Nachruf für MLS Rolf Löther

Rolf Löther 2011 in Bonn auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte und Theorie der Biologie, deren Gründungsmitglied er war (Foto Michael Schmitt, Greifswald, mit freundlicher Erlaubnis).

Nekrolog auf unser Mitglied Prof. Dr. Rolf Löther

* 14. 2. 1933, 8.12.2020

Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1997

 

Die Leibniz-Sozietät trauert um ihr Mitglied, den Wissenschaftsphilosophen und Wissenschaftshistoriker Rolf Löther, der am 8.12.2020 nach schwerer Krankheit im Alter von 87 Jahren verstorben ist.

 

Rolf Löther fand Bedingungen, unter denen er seine Fähigkeiten entwickeln konnte. Sein wissenschaftlicher Werdegang hätte auch anders verlaufen können. Am 14. 2. 1933 zu Obergreißlau in Sachsen-Anhalt geboren, aus familiären Gründen in die bayrische Pfalz verzogen, hätte er, wegen fehlenden Schulgeldes, dort das Abitur nicht machen können. Die in der DDR gelegene Goethe-Schule in Roßleben war seine Bildungsstätte bis zum Abitur von 1953, dem sich ein Studium der Philosophie und Biologie bis 1958 in Leipzig anschloss. Danach war er ein Jahr Assistent am Institut für Gesellschaftswissenschaften an der MLU Halle. 1959 erfolgte an der Humboldt-Universität Berlin die Einrichtung des Lehrstuhls Philosophische Probleme der Naturwissenschaften. Das Hochschulministerium teilte den entsprechenden Einrichtungen mit, dass sich Interessenten für die neu eingerichtete Aspirantur bewerben können. So wurde Rolf Löther1959 Aspirant am Lehrstuhl und promovierte 1962 erfolgreich mit einer Dissertation zu philosophischen Fragen der Biologie. Leiter des Lehrstuhls war Prof. Dr. Hermann Ley. Nach der Promotion gehörte Rolf Löther als Oberassistent der Leitung an. Er beschäftigte sich weiter mit philosophischen Problemen der Biologie und Medizin. Ergebnisse seiner Forschungen flossen in seine Lehre und die Betreuung der Aspiranten ein. Er war publizistisch sehr aktiv. So erarbeitete er ein Fernstudienmaterial. In der von Martin Guntau und Helge Wendt im Auftrag des Lehrstuhls herausgegebenen Einführung in die Naturphilosophie „Naturforschung und Weltbild“ von 1964 schrieb er den Abschnitt „Die Dialektik des Lebendigen“. Als 1960 das 150jährige Bestehen der Humboldt-Universität und die 250jährige Existenz der Charité gefeiert wurden, fanden viele wissenschaftliche Veranstaltungen statt, in die Rolf Löther und Hermann Ley stark integriert waren. 1961 erschien in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie ihr gemeinsamer Artikel „Philosophie und Medizin“. 1966 gaben sie zwei Bände unter dem Titel „Mikrokosmos und Makrokosmos’“ zu philosophisch-theoretischen Problemen der Naturwissenschaft, Technik und Medizin heraus. Rolf Löther befasste sich darin mit „Medizin, Menschenbild und Philosophie“. 1967 erschien seine Arbeit „Medizin in der Entscheidung“, die Grundlagen für seine spätere Arbeit an der Akademie für ärztliche Fortbildung der DDR enthielt, an der er von 1968 bis 1981 lehrte und forschte. Er wurde dort, nach der Habilitation 1971 an der Humboldt-Universität, zum ordentlichen Professor berufen. Er tat viel dafür, dogmatische Haltungen zu bekämpfen, den Ärzten ein humanistisches Menschenbild zu vermitteln und ihnen zu helfen, über disziplinäre Grenzen hinauszuschauen. Ab 1981 war er dann im 1972 neu gegründeten Bereich für philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig und leitete die Arbeitsgruppe für philosophische Fragen der Medizin und Biologie.

In seinen umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten befasste er sich, auf der Basis intensiver Studien, mit der Verbindung von Philosophie und Geschichte der Medizin und Biologie und mit der philosophischen Analyse biologischer Evolutionstheorien. Ihm ging es um eine wissenschaftliche Fundierung ökologischer Forderungen sowie um eine solide und umfangreiche Forschungs-, Vortrags- und Lehrtätigkeit auf dem Gebiet der Wissenschaftsphilosophie und -geschichte. Er setzte sich stets für die multidisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Einrichtungen und Personen ein. So baute er gute Beziehungen zum Naturkundemuseum auf und kooperierte mit Günter Peters, Ilse Jahn und Burkhardt Stephan sowie vielen anderen Kollegen, die sich mit Ökologie, Geschichte der Biologie und Anthroposoziogenese befassten.

Nach der Auflösung der DDR-Akademie, des Philosophieinstituts und des Bereichs „Philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung“ wirkte Rolf Löther bis zu seiner Berentung, wie er selbst ironisch meinte, als „Privatgelehrter“ mit Vorträgen. So sprach er 1994 im workshop “Information, Interactio, Emergence: A Possible Access to the Conceptual Order of Reality” in Bielefeld zum Thema “Emergenz in der Evolution lebender Organismen”, publiziert 1998 bei Vieweg im Part II des Buches “From Simplicity to Complexity.”

Seit 1997 gehörte Rolf Löther der Leibniz-Sozietät an. An ihrem wissenschaftlichen Leben nahm er, solange es seine Gesundheit erlaubte, kontinuierlich, initiativreich und kreativ teil. Im Glückwunschschreiben zu seinem 70. Geburtstag dankte das Präsidium der Leibniz-Sozietät

„ihm für die umfangreiche Arbeit, die Du für unsere Gelehrtenvereinigung mit Vorträgen, Vorschlägen, Konzeptionen und Stellungnahmen geleistet hast. Deine Aktivitäten erweitern das Ansehen der Sozietät. Du hast die inhaltliche Gestaltung des Dresdner Kolloquiums ‚Die biotechnische Revolution‘, das im April 2003 stattfinden wird, übernommen und ein die Mitveranstalter überzeugendes Programm vorgelegt. Die mit Helmut Böhme erarbeitete Stellungnahme zur Gentechnik wird die Debatte um dieses brisante Thema weiter befruchten. Den Plenarvortrag ‚Forschungsfreiheit contra Menschenwürde’ im Juni erwarten wir mit Spannung. Es ist klar, dass Du das wissenschaftliche Leben dieser Akademie weiter befruchten wirst.“

In seiner umfangreichen Forschungs-, Lehr- und Publikationstätigkeit befasste sich Rolf Löther mit vielen historischen und aktuell brisanten Themen. So ging es ihm bei den philosophischen Problemen der Medizin um die Grundbegriffe Gesundheit und Krankheit, was ihn konzeptionell zu den Humanwissenschaften führte, die Anthropologie, Medizin und Psychologie umfassen. Gesundheit und Krankheit der Menschen lassen sich nur in der Einheit von biotischen, psychischen und sozialen Determinanten erfassen. Schon 1972 analysierte er philosophische Probleme der Taxonomie im Buch „Die Beherrschung der Mannigfaltigkeit“. Weitere Buchtitel belegen sein umfangreiches Wirken als Wissenschaftsphilosoph: „Biologie und Weltanschauung’“ von 1972 mit bundesrepublikanischer, tschechischer und finnischer Lizenzausgabe; „Das Reduktionismusproblem in der Biologie“ von 1979; „Das Werden des Lebendigen. Wie die Evolution erkannt wird.“ von 1983; „Mit der Natur in die Zukunft. Die natürlichen Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens.“ von 1985; „Wegbereiter der Genetik: Gregor Mendel und August Weismann“ von 1989 (Frankfurt a. Main 1990); „Der unvollkommene Mensch. Philosophische Anthropologie und biologische Evolutionstheorie“ von 1992. Ihm ging es stets um praktizierte Einheit von Geschichte und Systematik. Seine Arbeiten zu Mendel und Weismann, zu Paracelsus, zu Vernadskij, zur Geschichte der Abstammungslehre, die umfangreiche Mitarbeit an der „Geschichte der Biologie“, seine Stichwörter in dem von ihm mitedierten Wörterbuch „Philosophie und Naturwissenschaften“, 1997 wiedererschienen, zeigen fundiertes historisches Wissen, das Basis für systematische Betrachtungen ist.

Krankheit hat in den letzten Lebensjahren das Schaffen von Rolf Löther erst eingeschränkt und dann ganz verhindert. Er lebte als Pflegefall bis zum Ende seines Lebens in einer Einrichtung für intensiv betreutes Wohnen.

Wir behalten den stets kreativen, diskussionsfreudigen, in der Sozietät aktiven und gern auch mal mit ironischen Bemerkungen glänzenden Wissenschaftler, Kollegen und Freund in guter Erinnerung und werden sein Andenken stets in Ehren halten.

Herbert Hörz