Kurzbericht zur Sitzung des Arbeitskreises Gesellschaftsanalyse am 25. 4. 2025

Gegenstand der Buchvorstellung und Diskussion war:

Ingolfur Blühdorn: Unhaltbarkeit.  Auf dem Weg in eine andere Moderne. Berlin 2024, 384 S., edition suhrkamp 2808

Die Diskussion am 25.4., an der sich 9 Personen aus dem Arbeitskreis beteiligten, zu diesem Buch war so kontrovers wie selten. Die Meinungen reichten von großer Begeisterung bzw. Anerkennung für das Buch von Blühdorn bis zu konstatierter Enttäuschung bzw. völliger Ablehnung. Eine gewisse Übereinstimmung lag noch darin, dass eine sehr komplexe, umfassende Diagnose von Zeitproblemen versucht wurde, deren Substanz und Originalität wurden nicht weniger unterschiedlich bewertet. Die Diskussion war auch wegen der unterschiedlichen Sichtweisen ein Gewinn für alle. Das alles kann hier nicht nachgezeichnet werden. Die Hinweise sollen dazu anregen, sich diesem – zweifellos mit einer Ausstrahlung in den aktuellen Diskurs verbundenem – Buch zuzuwenden. Deshalb werden nur einige der Diskussionspunkte zusammenfassend benannt. Für deren Verdeutlichung ist auf den Text von Frank Adler zu verweisen (s.u.). Dessen Einführung in die Diskussion wird zunächst präsentiert. Diese gibt einen Überblick über die Kernpunkte der Publikation und weist auf zu Kritisierendes hin. 

Michael Thomas

 

Frank Adler: Einführung

Der Autor (Jg. 1964, Prof. für soziale Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien) ist bekannt als streitbarer und umstrittener Verfasser zahlreicher Publikationen, in denen er sich seit über zwei Jahrzehnten kritisch mit Selbstverständnissen und Zukunftsperspektiven westlich kapitalistischer Gesellschaften als (simulativ) „nachhaltig“, „demokratisch“, „sozialökologisch transformationsfähig und -willig“ auseinandersetzt.

Mit diesem Buch verfolgt er nach eigenem Bekunden eine dreifache Absicht. Er möchte – ohne Pessimismus zu verbreiten – erstens gesellschaftstheoretische Grundlagen der Umwelt- und Nachhaltigkeitssoziologie befestigen (49) – jenseits vom Sollen, Wünschen, Hoffen und Appellieren der „Wohlfühlliteratur“ (50), die das Erreichte und den „richtigen Weg“ betont. Zweitens will er zur Theorie spätmoderner Gesellschaften beitragen und das „spezifisch Spätmoderne“ erfassen, ohne in die normativen „Denkschemata“ von emanzipatorisch vs. konservativ etc. zu verfallen, die in der kritischen Theorie üblich seien (51). Das gilt drittens ebenso für eine Theorie moderner Gesellschaften nach der Spätmoderne, also für eine Theorie der „dritten Moderne“ und „der nächsten Gesellschaft jenseits des derzeitigen Interregnums“ (52).

Die im Titel angesprochene „Unhaltbarkeit“ soll im Buch als eine dreifache bearbeitet werden: (a) „Unhaltbar“ seien die etablierten Arrangements der „Gesellschaft der Nicht-Nachhaltigkeit“, (b) aber ebenso das explizit dagegen gerichtete aktivistische „ökoemanzipatorische Projekt (ÖEP)“ sowie (c) die kritische Soziologie mit ihrer Normativität (ebd.).

1.Abschied von den Illusionen einer sozialökologischen Transformation und von ausgehöhlten Basisprinzipien der westlichen Moderne – im Übergang zur „dritten Moderne“ und einer „anderen“ (kapitalistischen, nichtnachhaltigen, autokratisch-autoritäten) Gesellschaft     

Zeitdiagnose in Kurzfassung:

Die westlich kapitalistischen Gesellschaften befinden sich in einer paradoxen Konstellation (10ff.), die zugleich eine Übergangsphase in eine andere Gesellschaft und (dritte) Moderne ist. Noch bis vor kurzem schien der Glaube an die Notwendigkeit eines sozialökologischen (sö) Umbaus der kapitalistischen Industrie-, Wachstums-, Konsumgesellschaft „beinahe hegemonial“ (10); unklar blieben nur die Wege. Heute ist ein ökologischer Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft dringlicher denn je. Aber der zivilgesellschaftliche Optimismus und das Vertrauen in die gesellschaftliche Gestaltungsfähigkeit sind erheblich angeschlagen, nicht nur in der Klimabewegung. Angesichts akuter Probleme (Migration, Pandemie, Inflation, Krieg etc.) haben sich Prioritäten verschoben und anderes erscheint zunehmend wichtiger – die Sorge um den erreichten Wohlstand, die persönlichen Freiheiten in puncto Lebensstil, die internationale Konkurrenzfähigkeit. Aber genau dies scheint durch politische Interventionen einer sozialökologischen Transformation (SÖT) für Klimaschutz bedroht. Der bereits erreichte weitreichende gesellschaftliche Konsens wird wieder aufgeschnürt – Atomkraft wird als nachhaltig eingestuft, autoritäre Tendenzen und postdemokratische Regime gewinnen im „freien Westen“ an Boden…

Kurz: Das Zeitfenster für eine SÖT ist geschlossen (46). Spätmoderne Gesellschaften arrangieren sich mit der ökologischen Katastrophe, richten sich in den „öko-sozialen Ruinen des Kapitalismus“ ein und nehmen Abschied von der „Utopie der sozialökologischen Transformation der Gesellschaft“ (16). Die dafür beanspruchten Imperative (umfassender Klimaschutz, universell gültige Menschenrechte Demokratisierung der Demokratie, gutes Leben für alle) werden nunmehr offen in Frage gestellt, weil sie vorherrschend gewordene Verständnisse von Freiheit, Wohlstand, internationaler Wettbewerbsfähigkeit gefährden (17). Damit sind zwar ökologische und andere Krisen nicht aus der Welt. Sie werden aber jetzt gänzlich anders gerahmt, verhandelt und repolitisiert. Es geht nicht mehr um die Transformation der gesellschaftlichen Ordnung, sondern um Spielräume zur individuellen Selbstverwirklichung innerhalb dieser Ordnung und individuelle Selbstbestimmung wird prioritär gegenüber der Autonomie des kollektiven Subjekts (251).

Diese Situation interpretiert Blühdorn als „Unhaltbarkeit“, als Gleichzeitigkeit der tiefen Krise der westlichen Gesellschaften und des auf ihre radikale Transformation gerichteten „ökoemanzipatorischen Projekts“ (17).  Seine zentrale These: Das ÖEP scheitert nicht einfach an den Widerständen des kapitalistischen Systems. Es zerbricht maßgeblich an seiner eigenen Logik und inneren Widersprüchlichkeit (17). In deren Vollzug höhlt es unintendiert seine eigenen Grundlagen und die Basisprinzipien der europäischen Moderne aus (255).

Das sei zwar traumatisch für jene, die im Geiste der Neuen Sozialen Bewegungen und des ÖEP sozialisiert wurden. Doch der Untergang ihrer Welt ist nicht der von manchen prophezeite ökoapokalyptische Untergang der Menschheit. Er eröffne die Perspektive auf eine neue Moderne, eine „nächste Gesellschaft“. Diese wird sehr wahrscheinlich kapitalistisch, weder ökologisch nachhaltig noch demokratisch sein und die Agenda in der dritten Moderne wird dominiert durch Schließung, Kontrolle, Ungleichheit, Exklusionen (248). Aber das sei keine Katastrophe. Denn mit den ausgehöhlten Basisprinzipien der Moderne verblassen auch jene Wertmaßstäbe, die uns angesichts solcher Aussichten Schrecken bereiten könnten.

Einige Eckpunkte der Argumentation von Blühdorn:

Zunächst das ÖEP. Entstanden sei es in den westlichen „postindustriellen“ Gesellschaften, wo seit den 1970er Jahren Denkweisen dominant wurden, die umweltpolitische Themen und gesellschaftliche Naturbeziehungen aus der Perspektive emanzipatorischer Werte wie Freiheit, Gleichheit, Würde, Selbstbestimmung, Vernunft, universelle Menschenrechte betrachteten bzw. „rahmten“. Sie sahen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Ausbeutung der Natur und der Unterdrückung von Menschen. So bildete sich im Zuge des „gesellschaftlichen Aufbruchs“ seit Anfang der 1970er Jahre eine ökologische Erneuerung und Korrektur des emanzipatorischen Projekts heraus, das in der Aufklärung seinen bürgerlich-liberalen Ursprung hatte und das normative Fundament der westlichen Moderne ist – Freiheit, Gleichheit, Vernunft, demokratische Selbstbestimmung, Verantwortlichkeit mündiger Bürger (22). Mit dem Wertewandel wurden diese Inhalte über die Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) hinaus hegemonial und für das ÖEP konstitutiv; ebenso der Glaube an die Notwenigkeit und Fähigkeit, Gesellschaft und ihre Beziehung zu Natur zu gestalten. Getragen wurde das ÖEP von emanzipatorischen Bewegungen und NGOs, von grünen Parteien, kritischen Wissenschaftlern, sozialökologisch orientierten Unternehmen etc. sie zielten auf eine demokratisch verhandelte SÖT.

Aber entgegen den Intentionen, Diagnosen und Hoffnungen der Protagonist*innen des ÖEP und der SÖT ist nicht die „zerstörerische Ordnung des Wachstums, der Verschwendung, der Ausbeutung und der Ungleichheit“ (26) zerfallen, sondern die „ökoemanzipatorische Rahmung“ klima- und nachhaltigkeitspolitischer Themen, die organische Verbindung von ökologischen und emanzipatorischen Werten als Kern des ÖEP.

Als wichtige Ursachen für diesen Mangel an Transformationswilligkeit und  -fähigkeit (73 ff.) sieht er auch Effekte des jahrzehntelangen Siegeszugs des Neoliberalismus: die dadurch geprägten Verständnisse von Freiheit und Selbstverwirklichung lassen politische Regulierungen – zumal Konsum beschränkende – als inakzeptable Einmischung in die Privatsphäre erscheinen; die großen Ungleichheiten verhindern ökologisch „ehrliche“ Preise; der von Klimaaktivisten geforderte starke Staat wurde durch das neoliberale Dogma „individueller Selbstverantwortung“ nachhaltig geschwächt. Gewisse Spielräume für eine Ökologisierung gäbe es zwar, wie etwa die „Dekarbonisierungsindustrie“ (78) – jedoch keine für ein Aussetzen der Logik von Wachstum und Wettbewerb, damit für absolute Begrenzungen und Reduktionen, die aber für eine SÖT zu Nachhaltigkeit unverzichtbar seien. Sein „kulturalistischer“ Fokus liegt jedoch auf der These vom Zerbrechen des ÖEP an seiner inneren Widersprüchlichkeit und dessen nichtintendierte Nebenwirkung – die Aushöhlung der Basisprinzipien der westlichen Moderne. Die These entfaltet er in mehreren analytischen Schritten.

Zunächst konfrontiert Blühdorn fünf – im nachhaltigkeitsoptimistischen Spektrum gängige – Krisendiagnosen und Transformationshoffnungen, die nach der Weltwirtschaftskrise 2008/9ff Diskurse und Politiken der 2010er Jahre prägten, mit den – aus seiner Sicht – tatsächlichen „großen Transformationen“. Sie alle liefen den ÖEP- und SÖT- Intentionen zuwider.

Die Bilanz für die in dieser Zeit verstärkte Kapitalismuskritik: Selbst wenn der Kapitalismus nach N. Fraser seine eigenen ökologischen, sozialen, politischen Grundlagen zerstöre, so folge daraus keineswegs notwendig sein Zusammenbruch (110). Es bedeute lediglich, dass er bestimmten Erwartungen nicht mehr entspreche. Er durchläuft keine Legitimationskrise, nur eine weitere Anpassungskrise, die aber nicht den Kapitalismus selbst beträfe, sondern die Normen, die ihn als krisenhaft kennzeichnen und die den Vorstellungen einer postkapitalistischen Gesellschaft zugrunde liegen (112). Als unhaltbar erweise sich nicht der Kapitalismus, sondern die normative Erzählung von dessen Krisenhaftigkeit, gleichfalls die von einer befreiten postkapitalistischen Gesellschaft (159).

In ähnlicher Weise lehnt Blühdorn die umweltpolitische Vorstellung ab, dass sich aus dem Erreichen oder Überschreiten planetarer Grenzen Imperative für grundlegende gesellschaftliche Transformationen ableiten ließen. Denn: Naturwissenschaftlich bestimmbare Grenzen haben immer einen sozialen normativen Kern. Wie und in welcher Welt wir leben wollen, ist nicht normativ vorentschieden, sondern radikal offen, verhandelbar und gestaltbar (120). Auch wenn wir in einer „unsafen“ Welt nicht leben wollten, so hieße das nicht, dass wir es nicht könnten. Die Maßstäbe der Beurteilung sind flexibel, die „Haltbarkeit des Nicht-Nachhaltigen“ sei eine Frage von Anpassung und Resilienz (118). Das Überschreiten planetarer Grenzen im Anthropozän bedeute deshalb nicht den Untergang der Menschheit, sondern „nur“ den Zerfall der Weltsicht, auf denen bisherige Diagnosen der ökologischen Krise und der Chancen einer SÖT beruhten.

In Bezug auf die Krise der Demokratie und die autokratische Wende (125) fragt Blühdorn, ob die Verteidigung der liberalen Demokratie unter spätmodernen Bedingungen nicht nur aussichtslos, sondern auch normativ gar nicht wünschenswert sei. Denn Ansprüche auf demokratische Selbstbestimmung würden Bürger zunehmend als belastend empfinden und sie bereitwillig aufgeben (135). Es gäbe eine „Sehnsucht nach technokratischer Entpolitisierung“ (Staab 2022) und autokratisch-autoritäre Governanceformen würden akzeptiert und sogar gefordert (136). Ohnehin sei es fraglich, ob eine „Demokratisierung der Demokratie“ zu mehr Gleichheit, Ökologie oder Menschenrechten führe (134). Die postdemokratische Wende sei deshalb nicht per se ein Rückfall, sondern alternative Verfahren des Entscheidens und Regierens (auch KI-gestützte) würden in der Spätmoderne zunehmend als überlegen, u.a. als „effizienter“ wahrgenommen (160).

In technologischer Hinsicht sei die große Transformation spätmoderner Gesellschaften die digitale Revolution (136). Sie radikalisiere, was sich als Individualisierung und Singularisierung moderner Gesellschaften abgezeichnet habe, nämlich den Zerfall einer geteilten gesellschaftlichen Wirklichkeit (137) und des öffentlichen Raums, die Erfassung von Daten in allen Lebensbereichen und deren Verarbeitung in Algorithmen, die die unfreiwilligen Datenspender nicht verstehen und deren Verwendung sie nicht kontrollieren (139). Das könne man aus ökoemanzipatorischer Sicht als entfremdend empfinden. Aber nirgends werde gefordert, die Digitalisierung auszusetzen. Das sei nicht verwunderlich, weil vorherrschende Vorstellungen von einem selbstbestimmten Leben bereits auf Errungenschaften der digitalen Revolution aufbauen. Digitale Technik wird als Gewinn bei der Bewältigung lebensweltlicher Komplexität und ihrer Optionenvielfalt wahrgenommen, als Infrastruktur des guten Lebens – auch mit Blick auf Demokratie und Verwaltung. Der Verlust des autonomen Subjekts als „modernistische Zentralnorm“ werde durch KI und Digitalisierung vollendet (150).

Chinas Aufstieg zur globalen Führungsmacht gilt B. als die fünfte große Transformation (152). Das insbesondere von den USA lancierte Narrativ vom Verlust der Führungsrolle der sog. freien Welt und vom neuen Systemwettbewerb sei ein „ideologisches Mobilisierungs- und Verteidigungsnarrativ“ (154). Die Bedrohung von Freiheit, Demokratie und anderen sog. westlichen Werten werde nach außen verlagert und in einem Gegner gebündelt. Aber schon heute würden die als universell gültig deklarierten Grundwerte aufgegeben – nicht unter externem Zwang auf, sondern „aus freier Entscheidung und im Namen der Sicherung und Verteidigung“ des eigenen Wohlstandes (156).

Gemeinsamer Kern dieser fünf Krisen sei die Verletzung der „Zentralnorm der europäisch-westlichen Moderne“, der Idee des „autonomen Subjekts“ (159). Transformationsforderungen zielten auf die Verteidigung oder Wiederherstellung dieser Norm. Aber in deren Vollzug zerfalle das Wertsystem, die Basisprinzipien der westlichen Moderne, nicht der Kapitalismus. Gegenbewegungen im Geiste des ÖEP entfalten immer weniger Kraft (161). Die faktischen großen Transformationen verlaufen naturwüchsig. „Modernistische Vorstellungen von intentionaler und gesteuerter Trafo“ seien anachronistisch geworden (163), gleichfalls die Ideale und Hoffnungen, die sich mit der „Großen Transformation“ (Polanyi, WSBGU 2011) der Diskurse seit den 2010er Jahren verbanden. Das ÖEP sei sein (eigener) Totengräber und Hebamme der Dritten Moderne.

Blühdorn fragt, wie konnte es dazu kommen, dass das ÖEP eine Gesellschaft befördert, die den eigenen Werten radikal widerspricht (254) und dass statt des ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft eine illiberale und exklusive Gesellschaft der Singularisierung entstanden ist (253). Seine Antwort: Dabei sind der Widerstand kapitalistischer Akteure und Strukturen durchaus wichtig. Entscheidend sei aber die innere Widersprüchlichkeit des ÖEP selbst und seiner Komponenten – ökologische Nachhaltigkeit, Emanzipation, Demokratisierung. Vor allem der Widerspruch zwischen den ent- und begrenzenden Werten, Dynamiken unterminiere die ÖEP-Intentionen. Werthaltige Begriffe (besser vielleicht: Worthülsen – FA) wie Ökologisierung, Nachhaltigkeit, Demokratie, Emanzipation blieben zwar weiterhin zentral, aber ihr Inhalt ändere sich fundamental – Basisprinzipien werden zu „leeren Signifikanten“ im Sinne von Laclau.

Diese „Dialektik“ demonstriert er zunächst in Bezug auf „ökologische Nachhaltigkeit“. Wieso konnten die Akteure des ÖEP mit ihrer Agenda einer kollektiven Selbstbegrenzung im Namen eines guten Lebens für alle der kapitalistischen Expansions- und Wettbewerbslogik so wenig entgegensetzen? Dafür sieht er u.a. zwei Gründe: Das Projekt der Ökologisierung der Industriegesellschaft hatte nie eine belastbare normative Grundlage; im Unterscheid etwa zu älteren Naturschutzbewegungen, die sich auf „Heimat“ oder ästhetisch-romantische Motive bezogen. Die ökologische Bewegung hingegen war durch neue Verständnisse von Autonomie und Gegenbilder der Gesellschaft (263) angetrieben.  Aber ein Schutz der Unversehrtheit der Natur unter dem Vorzeichen der Autonomie des Selbst sei ein Widerspruch in sich. Während ersteres Begrenzung und Unterordnung des Subjekts erfordere, impliziere das Zweite Beherrschung der Natur (264). Und eine Frontstellung gegen Kapitalismus entsprach ohnehin nicht den Selbstverwirklichungsinteressen einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit. Das Nachhaltigkeitsparadigma sei gerade auch deshalb so breit anschlussfähig, weil es Ökologisierung und die Weiterführung bekannter Logiken der Modernisierung versprach, ohne Abschied vom Kapitalismus (268). Nachhaltigkeit blieb inhaltlich völlig offen (270), es ging nie um strukturelle Transformation. Dieses zugkräftige Leitbild entpolitisierte die Debatte, bewirkte das Gegenteil der versprochenen SÖT, indem es einen Wertewandel begünstigte, der eine SÖT behinderte (280).  Der Widerspruch zwischen der emanzipatorischen und der ökologisch begrenzend-unterordnenden Dimension des ÖEP sei nicht auflösbar, auch nicht durch die ökologische Vernunft des mündigen Subjekts (279).

Analog die „Dialektik der Emanzipation“. Die innere Widersprüchlichkeit des Emanzipationsprojekts zwischen seiner entgrenzenden und begrenzenden Dimension, zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung trage dazu bei, dass Selbstverwirklichung ins Illiberale, Autoritäre, Exklusive umkippe (282). Autonomie werde durch den Geist „eines progressiven Neoliberalismus“ (N. Fraser) mit Selbstoptimierung und Vermarktlichung zusammengeschlossen, ziele auf Einzigartigkeit und Exklusivität, ist stark gegenwartsfixiert und von der Konsumgüter- und Erlebnisindustrie abhängig (297). Freiheit und Selbstbestimmung zielen immer weniger auf eine radikal andere zukünftige Gesellschaft, vielmehr auf Selbstbestimmung innerhalb der bestehenden Ordnung (306).

In ähnlicher Weise habe auch die „Demokratisierung der Demokratie“ ihr Gegenteil befördert, nämlich eine autokratisch-autoritäre Wende (309). Die Aushöhlung des Repräsentationsprinzips und die Ausweitung von Partizipation und anderer Formen ökoemanzipatorischer Kritik an der liberalen Demokratie gingen davon aus, dass die gesellschaftliche Basis ökologisch vernünftig, moralisch gerecht und verantwortlich handeln würde (318). Das habe sich als falsch erwiesen. Demokratische Entscheidungen würden zunehmend als Einmischung in private Angelegenheiten empfunden (320), sozialökologisch erforderliche Wohlstands- und Einkommenseinbußen gelten als unzumutbar.  Demokratische Rechte werden freiwillig delegiert an KI, Experten etc.

Ausblicke. All das führe nicht in die Katastrophe, sondern die faktischen Transformationen tragen die Spätmoderne in eine neue („dritte“) Moderne, die die unerfüllten Ideale der Aufklärung hinter sich lasse (165). Zusammen mit den alten Versprechen einer wünschenswerten Transformation würden auch die „hergebrachten Vorstellungen einer zu vermeidenden Dystopie unhaltbar“. Die aus der Perspektive der „subjektzentrierten Moderne“ dystopisch erscheinende Zukunft verliert ihren Schrecken. Was bleibt sind nur „Übergangsbeschwerden“ und Trauerarbeit zur Verabschiedung des „autonomen Subjekts“. Resilienz sei eine wichtige Antwort auf Trauma der Spätmoderne, in der es nicht mehr um Transformation der Realität geht, sondern um „Optimierung der Resilienz“ (353) im Sinne erhöhter Abfederungs- und Absorptionskapazität gegenüber externen Schocks – gesellschaftlich und individuell; Problembewältigung nicht durch Veränderung der Verhältnisse, sondern durch Desensiblisierung der subjektiven Wahrnehmung (354).

Sein Versuch, diese „ganz große Transformation“ zu erfassen, bedeute keineswegs, sie normativ gutzuheißen oder gar die Aufgabe westlicher Werte zu propagieren (166). Ihm gehe es nur darum, die Aussichtslosigkeit der geforderten Transformationen und die Alternativlosigkeit der herrschenden Normalität zu verstehen (167). Diese werde um jeden Preis verteidigt, was aber mit der Aufgabe der Werte bezahlt werde, die dem ÖEP und der westlichen Moderne zugrunde liegen. Als dessen Nebenwirkung werde die Entfaltung der „nächsten Gesellschaft“ beschleunigt, die sehr wahrscheinlich kapitalistisch, nicht-nachhaltig, autokratisch-autoritär sein werde. Aber das ist nicht schrecklich. Denn gelichzeitig lösen sich auch die alten Wertmaßstäbe auf, die uns dies als Schrecken hätten erscheinen lassen.

Die kritische Nachhaltigkeitssoziologie sollte sich von ihrem engen normativen Horizont der SÖT lösen und sich der nächsten Gesellschaft zuwenden, die sich längst entfalte (44f.). „Hoffnungserzählungen“ der transformativen Nachhaltigkeitsliteratur (Schneidewind, Göpel etc.) spenden zwar Trost, ebenso die „Simulationsdiskurse“ (362) der politischen Bildung, verlängerten aber Nicht-Nachhaltigkeit.

  1. Einige kritische Anmerkungen, (dazu dann die Diskussionspunkte):

Die Lektüre des Buches hinterlässt bei mir einen zwiespältigen, überwiegend kritischen Eindruck. Manches scheint mir recht plausibel (wenngleich nicht überraschend) wie etwa Aspekte seiner Zustandsbeschreibung, die eher randständigen Verweise auf strukturelle Hemmnisse für SÖT oder seine Kritik an Vorstellungen einer SÖT, die sich als illusionär herausgestellt haben etc. Originell und treffend seine ideologiekritische Analyse des „Feindbildes China“, die legitimatorische Funktionen dieses „Systemwettbewerbs“ (155) erhellen.

Einiges ist m.E. überzeichnet. Das betrifft etwa den „beinahe hegemonialen“ Glauben an die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Umbaus im Sinne einer SÖT oder der unterstellte „scheinbare Konsens“ für einen grundlegenden Strukturwandel (10). Hegemonial oder gar konsensual war höchstens die Akzeptanz einer (dekarbonisierenden) ökologischen Modernisierung durch technologischen Wandel, eines einigermaßen sozial abgefederten Umbaus entsprechender Branchen im Rahmen fortgesetzter Wachstums- und Wettbewerbsfixierung. Fraglich ist auch, ob das ÖEP mit dem von ihm beschriebenen weitreichenden, wachstumskritischen Zielen auch von Grünen Parteien mitgetragen wird (24).

Aufgefallen ist mir ein undifferenzierter Umgang mit „Nachhaltigkeit“, ÖEP, SÖT etc., der die enorme inhaltliche Bandbreite der unter diesen Etiketten firmierenden Ansätze und Politiken ignoriert. Seine Darstellung von SÖT, ÖEP, Nachhaltigkeit ist nicht frei von pauschal verallgemeinernden Zuschreibungen, die nur für Teile des jeweiligen Spektrums zutreffen, was ihm aber seine generalisierende Kritik erleichtert. So sind etwa katastrophisch-ökoapokalyptische Untergangsszenarien der Menschheit gerade für die im Fokus seiner Kritik stehenden gesellschaftskritischen Strömungen untypisch, eher marginal. Hier geht es nicht primär um das physische Überleben der Menschheit (obwohl auch das bedroht ist), sondern um die Gefährdung der sog. zivilisatorischen Errungenschaften durch ökosoziale Krisen und Katastrophen, vor allem um ökosoziale Gerechtigkeit (z.B. nach dem Verursacherprinzip) bei der Verteilung der Lasten und Kosten des sö Umbaus (ein Grundsatz der von der Ampel-Koalition, aber auch von Teilender Klimabewegung nicht realisiert wurde, was Spuren hinterlassen hat).

Deshalb klingt auch der pauschal aufgemachte Gegensatz zwischen ÖEP- und SÖT-Zielen bzw. Strategien und Konsumansprüchen etc. klischeehaft. Gerade auch in wachstumskritischen Konzepten und Vorschlägen für eine sozialökologische Reduktion des Naturverbrauchs steht nicht pauschal die massive Minderung von Konsum (74), im Vordergrund, eher Fragen nach bedürfnisgerechter Produktion und Versorgung. Und wenn Konsum problematisiert wird, dann hauptsächlich: wessen Konsum, welche Art von Konsum, welche Vorteile haben Reduktionen, welche veränderbaren Bedingungen erzeugen konsumtive Wünsche, Modi ihrer Befriedigung etc. Dafür wurden u.a. suffizienzpolitische Strategien und Konzepte für wesentliche Lebensbereiche entwickelt und experimentell erprobt, die sö Reduktionen mit verbesserter Lebensqualität für Mehrheiten verbinden und deren Einstieg starten könnte, ohne den Kapitalismus umzukrempeln.

Dennoch sind auch solche Initiativen in ihrer Resonanz- und Mobilisierungsfähigkeit begrenzt. Sie können auch bei relevanten Teilen der Bevölkerung, die davon Vorteile hätten, auf Vorbehalte, Misstrauen stoßen, als Angriff auf ihre Gewohnheiten und Lebensstile wahrgenommen werden. Das ist ein sozialer Fakt, der erklärungsbedürftig ist und für den es auch komplexe Erklärungen gibt. Aber er ist kein Argument für das definitive Scheitern und die Aussichtslosigkeit gezielter Veränderung, erst recht nicht gegen eine experimentell tastende sozial gerechte Transformationspolitik, die ja ohnehin bislang kaum praktiziert wurde. Auch der von B. betonte freiwillige Verzicht auf demokratische Beteiligung, der Ruf in manchen Gruppen nach „effizienter Expertenherrschaft“ etc. wurzelt in technokratisch-meritokratisch anmutenden Gesellschaftsbildern, in denen Erfahrungen verdichtet sind, deren Bedingungen nicht unveränderlich sind.

Nicht überzeugt hat mich der Inhalt, vor allem die Begründung einer seiner zentralen Botschaften: ÖEP und SÖT seien an ihren eigenen Widersprüchen gescheitert und haben über ihre nichtintendierten Nebenfolgen maßgeblich beigetragen, die Basisprinzipien der westlichen Moderne zu untergraben. Sie seien damit ungewollt „Komplizen“ der o.g. tatsächlichen Transformationen, also Totengräber der jetzigen Spätmoderne und Geburtshelfer der kommenden (kapitalistischen, nicht-nachhaltigen…) Gesellschaft. Seine Argumentation (soweit ich sie verstanden habe): Der Ausgangspunkt sind Ziel/Wert-Widersprüche des ÖEP. Diese werden als einander ausschließende, nicht gestalt- und vermittelbare Gegensätze dargestellt. Die Wahrnehmung, Bewertung Interpretation (in der Bevölkerung? im öffentlichen Diskurs?) eines der jeweiligen Pole verändert sich in der Spätmoderne so, dass ein Übergewicht zugunsten jenes Pols entsteht, welcher ein Verhalten begünstigt, das den ursprünglichen ÖEP- Intentionen zuwiderläuft bzw. sö Transformationen behindert. In der Summe bewirkt das den Zerfall des Wertesystems der europäisch-westlichen Moderne und ebnet damit den Weg zum o.g. faktischen Wandel. Normen und Gegenbewegungen verlieren an Kraft (136). „Bemühungen um mehr Ökologisierung, mehr Selbstbestimmung und mehr Demokratie bewirken stabilisierte Nicht-Nachhaltigkeit“ (S.330).

Spitzfindigerweise könnte man dieser Argumentation Idealismus vorwerfen – Uminterpretationen bewirken (im Bunde mit marginalen sozialen Bewegungen) epochalen Wandel. Der rationelle – materialistisch interpretierte – Kern aus meiner Sicht: die Uminterpretationen, veränderten kulturellen Kräfteverhältnisse sind Ausdrucksformen vermarktlichender „Singularisierungen“ (A. Reckwitz) oder eines „progressiven Neoliberalismus“ (N. Fraser) als Folge von Jahrzehnten des Neoliberalismus. B. bezieht sich auch punktuell auf solche Erklärungen, die m.E.  überzeugender sind als seine. Eine offene Frage ist natürlich, inwieweit sich ein permanent modernisierend anpassender Kapitalismus „umdeutend“ in das kulturelle Wertefundament der Moderne (das ja ohnehin nicht so unschuldig ist – s.  Steigerungslogik, Naturbeherrschung) hineinfressen kann, dass damit bestimmte progressive Mobilisierungspotentiale dauerhaft obsolet werden können.

Das Buch liest sich in manchen Passagen als fundamentale Kritik an zentralen Prämissen und Thesen (kapitalismus)kritischer transformativ orientierter sozialökologischer Forschungen, Konzepte, Bewegungen.  Die vorgetragenen Verallgemeinerungen und Argumente waren mir nicht immer zugänglich und schienen oft unzureichend empirisch-analytisch oder durch Textverweise gestützt. Dennoch könnte die Auseinandersetzung mit seinem provokanten Text auch selbstkritische Debatten im angesprochenen Spektrum anregen, um die Problematik der Transformation und Transformierbarkeit moderner komplexer kapitalistischer Gesellschaften unter den sich akut verändernden Bedingungen, die Ursachen aktueller „Flauten“, von Hemmnissen und Rückschlägen sowie neue Bedingungen und Chancen progressiver Mobilisierung tiefer auszuloten.

  1. Wie könnte Blühdorns Werk im aktuellen zeitdiagnostischen Diskurs verortet werden?

An anderer Stelle habe ich eine Strömung in der zeitdiagnostischen Debatte identifiziert, die aus der jüngsten gesellschaftlichen, (geo)politischen und „zeitgeistigen“ Entwicklung nach Corona etc. transformationsskeptische Schlüsse ableitet. Erwartungen an Möglichkeiten und Ziele progressiver gesellschaftlicher Zukunftsgestaltung werden relativiert und kritischer beurteilt. Plädiert wird für „bescheidenere“ Zielhorizonte – Anpassung, Selbsterhalt und vor allem Resilienz, für den Abschied von (bestimmten) Fortschrittserwartungen, für einen angemessenen Umgang mit Verlusten etc. Vermutlich standen die Autoren dieser Strömung den in den 2010er Jahren diskursiv stark präsenten kapitalismuskritischen Ansätzen von SÖT, Postwachstum oder „starker Nachhaltigkeit“  nicht sonderlich nahe und sie sehen sich nunmehr in ihren Konzepten bestätigt und ermutigt, das „Kräfteverhältnis“ im akademischen oder öffentlichen Diskurs entsprechend zu korrigieren (ausführlicher zu dieser Strömung s. https://www.soziopolis.de/abschied-von-fortschritt-und-transformation.html) .

Hier würde ich auch das besprochene Werk von I. Blühdorn einordnen. Er stand schon immer kritisch Ansprüchen auf „verbessernde“ gezielte Gesellschaftsveränderung gegenüber und zeigt sich nun besonders angriffslustig, auch mit einer zuweilen apodiktisch radikalisierten Terminologie – „zerplatzte Illusionen“ (79), Legende vom ökologischen und demokratischen Fortschritt (210), geschlossene Zeitfenster (46), anachronistisch … Sein Abschied ist ja auch inhaltlich besonders radikal – denn was bleibt von der Moderne (wie wir sie bisher kannten), wenn ihre Basisprinzipien ausgehöhlt sind?

Eine Crux hat diese „Bescheidenheit“. Offen bleibt, wie die o.g. scheinbar realistischeren Ziele, wie etwa „Resilienz“, bei Blühdorn ist es die Dekarbonisierung, unter Bedingungen permanenter Wachstumszwänge, geoökonomischer Spannungen etc. materiell realisiert werden können, ohne  expansive Dynamiken transformativ zurückzudrängen. Auch deshalb kann aus der gegenwärtigen Lage mit ihren Rückschlägen in puncto Ökologie, Demokratie, Gerechtigkeit etc. auch der gegenteilige Schluss gezogen werden: Gerade, weil transformative Konzepte und Politiken derzeit unpopulärer geworden sind, sollten die entsprechenden Forschungen und Vorschläge im wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs sichtbar sein.

Frank Adler

XXX

Zu einigen Diskussionspunkten aus der Debatte am 25. 4.:

Die Zusammenfassung von Frank Adler weist auf gewichtige Punkte hin, die offensichtlich (das zeigen zahlreicher Auftritte des Autors – Beispiele wurden angeführt) beachtliche Resonanz finden. Zwar ist das Buch deshalb nicht „wie eine Bombe“ eingeschlagen (so die Erwartung bzw. Hoffnung eines Rezensenten/P. Wagner), aber doch mit einiger Wirkung. Da sich diese mit einem breiteren und aktiven Arbeitszusammenhang um den Autor verbindet, aus dem heraus der Ansatz umfassender „Unhaltbarkeit“ für unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche „durchbuchstabiert“ wird, sollte die Resonanz ernst genommen werden. Offensichtlich trifft das Thema eine verbreitete Zeitstimmung – gerade auch die einer jüngeren Generation. Liegt das an der „schonungslosen Offenheit“? – Vielleicht sind solche generationsspezifischen Zugänge und Erwartungsmuster in zeitlichen Konstellationen wie der unseren selbst eine ernsthafte Herausforderung jeder wissenschaftlichen Betätigung bzw. angestrebter Resonanz?

Aufklärung und Subjektkonzept der Moderne waren ein übergreifender, mit unterschiedlicher Gewichtung aufgenommener Aspekt des Grundkonzepts von Blühdorn. So wie der Autor diese Problematik behandelt, gab es folgende unterschiedliche Meinungen. Einmal war das allein die Frage, ob eine solche Zentralstellung der individuellen Subjektivität für die Moderne überhaupt zutreffend sei. Dann war es weiter die Frage, ob die Aufklärung (namentlich Kant) tatsächlich mit dieser Subjektivität, die letztlich in einen haltlosen Individualismus übergeht, zu verbinden ist. Kant betont doch ausdrücklich die Verantwortung moderner Individualität. Blühdorn praktiziert deren Überzeichnung wie Einseitigkeit. Seine These, dass die öko-emanzipatorischen Ansätze genau dieser Idee des „autonomen Subjekts“ folgen und so mit ihren Ansprüchen scheitern müssen, trifft eher nur auf einen kleinen Teil solcher Ansätze zu. Insofern finden auch viele durchaus erforderliche Aspekte einer Kritik an der Aufklärung, auch an deren Menschenbild (was es so einheitlich nicht gegeben hat) bei Blühdorn kaum eine weiterführende Begründung. Dennoch besteht hier Diskussionsbedarf.

Bei Blühdorn kreisen zentrale Annahmen um ein spezifisches Verständnis von Resilienz. Damit war, wie schon in verschiedenen Debatten, ein gewisser Streit um den Resilienz-Begriff (bzw. das Konzept von Resilienz) verbunden. Kurz gesagt: Ist dieses – auch auf Grund seiner disziplinären Herkunft – eher ein Konzept, das sich von weitergehenden Veränderungen (also auch Transformationen) verabschiedet, und einen Ist-Zustand zum Ziel der Betrachtung nimmt. Oder kann das Resilienz-Konzept durchaus auch ein wichtiger Baustein einer transformatorischen Perspektive sein? Bei Blühdorn wird es zu einer Extremposition, die nicht auf eine Veränderung von Problemen (auch nicht als deren „Reparatur“) setzt, sondern auf „Desensibilisierung“ gegenüber den Problemen. So lässt sich dann auch der Weg in die „nächste“ Moderne aushalten.

Damit als Einzelbeispiel wie mit dem Grundkonzept von Blühdorn verband sich schließlich eine weitere, durchaus auch übergreifende Fragestellung: Inwieweit ist es auch für die aufzuzeigenden politischen Konsequenzen gerade seines Konzeptes hilfreich oder gar erforderlich, die Differenzen in den theoretischen Ansätzen zu berücksichtigen. Für die eine Position überwiegt die Gemeinsamkeit gesellschaftspolitischer Konsequenzen (etwa mit Bezug auf die Ablehnung sozialökologischer Transformation u.a.) des Ansatzes von Blühdorn mit Ansätzen, die so oder so im Schatten einer „reflexiven Moderne“ stehen (etwa Reckwitz, Staab …). In der Tat ist das eine gewichtige Scheidelinie. Dennoch spricht auch einiges für die andere Position, die demgegenüber betont, dass die theoretisch-konzeptionelle Distanzierung Blühdorns von dieser „reflexiven Moderne“ ihre beträchtlichen Konsequenzen generiert und gegenüber den Vertretern einer solchen „reflexiven Moderne“ nicht zu ignorierende politische Unterschiede begründet: Letztere Konzepte könnten sich für Transformation offenhalten (man will resilient sein, um neue Möglichkeiten zu suchen) –  Blühdorn ist der strikte Antipode, entwirft eine Gegenutopie.

Zur angeführten widersprüchlichen Aufnahme (zwischen Faszination und Ablehnung) trägt bei, dass Blühdorn in jedem seiner Felder – sowohl denen einer Kritik an Konzepten und Ansprüchen von Nachhaltigkeit, ökoemanzipatorischer Transformation, Sozialen Bewegungen etc. wie denen seiner fünf Großen Transformationen – auf zentrale Punkte zu sprechen kommt, die zumindest hochgradig plausibel sind. Man kann über Tiefe und Zutreffen der Kritik streiten – sie ist vielfach anregend und durchaus Anlass für selbstkritische Reflexion möglicherweise überzogener Transformationsansprüche, auch wenn nicht alles in eine „Wohlfühlliteratur“ zu stecken ist. Das mag man für attraktiv ansehen, damit scheint sich auch ein Großteil der erwähnten Resonanz zu verbinden.

Andererseits steht dem entgegen, dass sich diese kritischen Punkte in einer eigenartigen, undifferenzierten Verabsolutierung zusammenfinden (einer vollständigen „Unhaltbarkeit“). Damit hängt zusammen, dass die Analysen nur begrenzt neuartig sind, dass sie vor allem aber nicht ausreichend die tatsächlichen ambivalenten, widersprüchlichen Ausprägungen analysierter Phänomene herausarbeiten. Insofern geht es wohl eher um die Illustration eines konzeptionellen Rahmens als um dessen Überprüfung. Wenn immer wieder der Vorwurf des Normativen von Blühdorn erhoben wird, so zieht er sich diesen selbst zu. Das ist dann eher als enttäuschend anzusehen. – Sichtweisen bzw. Interpretationen gingen hier auseinander. Darauf sollte, in einer gewissen Vereinfachung und Zuspitzung, hingewiesen werden.

Michael Thomas