax), Inhalt (Semantik) und Wirkung (Pragmatik) werden auf den verschiedenen Ebenen der Organisation der Materie unterschiedliche Qualitätsstufen der Ausprägung dieses allgemeinen Zusammenhangs differenziert: Die Ebene 1. der Makromoleküle, 2. der Nervennetze, 3. des Außenweltbewußtseins, 4. des gesellschaftlichen Bewusstseins, 5. des Selbstbewusstseins bzw. Bewusstseins der Werte.
Damit lassen sich verschiedenen Qualitätsstufen organismischer/menschlicher Kommunikation näher charakterisieren.
Im materialistischen dialektisch Denken ist es nicht, wie bei Fichte, das aktiv tätige Subjekt, welches Ursprung aller Entwicklung ist, sondern die in sich widersprüchliche Materie. Bei unserem evolutionäres Stufenkonzept wird davon ausgegangen, dass diese inneren Widersprüchlichkeit die Materie zur Selbstbewegung und Selbststrukturierung, zur Hervorbringung neuer Entwicklungsmöglichkeiten befähigt und – so der Grundgedanke des evolutionären Konzepts der Information – dass die Entstehung immer neuer Entwicklungsmöglichkeiten, verbunden mit dem Selektionsprinzip, die Entstehung neuer Informationen in lebenden Systemen ermöglicht.
Qualitativ höhere Entwicklungsstufen der Materie werden erreicht, indem die Entwicklungsmöglichkeiten der qualitativ niederen Ebene durch einschränkende Bedingungen begrenzt werden, eine stärkere innere Determination erfolgt. Entscheidend ist, dass das, was auf der niederen Ebene als begrenzende Bedingungen erscheint, auf der höheren Ebene der Organisation der Materie neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen. Emergenz bedeutet, dass sich qualitativ neue Eigenschaften aus den Wechselbeziehungen auf unteren Ebenen ergeben, die es zuvor noch nicht gab. Es ist eine Gesetzmäßigkeit, dass die höhere Entwicklungsstufe eine höhere Organisation der Materie voraussetzt.17
Alles was dem Menschen möglich ist, muss auch biologisch möglich sein. Aber das Umgekehrte gilt nicht. Nicht alles was dem Menschen biologisch möglich ist, entspricht den Einsichten der Vernunft, der Verantwortung gegenüber dem Mitmenschen. Der Mensch kann sich wie ein Tier (oder auch wie ein Computer) verhalten, muss es aber nicht. Hinzu kommt eine stärkere innere Determination durch den Willen des Menschen. Einen Willen, der geleitet ist durch das Gewissen, durch die Einsicht in das Menschsein: Mensch unter Menschen zu sein. Dieser Wille schränkt das Möglichkeitsfeld der Handlungsweisen auf der niederen tierischen Ebene ein und er öffnet damit auf höherer Ebene neue menschliche, verantwortungsvolle Verhaltens- bzw. Handlungsmöglichkeiten.
Damit steht das Bewusstsein der Werte, das Selbstbewusstsein, der vom Gewissen geleitete Willen auf der höchsten Ebene unseres evolutionären Stufenkonzepts der Information (siehe Abbildung). Auf dieser Ebene kann der Einzelne das Geschehen für sich bewerten und kann dazu auch nein sagen.
Ist es nicht dies, was uns auch Fichte in Form seines moralischen Idealismus sagen will?
Für Fichte ist Glauben das letzte Fundament des Wissens. Hier ist Glaube jedoch nicht mit dem, was Kant als den “Kirchenglauben” klassischer Religion bezeichnet, zu verwechseln. Dies ist eher zu verstehen als Hypothese im Sinne Platos aber auch der modernen Naturwissenschaften, als ein relatives erkenntnistheoretisches a-priori, welches meist in den weiteren wissenschaftlichen Erkenntnisprozess mit eingebracht werden muss. Fichte schreibt: „Ich weiss, dass jede vorgebliche Wahrheit, die durch das blosse Denken hervorgebracht, nicht aber auf den Glauben gegründet seyn soll, sicherlich falsch und erschlichen ist, indem das durchaus durchgeführte, bloße und reine Wissen lediglich zu der Erkenntnis führt, dass wir nichts wissen können; …-Ich besitze, nachdem ich dies weiss, den Prüfstein aller Wahrheit und aller Überzeugung. Aus dem Gewissen allein stammt die Wahrheit: was diesem, und der Möglichkeit und dem Entschlusse, ihm Folge zu leisten, widerspricht, ist sicher falsch,…“18
Ist der Glaube im skizzierten Sinne das letzte Fundament unseres Wissens, dann hängt sehr viel von uns selbst ab, was wir als den uns Orientierung gebenden Glauben gelten lassen. Bei der modernen Gehirnforschung z.B. kann man nur zu weiteren Erkenntnissen kommen, wenn man im Sinne eines relativen erkenntnistheoretischen a-priori schon in etwa weiß, welche Zusammenhänge man in dem hochkomplexen System der neuronalen Netze als wesentlich auszeichnen kann bzw. sollte.
Das Humanistische Ziel der Wissenschaft, dem Leben und dem Wohle der Menschen zu dienen, kann nur gewahrt bleiben und realisiert werden, wenn ein ethisches Denken schon bei der Planung der naturwissenschaftlichen Forschung, bei der Auswahl der Forschungsthemen, zur Geltung gebracht wird. Dann wachsen “das Gute”, “Freiheit” und “Vernunft” zu einer untrennbaren Einheit der den Humanismus begründenden Gesinnung zusammen.
Die Einsicht in die Notwendigkeit der äußeren Bedingungen, die der Mensch verstehen muss, um sie entsprechend seiner Bedürfnisse und Wünsche umzuformen, gibt ihm die Mittel zur Erfüllung seiner Bedürfnisse und Wünsche, aber nicht das tiefere Ziel seines Strebens. Dieses Ziel seines Strebens gibt ihm nur die Einsicht in die innere Notwendigkeit als Mensch, diese Einsicht gibt ihm das Ziel, sich für die Gestaltung einer menschenwürdige Gesellschaft einzusetzen.19
Der Fortschritt der Entwicklung des Menschen besteht nicht nur in der wachsenden Bewältigung der Kräfte der Natur und Gesellschaft sondern bedeutet auch die Erreichung einer neue Stufe der Reflexion des menschlichen Selbstverständnisses und damit einer neuen Dimension an menschlicher Freiheit. Mit der zunehmenden Bewältigung der Naturkräfte, der beginnenden Bewältigung sozialer Kräfte steht die Entfaltung der Fähigkeiten des Individuums im Dienste der Gemeinschaft in untrennbarem Zusammenhang. Der seines Menschseins bewusst gewordene Mensch, tritt dem Sein gegenüber, dass er nicht nur begreift, sondern nach Maßgabe der von ihm erkannten wesentlichen Zusammenhänge (Gesetzmäßigkeiten) tätig wird, für seine Zwecke in die natürlichen und gesellschaftlichen Prozesse gestaltend eingreift.
Es gilt somit in der Tat, aktiv, die sozialen und gesellschaftlichen Prozess nicht bloß mit Bewusstsein, sondern mit selbstbewusst reflektiertem Zweckbewusstsein zu gestalten.20 Dies könnte die bisherige, weithin noch unvernünftige gesellschaftliche Praxis, in eine wissenschaftlich begründete und am realen Humanismus orientierte, wirklich vernünftige gesellschaftliche Praxis wandeln.

Fußnoten:
4 Cf. Henrich 2007, 1986, 1971, 1970.
5 Chistoph Jäger, Selbstreferenz und Selbstbewußtsein, mentis Verlag, Baderborn, 1999, S. 80
6 Johann Gottlieb Fichte, Erste und zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, und Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, Verlag von Felix Meiner in Leipzig, 1920
7 Karl Vorländer, Geseichte der Philosophie, Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin-Charlottenburg, 1932, S. 381
8 Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, Michael Holzinger (Hrsg.): , S: Berliner Ausgabe 2014; S. 59
9 Emil Fuchs, Vom Werden dreier Denker – Fichte, Schelling und Schleiermacher in der ersten Periode ihrer Entwicklung. Verlag von E. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, Leipzig 1904; wieder gedruckt als historisches Gut in den USA 2014.
10 Ebenda S. VI-VII
11 Johann, Gottlieb Fichte, Reden an die deutsche Nation (1807/1808) (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
12 Klaus Fuchs-Kittowski, Information und Biologie: Informationsentstehung – eine neue Kategorie für eine Theorie der Biologie, In: Biochemie – ein Katalysator der Biowissenschaften. Kolloquium der Leibniz-Sozietät am 20. November 1997 anläßlich des 85.Geburtstages von Samuel Mitja Rapoport. Sitzungsberichte der Leibnitz-Sozietät. Berlin, Leibniz-Sozietät, Band 22, Jahrgang 1998, Heft 3. S. 5 – 17.
13 Dietrich Wahl, Sein und Selbst (Aus dem wissenschaftlichen Nachlass) – Mit einen Essay von Klaus Fuchs-Kittowsskií, Information und Selbstorganisation – Erkenntnis und Selbsterkenntnis, Papers, Rosa Luxemburg-Stiftung, 2012
14 Ebenda
15 Tembrock, Günter, Geschichte der Lebewesen: eine Evolution des Bewusstseins?, Berlin 1993, Vortraganlässlich der Verleihung der Urania-Medaille, 1992.
16 Ebenda S. 10
17 Klaus Fuchs, Über die Kategorie Möglichkeit und die Entwicklungsstufen der Materie. In, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft 4, 1972, S. 417.
18 Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, Michael Holzinger (Hrsg.): , S: Berliner Ausgabe 2014, S. 62
19 Klaus Fuchs, Über die Kategorie Möglichkeit und die Entwicklungsstufen der Materie. In, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft 4, 1972, S. 417
20 Michael Städler, Selbstbestimmung zwischen Natur und Technik, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Akademie Verlag, Berlin, 58 (2010) 2, S. 257-271.

Siegfried Wollgast:
Zu Karl Friedrich Krause und seinem verdientesten Lehrer Johann Gottlieb Fichte.

Auch K. Chr. Fr. Krause (1781-1832), Philosoph und Universalgelehrter, fühlt sich als eigentlicher Fortsetzer I. Kants und führt in einer panentheistisch geprägten Philosophie  vornehmlich J. G. Fichte weiter. Er studierte 1797-1801 in Jena Theologie, Mathematik und Philosophie. Nach Promotion und Privatdozententätigkeit verließ er Jena 1804 und ging 1805­1813 nach Dresden. Hier wirkte er stark im Freimaurerorden und forschte in vielen Wissenschaftsgebieten – bei großen materiellen Sorgen. In Berlin (1813-1815) wartete er vergebens auf Fichtes philosophische Professur, arbeitete weiter an seinem philosophischen System und als Sprachwissenschaftler. Von 1815 bis 1823 erneut in Dresden weilend, bildeten zunächst sprachliche und maurerische Probleme, dann philosophische und mathematische Forschungen einen Schwerpunkt seines Wirkens. Im August 1823 ging Krause nach Göttingen, erneut auf eine Professur hoffend. Vergeblich, er war inzwischen als Pantheist, Atheist und Naturphilosoph verschrien. Im Zusammenhang mit der „Bürgerrebellion“ von 1830/ 31 musste er Göttingen verlassen und ging nach München. Dort verstarb er am 27.09.1832. Er wirkte nicht nur originell für die Philosophie, auch in der Pädagogik, den Sprachwissenschaften, in Logik und Mathematik, für die Freimaureridee u. a. hatte er Verdienste.

G. Fichte war 1794-1799 Philosophieprofessor in Jena, wo Krause alle seine Vorlesungen hörte und ihn stets zu seinen „verdiensteten Lehrern“ rechnete. Später rezensierte er Fichte und traf ihn 1811 in Teplitz, nach seiner Übersiedelung nach Berlin dort 1813. Fichtes „Wissenschaftslehre nova methodo“ ist in einer Kollegnachschrift Krauses erhalten ebenso seine „Erklärenden Bemerkungen und Erläuterungen zu … Fichtes Grundlagen des Naturrechts“. In eigenen Publikationen, z. B. von 1803 und 1828 wendet sich Krause – ohne Fichtes Namen zu nennen – gegen dessen Aussagen oder stimmt ihm stillschweigend zu. Die Zustimmung erfolgt z. B. bei der Bestimmung von Materialismus und Idealismus, der Widerspruch zu Fichte wird bei Darlegung der Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter offen ausgesprochen; Übereinstimmungen bei Gleichheit der Bestimmung von Polyandrie und Polygamie ohne Nennung des Namens von J. G. Fichte. Krause gibt auch noch 1828 eine Gesamteinschätzung der Rechtsphilosophie Fichtes. Die weitgehend positive Darstellung Fichtes in Krauses „Grundriss der Geschichte der Philosophie“ (1829) wird ausführlich dargelegt. Ebenso wird auf Krauses Göttinger Vorlesungen von 1827-1829 „Zur Geschichte der neueren philosophischen Systeme“ verwiesen, vornehmlich auf Aspekte, die sich in Krauses „Grundriss der Geschichte der Philosophie“ nicht finden. Auch in den vielen Briefen an seinen Vater spricht K. Chr. Fr. Krause immer wieder von J. G. Fichte, vornehmlich positiv.

Krause nutzt Fichtes Philosophie auch bei der Erarbeitung seines eigenen Systems. Als Beispiel dafür gehe ich u. a. auf Krauses „Vorlesungen über das System der Philosophie“, Bd. 1 und 2, „Grundlage des Naturrechts oder philosophischer Grundriss des Ideals des Rechts“, „Abriss des Systems des Rechtes, oder des Naturrechtes“, „Vorlesungen über angewandte Philosophie der Geschichte“ ein. Drei Beispiele aus Philosophiegeschichten von Bertrand Russel, Johannes Hirschberger und Stefan Groß zu J. G. Fichte verdeutlichen einen großen Unterschied zu Krauses Fichteverständnis. Claus Dierksmeier und Wolfgang Forster leugnen eine Nähe von J. G. Fichtes und K. Chr. Fr. Krauses Denken.

Hans-Christoph Rauh:
Französische Revolution und deutsche Nation. Zur Fichte-Rezeption im Rahmen der DDR-Philosophie

In der angekündigten Überschrift ist ein zeitlich-gedoppelter, historischer wie thematischer Rahmen der nachfolgenden Erhebung zum ehrenden Gedenken an Johann Gottlieb Fichte, zu seinem 200. Todestag 2014 abgesteckt; so unabdingbar vorgegeben durch die offizielle marxistisch-leninistische DDR-Philosophie.

Der erste einschränkende historische Rahmen betrifft ereignisbezogen Fichtes politische Flugschriften 1792/93 zur Französischen Revolution, die “Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europas” betreffend, sowie seine späteren, so überaus mutigen Berliner “Reden an die deutsche Nation” von 1808, die den Befreiungskampf gegen die Napoleonische Fremdherrschaft entscheidend mit vorbereiteten. Nicht zufällig werden nachkriegszeitlich in der DDR gerade diese politischen Schriften des Philosophen wegen ihrer revolutionär-nationalen Ausrichtung besonders rezipiert. Der zweite, darin bereits zum Ausdruck kommende Rahmen bildet die allein vorherrschende marxistisch-leninistische Staatsparteiphilosophie der DDR und ihre philosophischen (dialektisch-historisch-materialistischen) Vorgaben hinsichtlich des Umganges mit dem allein “vormarxistischen” philosophischen Erbes, insbesondere das der klassischen deutschen (bürgerlich-idealistischen) Philosophie von Kant bis Hegel, worin Fichte immer mit einbegriffen war. Dessen historisch-konkret schon etwas komplizierteren Streitschriften zum Jenenser “Atheismusstreit”, die ihm sein dortiges Lehramt kosteten, wurden weit später aufgearbeitet und publiziert.

Und das eigentliche theoretische Kernstück seiner Gesamtphilosophie, eine sog. “Wissenschaftslehre blieb allein ein schwieriges Lehrgebiet in der vormarxistischen philosophiegeschichtlichen Grundausbildung, gänzlich zwischen Kant und Hegel stehend “aufgehoben”, zumeist recht verkürzt, aber trotzdem “dialektik-geschichtlich” bedeutsam, abgehandelt. Von einer systematischen und durchgehenden Fichte-Forschung kann daher im Rahmen der offiziellen DDR-Philosophie nicht gesprochen werde. Eine Gesamtausgabe seiner Werke erschien fast schon “lebenszeitlich” eingebunden zwischen 1962 (Fichte 200. Geburtsjahr) und 2012 (sein 250. Geburtsjahr) in der BRD München, hgb. durch die dortige Bayrische Akademie der Wissenschaften in rund 40 großformatigen Bänden. Trotzdem gab es auch im Rahmen der DDR-Philosophie seit den 60er Jahren eine ganz spezifische Fichte-Rezeption, der nachfolgend etwas genauer, historisch-kritisch aufgearbeitet, nachgegangen werden soll.

Christa Uhlig:
Fichtes Ideen von einer neuen Erziehung und einige Aspekte ihrer Rezeption

Obwohl Fichtes Ansichten über Erziehung im 19. und 20. Jahrhundert breite Wirkung hinterließen und vielfach rezipiert wurden, blieben sie in ihrer Bedeutung für die Entwicklung des pädagogischen Denkens in Deutschland zu keiner Zeit unumstritten. Das galt besonders für die „Reden an die deutsche Nation“ (1807/08), in denen Fichte seine bis dahin in verschiedenen philosophischen Kontexten geäußerten pädagogischen Überlegungen zu einem geschlossenen idealistischen Erziehungsmodell zusammenfasst. Einerseits lesbar als identitätsstiftendes Initial zur nationalen Erhebung gegen die napoleonische Fremdherrschaft, als Aufruf zu nationaler Selbstbestimmung und als Vision freiheitlicher Menschenbildung, konnten die teils mit übersteigertem patriotischen Pathos vorgetragenen „Reden“ andererseits für deutschnationale, völkische und nationalistische Theorien sowie für entsprechende Erziehungsideologien missbraucht werden.

In der Überzeugung, dass allein eine neue Erziehung den Weg zur gesellschaftlichen und individuellen Emanzipation öffnen und zu nationaler Souveränität beitragen könne, strebte Fichte mit dem Plan einer Nationalerziehung eine grundlegende „Umbildung“ des menschlichen Bewusstseins an. Danach sollte die heranwachsende Generation – ähnlich anderen historischen Erziehungsutopien – in einer von den Fehlern der überkommenen Gesellschaft abgeschotteten pädagogischen Umgebung für ein zukünftiges gesellschaftliches Zusammenleben vorbereitet und im konkreten Fall als zukünftiger Träger eines idealen demokratischen Nationalstaates erzogen werden.

Fichtes bildungstheoretischer Ansatz zielt auf das in tätiger Auseinandersetzung sich bildende Subjekt, damit auf die Befähigung der Menschen zu Selbständigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung, Sittlichkeit und vernünftigem Handeln. Gleiche und gemeinschaftliche öffentliche Erziehung durch den Staat für alle Heranwachsenden (auch der Mädchen), Verbindung von Lernen und Arbeiten, Allseitigkeit der Bildung und Mitverantwortung eines jeden für das Gemeinwesen sollten maßgebliche Gestaltungsprinzipien des Erziehungssystems sein.

In seiner pädagogischen Grundauffassung an Kant und vor allem auch an Pestalozzi anschließend, lässt sich Fichte – trotz der zeitgeschichtlichen Bedingtheit und des utopisch-widerspruchsreichen Charakters seines pädagogischen Gesamtkonstrukts und ungeachtet einer längst nicht abgeschlossenen Auseinandersetzung mit seiner pädagogischen Hinterlassenschaft – der Denktradition zuordnen, die nicht nur zur Etablierung der Erziehungswissenschaft im 19. Jahrhundert, sondern auch zur progressiven Entwicklung der pädagogischen Praxis beigetragen hat.

Hans-Otto Dill (MLS):
Philosophie und Politik. Zu Fichtes Machiavelli-Rezeption

Fichte hat sich 1813 zur Zeit der napoleonischen Besetzung großer Teile Deutschland auf der Flucht in Königsberg intensiv mit dem Werk des italienischen Spätrenaissance-Denkers Niccoló Machiavelli befasst und den 35 Druckseiten langen Artikel “Über Machiavelli” nebst einigen Auszügen aus dessen Werk in eigener Übersetzung aus dem Italienischen publiziert. Dieses Interesse Fichtes für Machiavelli ergab sich aus einer ganzen Reihe von politischen Parallelen zwischen der Toscana zur Zeit des Lorenzo dei Medici und dem Preußen unter Friedrich Wilhelm III. zur Zeit der napoleonischen Besetzung und der sogenannten Befreiungskriege.

Dennoch ist der direkte Bezug zwischen beiden Territorien und ihren politischen Verhältnissen allein nicht ausschlaggebend für diesen Vergleich und eine partielle Identifikation, zumal die unabhängige Toskana keineswegs wie Preußen unter einem fremdherrschaftlichen Besatzungsregime stand. Im Unterschied besonders zu manchen marxistischen Interpretationen war Machiavelli zwar innerlich Republikaner, aber keineswegs unbedingter Anhänger der kleinen Stadtrepublik Florenz, sondern dachte an die größere politischen Einheit der Nation Italien mit einem gemeinsamen sprachlichen Kommunikationsraum, gemeinsamer Geschichte und gegenseitiger sachlicher Abhängigkeit der Einwohner anstelle der mehr personalen Beziehungen zwischen den großen Familien des Florentiner popolo grasso. Sein Vorbild war nicht die Vaterstadt, oder die anderen italienischen Stadtrepubliken, sondern die entstehenden europäischen Nationalstaaten Frankreich, Spanien sowie England und, als historische Reminiszenz, die römische Republik der Antike.

Die Parallele existierte für Fichte also nicht zwischen dem unabhängigen und freien Florenz und dem besetzten Preußen, sondern zwischen Italien und Deutschland, die beide gleicherweise in Kleinstaaten zerrissen und teilweise, wie Preußen oder das Rheinland bzw. die Lombardei und beide Sizilien von Fremdherrschern besetzt waren und nur kulturell, sprachlich und historisch, als Nationen existierten. So wie Machiavelli an Lorenzo del Medici, den Adressaten des Principe, appellierte, die ausländischen Barbaren aus Italien hinauszuwerfen, so rief Fichte indirekt den cunctator Friedrich Wilhelm III. auf, gleiches in Deutschland zu tun, übrigens mit einer Armee, die der Armee der Französischen Revolution ähnlich  war. Wesentlicher als diese lebensweltliche Fokussierung auf die aktuelle Politik, mit der Fichte weit über die Praxis der Aufklärer des 18. Jahrhunderts hinausging, ist allerdings, dass Fichte in Machiavelli den Begründer der modernen Politik sah, der von allen konkreten Motivationen abstrahierte und zum anderen sich auf großangelegte historische Studien zur Politik- und Kriegsgeschichte stützte, woraus auch Clausewitz´ Definition des Krieges als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln entstand. Daraus entwickelte Fichte, der Autor der Wissenschaftslehre, die ersten Anfänge einer wissenschaftlichen Politikphilosophie, wie sie u.a. in zweischneidiger Art sowohl von Max Weber als auch von Carl Schmitt weiterentwickelt wurde.

Ulrich Busch:
Johann Gottlieb Fichte als Vordenker nationaler Zentralverwaltungswirtschaft

G. Fichte war ein genialer Denker, der auf mehr als einem Gebiet tätig war, so auch auf dem der Ökonomie. Seine Schrift Der geschlossene Handelsstaat ist eine von Rousseau ausgehende und von Robespierre inspirierte, zugleich aber romantisch verklärte und „rückwärts gewandte antikapitalistische Utopie“ (Ernst Bloch). Fichte war um 1800 in Deutschland einer der ersten, der dem aufkommenden Kapitalismus mit dem vorkapitalistischen Traum eines geschlossenen Handelsstaates die Vision einer postkapitalistischen Gesellschaft gegenüberstellte. Er befand sich damit aber im Gegensatz zur zeitgenössischen ökonomischen Theorie wie sie insbesondere im Werk von Adam Smith zum Ausdruck kam. Seine Schrift fiel deshalb rasch in Vergessenheit. Im 20. Jahrhundert jedoch fand sie einige Beachtung, insbesondere durch die Umsetzung ihrer Konzeption in den Autarkiebestrebungen des deutschen Nationalsozialismus und in der Wirtschafts- und Währungspolitik der Staaten des Realsozialismus. Beide Systeme verkörperten Varianten einer Zentralverwaltungswirtschaft. Mit dem historischen Scheitern dieser wurde zugleich über Fichtes Utopie ein Urteil gesprochen.

Günter Krause:
„Der Philosoph auf dem Pfad der Ökonomie – Theoriehistorische Anmerkungen“

Im Fokus des Beitrages steht Johann Gottlieb Fichte als ein Gelehrter, der nicht nur für eine Wissenschaftsdisziplin von Bedeutung war. Er ging nicht alleine in die Annalen der Geschichte der Philosophie als ein Denker von Rang ein, sondern erlangte mit seinem wissenschaftlichen Schaffen ebenso beachtliche Aufmerksamkeit und Resonanz in der ökonomischen Theoriegeschichte. In diesem Kontext wird u.a. diskutiert, welcher Art die Thematisierung ökonomischer Fragen bei Fichte ist, in welchen seiner Schriften er insbesondere zu wirtschaftstheoretischen Problemlagen Stellung nahm, welche ökonomischen Sachverhalte sein besonderes Interesse erregten und natürlich auf welche Weise er sie bearbeitete. Zudem wird ein Blick auf die Rezeption seiner ökonomischen Ideen und Werke in der Dogmengeschichte geworfen.
Herbert Hörz:
Fichte und Helmholtz: Zum Verhältnis von Philosophie und Naturwissenschaften

In den Beziehungen zwischen Philosophie und Naturwissenschaften gab es Höhen und Tiefen. Das gilt auch für das Wirken des Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814) und des Physiologen und Physikers Hermann von Helmholtz (1822 – 1894). An den Universitäten gehörten die Naturwissenschaften damals noch zur Philosophischen Fakultät. Das Bindeglied zwischen dem verstorbenen Philosophen Fichte und dem aufstrebenden und dann Weltruhm erlangenden Naturwissenschaftler Helmholtz war dessen Vater August Ferdinand Julius Helmholtz (1792 – 1859), Professor für Philosophie am Potsdamer Gymnasium. Er hatte sich intensiv mit der Philosophie seiner Zeit befasst und sah in der Gegenüberstellung von „Ich“ und Nicht-Ich“ bei Fichte eine wesentliche Grundlage zum Verständnis der Welt. Sein Freund war der Sohn Fichtes Immanuel Hermann Fichte (1796 – 1879). Dieser lehrte erst in Bonn und dann in Tübingen Philosophie. Er gab die gesammelten Werke seines Vaters heraus.

Hermann Helmholtz nahm schon als Student Kontakt mit ihm auf. In den Diskussionen um Philosophie zwischen Vater und Sohn Helmholtz wurde deshalb von Fichte dem Älteren und dem Jüngeren gesprochen. Der Sohn befasste sich, angeregt durch Diskussionen mit seinem philosophisch interessierten und informierten Vater mit den philosophischen Auffassungen von Fichte dem Älteren. Dieser war 1811/12 der erste gewählte Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, der späteren Humboldt-Universität. Der Physiker Helmholtz folgte ihm als Rektor 1877/78.

Um die Auseinandersetzungen um die Philosophie Fichtes in die Debatten zur Zeit der aufblühenden Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert einzuordnen, ist erstens auf den Platz der Naturwissenschaften in der Philosophischen Fakultät einzugehen. Intensive Beschäftigung mit der Philosophie Fichtes durch Helmholtz erklärt sich zweitens aus den persönlichen Beziehungen. Es ist drittens die Frage zu beantworten, welchen Platz die Naturwissenschaften in Fichtes Philosophie der Beziehungen von „Ich“ und „Nicht-Ich“ einnehmen. Inhaltlich spielten viertens die Erkenntnisse der physiologischen Optik in ihrer philosophischen Relevanz eine wichtige Rolle. Helmholtz entwickelte seine Zeichentheorie und hatte sich dabei mit Plagiatsvorwürfen von Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) auseinanderzusetzen. Zum Schluss ist fünftens auf Konsequenzen aus der historischen Situation für gegenwärtige Beziehungen zwischen Philosophie und Naturwissenschaften einzugehen. Dazu sind neue Bedingungen (Transdisziplinarität I und II, Digitalisierung und Internationalisierung der Forschung) zu berücksichtigen.

Als Lehren ergeben sich:
Erstens: Fichte und Helmholtz waren keine einseitigen Spezialisten. Sie stellten sich den Herausforderungen ihrer Zeit.
Zweitens: Philosophie ist unter konkret-historischen Bedingungen immer Aufklärung über neue Erkenntnisse und weltanschauliche Orientierungshilfe.
Drittens: Zu allen Zeiten spielen Diffamierungen und Intrigen, Plagiate und Streit um Prioritäten eine Rolle.
Viertens: Für die rationale, emotional-ästhetische und praktische Aneignung der Welt ist auch heute der Zusammenhang zwischen Kunst und Wissenschaft als Aneignungsformen der Wirklichkeit ein wichtiges philosophisches Problemfeld. Sie sind wohl in ihrem Unterschied als auch in ihrem Zusammenhang zu sehen. Manche Erkenntnisse, gewonnen damals in Debatten um die Farbenlehre, sind auch heute noch aktuell.

Wir ehren also den Philosophen Fichte und den Naturwissenschaftler Helmholtz nicht nur dadurch, dass wir ihre Erkenntnisse in ihre Zeit einordnen. Einmal gewonnene Erkenntnisse sollten nicht vergessen werden. Manche damals unbeantwortete Frage beschäftigt uns heute weiter. So ist das mit den Welträtseln, die immer nur teilweise gelöst werden und sich immer wieder neu stellen. Generell gilt auch die für die wissenschaftliche Arbeit der Grundsatz: Verachtet mir die Meister nicht!

11. Dezember 2014:

Die Plenar-Sitzung wurde als Kolloquium veranstaltet zum Thema

Unsere inneren Lebensuhren ticken nicht synchron! – Biologie des Alterns verschiedener Organsysteme

Jürgen Lademann:
„Wechselwirkung zwischen Antioxidantien und freien Radikalen und deren Einfluss auf die Hautalterung“
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Charité -Universitätsklinik Berlin, Bereich Hautphysiologie, Charitéplatz 1, 10117 Berlin

Jürgen Lademann ist ein international anerkannter Forscher, der sich mit Themen an der Nahtstelle zwischen Dermatologie, Pharmakologie und Biophysik beschäftigt. Von Hause aus Physiker leitet er seit 1996 den Bereich „Experimentelle und angewandte Physiologie der Haut“ an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. 2001 wurde er zum Professor für Dermatologie berufen.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören
– Penetrationswege topisch applizierter Substanzen
– Haarfollikel als Penetrationsweg und Speicher von Wirkstoffen
– Nanopartikel
– Optische Messmethoden
– Antioxidantienmessung
– Niedrigtemperatur-Plasma

Jürgen Lademann engagiert sich in zahlreichen Kommissionen und Editorials Boards verschiedener Fachzeitschriften wie etwa „Skin Pharmacology and Physiology“. Von 2003 bis 2008 war er Präsident der „International Society of Skin Pharmacology and Physiology“, seit 2005 ist er Mitglied der Nord-Ostdeutschen Gesellschaft für Gynäkologische Onkologie e. V. (NOGGO) und seit 2008 Mitglied der Kommission für Kosmetische Mittel des Bundesinstituts für Risikobewertung; Experte für Risikobewertung von Nanopartikeln in kosmetischen Produkten bei der ECETOC AISBL, Brüssel, sowie Gutachter in verschiedenen Forschungsprogrammen der Europäischen Union. Weiterhin ist er seit 2010 Mitglied im Normenausschuss Lichttechnik „Strahlenkunde“ beim DIN Deutsches Institut für Normung e. V. Im August 2011 leitete er die Gordon Conference „Barrier Function Of Mammalian Skin“ in den USA. Seit 2012 ist Jürgen Lademann Mitglied der Leibniz Sozietät der Wissenschaften zu Berlin und seit 2014 Mitglied der Berliner Dermatologischen Gesellschaft e.V.

Jürgen Lademann is an internationally renowned scientist researching at the interface between dermatology, pharmacology and biophysics. Since 1996 the physicist has been in charge of the Center of Experimental and Applied Cutaneous Physiology at the Department of Dermatology, Venerology and Allergology of the Charité – Universitätsmedizin Berlin. In 2001 he was appointed professor of dermatology.
His research topics include
– penetration pathways of topically applied substances
– hair follicles as penetration pathway and reservoir of drugs
– nanoparticles
– optical measuring methods
– antioxidant measurements
– low-temperature plasma

Jürgen Lademann is member of numerous committees and editorial boards of various journals, such as Skin Pharmacology and Physiology. From 2003 through 2008 he was President of the International Society of Skin Pharmacology and Physiology. In 2008, he joined the Cosmetics Committee of the Federal Institute of Risk Assessment (Germany), was appointed expert for risk assessment of nanoparticles in cosmetic products with ECETOC AISBL, of Brussels, and reviewer for various research programs of the European Union. In 2010 he was appointed member of the Light Engineering Standardization Committee, Section “Radiology”, with the German Institute for Standardization (DIN – Deutsches Institut für Normung e. V.). In August, 2011 he chaired the Gordon Conference “Barrier Function of Mammalian Skin” in the United States. In 2012 he was admitted member of the Berlin-based scientific society Leibniz Sozietät der Wissenschaften.

Abstract:
Die Hautalterung wird nicht nur durch genetische Aspekte bestimmt, sondern auch durch Umweltfaktoren sowie durch den Lebensstil und das Stressverhalten. Die UV-Strahlung der Sonne, Nikotin und Alkoholkonsum führen zur Bildung von freien Radikalen in der menschlichen Haut. Diese hoch reaktiven Moleküle sind in der Lage, Zellbestandteile, aber auch die elastischen Fasern wie Kollagen und Elastin zu zerstören. Der menschliche Organismus hat ein Schutzsystem gegenüber der Wirkung dieser hoch reaktiven Moleküle in Form des antioxidativen Potentials entwickelt. Zu den Hauptvertretern der Antioxidantien in der menschlichen Haut gehören neben den Vitaminen auch die Karotinoide wie Betakarotin und Lykopin. Die meisten dieser Antioxidantien können in der Haut und im menschlichen Organismus nicht selbst gebildet werden, sondern müssen durch eine gesunde Ernährung, reich an Obst und Gemüse, aufgenommen werden.

Karotinoide sind Markersubstanzen für das gesamte antioxidative Potential, da Antioxidantien Schutzketten in der menschlichen Haut bilden. Wenn es gelingt, eine dieser Substanzen zu detektieren, hat man die Information auch über die anderen Antioxidantien in der menschlichen Haut. In der Vergangenheit erfolgte die Analyse von Antioxidantien im menschlichen Organismus mithilfe der Massenspektroskopie oder der Hochdruckflüssigkeitstomografie. Hierzu war es nötig, dass Hautproben entnommen und anschließend analysiert wurden. Problematisch bei diesen Untersuchungen war, dass es sich um einen invasiven Prozess handelt und Proben, die einmal entnommen wurden, nicht mehr für darauf folgende Untersuchungen zur Verfügung standen. Mithilfe der Resonanz-Raman-Spektroskopie ist es gelungen, Karotinoide in der Haut selektiv und sensitiv nachzuweisen. In einer ersten Studie wird gezeigt, wie sich das antioxidative Potential von Probanden im Rahmen einer Ein-Jahres-Studie verändert, bei der die Probanden nur gemessen, aber nicht bezüglich ihres Ernährungs- und Stressverhaltens beeinflusst wurden. Ausgehend von diesen Ergebnissen wurden dann in weiteren Studien die einzelnen Parameter, welche zur Reduktion oder Steigerung des antioxidativen Potentials in der Haut führen, im Einzelnen untersucht. Darüber hinaus konnte im Rahmen von Untersuchungen gezeigt werden, dass Probanden desselben Jahrganges, welche deutliche Unterschiede im antioxidativen Potential der Haut aufweisen, auch deutliche Unterschiede in der Hautalterung zeigen. Personen mit hohen Antioxidantienwerten haben für ihr Alter eine deutlich bessere Haut als Probanden mit niedrigen Werten. Wenn man sich jedoch entscheidet, mit 50 Jahren seinen Lebensstil zu verändern, so kann das zwar Vorteile für die weiteren Lebensjahrzehnte haben, man ist jedochnicht in der Lage, sich wieder jung zu essen. Daher wurden Untersuchungen in Schulklassen durchgeführt, wobei die Schüler gebeten wurden, einen Monat ihr Ernährungs- und Stressverhalten beizubehalten. In diesem Zeitraum wurden sie zwar gemessen, die Werte wurden ihnen aber nicht mitgeteilt. Im zweiten Monat wurden die Probanden dann gebeten, sich möglichst gesund zu ernähren und Stress deutlich zu reduzieren. In diesem zweiten Monat erfuhren die Schüler ihre Messergebnisse. Nach sechs Monaten erfolgten dann überraschend für die Schüler noch einmal Messungen, bei denen es darum ging, ob die hohen Werte, die in der zweiten Phase der Studie bei den Schülern erzielt wurden, nur mit der Messung selbst in Zusammenhang standen oder ob es eine gewisse Nachhaltigkeit in der Verpflegung und im Umgang mit Stress bei den Jugendlichen gab.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Biofeedback-Messungen, wie sie bei der Bestimmung der Antioxidantien in der menschlichen Haut durchgeführt werden, dazu führen, dass sowohl das Ernährungs- als auch das Stressverhalten der Probanden deutlich verbessert wird. Eine gesunde Ernährung und die Reduktion von Stressfaktoren sind die besten Voraussetzungen für eine Reduktion der Hautalterung.

Detlev H. Krüger:
„Lebensalter und Viruserkrankungen“
Institut für Med. Virologie, Helmut-Ruska-Haus, Charité Universitätsmedizin Berlin

Studium der Humanmedizin in Berlin, Approbation als Arzt.
Forschungsstudium (Promotionsstudium) auf dem Gebiet der Molekularbiologie.
Promotion 1976, Habilitation 1981 in Virologie und Molekulargenetik.
Forschungstätigkeit an der Humboldt-Universität zu Berlin, am Institut für Allgemeine Genetik der Akademie der Wissenschaften in Moskau, am Biozentrum der Universität Basel und an der Johns Hopkins University Medical School in Baltimore, Maryland.
Seit Ende 1989 ordentlicher Professor für Virologie und Direktor des Instituts für Medizinische Virologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Seit 1999 Leiter des Nationalen Konsiliarlaboratoriums für Hantaviren.
Editor-in-Chief, Journal “Virus Genes”, Springer Publ., New York.
Stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Paul-Ehrlich-Instituts – Bundesinstitut für Impfstoffe und Biomedizinische Arzneimittel.
Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Virologie.
Beiratsmitglied der International Society for Hantaviruses and Hantavirus Diseases. Nationaler Repräsentant (Deutschland) im International Committee for the Taxonomy of Viruses (ICTV).
Mitglied der Leibniz‐ Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

Abstract:
In allen Phasen des menschlichen Lebens lassen sich altersabhängige Häufungen von bestimmten Viruserkrankungen beobachten.
Ein Grund dafür besteht darin, dass in Abhängigkeit vom Lebensalter eine unterschiedliche Exposition gegenüber Krankheitserregern besteht. Dies beginnt im menschlichen Leben mit der Wahrscheinlichkeit für bestimmte Viren, diaplazentar bzw. perinatal übertragen zu wer­den. Beim Kind kommt es insbesondere durch das ausgeprägte taktile Verhalten in diesem Alter zum gehäuften Auftreten bestimmter Infektionen und nachfolgender Erkrankungen. In der sexuell aktiven Lebensphase treten gehäuft direkt übertragbare Viruserkrankungen auf. Im höheren Lebensalter folgen aus der steigenden Hospitalisierungshäufigkeit entsprechende virale Hospitalinfektionen.
Ein zweiter Einflussfaktor besteht in der altersabhängigen Immunitätslage des Organismus.  Beim Föten und Neugeborenen existiert eine maternale Leihimmunität, während in der Kind­heit die Exposition des nicht-immunen Organismus insbesondere gegenüber den ubiquitär in der Umwelt zirkulierenden Erregern stattfindet, so dass entsprechende „Kinderkrankheiten“ auftreten. Immunsupprimierte Patienten entwickeln eine Reihe von transplantations- und tumorassoziierten Viruserkrankungen. Auch die natürlicherweise veränderte Immunitätslage in der Seneszenz führt zur erhöhten Empfänglichkeit gegenüber Infektionen. Ein bekanntes Beispiel für die Auslösung von zwei unterschiedlichen Krankheitsbildern durch denselben Erreger in Abhängigkeit von der Immunitätslage des Organismus ist das Auftreten von Wind­pocken versus Zoster.
Schließlich gibt es Viruserkrankungen mit langer (zum Teil jahrzehntelanger) klinischer Inku­bationszeit, so dass der Ausbruch solcher Erkrankungen altersmäßig nach hinten verschoben ist.

Andreas Meisel:
„Myasthenia gravis: Wenn junge Frauen und alte Männer schwach werden“

Prof. Meisel (47) ist Arzt und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2011. Er hat von 1987 bis 1994 an der Humboldt Universität zu Berlin Medizin studiert. Während des Studiums hat er am Institut für Medizinische Virologie der Charité und am Biozentrum der Universität Basel seine Doktorarbeit durchgeführt. Im Jahr 2003 wurde er Facharzt für Neurologie. Heute leitet er an der Charité die Neurologische Intensivmedizin, eine Schwerpunktambulanz zu neuromuskulären Erkrankungen sowie die Arbeitsgruppe für experimentelle und klinische Schlaganfallforschung. Im Jahre 2006 wurde er Professor am Zentrum für Schlaganfallforschung Berlin, seit 2009 ist er Professor für Neurologie am NeuroCure Clinical Research Center der Charité. Mit der Berliner Schlaganfall-Allianz leitet er ein großes Netzwerkprojekt in Berlin und Brandenburg, das sich die Verbesserung der Schlaganfallforschung und Versorgung zum Ziel gesetzt hat.

Abstract:
Die Myasthenia gravis ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch eine gestörte Erregungsübertragung an der Schnittstelle zwischen Nerven und Muskel bedingt ist. Das Wesen der Erkrankung wurde erstmals durch Friedrich Jolly, der an der Charité Ende des 19. Jahrhunderts arbeitete, verstanden. Das Hauptmerkmal der Erkrankung ist die belastungsabhängige Muskelschwäche. Dabei können alle quergestreiften Muskeln des Organismus betroffen sein. Typischerweise beginnt die Krankheit mit einem allgemeinen Schwächegefühl oder Doppelbildern bzw. Lidheberlähmungen. Die Krankheit kann sich in die Sprech-, Schluck-, Kau- und Atmungsmuskulatur wie in die Extremitätenmuskulatur ausbreiten.
Das Krankheitsspektrum reicht dabei von leichten Beschwerden bis hin zu lebensbedrohlichen Verläufen. Die Myasthenie kann in jedem Lebensalter auftreten, Frauen sind zumeist im Alter von 20-30 Jahren, Männer mit 60 Jahren und älter erstmalig von den Symptomen der Erkrankung betroffen. Wahrscheinlich sind die zugrundeliegenden Immunregulationsstörungen dabei unterschiedlich, wobei dem Thymus eine zentrale Rolle zukommt. Der wesentliche pathobiologische Mechanismus besteht allerdings in der antikörpervermittelten Störung der Erregungsübertragung und ist altersunabhängig.
Die Übertragungsstörung lässt sich elektrophysiologisch und damit diagnostisch erfassen.
Die meisten Patienten haben Antikörper gegen Acetylcholin-Rezeptoren. Die Entdeckung neuerer Antikörper gegen Struktureiweiße der neuromuskulären Endplatte sowie ein tieferes Verständnis der zugrundliegenden Immunregulationsstörungen verbessern nicht nur die diagnostischen sondern auch die therapeutischen Möglichkeiten. Für den überwiegenden Teil der Patienten ist die Erkrankung gut behandelbar allerdings meistens sehr langwierig. Neben der symptomatischen Therapie mit Acetylcholinesterase-Hemmern werden immunsuppressive und immunmodulierende Medikamente eingesetzt. Lebensbedrohliche myasthene Krisen treten bei ca. 20% der Patienten auf. Hier besteht die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung. Die Entwicklung effektiverer und spezifischerer Therapieansätze sowie die Biomarker zur Verlaufsprognose sind Gegenstand der aktuellen Forschung.
In der klinischen Praxis geht es vor allem darum, eine den Lebensumständen der Betroffenen adäquate, auf die Lebensqualität zielende Therapie dieser chronischen Erkrankung zu finden und diese regelmäßig anzupassen.

Sabine Müller:
„Zelluläre Mechanismen des Alterns: DNA-Schäden und Telomerenverkürzung“ Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Persönliches:
geboren am 24. 09. 1966 in Halle/Saale;
Ausbildung:
1973-1983 Polytechnische Oberschule “Albrecht Dürer”, Halle/Saale
1983-1985 Erweiterte Oberschule “Thomas-Müntzer”, Halle/Saale
1985 Abitur
1985-1990 Studium Diplomchemie, Humboldt Universität Berlin
1989/90 Sechsmonatiges Teilstudium im Rahmen der Diplomarbeit an der Chemischen Fakultät der Lomonossov-Universität Moskau
04/1990 Studienabschluss als Diplomchemikerin, Humboldt Universität Berlin
07/1994 Dr. rer. nat. in Chemie, Humboldt Universität Berlin, Prof. Dr. D. Cech
02/2003 Habilitation, Venia Legendi Organische/Bioorganische Chemie, Humboldt Universität Berlin

Beruflicher Werdegang:
1990-1994 Wissenschaftliche Mitarbeiterin (Doktorandin) am Institut für Chemie der Humboldt-Universität Berlin
1994-1996 Postdoktorandin am Medical Research Council, Laboratory of Molecular Biology, Cambridge, U.K., Dr. M. J. Gait
1996-2000 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Chemie der Humboldt-Universität Berlin
2001-2003 Nachwuchsgruppenleiterin (DFG-Habilitandenstipendium) am Institut für Chemie der Humboldt-Universität Berlin
2003- 2006 Professorin für Organische Chemie (C3), Fakultät für Chemie, Ruhr Universität Bochum
seit 2006 Professorin für Biochemie/Bioorganische Chemie (W3), Institut für Biochemie, Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald

Auszeichnungen:
2003 Heisenbergstipendium
2001 Stipendium der Helmut-Bredereck-Stiftung
2001 DFG Habilitandenstipendium
1994 DAAD Postdoktorandenstipendium

Mitgliedschaften in Gesellschaften und Vereinen:
GDCh, GBM, Leibniz-Sozietät, Forschungsverbund Mecklenburg-Vorpommern, Deutscher Hochschulverband, AcademiaNet, Faculty 1000 Medicine and Biology, Editorial Board der wissenschaftlichen Zeitschriften Nucleic Acids Research, F1000 Research, ChemTexts

Sonstige Tätigkeiten:
Studiendekanin der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Greifswald (seit 04/2014),
Vorstand der FG Biochemie der GDCh,
Gutachterin für verschiedene Fachzeitschriften und nationale und internationale Fördereinrichtungen (DFG, BMWi, ERC, Academy of Finland, CNRS, NSERCC, NSF).

Abstract:
Molekular betrachtet ist Altern ein Prozess, der mit dem Verschleiß biomolekularer Funktionselemente einhergeht und sich dabei insbesondere auch auf DNA-Ebene abspielt. Neben genetischer Prägung und der Akkumulation von DNA-Schäden durch reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies spielt auch die allmähliche Verkürzung der informationslosen Chromosomenenden (Telomere) in proliferativen Zellen eine wichtige Rolle. Die Telomere werden mit der Zahl der Replikationszyklen und zunehmendem Alter kürzer, bis schließlich auch die informationstragenden Teile der Chromosomen beschädigt werden bzw. die Chromosomenstabilität beeinträchtigt wird. Das kann zur Instabilität des Genoms und zur proliferativen Seneszenz der Zelle bzw. zum programmierten Zelltod führen. Der Vortrag wird dem “Verschleiß” zellulärer und mitochondrialer DNA nachgehen und mit molekularen Prozessen der Organalterung verknüpfen.

Horst Nizze:
„Altern – Biologie und Pathologie“
Universität Rostock

1942 geboren am 14. April in Schwerin (Meckl.)
1960 Abitur in Schwerin
1960-1961 Sektionsgehilfe am Pathologischen Institut Schwerin
1961-1967 Medizinstudium an der Universität Rostock
1967 Approbation und Promotion
1967-1972 Facharztausbildung am Pathologischen Institut Schwerin
Seit 1973 Tätig am Institut für Pathologie der Universität Rostock
1976 Habilitation
1979-1989 Hochschuldozent
1989-1992 Außerordentlicher Professor
1990-1998 Studiendekan der Medizinischen Fakultät
Seit 1992 C4-Professor für Pathologie an der Universität Rostock
1993-2010 Direktor des Institutes für Pathologie der Universität Rostock
1993-2009 Mitglied der Schriftleitung von „Der Pathologe“
2000-2001 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pathologie
2001 Präsident der 85. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie
2004 Gastgeber der 88. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie Seit 2010 Professor emeritus; weiterhin fakultative Lehrtätigkeit

Abstract:
Altern ist die fortschreitende Abnahme der Funktionsreserven und Funktionen von Zellen, Geweben und Organen im Laufe des Lebens höherer Organismen. Altern ist heterogen und variiert merklich in verschiedenen Individuen sowie auch in den ver-schiedenen Organen jedes einzelnen Individuums. Biologisches Altern ist schicksal-haft und keine Krankheit. Jedoch nehmen die physiologischen Fähigkeiten und die Anpassung an Stressoren ab, so dass Krankheitsrisiko und -empfänglichkeit mit dem Alter ansteigen. Gleichfalls nimmt die Sterberate exponentiell mit dem Alter zu. Zelluläres Schlüsselphänomen des Alterns ist der programmierte Zelltod (Apoptose), der im Ablauf des Zellzyklus eine replikative Seneszenz bewirkt. Folge davon sind Organverkleinerungen mit zunehmender Funktionseinschränkung, die unter dem Begriff der physiologischen Atrophie (Altersatrophie) geläufig sind und in allen Orga-nen parenchymspezifisch ablaufen. Beispiele sind die senile Hirnatrophie, die soge­nannte braune Atrophie der Leber und des Herzmuskels sowie Lungenemphysem, Osteoporose, Haut- und Muskelatrophie (Sarkopenie) des alten Menschen. Häufige Alterskrankheiten sind die Arteriosklerose und ihre Komplikationen sowie Krebs­erkrankungen unterschiedlicher Organe. Alternstheorien sind zahlreich. Am verständ-lichsten sind genetische (Telomerentheorie) und somatische Erklärungen („Sanduhr-Theorie“). Langlebigkeit ist sowohl genetisch als auch psychisch und somatisch bedingt. „Mens sana in corpore sano“ (Juvenal) gilt somit auch für gesundes Altern.

Jörg Vienken:
Was hat eine Polymeralterung mit Demographie zu tun?
Vorstand Nephro-Solutions AG, Harvesterhuderweg 49, 20149 Hamburg

Professor Dr. Ing. Jörg Vienken, geboren 1948 in Wittlich, studierte nach dem Abitur chemische Verfahrenstechnik an der Technischen Universität Darmstadt (Dipl. Ing.), danach Biophysik & Bioengineering an der RWTH Universität Aachen (Dr. Ing.) und arbeitete dann als Assistent am Institut für Biotechnologie der Universität Würzburg. Von 1985 bis 1995 war Vienken Abteilungsleiter “Scientific Services” bei Akzo Nobel Mem-brana in Wuppertal und vertrat von 1996 bis 2013 als Vice President bei Fresenius Medical Care in Bad Homburg den Bereich “BioSciences“. Seit 2013 ist er Vorstandsmitglied der Nephro-Solutions AG in Hamburg.
Joerg Vienken arbeitet seit mehr als 30 Jahren auf dem Gebiet der Biomaterialien für die medizinische Anwendung. Er lehrt als Gastprofessor im Fach „Biomaterialien und Künstliche Organe“ an der RWTH Aachen, der Technischen Universität in Ilmenau, der Universität Giessen, an der privaten Europafachhochschule Fresenius in Idstein / Taunus, sowie an den internationalen Universitäten Donau-Universität in Krems / A, und Bologna/ Italien.
Vienken war von 1998-2006 Vorstandsmitglied und Schatzmeister der “European Society for Artificial Organs (ESAO)”. Von 2010 bis 2012 war er Präsident der “International Federation for Artificial Organs (IFAO)”, von 2011 bis 2013 Vorstandsvorsitzender der „Vereinigung Deut-scher Biotechnologieunternehmen (VBU)“ Er ist Mitglied der Leibniz-Sozietät, Berlin und Mitglied der DECHEMA Forschungsausschüsse „Membrantechnik“ und „Nanotechnologie“. Er ist außerdem als Mitglied des Kuratoriums der „Stiftung Stadt Wittlich“ seiner Heimatstadt verbunden.
Vienken ist Autor von mehr als 350 wissenschaftlichen Publikationen und Lehrbuchbeiträgen, Herausgeber und Koautor von 7 Büchern über biologische und künstliche Membranen, Bioma­terialien und Biokompatibilität, Medizintechnik, sowie über Künstliche Organe.
Vienken ist verheiratet mit der Ärztin Karin Vienken und hat drei Kinder.

Abstract:
Die Zunahme von älteren Menschen in der Bevölkerung hat zur Folge, dass wir auch zuneh­mend mit älteren Patienten rechnen müssen, die sich wegen ihrer meist chronischen Be­schwerden einer Langzeitbehandlung unterziehen müssen. In vielen Fällen sind Kunststoffe von Medizinprodukten dann einer Langzeitexposition mit Körperflüssigkeiten ausgesetzt.
Im Kontakt mit solchen Flüssigkeiten, wie Blut, Serum oder Gewebsflüssigkeiten liegen diese Medizinprodukte in einer Umgebung vor, die zu sowohl zu einer Veränderung von Polymer-strukturen und Abbauprozessen bei den beteiligten Kunststoffen führen, als auch die Extraktion von Mono- und Oligomeren provozieren kann. Es ist bekannt, dass die Akkumulation dieser Extrakte im menschlichen Körper zu Nebenwirkungen, bzw. allergischen Reaktionen führen kann.
Auch bei korrekter Lagerung unterliegen Kunststoffe Veränderungsprozessen. Sie altern als Funktion der Lagerzeit. Dazu gehört z:B. die Verseifung von Estern, wie Cellulose-Acetat. Die bei dessen Verseifung entstandene Essigsäure kann beim Menschen zu schweren Nebenwirkungen führen.
Ingenieure und Wissenschaftler sind daher bei der Auswahl, Entwicklung und Qualitätskon­trolle von neuen Kunststoffen für Medizinprodukte besonders gefordert, damit mögliche Komplikationen, wie allergische Reaktionen, vermieden werden können.