In memoriam Dr. Hannelore Bernhardt

Dr. Hannelore Bernhardt (20.07.1935–25.12.2023) Foto 2005: Reinhard Ferdinand CC BY-SA 4.0)

Am 25. Dezember 2023 ist Dr. Hannelore Bernhardt, Mitglied der Stiftung der Freunde der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, verstorben.
Hannelore Bernhardt wurde am 20. Juli 1935 als Roswitha Hannelore Kärgel in Pethau bei Zittau geboren. Ihre Schulausbildung erhielt sie in Zittau. Schon früh, unmittelbar nach dem Abitur 1954, zeigte sich ihre ganz besondere Vorliebe für und Bindung an Meteorologie, Mathematik und Naturwissenschaften, die ihr Leben lang halten sollte. Sie arbeitete zunächst (1954–1956) als Wetterbeobachterin beim Meteorologischen und Hydrologischen Dienst der DDR, studierte von 1956 bis 1961 Mathematik an der Karl-Marx-Universität Leipzig und heiratete 1960 den Meteorologen Karl-Heinz Bernhardt, damals Doktorand am Geophysikalischen Institut der Leipziger Universität.
Nach dem Studium, das sie mit einer Diplomarbeit über Kolmogorovsche Gleichungen für stetige stochastische Prozesse abgeschlossen hatte, befasste sich Hannelore Bernhardt als wissenschaftliche Aspirantin am Karl-Sudhoff-Institut für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften in Leipzig mit den Beziehungen zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung und Physik in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, was 1966 in die Promotion zum Dr. rer. nat. einmündete. Danach wirkte sie vier weitere Jahre als Assistentin und Oberassistentin am selben Institut. 1963 und 1968 kamen die Töchter Mira und Sandra zur Welt und bereicherten das Leben des jungen Wissenschaftler-Paares Bernhardt.
Anlässlich der Berufung von Karl-Heinz Bernhardt in eine ordentliche Professur für Meteorologie an der Humboldt-Universität zu Berlin siedelte die Familie 1970 nach Berlin um, wo Hannelore Bernhardt zunächst drei Jahre im Prorektorat für Prognose und Wissenschaftsentwicklung der Humboldt-Universität tätig war. Nach Gründung des Bereiches Wissenschaftsgeschichte an der Sektion Wissenschaftstheorie und –organisation (WTO) wechselte sie dorthin und konnte neben der Wahrnehmung der Ausbildungsaufgaben als Oberassistentin auch wieder stärker ihren eigenen Forschungsinteressen nachgehen. Mittlerweile wuchsen auch die Töchter heran und erlaubten intensiveres Forschen. Mit einer Schrift zum Thema „Richard von Mises und sein Beitrag zur Grundlegung der Wahrscheinlichkeitsrechnung im 20. Jahrhundert“ krönte Hannelore Bernhardt 1984 ihre Überlegungen und Nachforschungen zur Geschichte der Wahrscheinlichkeitstheorie und erwarb damit die der Habilitation vergleichbare Promotion B zum Dr. sc. phil. Sie wurde 1985 zur Hochschullehrerin (Hochschuldozentin) für Geschichte der Naturwissenschaft/Mathematik an die Humboldt-Universität berufen und 1985 ebenda mit der Leitung der Forschungsstelle Universitätsgeschichte betraut. Dazu übernahm Hannelore Bernhardt die wissenschaftliche Redaktion der Schriftenreihe „Beiträge zur Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin“, initiierte und leitete ab 1985 Konferenzen zur Geschichte der Mathematik, und seit 1987 die Reihe „Universitätshistorische Kolloquien“. Darüber hinaus war sie u.a. auch an populärwissenschaftlichen Vorhaben der Urania – Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse beteiligt.
Die Zeit ab 1991 mit der Einpassung der Ostberliner Hochschulen mittels des Ergänzungsgesetzes zum Berliner Hochschulgesetz (ErgBerlHG) vom 18.08.1991 in den bundesdeutschen bzw. Westberliner Rahmen war für das Ehepaar Bernhardt mit weitgehenden Veränderungen und Herausforderungen verbunden. Per Gesetz wurden die Professorenstellen neu gewidmet und besetzt. Karl-Heinz Bernhardt konnte seine Professur bis 1994 wahrnehmen. Die Sektion WTO mit der Forschungsstelle Universitätsgeschichte wurde „abgewickelt“, deren Mitarbeiter arbeitslos. Hannelore Bernhardt konnte lediglich zeitweilig Projektstellen oder Werkverträge für sich finden.
Die erstaunliche Tatsache, dass Hannelore Bernhardt viele Jahre aktive Sportlerin war und u.a. etliche Marathonläufe überall auf der Welt bestritten hat, war ihnen wohl auch Lebenshilfe. Sie war eine zarte, sehr schlanke Frau, der man eine solche Stärke und ein solches Durchhaltevermögen nicht ansah. Es ist sicher in besonderem Maße ihr Verdienst, dass beide Bernhardts nach 1994 weiterhin wissenschaftlich produktiv sein konnten.
Karl-Heinz Bernhardt, der 1990 zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR gewählt worden war, gehörte 1993 zu den Gründungsmitgliedern der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften und war über viele Jahre eines ihrer aktivsten Mitglieder. Hannelore Bernhardt gab ihm wichtige Unterstützung, ohne in ihrer eigenen Arbeit nachzulassen. Die Bernhardts waren als Paar in der Sozietät präsent. Sie haben sich beide sehr verdient gemacht an der Entwicklung der Sozietät. 2004 ist Hannelore Bernhardt Mitglied der Stiftung der Freunde der Leibniz-Sozietät geworden.
Das wissenschaftliche Werk von Hannelore Bernhardt umfasst mehr als 130 Publikationen zur Geschichte der Mathematik und Physik, zur Institutionengeschichte und wissenschaftlicher Biographik. Sie hat ihre frühen mathematik- und wissenschaftshistorischen Ambitionen, die sich auf Wahrscheinlichkeitstheorien und deren Schöpfer konzentrierten, später immens erweitert und ein weites Feld von institutionellen Wissenschaftsorganisationen und verschiedensten Wissenschaftlerpersönlichkeiten in den Blick genommen (vgl. z.B. Bernhardt 2014).
Die Leibniz-Sozietät verliert mit Hannelore Bernhardt eine nahestehende Förderin. Unserem Mitglied Karl-Heinz Bernhardt und den Hinterbliebenen gilt unser aufrichtiges Mitgefühl.

Roswitha März (MLS)

Bibliographie
Bernhardt, Hannelore (2014): Eingefangene Vergangenheit. Streiflichter aus der Berliner Wissenschaftsgeschichte – Akademie und Universität. Berlin: trafo Wissenschaftsverlag (Abhandlungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften; 38).