Raumfahrthistorisches Kolloquium 2017; Bericht
Das Raumfahrthistorische Kolloquium 2017 fand am 11.11.2017 traditionsgemäß wieder in den Räumlichkeiten der Archenhold-Sternwarte in Berlin-Treptow statt. Diese Veranstaltung wird seit Jahren von der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt – Lilienthal-Oberth e. V. (DGLR), vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), von der Stiftung Planetarium Berlin und der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V. gemeinsam durchgeführt.
Die Teilnehmer des gutbesuchten Kolloquiums wurden von Herrn Dr. Felix Lühning (Archenhold-Sternwarte) begrüßt, der auch dieser Veranstaltung einen guten Verlauf wünschte. Prof. Dr. Dieter B. Herrmann (Berlin) begrüßte im Namen der Veranstalter die Referenten und die zahlreichen Gäste. Mit großer Freude informierte er dann über den aktuellen Band der Abhandlungen der Leibniz-Sozietät. Der Band 45 beinhaltet „Beiträge zur Geschichte der Raumfahrt“ und wurde von Dieter B. Herrmann und Christian Gritzner (Bonn) herausgegeben. Er enthält ausgewählte Vorträge der Raumfahrthistorischen Kolloquien 1986 – 2015. Aus dem Vorwort kann entnommen werden, dass die Raumfahrthistorischen Kolloquien seit 1980 eine wechselvolle Geschichte hatten. Insgesamt fanden ca. 25 Veranstaltungen mit fast 200 Vorträgen statt. Prof. Herrmann stellte kurz die ausgewählten 14 Beiträge des Bandes vor, deren Autoren zu den herausragenden Persönlichkeiten der Raumfahrtgeschichte zählen. Allen Freunden der Raumfahrthistorie sind die Beiträge von Fritz Gehlhar, Dieter B. Herrmann (2x), Michael Tilgner, Karlheinz Rohrwild, Hartmut E. Sänger, Felix Lühning, Karlheinz Steinmüller, Werner Wischnewsky, Frank K. Wukasch, Ernst Högenauer, Peter A. Kramer sowie Sigmund Jähn sehr empfohlen. Prof. Hermann lenkte dann die Aufmerksamkeit auf die vier Beiträge des aktuellen Kolloquiums und wünschte allen Gästen neue Erkenntnisse über die Raumfahrtgeschichte.
Herr Michael Tilgner (Hamburg) begann die Vortragsreihe mit seinen Darlegungen über Hermann Potocnik (Noordung), die mit vielen Dokumenten gestützt wurde. Er widmete sich in einem ersten Teil der Frage, ob der Österreicher Hermann Potocnik ab Mitte 1928 tatsächlich derjenige war, der als erster die geostationäre Synchronbahn entdeckte und in seinem Buch „Das Problem der Befahrung des Weltraums“ 1929 veröffentlichte. Herr Tilgner ging dabei bis auf das Jahr 1895 zurück. In diesem Jahr und später noch einmal 1920 hatte Konstantin E. Ziolkowsky in zwei utopischen Erzählungen Vorstellungen zu einer Raumstation entwickelt. Diese Erzählungen waren aber in Westeuropa nicht bekannt. Bekannt war jedoch das Buch von Hermann Oberth 1923 „Die Rakete zu den Planetenräumen“, in dem er Beobachtungsstationen vorschlug, die auf der Erde jede Kleinigkeit erkennen und Lichtsignale geben könnten. Herr Tilgner verwies dann auf Max Valier, der in Auseinandersetzung mit George Darwin (1845 – 1912) und von Hanns Hörbiger (1860 – 1931) 1924 eine Raumstation über dem Äquator mit 6,04 Erdradien über dem Meeresspiegel errichten wollte. Willy Ley übernahm diese Angabe 1926. Noordung hat wenige Wochen vor den Berechnungen von Johannes Winkler in der Zeitschrift „Die Rakete“ Mitte 1928 über die geostationäre Umlaufbahn publiziert. Soweit die Entstehung einer Theorie! Die reale Möglichkeit der Errichtung einer Raumstation sah zu Beginn des Jahres 1945 der britische Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke unter Verwendung der deutschen Kurzstreckenrakete A 4 (V 2). Im Oktober 1945 war diese Idee soweit ausgereift, dass er die Stationierung von 3 Raumstationen in etwa 50 Jahren vorschlug, die eine weltweite TV- und Funkversorgung der Erde ermöglichen sollten. Am 26.7.1963 wurde mit Syncom 2 jedoch bereits der erste funktionsfähige geostationäre Satellit gestartet. Herr Tilgner sah abschließend eine ununterbrochene Kette der Weitergabe der Idee einer geostationären Umlaufbahn von George Darwin an, die zu den heutigen Systemen der globalen Kommunikation geführt haben. – Herr Tilgner ging in einem 2. Teil seiner Ausführungen auf den Lebenslauf von Hermann Potocnik ein. Er wurde am 22.12.1892 im heutigen Kroatien geboren. Seine Schulausbildung wurde vom österreichischen Reichskriegsministerium finanziert. Anschließend war als Offizier im militärischen Eisenbahnwesen eingesetzt. Ende 1918 begann er ein Studium an der Technischen Hochschule in Wien, die er 1925 als Diplomingenieur abschloss. Ab 1923 wurde er wegen seiner Lungentuberkulose Kriegsinvalide. Seit dieser Zeit beschäftigte er sich mit der Raumfahrt und wurde 1927 Mitglied des „Vereins für Raumschiffahrt“ in Breslau. Sein populär verfasstes Buch „Das Problem der Befahrung des Weltraums“ schrieb er 1928/29 während seiner Kuraufenthalte. Er beschäftigt sich darin mit Fragen der Schwerelosigkeit aber vor allem mit dem Aufbau einer Raumstation aus 3 Modulen, das von der zeitgenössischen Presse positiv aufgenommen wurde. Kritisiert wurde das Buch aber von Willy Ley und Hermann Oberth. Hermann Potocnik verstarb am 27.8.1929.
Dr. Ralf Bülow (Berlin) ging in seinem Vortrag der Tatsache nach, dass sich bereits im 19. Jahrhundert einzelne Forscher mit der Raumfahrt unter Nutzung eines Raketenantriebs auseinandergesetzt haben. So schrieb Wilhelm Weinholz 1835 ein Buch über neue Bewegungsmittel mit dem Titel „Luftschifffahrt und Maschinenwesen“, das im Verlag Oehme und Müller Braunschweig und Leipzig erschien. Über Weinholz ist wenig bekannt, doch machte er 1825 in Heidelberg seinen Doktor in Chemie und veröffentlichte vier Werke zu verschiedenen Themen. Beim genannten Werk handelt sich um eine Dampfrakete. In seinem Buch mit 154 Paragraphen beschreibt er ab Paragraph 52 diese Rakete, deren Wirksamkeit er von der Druckhöhe des Dampfes abhängig macht. Er will damit von der Erde zum Mond und allen anderen Weltkörpern gelangen (§118). Das Buch wurde von mehreren zeitgenössischen Zeitungen rezensiert. Obwohl das Buch völlig in Vergessenheit geriet, wurden in der Neuzeit tatsächlich von Eugen Sänger Versuche mit Heißwasserantrieben vorgenommen.
Dr. Wolfgang Both (Berlin) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Erprobung der HW 2 auf dem Raketenflugplatz in Berlin-Tegel, der mit vielen interessanten Belegen aus dem Briefwechsel zwischen Johannes Winkler und Hugo A. Hückel bzw. Fotos belegt wurde. Winkler hatte bereits bei der Testung des Triebwerkes der HW 1 erkannt, dass die Werkstatt in Dessau für die Erprobung des Triebwerkes der HW 2 nicht geeignet ist. Er suchte in Dessau und Umgebung mit wenig Erfolg nach einer passenden Örtlichkeit. Zu diesem Zeitpunkt bot ihm Rudolf Nebel eine Zusammenarbeit auf dem Raketenflugplatz Berlin an. Sein Mäzen Hückel ermunterte ihn dazu in einem Brief vom 21.3.1931. Doch eine Besichtigung des Geländes machte die Dürftigkeit der Einrichtung sichtbar. Doch der Bau der HW 2 in Dessau machte weitere Fortschritte und so musste Winkler im September nach Berlin fahren, um die Bedingungen für die Übersiedlung des Teststandes für das Modell 2 zu besprechen. Die Vorstellungen von Rudolf Nebel und Johannes Winkler über den Vertragsinhalt waren aber äußerst verschieden. Trotzdem übersiedelte Winkler am 5.10.1931 nach Tegel, wo er bessere Bedingungen hatte. Doch die erste Erprobung sollte auf sich warten lassen, da erst die Werkstatt einzurichten und die Messapparatur zu bauen war. Hückel war zutiefst enttäuscht, doch Winkler vertrat den Standpunkt, dass eine Erprobung ohne Messapparatur wenig Erfolg bringen würde. Erst am 5.3.1932 führte er zur Erleichterung von Hückel den ersten Brennversuch durch, der einen Schub von 100 kg bestätigte. Am 23.3.1932 erfolgte ein weiterer Versuch, der in seinem Buchmanuskript „Der Strahlmotor“ 1947 dokumentiert ist. Nach diesem Test ließ sich Winkler im Berliner Telefonbuch als „Raketenforschungsinstitut“ eintragen. Aus dem Briefwechsel geht hervor, dass Hückel nicht nur Finanzier der Arbeiten von Winkler, sondern auch technischer Berater war (Spanndrähte, Flugstabilität). Schon im April 1932 erkannten beide, dass bei der HW 2 durch lecke Stellen ein explosives Methan-Sauerstoffgemisch unter der Außenhaut entstehen könnte. Eine Lösung wurde nicht mehr gefunden, so dass sich beim Startversuch am 8.10.1932 eine Explosion ereignete.
Herr Sigmund Jähn (Strausberg) betonte zu Beginn seines Vortrages, dass für ihn Konstantin E. Ziolkowsky, Robert Goddard und Hermann Oberth die Väter der Raumfahrt sind. Mit seinem Buch 1923 hat Oberth für viele nachfolgende Forscher grundlegende Aussagen getroffen. Seine 4 Thesen in den Vorbemerkungen im Buch 1929 hätten über Jahre ihre Richtigkeit bewiesen. Doch auch Johannes Winkler und Max Valier mit Fritz von Opel zusammen haben zur Entwicklung der Raumfahrt beigetragen. Sie alle sahen die Raumfahrt als eine große Kulturtat. Doch wurden die Ergebnisse der genannten Personen zu einer gefährlichen Waffe im dritten deutschen Reich. Die Alliierten hätten nach 1945 mit der A 4 weiter gearbeitet. Im Oktober 1947 startete in der UdSSR eine weiterentwickelte Rakete und erreichte eine Höhe von 231 km. Die USA gingen einen anderen selbständigen Weg. Die Länder des „Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe – RGW“ hätten dann im Juli 1976 die Vereinigung „Interkosmos“ gegründet und so die Teilnahme ausländischer Kosmonauten an bemannten Raumflügen vorbereitet. Die Rakete „Sojus“ war sehr erfolgreich. Nur zweimal musste eine Rettung aus startenden Raketen vorgenommen werden. Verunglückt ist kein Raumfahrer. Herr Jähn erläuterte dann an Hand von Fotos Höhepunkte der internationalen Raumfahrt, darunter auch die Landung von Sojus 29 mit ihm und Waleri Bykowski am 3.9.1978. Dank der Betreuung westdeutscher Kosmonauten nach der Wende unterhalte er bis heute gute Kontakte mit Alexander Gerst, Klaus Dietrich Flade und Thomas Reiter. Abschließend erklärte Jähn er mit einem Schmunzeln, dass er gerne noch einmal in den Weltraum fliegen würde, doch leider hätte ihn bisher keiner gefragt.
Dr. Reinhard Sagner