Die Energiewende 2.0 – Im Fokus: Die kardinale Effektivität und Effizienz: Bericht

„Die Energiewende 2.0 – Im Fokus: Die kardinale Effektivität und Effizienz“ lautete das Thema der Plenarsitzung der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin am 6. Dezember 2018. Sie fand als gemeinsame zweite öffentliche Disputatio mit dem Verein Brandenburgischer Ingenieure und Wirtschaftler e.V. (VBIW) statt. Neben den Mitgliedern der Sozietät und des VBIW gehörten Vertreter der interessierten Öffentlichkeit zum Auditorium. Der Präsident, Prof. Dr. G. Banse, begrüßte die ca. 60 Gäste, Freunde und Mitglieder der Leibniz-Sozietät ganz herzlich „zur letzten Plenarveranstaltung im Jahr 2018, in der wir auf Erfahrungen der Plenarveranstaltung im April zurückgreifen. In jener wurde der Versuch gewagt, ‚Essentielle wissenschaftlich-technische, soziale und politische Herausforderungen im Widerstreit‘ – als Disputatio – zu behandeln. Es war ein geglückter Versuch, denn im Zusammenhang mit der sogenannten ‚Energiewende 2.0‘ wurde auf unterschiedliche Herausforderungen eingegangen, zwar nicht im direkten Widerstreit, aber es wurden durchaus Differenzen deutlich, etwa bei Relevanzeinschätzungen und Prioritätensetzungen“.

Eröffnung durch den Präsidenten; im Vordergrund die Proponenten und Opponenten des Disputs

Der Präsident hob in seiner Eröffnung am 06. Dezember 2018 hervor, dass diese Veranstaltung nicht nur die zweite Disputatio sei, sondern sich überdies in eine Vielzahl und Vielfalt von Veranstaltungen zur „Energiewende“ einordne, die auch von unserer Gelehrtengesellschaft seit 2012 initiiert, durchgeführt und dokumentiert wurden.

Zur Eröffnung der Diputatio im April 2018 erklärte er: „Zu Beginn des Jahres haben Lutz-Günther Fleischer und ich entschieden, eine Auswahl dessen, was als Resultat des Wirkens der LS im Bereich der sogenannten ‚Energiewende‘ an unterschiedlichen Stellen bereits publiziert wurde, in systematisierender Weise zusammenzustellen und in einem Band der ‚Abhandlungen‘ zu publizieren, nicht nur, um in einem Überblick die Breite und die Kontinuität der Beschäftigung mit dieser Thematik in der Leibniz-Sozietät zu belegen, sondern auch bzw. vor allem, um Erkenntnisfortschritte zu verdeutlichen. Ich kann hier mitteilen, dass die Herausgeberarbeiten an diesem Band gerade abgeschlossen werden konnten und das Manuskript morgen dem Verlag übergeben werden kann.“ Inzwischen ist dieses Buch als Band 47 der Abhandlungen der Leibniz-Sozietät erschienen. Auf der Website der Leibniz-Sozietät sind neben dem Klappentext des trafo Wissenschaftsverlages die bibliographischen Angaben, das Inhaltsverzeichnis und die Einführung verlinkt.

Nach der Einführung seitens des Präsidenten der Leibniz-Sozietät übernahm der Sekretar der Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften, Prof. Dr. Lutz-Günther Fleischer, die Leitung der Disputation. Im Wissen darum, dass die Leitbegriffe des Diskurses Effektivität und Effizienz nicht abschließend definiert sind oder in summa auch nur vergleichbar gebraucht werden, verwies er darauf, dass sich die Akteure auf „Arbeitsdefinitionen“ geeinigt haben.

Während mit Effizienz Nutzen-Aufwand-Quotienten, wie Wirkungs-, Gütegrade, die Produktivität etc., bezeichnet sind, gebührt das Primat perfekter Maßnahmen der umfassenderen Effektivität, die per definitionem ein Maß für die Wirksamkeit des Denkens und nützlichen Handelns darstellt, und in dem Sinne das Verhältnis von erreichtem Ziel zum definierten Ziel – auch skaliert – erfasst. Als Sinnbild für die Effektivität kann der Vektor herangezogen werden. Sein Ansatzpunkt und seine Ausrichtung, die orientierte Richtung im Raum der Transformationen, stehen für das Ziel und die Länge des Vektors für den Realisierungsgrad, den Zielerreichungsgrad.

Jedes System fungiert in einer Umgebung (in seiner Mit-, Nah- und Umwelt) mit internen und externen Komponenten. Eines der wichtigsten Konzepte der Systemtheorie ist die Interdependenz[1] zwischen den Systemen/Subsystemen (bzw. deren Elementen/Komponenten). Indem sich das System nach bestimmten Ordnungsprinzipien selbst organisiert, nimmt seine interne Kohärenz zu, seine Funktionalitäten stabilisieren sich infolge der Wechselwirkungen (von der Kooperativität bis zum Synergismus) und die ordinierende Systematik strebt in toto nach funktionell-struktureller Vervollkommnung. Bei dieser Form der organisatorischen Systementwicklung zu höher strukturierten Ordnungen, dem basalsten Element des Natur erhaltenden und wandelnden Informationswechsels, gehen (ohne dass äußere steuernde Elemente erkennbar wären) die formgebenden, gestaltenden und begrenzenden Einflüsse von den konstituierenden Systemelementen selbst aus. Diese natürliche Evolution führt mit ihren ineinandergreifenden operationalen Mechanismen der Mutation und Auslese und der operanten Konditionierung zur Selbstverbesserung des Gesamtsystems. Auch bei der – über die konstruktiv steuernde und regelnde , signalverarbeitende Einflussnahme – fremdorganisierten Evolution sowie bei den technischen Innovationen dominiert das generalistisch integrierende „Wie“ über das „Was“.

Technische und technologische Innovationsprozesse sind generell soziale Prozesse; sie verlaufen sozial strukturiert und werden darüber hinaus institutionell überformt. Wirkliche Veränderungen entstehen sehr selten im Zentrum der Macht. Und wenn, dann nicht ohne spürbaren Druck aus potenten Gruppen der Gesellschaft.

Da die Energiewende faktisch ein interaktives und reaktives Supersystem aus verschiedenen, verhältnismäßig eigenständigen, aber vernetzten Strukturen und Teilprozessen darstellt, weist sie das skizzierte Verhalten von Teil und Ganzem auf. Die n-Tupel der interagierenden Elemente und Relationen sind prinzipiell als Koordinatenvektoren im reellen Rn  bzw. im komplexen Cn repräsentierbar. Diese Anmerkungen sollen vor allem auf die faktische Kompliziertheit der Ziele, Mittel, Abläufe und der multikomponentigen Wirkungen der Energiewende 2.0 sowie deren adäquater Bewertung und Modellierung hinweisen.

Es gilt demzufolge, die zwei kardinalen Qualitätskriterien der Wirksamkeit, einerseits in der Ebene des hoch komplexen Gesamtprozesses Energiewende 2.0 kritisch zu analysieren und anderseits anhand grundlegender und besonders wichtiger konstituierender, kooperativer Teilprozesse, deren ebenen-spezifischen Ziel-Mittel-Relationen, Maßnahmen, Ergebnisse und Folgen sowie entscheidender, vordringlich zu bewältigender Entwicklungserfordernisse zu diskutierten, zu steuern und zu regeln. Den Schwerpunkt bilden wesensgemäß die technisch-technologischen, die ökonomisch-ökologischen, die sozio-kulturellen sowie die sozialen Belange und deren gesellschaftliche „Gewichtung“. Exponiert sind die Ziele: nachhaltige Umweltverträglichkeit, langfristige Versorgungssicherheit, beständige Akzeptanz der Entwicklungspfade, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit – insbesondere Bezahlbarkeit und Verteilungsgerechtigkeit – bei deren bestmöglicher Quantifizierung.

Für die so orientierte Energiewende bildet die Energetik[2] deren technisch-technologischen Kernbereich.

Sie ist, wie jede Technik und Technologie, tridimensional. Die wesensgemäßen Ansatzpunkte und Entwicklungslinien liegen in deren naturalen, humanen sowie sozialen Dimensionen.

Die immanenten Ziele und die sachdienlichen Mittel bedürfen multipler Betrachtungsweisen bzw. dazu analoger technologischer, physikalischer, chemischer, biotischer, ökologischer, physiologischer, psychologischer, anthropologischer, ethischer, ästhetischer, juridischer, juristischer, historischer, ökonomischer, ökologischer, soziologischer, politologischer, kultureller und mathematischer Prozeduren, die mit den drei Dimensionen korrespondieren. Die kursiv hervorgehobenen Merkmale gehen über die Charakterisierung seitens ihres Urhebers Günter Ropohl hinaus. Von grundsätzlicher Bedeutung ist der bisher in diesem Zusammenhang wissenschaftlich zu wenig reflektierte kulturelle Aspekt.

In der kurz umrissen eigentümlichen ontisch-ontologischen sowie der kognitiv-diskursiven Komplexität der Energiewende 2.0 liegen einerseits die Chancen ihrer überzeugenden Gestaltung, anderseits resultieren daraus manche Schwierigkeiten bei der erfolgreichen Bewältigung des breit gefächerten Problemspektrums. Die, auf das gründlichere Verständnis ausgerichteten, ergänzenden Erläuterungen seien mit dem diesbezüglich essentiellen Hinweis abgeschlossen, dass infolge der systemischen Komplexität und ihrer Emergenzen unvermeidlich Zufälligkeiten (contingency) auftreten. Eine plausible Antwort auf die grundlegende Frage, in welcher Weise in dem hoch komplexen funktionell-strukturellen Wirkgefüge der Zufall ins Spiel kommt, lautet: Wegen fehlenden Wissens (Unwissenheit), des Imperfekten (der Unvollständigkeit) und der Kontingenz (der prinzipiellen Offenheit des Werdens)! In dem erörterten Prozessverbund dominiert kein physikalisches Gesetz, wie die Heisenberg‘sche Unschärferelation als Born eines stochastischen Chaos in der mikroskopischen Betrachtungsweise. Vielmehr „agiert“ in der großen Menge konstituierender Elemente und Relationen mit mehreren Freiheitsgraden sowie in der  Vielzahl und Vielfalt der dynamischen Möglichkeiten des asymmetrischen, nichtlinearen, verzweigten Wandels das wahrscheinlichkeits-theoretisch Ungewisse, Ungesicherte, Unbestimmte, Unvollkommene.

Der 2. Hauptsatz der Physik spiegelt als Wahrscheinlichkeitsgesetz die Dialektik von Zufall und Notwendigkeit sowie die dialektische Einheit entropischer und ektropischer Elementar-prozesse – mit naturgesetzlich notwendigerweise überwiegender Entropieproduktion – wider.

Besteht die Perspektive der Berechnung, dann wird dafür ein Wahrscheinlichkeitsraum als Tripel (Ω, Σ, Ρ) aus der Ergebnismenge Ω, einer Ereignis-Algebra Σ und einem geeigneten Wahrscheinlichkeitsmaß Ρ genutzt.

Doch nun zum weiteren Verlauf der Veranstaltung.

 Auf der Grundlage kurzer Stellungnahmen – unterstützt von einigen schriftlich verfassten, vorab publizierten und den Veranstaltungsteilnehmern schriftlich überlassenen Thesen der Gesprächsteilnehmer sowie Bewertungen des Standes der Energiewende – wurde die Debatte zunächst im Expertenkreis des Podiums und anschließend mit dem Auditorium geführt. Das 26 Seiten umfassende Thesenpapier ist ebenfalls auf der Website der Sozietät verfügbar. Es widerspiegelt mit der Energiewende verbundene, wesentliche und drängende Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln und offeriert einige Lösungsmöglichkeiten mit Begründungen. Proponenten und Opponenten der Disputatio waren – in alphabetischer Reihenfolge – Doz. Dr. Ulrich Busch (Mitglied des Präsidiums der Leibniz-Sozietät), Prof. Dr. Lutz-Günther Fleischer (Sekretar der Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften der Leibniz-Sozietät), Dr. Ernst-Peter Jeremias (bisher Geschäftsführer tetra ingenieure GmbH, Neuruppin) und Dr. rer. nat. Norbert Mertzsch (MLS, Vorsitzender des Vereins Brandenburgischer Ingenieure und Wirtschaftler e. V.).

Dr. Busch ging in seinen Thesen darauf ein, dass die Energiewende ein komplexes Innovations- und Investitionsprogramm zum Umbau der Energieproduktion, -verteilung und ‑verwendung entsprechend den Kriterien der Nachhaltigkeit und des ökologischen Wirtschaftens darstellt. Als solche sei sie ein wichtiges Teilprojekt des ökologischen Umbaus der Wirtschaft. Die Realisierung der Energiewende steht im Kontext mit Überlegungen zu einer umfassenden Gesellschaftstransformation. Da die Gesellschaftstransformation, verstanden als Übergang zu einer postindustriellen Produktionsweise und postkapitalistischen Gesellschaft, gegenwärtig aber erst in den Anfängen steckt und zudem durch eine Reihe von Umständen und Faktoren blockiert wird, bleibt die Energiewende zum jetzigen Zeitpunkt weit hinter der objektiv gegebenen Notwendigkeit strategischen Handelns zurück, woraus sich die Aktualität der energiepolitischen Debatten erklärt. In großen Teilen der Volkswirtschaft, so beim Verkehr, der Klimatisierung von Gebäuden, im Tourismus und bei der Abfallentsorgung, hat die Energiewende noch nicht einmal begonnen, geschweige denn, dass es hier Lösungen gäbe, die im globalen Maßstab ökologisch vertretbar und zukunftsfähig wären.

Im Zentrum der Energiewende stehen die Umstellung der Menschheit auf sog. ‚erneuerbare Energien‘, die umweltkompatible Gestaltung von Stoffkreisläufen, die Substitution energieintensiver Produktions- und Konsumtionsformen mittels energieeffizientere, die Einsparung und bessere Nutzung von Energie u.a.m. Damit stellt die Energiewende eine Jahrhundertherausforderung dar.

Professor Fleischer hob hervor, dass die Energiewende objektiv notwendig und unaufschiebbar ist. Deshalb steht im berechtigten und konstruktiven Disput das Wie, Wann, für Wen und „Zu welchem Ende“? im Mittelpunkt. Herausgefordert sind außer einem ausgezeichneten Sachverstand (als Verfügungs– und Orientierungswissen) der demokratierelevante Gemeinsinn und der Gemeinwille. Als unverzichtbar erweisen sich Transparenz und Flexibilität – ein gesteuertes und rahmengeregeltes Gemeinschaftswerk mit effektiv umgestaltenden Innovationen und Inventionen, Anpassungsfähigkeit und Kooperativität in den qualitätsbestimmenden Subsystemen und zwischen ihnen. Die bestmögliche Realisation muss sich an der effektivitätssteigernden und zuverlässigen Organisation des Gesamtsystems messen. Es bleibt dabei: Auf das organische Ganze kommt es an.

Er verwies darauf, dass der Bundesrechnungshof hinsichtlich des gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesses mit Blick auf die Umsetzung der Energiewende erhebliche Defizite und Vernachlässigungen festgestellt hat. Der Bundesrechnungshof konstatierte, dass das BMWi (Bundeswirtschaftsministerium) seine Rolle der Federführung und Gesamtkoordination der Energiewende bislang nicht ausgefüllt hat. „Weder hausintern noch ressortübergreifend oder mit den Ländern hat ein koordinierter Austausch stattgefunden. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung keinen Überblick über die finanziellen Auswirkungen der Energiewende hat“.

Erhebliche Deformationen gefährden und retardieren den erwiesenermaßen hochkomplexen gesellschaftlichen Transformationsprozess. Gleichzeitig hinkt die Energiewende insbesondere im Wärmeund Verkehrsbereich sowie in Teilen des Agrarsektors den Notwendigkeiten und den politisch verlautbarten Ansprüchen weit hinterher. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die Energiewende im Hinblick auf ihr charakteristisches Kriterium Umweltverträglichkeit im Sinne reduzierter CO2-Emissionen sowie anderer „Treibhausgase“ mit wirkungsgleichen CO2-Aquivalenten (CO2-eq.) keine ausreichenden Resultate vorweisen kann, mehr noch, erheblich hinter den internationalen Vereinbarungen zu den Klimazielen und den globalen Erfordernissen zurückbleibt.

Diese Analyse provoziert die maßgebende Frage, ob sich die Energiewende im Rahmen des heutigen Wirtschaftssystems überhaupt effizient umsetzen lässt? Möglicherweise sind zu viele diametrale Einzelinteressen im Spiel, die das folgenschwer behindern.

Dr. Jeremias vertrat die Ansicht, dass die Kosten fossiler Energieträger in Deutschland zu gering sind, weil derzeit die externen Folgekosten ihres Einsatzes solidarisch von der gesamten Gesellschaft getragen werden. Das liegt darin begründet, dass für Wirtschaftlich-keitsbetrachtungen die Grenzen der Bilanzkreise der Energiesysteme objektbezogen sind. Notwendig aber wäre ein volkswirtschaftlicher Bezug, d.h. vor allem, den Verursacher auch mit externen bzw. bisher externalisierten Folgekosten zu belasten.

Zudem verwies er darauf, dass der vorliegende Referentenentwurf des neuen Gebäudeenergiegesetzes (GEG), mit dem eine Harmonisierung zum EU-Recht stattfinden sollte, in der momentanen Fassung die Umsetzung des Niedrigstenergiestandards im Neubau torpediert und selbst die bestehenden energetischen Anforderungen an Gebäude ‚aufweicht‘.

Die Energiewende in der Mobilität ist aus seiner Sicht eine dringende, aktuelle Aufgabe, die nicht nur damit gelöst wird, dass unter einem sich aufbauenden Wettbewerbsdruck neue Fahrzeugtechnologien in den Markt eingeführt werden. Dringender ist die vorausschauende Einführung völlig neuer Mobilitätskonzepte in Verbindung mit den zukünftig erforderlichen Infrastrukturen und der Digitalisierung der Prozesse.

Das Mitglied der LS Dr. Mertzsch, der als Vorsitzender des Vereins Brandenburgischer Ingenieure und Wirtschaftler – nicht nur, aber wiederholt im Energiewende-Diskurs – ein zuverlässiger Kooperationspartner ist, verwies darauf, dass die Akzeptanz der Energiewende seitens der Bevölkerung für die möglichst effektive Weiterführung entscheidend sein wird. Bisher kommunizieren zu wenige Politikern, dass im Rahmen der Energiewende eine Industrialisierung der Landschaft Tatsache werden wird. Demzufolge wird es viel mehr von ihr negativ Betroffene geben, als bei den bisher dominierenden konventionellen Energietechnologien. Da die bewusste Mitnahme der so Involvierten vielfach versäumt wurde, stößt die Energiewende mancherorts auf entschiedene Ablehnung. Andererseits sollten sich alle Beteiligten darüber im Klaren sein, dass der Strom auch irgendwie „in die Steckdose kommen“ muss.

Ein kardinaler Fehler im Ablauf der Energiewende liegt seines Erachtens darin, dass bislang nicht das Ziel Energieeffizienz im Zentrum der Überlegungen und Maßnahmen steht, sondern die unbedingte Bereitstellung von Nutzenergien. Unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit ist zu klären, in welchem Umfang zukünftig spezielle Energiespeicherkapazitäten vorzuhalten sind (neben wetterbedingten Speichern sind auch Speicher zur Absicherung gegen Naturkatastrophen – Stichwort Jahr ohne Sommer – zu entwickeln und zu installieren). Das wird erhebliche Auswirkungen auf die Kosten für die Elektroenergie haben. Wenn die Elektroenergieversorgung zu vertretbaren Preisen in Ausnahmesituationen nicht mehr zu gewährleisten ist, könnte rein ökonomisch zu entscheiden sein, ob ggf. mittelfristige lokale „Blackouts“ mit entsprechenden Auswirkungen in Kauf zu nehmen sind.

In der Diskussion wurden Fragen und Probleme thematisiert:

Welche Ursachen und realen Auswirkungen hat der Klimawandel, der sich gegenwärtig gehäuft vor allem in extremen Wetterlagen manifestiert und deshalb von der Bevölkerung ernster genommen wird?

Kommt die Energiewende für das Überleben der Menschheit nicht zu spät und besteht  deshalb nicht ein „guter Grunde“ für den Kulturpessimismus?

Erfolgte der Ausstieg aus der Kernenergie zur richtigen Zeit, und wie ist der Stand der Kernfusionsforschung?

Mit der Energiewende in Deutschland setzt die Energiepolitik als essentieller Teil einer zumindest deklarierten „nachhaltigen Gesellschaftspolitik“ in dem bisher offenbar unzureichend koordinierten Mix aus Primärenergieträgern (traditionellen Vermögens- und Einkommensenergieträgern) verstärkt auf erneuerbare und sich erneuernde Energieträger sowie einen ordnungspolitisch exzessiv geregelten ‚speziellen‘ technologischen Fortschritt. Warum sind maßgebliche Politiker, nicht nur der Regierungskoalition, angesichts dieser Situation und der insgesamt unzureichenden Fortschritte bisher gegen eine fachwissenschaftliche Beratung resistent? Welche erfolgreicheren Formen und Wege könnten zukünftig beschritten werden?

Neben solchen Fragen wurden Probleme aufgeworfen, die einer weiteren Erörterung bedürfen.

  1. Die Energiewende muss auch ohne die eigentlich notwendige Transformation des Wirtschaftssystems und anderer wesentlicher Teil des obwaltenden Gesellschaftssystems weitergeführt und zügig vorangebracht werden. Ob sich dabei solche Kritikpunkte, wie die des Bundesrechnungshofes, angemessen beheben lassen, bleibt mit Bedacht auf das Syndikat von Macht, Kapital und Eigennutz offen. Dessen Herrschaft und ihre Lobbyisten können manches Notwendige verformen oder gar verhindern. Die Effektivitätserhöhung und Effizienzsteigerung bei der Bereitstellung, der Wandlung, dem Transport und dem Einsatz von Energien in den Nutzerbereichen schließt verpflichtend alle Sektoren: Industrie, Wohnen, Verkehr, Dienstleistungen (GHD) und jede Energieart sowie die, das tragenden technischen und technologischen Entwicklungen ein. Sie müssen demgemäß in dieser umfassenden und vielschichtigen Weise realisiert werden.
  1. Im Verkehrsbereich bewirkte die Energiewende bisher keine energetisch und ökologisch nennenswerten positiven Veränderungen und die Prognosen sagen eine Zunahme des Verkehrs voraus.
    Die Energiewende in der Mobilität ist eine bedrängende, aktuelle Aufgabe, die nicht nur damit gelöst wird, dass unter einem sich aufbauenden Wettbewerbsdruck revolutionierende Fahrzeugtechnologien in den Markt eingeführt werden. Autonome Fahrzeuge sind lediglich ein (beschränktes) konstruktives Element im Spektrum der unverzichtbaren Erfordernisse Dringend sind ein neues Mobilitätskonzept und eine umfassende Umgestaltung des gesamten Verkehrssystems. D. h. dahin zu kommen, dass die Verkehrsträger koordiniert, sie sowie ihre Infrastruktur entwickelt und systemisch optimiert, der individualisierte Autoverkehr und die Schadstoff-Emissionen, wie CO2,  NOx, Feinstaub etc. entscheidend reduziert werden. Neben dem Erfassen der energiewandlungsbedingt direkten CO2-Emissionen, ist es unabdingbar, die, infolge der definierten Aktivitäten und der, in den Lebensstadien jener, in die Energetik implementierten Produkte indirekt entstehenden CO2-Emissionen in der Gesamtmenge, möglichst ausnahmslos zu bilanzieren und beide nachhaltig zu reduzieren.
    Das einfachste Mittel im Bereich des Straßenverkehrs Energieeinsparungen und die Reduzierung von Schadstoffemissionen zu realisieren, wäre ein Tempolimit auf Autobahnen. Diese Maßnahme wird von der Bundesregierung nicht einmal in Betracht gezogen. Wenn bereits in dieser Angelegenheit Lobbyinteressen obsiegen, verwundert die mangelnde Effektivität bei der Umsetzung der Energiewende auch in anderen Bereichen nicht.
    Es ist ein Gebot der Vernunft und energiewirtschaftlich sowie ökologisch unerlässlich, dass der Strommarkt sowie der Wärmemarkt, der Verkehrs-, Industrie- und Agrarsektor effektiv interagieren.
    Unter Federführung der Klasse Naturwissenschaften und Technikwissenschaften sollte sich im Jahr 2019 eine interdisziplinäre Veranstaltung der Leibniz- Sozietät in geeigneter Weise der Verkehrswende mit all ihren Facetten annehmen.
  1. Im Spannungsfeld zwischen Staat und Wirtschaft sowie Markt und Wettbewerb – und damit im Fokus der deutschen Ordnungspolitikdrehen sich seit geraumer Zeit zahlreiche Einwände von Bürgen und Verbänden, um die ökonomischen Konditionen und sozialen Perspektiven der Energiewende, um reale Kostenstrukturen und umfassender begründete sowie transparente Preisbildungen. An Großprojekten, den ungleich – insbesondere nicht verursachergerecht – zugewiesenen Kosten sowie zusätzlichen Abgaben und Steuern für die Energiewende, entzünden sich zunehmend politische Proteste. Vom Staat werden legitime Korrekturen eingefordert, mit denen über rahmensetzende Gesetze und Regeln sowie eine adaptierte Sozialpolitik, jene offenkundig den Deklarationen der sozialen Marktwirtschaft widersprechenden Marktergebnisse der Energiewende, zu berichtigen sind – darunter die zunehmende ‚Energiearmut‘ als neues soziales Risiko. All das verweist darauf, dass die Energiewende ohne soziale Beteiligung und demokratische Partizipation nicht realisierbar ist und solche Indikatoren die Transformationsfähigkeit einer Gesellschaft mitbestimmen.

    Kritisch thematisiert wird, dass der Strommarkt nahezu total geregelt und deshalb unflexibel ist. Beim kommerziellen nationalen Zugang zum Strommarkt ist der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht erfüllt. Im Konflikt von Effizienz- und Wachstumszielen werden kleine Unternehmen sowie Bürgerenergie-Gesellschaften benachteiligt und ein entwicklungs-stimulierender Wettbewerb behindert. Es bedarf einer grundlegenden Reform des überregulierten Strommarktes mit seiner Tendenz zum extremen Zentralismus und zur ununterbrochenen Kartellbildung. Der energietechnisch und soziökonomisch ebenso gewichtige und damit gleichrangig effektivitätsbestimmende Wärmemarkt bleibt (vorsätzlich?) nahezu ungeregelt. Beide ordnungspolitischen Extrema erweisen sich als erhebliche Nachteile für die Gesellschaft, für Gruppen und Individuen, für die unterschiedlichsten Verbraucher, insbesondere die KMU, das Gewerbe und die Privathaushalte.

Unabdingbar sind zudem klare Orientierungen auf die Gesamtheit der Ziele des Transformationsprozesses, die angemessene Einbindung der nationalen Wirtschafts- und Energiepolitik in den europäischen Rahmen sowie strategisch überzeugend reflektierte globale Entwicklungen.

Revisionsbedürftig sind entwicklungsschädliche ökonomisch-ökologische Paradoxien der Energiewende. Ein markantes Beispiel. Seit mehreren Jahren steigt der Netto-Strom-Export Deutschlands. Er erreichte 2018 bis zum 17. Dezember 51.500 GWh. Das entspricht mehr als dem jährlichen Elektroenergieverbrauch Portugals. Vordergründig kritikwürdig ist der Umstand, dass dieser Stromexport nicht kostendeckend ist. Zeitweise wird die Elektroenergie sogar mit negativen Preisen gehandelt. Mit dem finanziellen Erlös von 1,4 Milliarden Euro/a für die Energiekonzerne in Deutschland werden indes nicht einmal die zuordenbaren Umweltschäden abgedeckt. (Am 7. Dezember 2018 wies das Agorameter für den aktuellen deutschen Elektroenergiemix einen CO2-Emissionsfaktor von 400 g/kWh aus.) Nach Angaben des Umweltbundesamtes verursacht die Stromerzeugung aus Braunkohle allein über die Klimaveränderung und die Luftverschmutzung Kosten von 19,6 Eurocent/kWh und aus Steinkohle 16,6 Eurocent/kWh.

In Großbritannien gilt ein CO2-Mindestpreis von umgerechnet 30 Euro/Tonne. Für die CO2-Bepreisung im EU-Emissionshandel wurde im August 2018 18 Euro/Tonne angeben. Auf wessen Kosten geht in Anbetracht solcher Fakten das ‚Geschäft‘ der Konzerne mit dem Stromexport?

Ins Kalkül gehören die Umweltqualität und die globalen Lebensverhältnisse.

Um das Klimaziel des Pariser Abkommens umzusetzen, müsste die internationale Gemeinschaft laut einem Bericht des UN-Umweltprogramms (UNEP) ihre Bemühungen mindestens verdreifachen. Nach drei Jahren Stagnation erreichten 2018 die weltweiten Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid einen neuen Rekordstand von 53,5 Gigatonnen. Damit rückten die Klimaziele in noch weitere Ferne. Die Erde steuere bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf eine Erwärmung um rund drei Kelvin zu. (9. Emissions Gap Report vom 27.11.2018). Der von renommierten internationalen Klimawissenschaftlern regelmäßig erarbeitete und von den Vereinten Nationen herausgegebene Bericht, soll die Lücke (Gap) zwischen den Verpflichtungen der Staatengemeinschaft (zuletzt im Pariser Übereinkommen fixiert) zum CO2-Ausstoß und dem tatsächlich Erreichten dokumentieren.

Im Jahr 2019 könnte sich eine interdisziplinäre Veranstaltung der Leibniz- Sozietät – sinnvollerweise unter Federführung der Klasse für Sozial- und Geisteswissenschaften – des themenrelevanten Verhältnisses von Staat und Wirtschaft, der ökonomischen Konditionen und Perspektiven der Transformation, deren sozialen Folgen (bis in die Privathaushalte) sowie den marktlichen Konstellation der Energiewende mit all ihren Verflechtungen (einschließlich des klimarelevanten Emissions-Handels mit CO2 –Zertifikaten) annehmen.

Im Schlusswort fasste der Präsident der Leibniz-Sozietät die Diskussion aus technikphilosophischer Sicht zusammen.

Sein Fazit: Die Probleme werden uns erhalten bleiben. Die Leibniz-Sozietät wird sich auch weiterhin in die notwendigen Diskussionen einbringen und dabei nach ihrem Credo „theoria cum praxi et commune bonum“ handeln.

 Lutz-Günther Fleischer (MLS)                                       Norbert Mertzsch (MLS / VBIW)

Alle Fotos: D. Linke

 

[1] Das innere Areal mit seinen gegenseitigen Abhängigkeiten ist als Teil jene Einflusssphäre, über den das System die unmittelbare Kontrolle hat. Obwohl seine externe Umgebung keine direkte Kontrolle ausübt, beeinflusst sie dennoch die Anforderungen an das System. Um effektiv und effizient zu arbeiten, benötigt ein System einen Feedback-Mechanismus, der testen kann, ob und inwieweit die System-Wirkungen der finalen Bestimmung gerecht werden. Wenn nicht, sollte es befähigt sein, die Inputs oder/und inhärenten Prozesse rückkoppelnd anzupassen, um die Bilanzen zielgerecht zu korrigieren. Ideale Systeme sind selbstregulierend. In Informationssystemen kann der Rückkopplungsmechanismus automatisiert oder manuell funktionieren.

[2] Dem dualen technologischen Konzept/Verständnis folgend umfasst die Energetik den Entwurf, die Errichtung, den Betrieb und die fortgesetzte Optimierung der Prozesse, Verfahrenszüge, Anlagen, Maschinen, Ausrüstungen, Geräte, Instrumente und der Organisationsprinzipien sowie die Gesetzmäßigkeiten, Methoden und Regularien zur bedarfsgerechten Bereitstellung, effizienten Wandlung, Übertragung und Speicherung sowie zum effektiven Einsatz von Energien der geforderten Art, Form und Menge.