Gedenken an Roland Eötvös anlässlich seines 100. Todestages

Die ungarische Nation hat den 100. Jahrestag des Todes von Baron Roland von Eötvös (27.07.1848-08.04.1919) zum Anlass genommen, Leben und Werk ihres großen Sohnes in vielfältiger Weise zu würdigen. Die Ehrungen wurden vor allem getragen von der Eötvös Lorand Universität Budapest und der Ungarischen Akademie der Wissenschaften sowie der Eötvös Lorand Geophysical Foundation. Den Interessenten sehr zu empfehlen ist das soeben erschienene Buch „Roland Eötvös Memorial Album. Under the auspices of Eötvös Lorand University and the Hungarian Academy of Sciences edited by Tamas Dobsay, Janos Estok, Gabor Gyani, Andras Patkos. Kossuth Publishing 2019“. Im ersten Anhang werden die Vorderseite des Buches, das Inhaltsverzeichnis und die Liste der Autoren gezeigt.

Die UNESCO empfahl allen ihren Mitgliedern, sich der Ehrung des weltbekannten Physikers und Geophysikers anzuschließen.

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. hat gute Gründe, an das Wirken von Roland Eötvös zu erinnern. Drei ihrer Mitglieder (Helmut Moritz, Heinz Kautzleben, Erik W. Grafarend) sind Ehrenmitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied Eötvös seit 1869 war und der er von 1889 bis 1905 als Präsident diente. Als heutige Form der 1700 gegründeten Leibniz’schen Gelehrtengesellschaft darf die Leibniz-Sozietät darauf hinweisen, dass Roland Eötvös am 06.01.1910 zum Korrespondierenden Mitglied (KM) der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften gewählt wurde.

Mit Genehmigung des Akademiearchivs, das von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften betreut wird, wird im zweiten Anhang die Abschrift des Vorschlages für die Zuwahl gezeigt. Der Vorschlag ist mit 04.11.1909 datiert. Er wurde unterzeichnet von den Ordentlichen Mitgliedern  (OM) Friedrich Robert Helmert, OM seit 1899, Geodäsie, Albrecht Penck, OM seit 1906, Geographie, und Emil Warburg, OM seit 1895, Physik. Helmert (geb. 31.07.1843) war seit 1886 Direktor des Königlich Preußischen Geodätischen Institutes, seit 1887 auch Professor für Höhere Geodäsie an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Er starb am 15.06.1917. Penck (geb. 25.09.1858) war seit 1906 Professor für Geographie an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und Direktor des Geographischen Institutes sowie des Institutes für Meereskunde dieser Universität. Er starb am 07.03.1945. Warburg (geb. 09.03.1846) war seit 1895 Professor für Physik an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1905 bis 1922 Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt. Er starb am 28.07.1931.

Die Beziehungen von Eötvös zu hervorragenden deutschen Wissenschaftlern begannen jedoch schon früher: Er studierte von 1867 bis 1870 Naturwissenschaften an der Universität Heidelberg, besonders bei Robert Gustav Kirchhoff (1824-1887), der dort Professor für Physik (von 1854 bis 1875) war, bei dem er auch promovierte. Ein Semester studierte er an der Universität Königsberg, bei Franz Neumann (1798-1895), dort seit 1829 Professor für Physik und Mineralogie. Kirchhoff war seit 1861 KM der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, ab seinem Wechsel nach Berlin 1875 deren OM. Neumann war seit 1833 KM der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften.

Aus der Begründung für die Zuwahl von Eötvös ist sofort erkennbar, welche seiner wissenschaftlichen Leistungen für die Arbeiten weiterer deutscher Wissenschaftler außerordentlich wichtig waren. An erster Stelle wird die Entwicklung der Drehwaage und deren Einsatz für die Vermessung des Schwerefeldes der Erde mit daraus folgenden Aussagen für die Geodäsie und die Erkundung von Bodenschätzen genannt. Und abschließend wird noch auf den von Eötvös mit der Drehwaage geführten Nachweis hingewiesen, dass für die verschiedensten Materialien es keine messbaren Abweichungen vom Gesetz der Proportionalität von Trägheit und Gravität gibt.

Die erstgenannte Leistung wurde innerhalb weniger Jahre zum Ausgangspunkt für die praktische Lagerstättensuche, nicht nur in Ungarn, sondern weltweit. Zu nennen ist hier vor allem Wilhelm Schweydar (1877-1959). Er war seit 1905 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Geophysik des K. Preußischen Geodätischen Institutes, das damals noch von Helmert geleitet wurde. 1923 wurde er zum Abteilungsvorsteher befördert. Schweydar war der erste außerhalb Ungarns, der die Eötvös‘che Drehwaage für Zwecke der Exploration einsetzte. 1917 führte er erfolgreich Messungen zur Bestimmung der Umrandung eines Salzdomes in der Norddeutschen Tiefebene südlich von Hamburg durch.

Eötvös hatte seine Drehwaage erstmals auf der Weltausstellung 1900 vorgestellt, wo sie eine Goldmedaille erhielt. Seitdem berichtete er regelmäßig auf internationalen Kongressen über seine Forschungen. Ein großer Erfolg wurde der 15. Kongress der „Internationalen Erdmessung“ 1906 in Budapest. Er brachte 1907 die Gründung des Königlich Ungarischen Geophysikalischen Institutes „Baron Eötvös Lorand“ von Ungarn. Es wurde nach dem 2. Weltkrieg in „Eötvös Lorand Geophysikalisches Institut von Ungarn“ umbenannt. Das ELGI bestand bis 2012. Die Drehwaage hatte ihre große Bedeutung für die Exploration allerdings bereits Ende der 1920er Jahre infolge des Aufkommens der Feder-Gravimeter verloren. Diese erreichten zwar nicht die Messgenauigkeit der Eötvös’schen Drehwaage, waren jedoch viel leichter zu handhaben und führten viel schneller zu Ergebnissen. Im Preußischen Geodätischen Institut hatte das zur Folge, dass Prof. Dr. Hans Haalck (1894-1959), der Schweydar nach dessen Pensionierung als Leiter der Abteilung Geophysik folgte, sich auf die Entwicklung von Gravimetern konzentrierte.

Die zweite große wissenschaftliche Leistung von Roland von Eötvös, die in der Begründung für die Zuwahl zum KM angeführt wird – der experimentelle Nachweis, dass träge und schwere Masse äquivalent sind – besitzt nach wie vor fundamentale Bedeutung. Albert Einstein (1879-1955) benutzte das Äquivalenzprinzip als Grundlage für die Entwicklung seiner Allgemeinen Relativitäts­theorie. Er interessierte sich für die Experimente von Eötvös etwa 1911, kurz bevor er nach Deutschland zurückkehrte, und 1913 Ordentliches Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften wurde. In der Begründung für die Zuwahl von Eötvös wird erwähnt, dass die entsprechende Arbeit von Roland Eötvös 1909 durch die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen mit dem Preis der Benekeschen Stiftung ausgezeichnet wurde. Die Preisaufgabe war 1906 gestellt worden.

Die beiden großen Leistungen von Roland Eötvös werden in der 2015 erfolgten Eintragung in das von der UNESCO seit 1992 geführte International Memory of the World Register angesprochen: „Three documents related to the two most outstanding results of the work of Roland Eötvös.“ Dabei ist das Dokument 1 das Originalmanuskript der preisgekrönten Arbeit, das Eötvös 1908 geschrieben hat. Eine gekürzte Version dieses Manuskripts wurde viel später, 1922 nach dem Tode von Eötvös, veröffentlicht. Die beiden anderen Dokumente sind kommerzielle Broschüren über asymmetrische Drehwaagen, die in den 1920er Jahren gedruckt wurden. Sie veranschaulichen, wie das originelle Konzept von Eötvös, dass dieses hochentwickelte Instrument für die geologische Exploration geeignet ist, erfolgreich in die Praxis gebracht wurde. Durch die Entwicklung solcher Feldausrüstun­gen entstand ein neuer Zweig der Angewandten Geophysik, der die Erkundung der tiefen Strukturen von Sedimentbecken ermöglicht.

In der Eintragung in das Weltdokumentenerbe ist zu lesen, dass das Manuskript (Dokument 1) erst kürzlich gefunden wurde. Der endgültige Text, den Eötvös und seine beiden Mitarbeiter zum Beneke-Wettbewerb eingereicht haben, ist leider verloren gegangen. Das war Anlass für die Eötvös Lorand Geophysical Foundation, mit Unterstützung durch die Ungarische Akademie der Wissenshaften eine Untersuchung zu diesem Manuskript und dessen historischem Kontext zu fördern. Entstanden ist ein außerordentlich interessantes Buch „The Eötvös Experiment in its historical context“. Es wurde herausgegeben von Eva Kilenyi und ist 2019 im Verlag Unicus Mühely Budapest erschienen. Im dritten Anhang zur vorliegenden Mitteilung werden das Titelblatt und das Inhaltsverzeichnis gezeigt.

Heinz Kautzleben
Januar, 2020