Nachruf für unser Mitglied Gert Wangermann

Nachruf für Prof. Dr. Gert Wangermann

Wangermann, G. Zeitzeugen

Am 9. Februar verstarb nach langem, mit großer Geduld ertragenem Leiden unser Mitglied Gert Wangermann im Alter von 79 Jahren.

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften und die Mitglieder des Leibniz-Instituts für interdisziplinäre Studien (LIFIS) trauern um einen ungewöhnlich engagierten Kollegen, der sein Leben und Denken ganz in den Dienst der Wissenschaft und ihrer Organisation gestellt hatte und trotz seiner Krankheit bis zum letzten Tag seines Lebens als stellvertretender Vorstandsvorsitzender des LIFIS und verantwortlicher Redakteur der Internet-Zeitschrift „LIFIS ONLINE“ unermüdlich tätig war.

Gert Wangermann wurde am 15. November 1934 in Leipzig geboren. 1953 legte er dortselbst das Abitur ab und nahm noch im gleichen Jahr an der Karl-Marx-Universität in Leipzig das Studium der Physik auf.

Seine wissenschaftliche Laufbahn begann er als wissenschaftlicher Assistent im Jahre 1959 am Institut für angewandte Radioaktivität der Deutschen Akademie der Wissenschaften (DAW) zu Berlin in Leipzig, wo er bis 1965 auf dem Gebiet der Isotopenphysik arbeitete und seine Promotion A abschloss. Noch im gleichen Jahr ging er nach Berlin-Buch an das Institut für Krebsforschung der DAW zu Berlin als wissenschaftlicher Oberassistent und übernahm 1968 die Leitung des Rechenzentrums im Forschungszentrum Berlin-Buch.

Sein weiterer Entwicklungsweg in Berlin-Buch war verbunden mit dem Zentralinstitut für Molekularbiologie der Akademie der Wissenschaften (AdW) der DDR, unterbrochen nur durch einen einjährigen Aufenthalt (1975) als Gastwissenschaftler am Institut für Biophysik der AdW der UdSSR in Puschtschino.

In dieser Zeit entwickelte sich sein besonderes Interesse an Fragen der Wissenschaftstheorie und -organisation, denen er aus der Sicht eines Naturwissenschaftlers zunehmend mehr Aufmerksamkeit schenkte. So analysierte und verallgemeinerte er in seiner 1978 erfolgreich abgeschlossenen Promotion B, ausgehend von den Erfahrungen aus seiner Arbeit im Institut den Problemlösungsprozess in der naturwissenschaftlich-experimentellen Forschung.

1979 berief ihn die Akademie zum Professor für Biophysik. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit als stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Molekularbiologie der AdW der DDR, in dem er selbst auch die Abteilung Bioelektronik leitete, übernahm Gert Wangermann während der Präsidentschaft von Werner Scheler (1979 – 1990) die Leitung des Sekretariats des Präsidenten sowie die Betreuung einzelner zentraler Gruppen (Protokoll, Presse u.a.). Zugleich wurde er Sekretär des Präsidiums der Akademie. Ihm oblag die inhaltlich-organisatorische Vor- und Nachbereitung der Präsidiums- (und Kollegiums-) Sitzungen sowie die Kontrolle der Beschlüsse. In seiner kritisch-konstruktiven Arbeitsweise förderte er die integrativen Verbindungen und Prozesse zwischen den Leitungsbereichen und Funktionalorganen innerhalb der Akademie wie auch zu den Kooperationspartnern in Wissenschaft und Gesellschaft. Zur Komplexität seines Wirkungsbereiches gehörte ferner die Information der Öffentlichkeit über die Tätigkeit der Akademie. In dieser Zeit (1985) wählte ihn das Plenum der AdW der DDR zum Korrespondierenden Mitglied

Nach der „Abwicklung“ der Akademie der Wissenschaften der DDR wandte sich Gert Wangermann mit seinen vielfältigen Interessen anderen Aufgaben zu – Themenfeldern, die ihn schon immer umtrieben. Das waren das Schreiben, Lektorieren und Gestalten von Publikationen, die Vermittlung zwischen Wissenschaft und unternehmerischer Praxis, das Engagement für die Entwicklung des neuen Messestandortes in Leipzig und – nicht zuletzt – die Glaskunst.

Jahrelang war Gert Wangermann für die Holtzbrinck-Gruppe tätig, insbesondere für Spektrum Akademischer Verlag. Die sich daraus entwickelnden Kontakte brachten ihn der Leipziger Messe näher, wo er noch bis ins neue Jahrtausend hinein als wissenschaftlicher Berater der Buchmesse und der Terratec erheblichen Einfluss auf die erfolgreiche Entwicklung und Platzierung dieser Fachmessen in der Branche nahm. Als Geschäftsführender Gesellschafter der Firma ScienceConsult wollte er als Mediator zwischen Wissenschaft und Praxis wirken. Das hehre Anliegen konnte in dieser unternehmerischen Form nur über einen begrenzten Zeitraum erfolgreich sein. Wieder einmal war Gert Wangermann mit seinen Visionen dem Zeitgeist um Jahre voraus. Die Zeit war nicht reif und das politische Umfeld voller Hemmnisse.

Maßgeblich dank seiner Initiative wurde im Jahre 2002, der Anregung der Leibniz-Sozietät folgend, das Leibniz-Institut für interdisziplinäre Studien gegründet, dessen erster Vorstandsvorsitzender Gert Wangermann wurde. Aufbauend auf seinen eigenen umfangreichen Erfahrungen in der interdisziplinären wissenschaftliche Arbeit und seinen tiefen Einsichten in den komplexen Prozess der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt hat er das LIFIS zu einer erfolgreichen Plattform für den interdisziplinären Dialog unter Wissenschaftlern und Praktikern aus Wirtschaft und Politik gestaltet. Die von ihm initiierten Leibnizkonferenzen und die von ihm als Redakteur geführte on-line-Zeitschrift LIFIS-ONLINE haben sich mit den drängendsten wissenschaftlich-technischen und gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit auseinandergesetzt und fruchtbare Impulse für den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs gegeben. Bis zuletzt hat er im Vorstand des LIFIS und in der Öffentlichkeit mit Enthusiasmus und Ideenreichtum für eine engere Verzahnung von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zum Wohle des gesellschaftlichen Fortschritts ganz nach seinem Lieblingsmotto von Gottfried Wilhelm Leibniz „theoria cum praxi“ gewirkt.

Gert Wangermann ist für seine erfolgreiche wissenschaftliche und wissenschafts-organisatorische Arbeit wiederholt mit hohen staatlichen Auszeichnungen geehrt worden. Die Leibniz-Sozietät würdigte seine Leistungen mit der Daniel-Ernst-Jablonski-Medaille. Sein Tod hat eine Lücke hinterlassen, die nur sehr schwer zu füllen sein wird.

Bernd Junghans
Gerhard Öhlmann