Wissenschaftliche Sitzungen der Klassen der Leibniz-Sozietät im Jahre 2009

Nachfolgend werden die im Jahr 2009 stattgefundenen wissenschaftlichen Sitzungen der beiden Klassen der Leibniz-Sozietät zusammen mit den Kurzreferaten und Angaben zu den C.V. der Vortragenden aufgelistet.

Die Namen der Autoren sind mit dem Autorenverzeichnis verlinkt und die einzelnen Beiträge, die bereits in einer Publikationsreihe der Leibniz-Sozietät erschienen sind, sind als PDF-Dateine unterlegt.

08.Januar.2009

Lothar Ebner:
Functional Food – Nahrungsergänzungsmittel – Schein oder Wirklichkeit?
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 42; 20.03.09 

Prof. Ebner (67) ist Chemiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2006. Nach Studium und Promotion (1967) an der Technischen Universität Magdeburg arbeitete er jeweils kurze Zeit in einem Forschungszentrum der Chemieindustrie, in einer Leiteinrichtung für Isotopen- und Strahlentechnik sowie in einem Prognose-Institut beim Ministerrat der DDR. 1972 bis 1991 war er an der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig, die letzten sieben Jahre als Leiter des Technikums, Abteilungsleiter und stellv. Bereichsleiter im Zentralinstitut für Physikalische Chemie. In dieser Zeit weilte er auch insgesamt drei Jahre lang zu wissenschaftlichen Arbeitsaufenthalten an der tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften (CSAV) in Prag. 1991-1995 arbeitete er als Projektleiter im WIP/HEP-Programm für die Neuen Bundesländer; außerdem war er ab 1992 Gesellschafter und Berater der Geschäftsführung im PROTEKUM-Umweltinstitut GmbH, Oranienburg. 1995 berief ihn die TFH Wildau zum Professor für Umweltverfahrenstechnik. 1993 übernahm er den Vorsitz des Mittelstandsverbandes Oberhavel e. V., in dem er sich besonders für den Innovationspreis des Landkreises Oberhavel sowie für die gemeinsam mit der Leibniz-Sozietät organisierten Toleranz-Seminare engagierte. Er kann auf über 120 Publikationen zu den Themen Thermodynamik und Analytik, Strömungsmechanik, Umwelttechnik und -analytik, Altlastensanierung, Abwassertechnik, Weiße Biotechnologie, Funktionale Lebensmittel, Wissenschaftsorganisation und Wirtschaftsmanagement zurückblicken.

Die These von Hippokrates ”Deine Nahrung sei dein Heilmittel – und dein Heilmittel deine Nahrung” könnte als Synonym für den Begriff von Functional Food stehen. Würden wir das heute noch so einfach sagen? Ist das bei unseren heutigen Lebensgewohnheiten überhaupt möglich? Was sagen unsere heutigen Rechtsauffassungen dazu?
In unserer heutigen Lebens- und Ernährungsweise ist ein großer Widerspruch:
– Zurück zur Natur – nur bedingt möglich;
– Lebenserwartung lag früher bei ca. 40-50% der heutigen;
– Ballaststoffmenge von 30 g/d wird nur von 20% der Europäer durch normale Nahrungsmittel erreicht;
– Essentielle Stoffe (ca. 50) werden vom Normalbürger kaum durch normale Nahrungsaufnahme gedeckt.
Aber richtig ist auch, Functional Food kann eine gesunde Ernährung nicht ersetzen!
Am Beispiel des Rotweins wird gezeigt, dass die Weiße Biotechnologie wesentlich zur Qualität und der gesundheitsfördernden Wirkung eines Lebens- oder Genussmittels beitragen kann. Worin liegt dann der Unterschied der Gewinnung der Wirkstoffe mittels der Weißen Biotechnologie und deren Einsatz in einem anderen Lebensmittel als Wein?

Prof. Dr. Wolfgang Küttler (Berlin):
Die Neuzeit als Formationsgeschichte des Kapitalismus. Historisch-Kritisches zur Marxschen Kapitalismuskritik (II)
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226

Prof. Küttler (72) ist Historiker. Er wurde 1990 zum Korrespondierenden Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V.
Von 1974 bis 1991 leitete er den Wissenschaftsbereich „Theorie und Methodologie der Geschichtswissenschaft“ am Zentralinstitut für Geschichte der AdW der DDR; bis zur Emeritierung 2001 war er Mitarbeiter am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Mehrere Bücher und zahlreiche andere Publikationen repräsentieren seine Arbeitsergebnisse auf den Gebieten Geschichtsmethodologie, Historiographiegeschichte und Wissenschaftsgeschichte.

In Abänderung des ursprünglichen Programms hielt Prof. W. Küttler einen zweiten Vortrag zu Problemen der “Formationsgeschichte der Neuzeit”, in dem er auf Diskussionsfragen antwortet, auf die in der Sitzung am 11.12.08 wegen Zeitmangels nicht mehr eingegangen werden konnte. Schwerpunktthema ist: Formwandel im Kapitalismus oder über diesen hinaus? Das Verhältnis von Formation und Transformation.
Als Hauptfragen werden behandelt: 1. das Verhältnis von Kapitalismus und Moderne; 2.Systemkontinuität und Qualität des strukturellen Wandels von Produktionsweise und Gesellschaft; 3. der Inhalt von stadialen Übergängen – gesellschaftliche Umwälzung oder systeminterner Formwandel? 4. Die neue Dimension der aktuellen Produktivkraft- und kulturellen Umwälzung. Ist eine andere Qualität des Geschichtsprozesses möglich?
Zur Vorbereitung der Diskussion wird im Anhang der Vortragstext vom 11.12. 2008 zugesandt. Für weitere Literaturhinweise wird auf das Stichwort “Kapitalismus” im Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus, Bd. 7/1, Hamburg 2008, Sp. 238-271 verwiesen.

 

12. Februar 2009

Tankred Schewe:
Flavonoide in der Ernährung. Neue Aspekte der Forschung über Flavanole Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 42; 20.03.09

Prof. Schewe (65) ist Fach-Biochemiker der Medizin und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2001. Er ist Schüler des früheren Ehrenvorsitzenden der Leibniz-Sozietät, Prof. Samuel Mitja Rapoport, mit dem er gemeinsam bedeutende Forschungsergebnisse erzielte. Nach 28-jähriger Tätigkeit als Assistent, Hochschuldozent und ordentlicher Professor am Institut für Biochemie der Humboldt-Universität (Charité) wurde er Ende 1995 „aus betrieblichen Gründen“ entlassen und war von 1998 bis 2008 drittmittelbeschäftigt – zunächst an der FU Berlin, danach von 2000 bis 2008 am Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, wo er ernährungsrelevante Fragen zur Biochemie der Flavonoide bearbeitete. Zuvor beschäftigte er sich vorrangig mit dem Eikosanoidstoffwechsel (vor allem mit den Lipoxygenasen und deren Inhibitoren). Er entdeckte unter anderem die 15-Lipoxygenase in unreifen roten Blutzellen. 1977 verlieh ihm die Biochemische Gesellschaft der DDR (jetzt Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie) den Karl-Lohmann-Preis. 1982 erhielt er den Rudolf-Virchow-Preis. Er ist Mitglied des Naturschutzbunds Deutschlands (NABU) und des Verbandes Hochschule und Wissenschaft. Seit Oktober 2008 ist Prof. Schewe im Ruhestand. Er ist Mitglied des Editorial Boards der Zeitschrift Archives of Biochemistry and Biophysics.

Polyphenole bilden einen wichtigen Bestandteil der pflanzlichen Nahrung. Ihnen werden gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben, weshalb sie den „Mikronährstoffen“ zugeordnet werden. Noch vor einem Jahrzehnt glaubte die Fachwelt, dass die biologische Wirkung der Polyphenole hauptsächlich mit ihrer Antioxidanswirkung in Verbindung stünde, d.h. mit ihrer Fähigkeit, für den Organismus schädliche freie Radikale abzufangen und dadurch unschädlich zu machen. Neuere Forschungen haben jedoch ergeben, dass diese Radikalfängerwirkung der Polyphenole – obwohl in vitro gut nachweisbar – wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle für die gesundheitsfördernde Wirkung spielt. Letztere ist vielmehr komplexerer Natur und bezieht Modulierungen von Enzymaktivitäten und der Genexpression ein.
Unter den Polyphenolen spielen die Flavonoide, und von diesen wiederum die Untergruppe der Flavanole eine besondere ernährungsphysiologische Rolle. Ein wichtiger Vertreter der Flavanole ist das (–)-Epicatechin, das unter anderem in Kakaoprodukten, Rotwein, Trauben, grünem und schwarzem Tee und Äpfeln enthalten ist.
Epidemiologische Studien zeigten eine reziproke Korrelation zwischen Flavanolaufnahme mit der Nahrung und dem Risiko für Herzkreislauferkrankungen einschließlich des Herztods. Dass dafür tatsächlich das Epicatechin zuständig ist, haben klinische Studien in Düsseldorf und anderen Orten ergeben. Die nachgewieseneVerbesserung der Funktion des Gefäßendothels konnte auf eine Erhöhung der Bioverfügbarkeit und der Bioaktivität des Stickstoffmonoxids (∙NO) zurückgeführt werden.
Diese und eine Reihe weiterer Daten geben Anlass zu einem Paradigmenwechsel in der Betrachtung der Rolle der ernährungsrelevanten Polyphenole.

Jörg Rösler:
Great Depression, New Deal und Mixed Economy. Was kann uns der historische Vergleich mit dem Krisenmanagement von damals heute sagen?
Vortrag in der Klasse Sozial und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 42; 20.03.09  

Prof. Roesler (68) ist Wirtschaftswissenschaftler und Mit¬glied der Leibniz-Sozietät seit 1996. Er studierte ab 1959 Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität, arbeitete am dortigen Institut für Wirtschaftsgeschichte und ab 1974 am von Jürgen Kuczynski gegründeten Akademieinstitut in Berlin. Er hielt Vorlesungen zur Wirtschaftsgeschichte der DDR, Deutschlands und des Auslands, forschte zur Industriegeschichte der DDR und zur Wirtschaftsgeschichte der sozialistischen Länder. Nach 1991 untersuchte er die Transformation in Ostdeutschland und in den osteuropäischen Ländern. Seine Lehrtätigkeit setzte er bis 2006 fort, u. a. an der Universität der Künste, Berlin und als Gastprofessor in Kanada und den USA.

Nachdem wirtschaftswissenschaftliche Institute bei der Voraussage der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise kläglich versagt haben, wird vielfach auf frühere Krisen Bezug genommen, um zu Aussagen über Verlauf und Dauer der gegenwärtigen zu gelangen. Bei der Auswahl scheint Beliebigkeit zu walten. Im Vortrag wird der Versuch unternommen, mit Hilfe des Instrumentariums der historischen Komparistik zu klären, warum unter den Wirtschaftskrisen des 20. Jahrhunderts die mit dem „schwarzen Donnerstag“ im Oktober 1929 an der New Yorker Börse eingeleitete Great Depression der geeignetste Vergleichsfall ist. Der asymmetrische, d. h. sich in erster Linie auf die Entwicklung in den USA zwischen 1929 und 1937 beziehende Vergleich, konzentriert sich auf das Krisenmanagement der Präsidenten Hoover und Roosevelt und die den Antikrisenmaßnahmen zugrunde liegenden wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Es wird nachgewiesen, dass es ordnungspolitisch drei Optionen für die Krisenbewältigung gab – Stabilisierung und Rückkehr zum „laissez faire“, Transformation in den Sozialismus bzw. eine Mischform – von denen die „Mixed Economy“ realisiert wurde. Die Durchsetzung der kapitalistischen Marktwirtschaft mit planwirtschaftlichen Elementen im New Deal kann formationsgeschichtlich als Versuch betrachtet werden, „mit dem Sozialismus den Kapitalismus zu retten.“
Gemessen am historischen Beispiel befinden sich heute in den USA trotz voller Ausprägung des Finanzcrashs Wirtschaftskrise und Krisenmanagement noch in ihren Anfängen. Noch schließt die gegenwärtige Krise keine der drei ordnungspolitischen Optionen aus.

 

12. März 2009

Prof. Dr. Lutz Schimansky-Geier (Berlin):
100 Jahre Langevin-Gleichung – stochastische Differentialgleichungen in Physik, Biophysik und Klimadynamik
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal

Prof. Schimansky-Geier (58) ist Physiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2008. Nach dem Studium an der Universität Jerewan arbeitete er 1974-1979 an der Universität Rostock und seit 1979 an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach der Promotion (1981) weilte er ein Jahr an der Moskauer Universität; 1992 mit einem Stipendium der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung an der Universität Augsburg. 1994 wurde er zum Universitätsprofessor für theoretische Physik (C3) am Institut für Physik der Humboldt-Universität berufen.
Seit 2008 ist er Editor von „New Journal of Physics“ und „Europhys. Journal B“, seit 1999 Sprecher des Sfb „Nichtlineare Komplexe Prozesse“ sowie Mitglied des „Center of Neurodynamics“ der UM St Louis, seit 2004 Mitglied des „Bernstein-Center of Computation Neuroscience“ Berlin. Er hat 2 Monographien und ca. 170 Originalpublikationen verfasst sowie an 8 Sammelbänden mitgewirkt.

Im Jahre 1908 hat P. Langevin zur Modellierung der Brownschen Bewegung stochastische Differentialgleichungen eingeführt. Diese sind heute ein weit verbreitetes Mittel zur Beschreibung dynamischer Prozesse in vielen Gebieten der Wissenschaften. Wenn zufällige Schwankungen bei der zeitlichen Evolution eine Rolle spielen, werden den Differentialgleichungen Zufallsterme hinzugefügt, die entsprechend einer gegebenen Vorschrift die Schwankungserscheinungen beschreiben sollen. Im Vortrag werden verschiedene Zufallsarten entsprechend ihres Wertevorrats und ihrer zeitlichen Korrelationen diskutiert. Auch wird mit Hilfe verschiedener Beispiele gezeigt, wie zeitlich deterministische Evolutionsgesetze modifiziert werden müssen und welche spezifischen mathematischen Größen und Parameter bei der stochastischen Behandlung benötigt werden. Beispiele im Vortrag betreffen das Verhalten nichtlinearer Systeme in der Mechanik, in der Klimadynamik, in der Biophysik und der Neurodynamik. In diesen dynamischen Systemen können durch Variation der Intensität der Schwankungen verschiedene Zeitskalen kontrolliert werden, was zu Phänomenen wie “Stochastische Resonanz”, “Gerichteter Transport” und zu “Rauschinduzierter Ordnung” bei Anwachsen der Fluktuationen führt.

Günter Krause:
Denkanstöße vom „amerikanischen Marx“ Thorstein B. Veblen
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal, Raum 226 Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 43; 30.06.09

Prof. Krause (65) arbeitet auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre/Politischen Ökonomie, sein spezielles Interesse gilt der Geschichte der Volkswirtschaftslehre. Nach Lehr- und Forschungstätigkeit an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/O. und am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt/M., unterbrochen durch Gastlehrtätigkeit und Forschungsaufenthalte an diversen Universitäten und Hochschulen des In- und Auslandes, ist er jetzt als freier Mitarbeiter am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung tätig. Er kann auf zahlreiche Buch- und Zeitschriftenpublikationen im nationalen und internationalen Rahmen verweisen. Jüngst trat er als Herausgeber und Autor mit den Büchern „Keynes als Alternative(r)? Argumente für eine gerechtere Wirtschaft“ (2007) und „Für eine neue Alternative. Herausforderungen einer sozialökologischen Transformation“ (2008, gemeinsam mit J. Dellheim) hervor. Mit¬glied der Leibniz-Sozietät ist er seit 2003.

Der Vortrag widmet sich dem ökonomischen Denken von Thorstein B. Veblen (1857-1929), einem bemerkenswerten US-amerikanischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Mitbegründer der Schule des Institutionalismus bzw. der evolutorischen Ökonomik und von Nobelpreisträger Paul A. Samuelson als „amerikanischer Marx“ charakterisiert.
Anlaß des Vortrages sind zum einen biographische wie theoriegeschichtliche Daten: Der 90. Todestag von Veblen in diesem Jahr sowie die 110-jährigen Jubiläen des Erscheinens seiner bedeutsamen Publikationen „Why is Economics not an Evolutionary Science?“ (1898) und „The Theory of the Leisure Class“ (1899). Zum anderen bietet speziell Veblens Antwort auf die Frage, warum die Volkswirtschaftstheorie keine evolutionäre Wissenschaft sei, eine umfassende Kritik an der klassischen und neoklassischen Ökonomie, ihrem Erkenntnisobjekt, ihren Methoden und wirtschaftspolitischen Implikationen. Waren dies natürlich zuerst ernst gemeinte Denkanstöße für die Ökonomen-Zunft seiner Zeit, so kommt ihnen doch – das ist die erste These des Vortrages – gerade angesichts der jüngsten Entwicklungen und Problemlagen um die zeitgenössische neoklassische Wirtschaftstheorie weiter reichende Bedeutung zu. Zudem – und darin besteht die zweite These – verkörpert Veblens Aufsatz die Geburt des Institutionalismus.

 

9. April 2009

Prof. Dr. Wolfgang Voigt:
Speicherung von Sonnenergie: Prinzipien, Materialien
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 45; 20.11.09

Prof. Voigt (58) ist Chemiker. Nach Studium und Promotion (1976) an der TH Leuna-Merseburg weilte er 1978-1979 als Post-doc am Mendelejew-Institut in Moskau und 1984-1985 sowie 1986-1987 als NTNF-Stipendiat an der Universität Oslo. Nach einem weiteren Forschungsaufenthalt am Moskauer Kurnakov- Institut der Akademie der Wissenschaften der UdSSR habilitierte er sich 1986 an der TU Bergakademie Freiberg zum Dr. sc. nat. Dort wurde er 1987 zum Dozenten und 1989 zum Ordentlichen Professor berufen. Er widmet sich der Thermodynamik von Salz-Wasser-Systemen sowie Salz- und Salzhydratschmelzen, der experimentellen Bestimmung und Modellierung von Löslichkeits- und Schmelzgleichgewichten, der Kristallisation von Ionenverbindungen und der Kristallchemie sowie den Reaktionen und der Wärmespeicherung in Salz- und Salzhydratschmelzen. 1992–1998 war er Associate Member of IUPAC (International Union of Pure & Applied Chemistry); seit 2000 ist er Chair of the Sub-Commitee for Solid-Liquid Phase Equlibria of IUPAC. 2002 wählte ihn die Royal Norwegian Society of Sciences and Letters zu ihrem Mitglied.

Es werden die bisher ins Auge gefassten Prinzipien der Speicherung von Sonnenenergie in Form thermischer oder elektrischer Energie ausgeführt. Ausführlicher wird auf die Speicherung von Wärme für den Bereich der Solarthermie eingegangen und dabei besonders die Entwicklungen zu Latentwärmespeichern, auch oft als Phasenwechselspeicher bezeichnet, besprochen. Im Niedertemperaturbereich haben die Salzhydrate die höchsten Speicherdichten. Eigenschaften der Salzhydrate wie inkongruentes Schmelzen, relativ schlechte Wärmeleitfähigkeit und oft extrem verzögerte Kristallisation erzwingen die Entwicklung von Kompositmaterialien mit langwierigen Eignungstests oder spezieller Speichertechniken, die bisher einen breiten Einsatz dieser Materialien verhinderte.
Als Alternative zu den photovoltaischen Kraftwerken werden in letzter Zeit wieder verstärkt Solarkraftwerke mit fokussierter Sonnenstrahlung entwickelt, wobei die projektierten Kapazitäten bereits die 100 MW-Grenze überschreiten und Salzschmelzen die Wärme vom Strahlungsfokus zur Turbine transportieren und in den Nachtstunden speichern.
Abschließend wird auf die neuen Speichermöglichkeiten mit großen Lithiumbatterien und die Rohstofflage für die Gewinnung der hierfür notwendigen Lithiumverbindungen eingegangen.

 

Dr. Detlef Nakath (Potsdam):
Zur Geschichte der deutsch-deutschen Beziehungen in der Ära Honecker 1971 bis 1989
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 43; 30.06.09

Dr. Nakath (59) ist Zeithistoriker und Mit¬glied der Leibniz-Sozietät seit 2004. Nach Promotion (1982) und Habilitation (1988) an der Humboldt-Universität Berlin wurde er dort im Februar 1989 zum Hochschuldozenten für Geschichte der DDR berufen. Hochschuldozent für deutsche Zeitgeschichte war er bis 1993. 1994 bis 2000 arbeitete er mit an zwei Forschungsprojekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am Fachbereich Asien- und Afrikawissenschaften bzw. am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität; dann war er bis 2004 wissenschaftlicher Koordinator des Projektes „Deutsche Zeitgeschichte von 1945 bis 2000. Gesellschaft – Staat – Politik.
Ein Handbuch“. 2003 bis 2006 wirkte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei „Helle Panke zur Förderung von Politik, Bildung und Kultur e.V.“ Berlin; seit September 2006 ist er Geschäftsführer der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg.
Er kann auf zahlreiche Publikationen zur deutschen Zeitgeschichte und DDR-Geschichte verweisen, darunter die Bücher „Von Hubertusstock nach Bonn“ (1995), „Countdown zur deutschen Einheit“ (1996), „Im Kreml brennt noch Licht“ (1998) und „Die Häber-Protokolle. Schlaglichter der SED-Westpolitik 1973–1985“ (1999) jeweils gemeinsam mit Gerd-Rüdiger Stephan. Er ist Herausgeber und Autor des Bandes „Deutschlandpolitiker der DDR erinnern sich“ (1995) sowie Mitherausgeber und Autor der Tagungsbände „Konflikt – Kooperation – Konfrontation“ (1998), „Abgegrenzte Weltoffenheit“ (1999) und „…sofort, unverzüglich. Der Fall der Mauer am 9. November 1989“; ebenso Mitherausgeber und Autor der Handbücher „Die SED“ (1997), „Parteien und Organisationen der DDR“ (2002) und „Deutsche Zeitgeschichte von 1945 bis 2000“ sowie Autor der wissenschaftlichen Monographie „Deutsch-deutsche Grundlagen. Zur Geschichte der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik in den Jahren von 1969 bis 1982“ (2002) und zahlreicher Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften und Artikel und Rezensionen in verschiedenen Tageszeitungen.

Seit Anfang der siebziger Jahre hatten sich die Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik trotz mancher Widersprüche und Rückschritte zunächst relativ kontinuierlich entwickelt. Die sozialliberale Koalition in Bonn mit ihrer vom „Wandel durch Annäherung“ geprägten „Neuen Ostpolitik“ einerseits und das sowjetische Streben nach dem Zustandekommen einer europäischen Sicherheitskonferenz machten dies möglich. Darin ordneten sich das Viermächteabkommen vom 3. September 1971, die deutsch-deutsche Vertragspolitik und die Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO ein. Doch der Euphorie nach dem Grundlagenvertrag und der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1975 folgte eine Phase der Ernüchterung. Diese zweite Phase der Deutschlandpolitik war geprägt von kleinen Schritten und gegenseitiger Rücksichtnahme auf die politischen Ziele der Supermächte.
Mit der „Bonner Wende“ im Herbst 1982 begann eine Phase der stärkeren Kommerzialisierung im deutsch-deutschen Verhältnis, aber auch eine stärkere Polarisierung. Die „Geraer Forderungen“ der DDR standen der BRD-Position von den „Zwei Staaten in Deutschland“ gegenüber, die auf dem Fortbestand einer einheitlichen deutschen Nation beruhte.
Der Honecker-Besuch in Bonn im September 1987 markierte den Höhepunkt der Deutschlandpolitik der DDR und war zugleich der Beginn einer Stagnationsphase in den deutsch-deutschen Beziehungen.
Der Vortrag soll die Etappen der Geschichte der deutsch-deutschen Beziehungen in den siebziger und achtziger Jahren herausarbeiten, auf kontroverse Sichten zur Thematik verweisen uns sich mit der Asymmetrie im Zugang zu den Quellen der Geschichte der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten auseinandersetzen.

 

14. Mai 2009

Peter Knoll:
Anthropogen induzierte Seismizität – ein Problem bei der industriellen Nutzung der oberen Erdkruste.
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 43; 30.06.09

Prof. Knoll (69) ist Physiker und Geophysiker. Nach Promotion (1971) und Habilitation (1982) an der TU Bergakademie Freiberg wurde er 1983 als Professor für Geophysik an das Potsdamer Zentralinstitut für Physik der Erde der Akademie der Wissenschaften der DDR berufen. Hier leistete er rd. 8 Jahre Forschungsarbeit auf den Gebieten Geophysik und Gebirgsmechanik. Mit Problemen der Bergbausicherheit befasste er sich 17 Jahre lang im Istitut für Bergbausicherheit der Obersten Bergbehörde Leipzig. 1990 gründete er die Firmen GEO-DYN GmbH, Teltow und GTU Ing.-Büro Prof. Knoll, Potsdam, deren Inhaber und Geschäftsführer er heute noch ist. Außerdem war er 2002 bis 2007 Technischer Geschäftsführer des Versatzbergwerkes GTS Grube Teutschenthal in Sachsen-Anhalt. An zahlreichen Forschungsvorhaben im In- und Ausland arbeitet er leitend mit.

Die oberste Erdkruste wird immer stärker als Bauraum, zur Rohstoffgewinnung, als Speicher- und Deponieraum oder als Verkehrsraum u.a. genutzt. Diese Nutzung ist notwendig und vernünftig und schont die Erdoberfläche. Sie wird in Zukunft weiter zunehmen.
Andererseits stellen alle Baumaßnahmen in der obersten Erdkruste einen Eingriff in das bestehende natürliche Gleichgewicht des Gebirgsverbandes dar und müssen bzgl. ihrer Konsequenzen für dieses Gleichgewicht möglichst prognostisch sorgfältig bewertet werden. In einigen Fällen kommt es jedoch in der näheren und in der ferneren Umgebung der unterirdischen Hohlräume zur Entstehung anthropogen induzierter seismischer Ereignisse, die von nur instrumentell feststellbaren geringen lokalen Erschütterungen bis hin zu mittleren bis mittelschweren Erdbeben reichen. Diesen Ereignissen liegen Bruchvorgänge in der obersten Erdkruste zu Grunde.
Im Beitrag werden die Entstehungsbedingungen derartiger induzierter seismischer Ereignisse nach dem derzeitigen Kenntnisstand insbesondere aus gebirgsmechanischer Sicht zusammengestellt, verschiedene Bruchtypen definiert und Möglichkeiten für deren Beherrschung aufgezeigt.
An zwei Beispielen der jüngsten Vergangenheit: der geothermischen Energiegewinnung im Rahmen des Deep-Heat-Mining-Project (seismische Ereignisse im Raum Basel/Schweiz, Dezember 2006) und bergbauinduzierte seismischer Ereignisse beim Steinkohlenabbau im Bergwerk Saar der RAG AG (bis 02/2008) werden diese Entstehungsbedingungen erläutert und belegt. Das Problem der anthropogen induzierten Seismizität ist jedoch noch nicht ausreichend aufgeklärt und sollte auch künftig einen Schwerpunkt der interdisziplinären geowissenschaftlichen Forschung darstellen.

 

Prof. Dr. Klaus Fuchs-Kittowski (Berlin):
Der Einfluss der Philosophie auf das Denken in der Informatik. Zu den ambivalenten Wirkungen moderner Informationstechnologien
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal, Raum 226 Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 43; 30.06.09

Prof. Fuchs-Kittowski (74) ist Informatiker und Philosoph sowie Mit¬glied der Leibniz-Sozietät seit 1999. Nach dem Studium der Philosophie in Leipzig genoss er eine Spezialausbildung in Molekularbiologie/Biochemie und mathematischen Grundlagen der Regelungstechnik sowie Wissenschafts- und Technikphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach Promotion und Habilitation wurde er Leiter des Bereichs Systemgestaltung und automatisierte Informationsverarbeitung der Sektion Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsorganisation der Humboldt-Universität. Hier wurde er zum Mitbegründer des Rechenzentrums sowie der Sektion Ökonomische Kybernetik und Operationsforschung. Er erhielt den “Rudolf-Virchow-Preis” für Forschungsleistungen in der Medizin. Die DDR vertrat er im Technischen Komitee 9 der Internationalen Föderation für Informationsverarbeitung (IFIP): Wechselbeziehungen zwischen Computer und Gesellschaft und als Chairman der Arbeitsgruppe 1: Computer und Arbeit des IFIP/TC9. Die IFIP zeichnete ihn mit dem “Silver Core” aus. Zu einer Gastprofessur weilte er an der Lomonossow-Universität in Moskau. Er arbeitete an Projekten des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg (Österreich) mit, war Assoziiertes Mitglied der John Hopkins University, Baltimore (USA), sowie Gastprofessor am Fachbereich Informatik der Universität Hamburg und am Institut für Wirtschaftsinformatik der Johannes-Kepler-Universität Linz. Zur Zeit ist er Lehrbeauftragter an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sowie Landesvorsitzender des Verbands Hochschule und Wissenschaft (VHW) Berlin im Beamtenbund/Tarifunion.

Verschiedene philosophische Schulen beeinflussen die Diskussion um Grundkategorien der Informatik, den Wechsel der Leitlinien (Paradigmen) für den Einsatz der IKT in der betrie-blichen Organisation und den Wechsel der Paradigmen der Künstlichen-Intelligenz-Forschung (KI) sowie die Diskussion um Ethik und Informatik.
Auf der Grundlage neuer technisch-technologischer Möglichkeiten und grundsätzlicher philosophischer, erkenntnistheoretisch-methodologischer Diskussionen entwickelten sich die Leitlinien für den Einsatz der IKT von der Identifizierung der Informationsverarbeitung von Automat und Mensch, zur Unterscheidung zwischen maschineller (syntaktischer) und menschlicher (semantischer) Informationsverarbeitung, zum Kooperationskonzept der Informationsverarbeitung. Wichtig für diese Entwicklung waren einmal die durch G. Frege und L. Wittgenstein eingeleitete linguistische Wende der Philosophie, die Hermeneutik (Heidegger), die Kybernetik II Ordnung (H. v. Förster), die Theorie der Autopoiese (Maturana, Varela), der durch sie begründete Radikale Konstruktivismus und insbesondere die Tätigkeitstheorie (A. N. Leontjew, W. Hacker u.a.).
In der KI-Forschung fand ebenfalls auf der Grundlage neuer technisch-technologischer Möglichkeiten und philosophisch-erkenntnistheoretischer Diskus¬sionen ein Paradigmenwechsel von der kognitivistischen zur konnektivistischen KI-Forschung und zu einer handlungsorientierten oder auch „Neuen“ KI-Forschung statt.
Die Informatisierung der Gesellschaft führt zu einer wachsenden Polarisierung der Arbeitswelt, so dass unter den gegenwärtigen Bedingungen des globalen digitalen Kapitalismus eine emanzi-patorische Gestaltung der Arbeitsprozesse sehr einge¬schränkt wird. Die Forderung nach einer nachhaltigen Informationsgesellschaft für alle, bei der auf der Basis einer wissenschaftlich begründeten, progressiven Gesell¬schaftstheorie, die auch die Arbeitswelt einschließt, die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien so in den individuellen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozess integriert werden, dass der Mensch Subjekt der Entwicklung ist und bleibt, wird damit zu einer großen fachlichen, sozialen und ethischen Herausforderung der Informatik.

 

11. Juni 2009

Prof. Dr. Jiří Drahoš (Präsident der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, Prag):
Application of time-series analysis in the hydrodynamics of multiphase chemical reactors
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal

Prof. Dr. Kurt Pätzold (Berlin):
Führer und Gefolgschaft – Die Bindungskräfte von Massen an das Naziregime 1933 -1945
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 45; 20.11.09

Prof. Pätzold (79) ist Historiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1996. Schon 1973 hatte er sich in seiner Dissertation mit „Antisemitismus und Judenverfolgung im Dritten Reich“ auseinandergesetzt – einem Gegenstand, der in der DDR bis zu Stalins Tod nicht behandelt wurde. Von der Humboldt-Universität 1992 entlassen, verfasste er zusammen mit dem Historiker Manfred Weißbecker eine Hitler-Biographie sowie das Buch „Rudolf Hess. Der Mann an Hitlers Seite“.

Die Gegner der Nazidiktatur im Inland wie im Ausland beschäftigten die Bindungskräfte, die das Regime für Millionen Menschen aller gesellschaftlichen Klassen und Schichten entwickelte, unter dem Gesichtspunkt, welche Möglichkeiten sich boten, sie zu lockern und zu schwächen. Vielen mutete das unerwartet stabile Verhältnis von Führung und Gefolgsleuten rätselhaft an. Inzwischen ist es Gegenstand jahrzehntelanger Forschungen und Thema von Kontroversen geblieben. Der Vortragende wird seinen Befund, einen gegen monokausale Sichten gerichteten und den Phasen dieser Beziehung Rechnung tragenden, zur Diskussion stellen.

 

10. September 2009

Lothar Ebner:
Weiße Biotechnologie – Herausforderung für Wirtschaft und Wissenschaft
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 45; 20.11.09  

Prof. Ebner (68) ist Chemiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2006. Nach Studium und Promotion (1967) an der Technischen Universität Magdeburg arbeitete er jeweils kurze Zeit in einem Forschungszentrum der Chemieindustrie, in einer Leiteinrichtung für Isotopen- und Strahlentechnik sowie in einem Prognose-Institut beim Ministerrat der DDR. 1972 bis 1991 war er an der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig, die letzten sieben Jahre als Leiter des Technikums, Abteilungsleiter und stellv. Bereichsleiter im Zentralinstitut für Physikalische Chemie. In dieser Zeit weilte er auch insgesamt drei Jahre lang zu wissenschaftlichen Arbeitsaufenthalten an der tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften (CSAV) in Prag. 1991-1995 arbeitete er als Projektleiter im WIP/HEP-Programm für die Neuen Bundesländer; außerdem war er ab 1992 Gesellschafter und Berater der Geschäftsführung im PROTEKUM-Umweltinstitut GmbH, Oranienburg. 1995 berief ihn die TFH Wildau zum Professor für Umweltverfahrenstechnik. 1993 übernahm er den Vorsitz des Mittelstandsverbandes Oberhavel e. V., in dem er sich besonders für den Innovationspreis des Landkreises Oberhavel sowie für die gemeinsam mit der Leibniz-Sozietät organisierten Toleranz-Seminare engagierte. Er kann auf über 120 Publikationen zu den Themen Thermodynamik und Analytik, Strömungsmechanik, Umwelttechnik und -analytik, Altlastensanierung, Abwassertechnik, Weiße Biotechnologie, Funktionale Lebensmittel, Wissenschaftsorganisation und Wirtschaftsmanagement zurückblicken.

Die Weiße Biotechnologie nutzt Mikroorganismen bzw. Zellen höherer Organismen und deren Bestandteile (Enzyme) für die industrielle Produktion. Sie ist oft nachhaltiger als klassische Verfahren. Zu ihren Vorteilen zählen:
– weniger Produktionsschritte
– geringerer Rohstoff und Materialverbrauch
– oft Nutzung nachwachsender Rohstoffe als Ausgangsstoffe (Rohstoffsituation!)
– geringerer Energiebedarf (milde Reaktionsbedingungen –T, p, pH-Wert)
– geringere Entsorgungskosten (hohe Spezifität und Selektivität der Umsetzungen)
– verminderte Schadstoffemission
– geringere Produktionskosten
Die Grundlagen der Bioprozesstechnik sind in starkem Maße allgemein bekannte Technologien und Techniken der Chemie und Biologie.
Die Weiße Biotechnologie eröffnet – vor allem über die Möglichkeit der „Biokatalyse“ – unter anderem neue Handlungsfelder bei Feinchemikalien, Vitaminen, Pharmazeutika, Pestiziden, Polymeren, Treibstoffen, Futtermittelzusatzstoffen sowie bei der Prozessoptimierung in Textil- und Papierherstellung und -verarbeitung.
Die Lebensmittelindustrie sieht ein großes Potenzial im biotechnologischen Einsatz von Enzymen, zum Beispiel bei der Zuckerproduktion. Die Markteinführung ist relativ problemlos. Denn anders als die Agro-Gentechnik kann die Weiße Biotechnologie heute mit hoher Akzeptanz rechnen.

 

Prof. Dr. Klaus Steinitz (Berlin):
Defizite der ostdeutschen Wirtschaftsentwicklung. Die Problematik der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 45; 20.11.09  

Prof. Steinitz (76) ist Ökonom, Korrespondierendes Mitglied der AdW der DDR seit 1989 und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1993. Von 1980 bis 1990 war er Stellvertretender Institutsdirektor des Zentralinstituts für Wirtschaftswissenschaften der AdW. In der ersten Hälfte der 90er Jahre war er als Mitglied des Parteivorstands der PDS und ihres Präsidiums verantwortlich für Wirtschaftspolitik und hat die AG Wirtschaftspolitik der PDS von 1990 bis 2004 geleitet. Seit 1996 im Ruhestand, ist er seit 2006 Vorsitzender des Vereins Helle Panke – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin. Letzte Publikation, gemeinsam mit Ulrich Busch und Wolfgang Kühn: Entwicklung und Schrumpfung in Ostdeutschland. Aktuelle Probleme im 20. Jahr der Einheit, Hamburg 2009, Überlegungen für einen Sozialismus im 21. Jahrhundert Vorträge Helle Panke, Berlin 2009.

Im Vortrag wird der Stand der ökonomischen Vereinigung im 20. Jahr der Einheit, insbesondere im Hinblick auf den Übergang zu einer selbst tragenden wirtschaftlichen Entwicklung und dem Erreichen gleichwertiger Lebensverhältnisse, analysiert. Für die Bewertung der zukünftigen Entwicklungschancen der neuen Bundesländer werden einerseits die gegenwärtigen strukturellen Defizite, ihre ständige Reproduktion sowie die aus der Abwanderung und der Zuspitzung der finanziellen Situation der Länder und Kommunen hinzukommenden Probleme und andererseits die möglichen Wirkungen einer veränderten Wirtschaftsstrategie und -politik sowie einer effizienteren Wirtschaftsförderung in und für Ostdeutschland charakterisiert. Des weiteren wird auf die Interessen- und Akteursproblematik und ihre Bedeutung für die weitere ökonomische Entwicklung Ostdeutschlands eingegangen.

 

8.Oktober 2009

Prof. Dr. Horst Hennig (Leipzig):
Photonen – physikalische Reagenzien in der Koordinationschemie (aus Anlass des 80. Geburtstages von Prof. Dr. Lothar Kolditz)
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal

Prof. Hennig (72) ist Chemiker. Er wurde 1988 zum Korrespondierenden Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. Er ist Ordentlicher Professor für Anorganische Chemie (i.R.) an der Universität Leipzig und Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, ausgezeichnet mit der Wilhelm-Ostwald-Medaille und dem Gustav-Hertz-Preis. Gegenwärtig wirkt er als wissenschaftlicher Berater am TGZ Bitterfeld-Wolfen sowie für die Fa. Xyntec GmbH, Wolfen. Hennig ist durch seine Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Koordinationschemie, Photochemie und Photokatalyse national und international ausgewiesen, was u.a. durch 337 wissenschaftliche Originalarbeiten, 4 Buchveröffentlichungen und mehr als 60 Patente belegt wird.

In Abhängigkeit von der Konstitution von Koordinationsverbindungen können durch Licht unterschiedliche elektronische Zustände angeregt werden, die sich hin¬sichtlich ihrer chemischen Reaktivität beträchtlich unterscheiden. Abhängig vom Anregungszustand werden Dissoziations-, Substitutions- oder Elektronenüber¬tragungsreaktionen ausgelöst, die zu äußerst reaktiven Zwischenstufen führen, die sich insbesondere dadurch auszeichnen, dass sie koordinativ ungesättigt sind und/oder ungewöhnliche Oxidationsstufen aufweisen. Damit werden neue Wege zu photo¬katalytischen Reaktionswegen erschlossen.
An ausgewählten Beispielen (Cyanometallate, Porphyrinkomplexe, makrozyklische Cobalt(III)-Komplexe, Nickel(II)-/Palladium(II)-Platin(II)-Azido-Komplexe) werden photochemische und photokatalytische Reaktionen vorgestellt und hinsichtlich ihrer praktischen Anwendbarkeit diskutiert.

 

Prof. Dr. Dietmar Linke (Berlin):
‘Perenne nil nisi solidum!’ – Wie steht es um den Wahlspruch der Festkörperchemie?
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal

Prof. Linke (69) ist Chemiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1999. Nach Studium, Promotion und Habilitation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena wurde er 1979 Dozent an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1982 Leiter der Abteilung „Keramische Werkstoffe“ am Zentralinstitut für Anorganische Chemie der AdW der DDR und 1984 Professor für anorganische Chemie. In den Jahren 1993 – 2005 war er als Hochschullehrer an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus tätig, ab 1995 als Lehrstuhlleiter für anorganische Chemie. Auch hier war sein Arbeitsschwerpunkt die Technische Keramik.
Seit vielen Jahren pflegt er das Interesse für die Chemiegeschichte; 2002 – 2009 auch als stellvertretender Vorsitzender der Fachgruppe „Geschichte der Chemie“ der Gesellschaft Deutscher Chemiker.

“Nichts ist dauerhaft, es sei denn, es ist fest?” Denkt man hierbei an die Formstabilität fester Körper, dann ist dieser Spruch natürlich trivial; schlösse er auch – wie von den alten Griechen überkommen – deren Unvermögen zur Stoffwandlung ein, dann hätten die Festkörperchemiker nichts zu forschen. Konfrontiert mit der Tatsache, dass aber schon vor Jahrtausenden komplizierte Feststoffe wie “Ägyptisch Blau” reproduzierbar hergestellt wurden, und befördert durch den Entwicklungsstand von Physik und Chemie um 1900, etablierte sich die Festkörperchemie im vergangenen Jahrhundert als Teildisziplin der Chemie. Sie nutzt chemische Denk- und Experimentiermethoden. Das schließt z. B. den ständig wechselnden Blick auf die Mikro- bzw. Makroebene der Stoffe ein, wie sie etwa verkörpert wird durch die Fehlordnung im atomaren Bereich, die Fehlstellen-Thermodynamik und den Teilchentransport zwischen den Reaktionspartnern.
Die Festkörperchemie ist für ihre weitere Entwicklung angewiesen auf die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, wie Kristallographie, Mineralogie, Physik und Materialforschung, was der Schärfung ihres Profils aber auch entgegensteht. Ihre zunehmende Einbeziehung in anwendungsorientiert ausgerichtete Projekte der Materialforschung bindet notwendige Kapazität, um den großen Rückstand in der Aufklärung von Reaktionsmechanismen – im Vergleich zur Molekülchemie in fluiden Phasen – zu verringern sowie heuristisch wertvoll gewesene Konzepte ihrer Anfangszeit zu überdenken.
Der Beitrag greift Gedankengänge eines Vortrags von Lothar Kolditz zur Festkörperchemie auf (Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Band 93, 2007) und bezieht bei den Stoffbeispielen Arbeiten von Kolditz und Mitarbeitern ein, die durch die Auflösung der Akademie-Institute 1990/91 ein unverdientes vorzeitiges Ende fanden.

Prof. Dr. Uwe-Jens Heuer (Berlin):
Glanz, Elend und Wiederauferstehung des Staatsdenkers Carl Schmitt
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 45; 20.11.09  

Prof. Heuer (82) ist Jurist und Rechtswissenschaftler. Er wurde 1979 zum Korrespondierenden Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V.
Nach Promotion (1956) und Habilitation (1964) wurde er Professsor an der Humboldt-Universität in Berlin. 1959/1960 hatte er praktische juristische Erfahrung am Staatlichen Vertragsgericht der DDR erworben. 1967 bis 1982 arbeitete er am Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung beim ZK der SED als Jurist, dann wechselte er zur Akademie der Wissenschaften der DDR, Institut für Staats- und Rechtstheorie. Sein wissenschaftliches Hauptanliegen in der DDR war die Verteidigung der Spezifik des Rechts, der Kampf gegen den verbreiteten Rechtsnihilismus und die Auseinandersetzung mit autoritären und undemokratischen Vorstellungen. 1990 in die letzte Volkskammer der DDR gewählt, gehörte er bis 1998 dem Deutschen Bundestag an.

Der Triumph der Barbarei im 1. Weltkrieg formte das Weltbild Carl Schmitts. Der Vortragende stützt sich bei seiner Analyse auf die von Schmitt selbst zum Druck gegebenen Bücher.
Zunächst versucht Schmitt, seinen Platz im rechten Spektrum der Weimarer Republik zu finden. Dazu gehört auch seine Absage an die Romantik. Er will ein moderner Konservativer sein. Seit Mitte der zwanziger Jahre konzentriert er sich auf den theoretischen Ausbau der Diktatur des Reichspräsidenten. Damit im Zusammenhang entwickelt er eine scharfe Auseinandersetzung mit dem Parlamentarismus. Es werden Analogien zwischen den Positionen Carl Schmitts und Adolf Hitlers herausgearbeitet. In seinen Arbeiten zur Politik betont Carl Schmitt die Notwendigkeit, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden und die Notwendigkeit der Bereitschaft, zu sterben und zu töten. Carl Schmitt beschäftigt sich sehr stark mit der Anwendung des Artikels 48 der Weimarer Verfassung. Die Einheit des Volkes wird nach Auffassung Carl Schmitts nicht durch das Parlament, sondern durch den Präsidenten verkörpert. Eine wesentliche Rolle spielte die Auseinandersetzung von Carl Schmitt und Hans Kelsen um den Begriff des „Hüters der Verfassung“.
1933 trat Carl Schmitt am 1. Mai in die NSDAP ein und veröffentlichte die berühmt-berüchtigten Schriften zur Ermordung von führenden SA-Funktionären und anderen missliebigen Politikern („Der Führer schützt das Recht“ und „Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist“). Die Rivalität von „Alten Kämpfern“ brachte ihn in Ungnade. Er konzentrierte sich jetzt auf das Gebiet der Außenpolitik und arbeitete eine „Großraumpolitik“ für die Nazis aus.
Nach 1945 kam er für längere Zeit in US-amerikanische Gefangenschaft. Im Gegensatz zu fast allen Naziprofessoren erhielt er seine Professur nicht zurück. Er starb unbelehrt und hasserfüllt.
In der Bundesrepublik Deutschland wurden mehrere Festschriften und größere Arbeiten von ihm wieder veröffentlicht. Seit der Wiedervereinigung gewinnt ein positives Bild von Carl Schmitt wieder die Oberhand. Ein Schüler von ihm, Prof. Otto Depenheuer, ist heute Berater von Wolfgang Schäuble.

 

12. November 2009

Götz Nowak:
Blutgerinnung und Krebs
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 46; 23.02.10  

Prof. Nowak (65) ist Pharmakologe und Hämostaseologe sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2005. Nach Studium und Approbation (1969) in Erfurt wurde er 1976 Oberarzt am Pharmakologischen Institut der Medizinischen Akademie Erfurt. 1983 habilitierte er sich, 1989 erhielt er eine Dozentur für Pharmakologie. Seit 1992 leitet er eine selbständige Arbeitsgruppe der Max-Planck-Gesellschaft an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena, wo er 1994 zum Universitätsprofessor für Pharmakologische Hämostaseologie berufen wurde. Er befasst sich vorzugsweise mit Hemmstoffen der Blutgerinnung, z.B. den Thrombininhibitoren und deren Einsatz in der Tumortherapie, sowie mit neuen diagnostischen Verfahren. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Tätigkeit wurden in über 140 Publikationen, 16 Patenten und 240 Vorträgen veröffentlicht.

Beim Zerfall von Tumorzellen und dem Einwachsen von Blutgefäßen in den rasch wachsenden Tumor wird gerinnungsauslösendes Zellmaterial in die Blutbahn aufgenommen. Die thrombogenen Stoffe sind dafür verantwortlich, dass die so genannte Tumorthrombophilie, eine erhöhte Gerinnungsneigung während der Tumorerkrankung, auftritt. Für die Übergerinnbarkeit bei Tumorerkrankungen spricht auch, dass ein großer Teil von Tumorpatienten in der fortgeschrittenen Erkrankungsphase an venösen oder arteriellen Thrombosen bzw. Lungenembolien oder anderen damit in Zusammenhang stehenden Gerinnungskrankheiten sterben.
Eine sicher noch bedeutsamere und interessantere direkte Beziehung zwischen Tumor und Blutgerinnung wurde gefunden. Die zentrale Serinproteinase der Blutgerinnung, das Thrombin, kann direkt in die Wachstums¬regulation von schnell wachsenden Geweben, speziell von Tumoren, eingreifen. Erst in jüngsten Jahren wurde eine Reihe von Thrombinrezeptoren auf Tumorzellen entdeckt, die die Bezeichnung Protease-aktivierte Rezeptoren (PAR) haben. Wir kennen vier verschiedene solcher PAR-Rezeptoren.
Es ist gelungen, in den letzten Jahren über die Biochemie, Physiologie und Pharmakologie des Tumorwachstums neue Erkenntnisse zu erlangen, die Gegenstand des Vortrags sein werden. Aus den bisherigen Erfahrungen an speziellen Tumormodellen, Modellkrankheiten und deren pharmakologischer Beeinfluss¬barkeit durch direkte Thrombininhibitoren öffnet sich ein neues, sehr interessantes Feld der Tumortherapie.

 

Wolfgang Schmitz:
Horst Kunze – Bibliothekar, Buchwissenschaftler und Bibliophile r(eine Hommage an Horst Kunze, ehemals Generaldirektor der Berliner Staatsbibliothek, zu seinem 100. Geburstag)
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 46; 23.02.10  

Prof. Schmitz (60) ist Buch- und Bibliothekswissenschaftler sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2006. Seine Arbeitsgebiete sind das gegenwärtige Bibliotheks- und Buchwesen sowie die Buchgeschichte des 15. – 17. Jahrhunderts und die Bibliotheksgeschichte.
Nach Promotion (1976) und Fachprüfung als Wissenschaftlicher Bibliothekar (1977) arbeitet er seit 1982 an der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, seit 1999 als ihr Direktor. 1990 habilitierte er sich im Fach Bibliothekswissenschaft. 1993/94 kam er als kommissarischer Geschäftsführender Direktor des Instituts für Bibliothekswissenschaft an die Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Vorsitzender des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte; Vorsitzender der Internationalen Buchwissenschaftlichen Gesellschaft sowie korrespondierendes Mitglied der historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Er gibt die Schriftenreihen „Buchwissenschaftliche Beiträge“ und „Buchwissenschaftliche Forschungen“ sowie die Zeitschriften „Bibliothek und Wissenschaft“ und „ProLibris“ heraus.

Horst Kunze war einer der bedeutendsten, international hoch angesehenen Bibliothekare der DDR. Neben einer jahrzehntelangen Leitung der Deutschen Staatsbibliothek hat er sich besonders als Vordenker des Bibliothekswesens und als Buchwissenschaftler hervorgetan. Sein umfangreiches Oeuvre geht aus vom Buch, das ihm, dem vom „Buch begeisterten Menschen“ (Kunze), Lebenselixier war. Die Mitwirkung bei der optimalen Gestaltung des Buches, seiner Gliederung, typographischen Präsentation, Illustration, Register- und Einbandgestaltung war ihm zur Erzielung eines bestmöglichen Nutzens ein wichtiges Anliegen für den bibliothekarischen Berufsstand. Von hier erklären sich seine vielen Beiträge zur Buchgeschichte, die nie nur antiquarischem Interesse, sondern vor allem einem gesellschaftlichen dienten, auch die Beschäftigung mit dem Kinder- und Jugendbuch. Seine Bibliothekslehre war über Jahrzehnte ein grundlegendes Lehrbuch in der bibliothekarischen Ausbildung im gesamten deutschen Sprachgebiet. Seine Tätigkeit ist geprägt von seiner unerschütterlichen sozialistischen Grundüberzeugung; er wollte mit der Pflege des Buches und der Bibliotheken, nicht zuletzt auch der Bibliophilie am Aufbau einer besseren Welt mitwirken. Der Vortrag würdigt sein breites Schaffen.

 

10. Dezember 2009

Prof. Dr. Martina Ziefle (Aachen):
Zur Nützlichkeit allgemeinpsychologischer Paradigmen für die Oberflächengestaltung mobiler Endgeräte
Vortragsreihe zur Thematik “Menschliche Informationsverarbeitung – interdisziplinäre Elementaranalyse und diagnostische Anwendung” – aus Anlass des 80. Geburtstages von Friedhart Klix; Dritter Vortrag dieser Reihe.
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Otto-Suhr-Saal

Aus Anlass des 80. Geburtstages von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Friedhart Klix (1927 – 2004) hat die Klasse für Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin im Jahr 2007 mit dieser Vortragsreihe begonnen. Dazu ist jährlich ein Vortrag vorgesehen.

Das wissenschaftliche Werk des Psychologen Friedhart Klix spannt einen Bogen von der Analyse elementarer Prozesse der menschlichen Informationsverarbeitung bis hin zur Untersuchung komplexer Prozesse des Sprachverstehens. Mit seinen Forschungen schuf er bleibende Brücken zwischen der Psychologie und anderen Disziplinen, insbesondere der Mathematik, Physik, Biologie und Philosophie.
Friedhart Klix war langjähriger Direktor des Instituts für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin und gehörte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1992 der Universität an. Er war Mitglied der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, der Akademia Europaea in London, der Finnischen Akademie der Wissenschaften, der Amerikanischen Akademie in New York, der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der Deutschen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Leibniz-Sozietät.
Von 1980 bis 1984 war er Präsident der Internationalen Gesellschaft für Psychologie.

Frau Prof. Ziefle erhielt nach dem Studium in Würzburg und Göttingen, der Promotion (1991) in Fribourg (Schweiz) und der Habilitation (1998) in Aachen eine Assistenzprofessur für Psychologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und 2000 an der RWTH Aachen. 2005 wurde sie ebendort zur außerplanmäßigen Professorin für Psychologie ernannt und übernahm die Leitung eines querschnittfunktionalen Forschungsprojektes zur Faszination Technik. Seit 2008 hat sie eine Professur für Communication Science am Human Technology Center (HumTec) der RWTH Aachen inne mit dem Schwerpunkt Interaktion und Kommunikation zwischen Mensch und Technik. Sie ist dort Leiterin einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, die sich mit der nutzerzentrierten Gestaltung von Zukunftstechnik befasst.
Ein spezifischer Forschungsschwerpunkt richtet sich auf den Umgang mit mobilen Technologien und ihrer Anwendung in den Bereichen Kommunikation und Medizintechnik.
Als Mitglied des Editorial Boards der internationalen Work with Computing Systems-Gruppe ist sie programmverantwortlich für die Bereiche “human factors” and “user diversity.” Außerdem ist sie Gutachterin einschlägiger internationaler Fachzeitschriften und Konferenzen sowie Mitglied des ständigen Editorial Review Boards der Zeitschrift „International Journal of Mobile Human Computer Interaction“.
In den letzten Jahren hat der Einsatz mobiler Computertechnologien unseren Arbeitsalltag und den Privatbereich vollständig erobert. Neben der Bedeutung, die das Funktionieren der Technologie an sich für die Nutzer hat, rücken Fragen der nutzerzentrierten Oberflächengestaltung mehr und mehr in den Blickpunkt des Interesses.
Gerade die Oberflächengestaltung sogenannter „small screen devices“ ist aus kognitiv ergonomischer Sicht eine besondere Herausforderung. Durch den Trend zur Miniaturisierung ist die Displayfläche, die für die Interaktion und Kommunikation mit dem Nutzer zur Verfügung steht, sehr begrenzt. Auf der einen Seite sollten auf dem Display dargestellte Objekte (z.B. Icons) groß genug sein, um schnell und fehlerfrei mit einem Eingabegerät ausgewählt werden zu können, auf der anderen Seite sollten die Objekte möglichst klein und platzsparend sein, damit möglichst viel Information auf der Displayfläche untergebracht werden kann. Beide Anforderungen sind gegenläufig. Wie aber entscheidet man, welche Oberflächengestaltung gebrauchstauglich ist?
Auf der Grundlage des Fitts’schen Gesetzes (Fitts, 1954) werden theoretische Designanforderungen für die Oberflächengestaltung mobiler Endgeräte abgeleitet, experimentell untersucht und in die Anwendung überführt. Gezeigt wird, wie sich die Effizienz der Bedienung bei unterschiedlichen Objekt- und Displaygrößen sowie unterschiedlichen Altersgruppen verändert. Die Ergebnisse belegen zum einen die Nützlichkeit allgemeinspsychologischer Paradigmen für die ingenieurpsychologische Anwendungsforschung. Zum anderen profitiert die allgemeinpsychologische Forschung in ihrer Modellierung vom Einsatz der Paradigmen in der Anwendungsforschung.

 

Bernhard Fabian:
Kulturwissenschaft – eine Wissenschaft von der Kultur?
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 46; 23.02.10  

Prof. Fabian (79) ist Philologe und Buchwissenschaftler sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2008. Nach Studium in Marburg sowie in den USA und England sowie der Habilitation (1961) widmete er sich vornehmlich der englischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts sowie den englisch-deutschen Kulturbeziehungen. Er ist Hauptherausgeber des Handbuches des historischen Buchbestände (1992-2002, 47 Bände), Rosenbach Lecturer in Bibliography an der University of Philadelphia, Panizzi Lecturer der British Library, London, Lyell Reader in Bibliography der University of Oxford), Guest Scholar am Getty Research Center, Los Angeles, Ehrendoktor der Humboldt-Universität Berlin sowie Corresponding Fellow der British Academy (London). Die Londoner Bibliographical Society würdigte sein Wirken mit einer Goldmedaille.

Mit der neuen Präsenz der kulturellen Überlieferung, die sich u.a. in der allenthalben wachsenden Zahl von Museen und Kulturzentren manifestiert, stellt sich die Frage, ob nicht das Problem einer von den Geisteswissenschaften unterscheidbaren Kulturwissenschaft neu durchdacht werden muss. Der Vortrag führt zurück auf die Diskussion des 19. Jahrhunderts, als die Kulturwissenschaft – vor Wilhelm Diltheys klassischer Einleitung in die Geistes-wissenschaften – erstmals aus einem noch nicht geisteswissenschaftlich vorgeprägten Ansatz heraus definiert worden ist. Auch aus der späteren philosophischen und soziologischen Diskussion ergibt sich ein Kulturverständnis, das zu neuen Einsichten in „die Kultur“ und in kulturell definierbare Strukturen und Prozesse führen kann.