Bericht zur Tagung „Cyberscience – Wissenschaftsforschung und Informatik.”

Tagung „Cyberscience – Wissenschaftsforschung und Informatik. Digitale Medien und die Zukunft der Kultur wissenschaftlicher Tätigkeit“

Bericht

Am 26. November 2021 führte der Arbeitskreis „Emergente Systeme / Informatik und Gesellschaft“ der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin in Kooperation mit der Gesellschaft für Wissenschaftsforschung (Berlin) die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanziell geförderte Tagung „Cyberscience – Wissenschaftsforschung und Informatik. Digitale Medien und die Zukunft der Kultur wissenschaftlicher Tätigkeit“ durch. Die ursprünglich als Hybrid-, d.h. als Präsens- und Online-Veranstaltung ivorgesehene Tagung wurde kurzfristig in eine reine Online-Veranstaltung via ZOOM umgeplant und durchgeführt. Anlass waren die aktuelle Situation der Corona-Pandemie und damit verbundene staatliche Vorschriften: Einerseits hatten mehrere Referent*innen und Teilnehmer*innen aus dem Nicht-Berliner Raum den Organisatoren ihr Nicht-Kommen(-Können) mitgeteilt, andererseits war nicht absehbar, welche veränderten Hygiene- und Abstandsregeln für den ursprünglich vorgesehenen Veranstaltungsort am Veranstaltungstag gelten würden.

An der ZOOM-Veranstaltung nahmen rund 50 Personen teil. Eröffnet wurde die Tagung vom Vizepräsidenten der Leibniz-Sozietät, Herrn Lutz-Günther Fleischer, und vom Vorsitzenden der Gesellschaft für Wissenschaftsforschung, Herrn Harald Mieg. Die elf Vorträge – moderiert von Gerhard Banse bzw. Klaus Fuchs-Kittowski – führten zu Nachfragen und Diskussionen. Zur Tagung war ein umfangreiches Material mit Informationen zum Anliegen und Programm der Tagung sowie mit den Abstracts zu den Vorträgen und den CV der Beteiligten vorbereitet worden (siehe Anlage).

Mit der Thematik „Cyberscience“ in den verschiedenen Natur-, Technik-, Human- und Sozialwissenschaften wurde besonders deutlich auf die revolutionäre Entwicklung in den Wissenschaften verwiesen, die wesentlich durch die sogenannte 4. Revolution – die Informationsrevolution – und der ihr zugrundeliegenden revolutionären technisch-technologischen Entwicklungen vorangetrieben wird. Es gilt deren Voraussetzungen, Verläufe und Folgen/Konsequenzen für die bzw. in der Wissenschaft und angrenzenden Bereichen herauszuarbeiten, so ihre „Impacts“ auf die (Grund-, Aus- und Weiter-)Bildung sowie auf die (Lern-, Alltags-)Kultur. Es geht dabei auch um die Verantwortung der Wissenschaft für die Entwicklung einer digitalisierten Gesellschaft.

In den Vorträgen und Diskussionen wurden die Veränderungen der Forschungssituation durch den Einsatz der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), speziell der Internettechnologien, genauer untersucht. Die methodologische Struktur der Forschungssituation wird in jedem ihrer vier Elemente

(1)     Problemfeld und Methodengefüge,

(2)     Experiment und Modell,

(3)     Verfügbarkeit an Wissen und Gerät sowie

(4)     Relevanz für Erkenntnis und Gesellschaft und deren Wechselbeziehungen

durch die Entwicklung und den Einsatz der IKT in der Forschung und zur Verbesserung ihre Organisation und Leitung wesentlich beeinflusst.

zu (1): Problemfeld und Methodengefüge der Forschungssituation

Bei der Forschung im Zeitalter des Internets steht die Forschung zur Entwicklung des Internets selbst im Vordergrund, wie dies durch den Beitrag von Werner Zorn, im Zusammenhang mit den Kämpfen um die Normung, in exzellenter Weise dargestellt wurde. Mit der Untersuchung des genannten Elements unter dem Einfluss der modernen IKT ist die Methodenentwicklung in den Wissenschaften, unser Verständnis von wissenschaftlichem Wissen grundsätzlich zu behandeln, denn die Entwicklung und Nutzung der IKT als Erkenntnismittel beeinflusst wesentlich das ganze Ensemble wissenschaftlicher Methoden und damit die Art und Weise der Gewinnung wissenschaftlichen Wissens. Daher ist der Beitrag von Christian Stary und Klaus Fuchs-Kittowski zur Methodologie der soziotechnischen Informationssystemgestaltung und deren philosophisch-erkenntnistheoretischen Grundlagen hier einordnen. Ebenso auch die Beiträge von Ruth Hagenguber mit der grundsätzlichen Forderung der Erweiterung der aristotelischen Ontologie und der Frage nach dem Erkenntnissubjekt im Zusammenhang mit dem Computereinsatz und von Klaus Kornwachs mit seinen grundsätzlichen Überlegungen zur Weiterentwicklung der Theorie der pragmatischen Information.

zu (2) Experiment und Modell

In vielen Wissenschaften, insbesondere in den Bio-Wissenschaften, in der Medizin und in der Psychologie ist der Computer zu einem ganz entscheidenden Erkenntnismittel geworden, kann das System der analytischen Methoden durch synthetische Methoden, insbesondere die Modellmethode, ergänzt werden. Die Mathematisierung in den Wissenschaften wird dadurch vorangetrieben. Hierzu sind die Beiträge von Werner Krause und Erdmute Sommerfeld sowie von Daniel Rapoport und Falk Nette exzellente Beispiele. Mit der Entwicklung einer Theorie der menschlichen Informationsverarbeitung, wie sie von Erdmute Sommerfeld und Werner Krause dargestellt wurde, wird eine wichtige Grundlagen für ein tieferen Verständnis der Mensch-Computer-Interaktion gelegt. Mit der Bestimmung von Universalien des Denkens und der Messung der Entropiereduktion im Denken mathematisch Hochbegabter wird das Verständnis des schöpferischen Denkens gegenüber formalen Schließen vertieft. Daniel Rapoport und Falk Nette zeigten die Bedeutung des Computers als Erkenntnismittel. Mit ihrem Beitrag verdeutlichten sie speziell die Bedeutung der bildgebenden Verfahren für die Medizin. Sie zeigten insbesondere die fruchtbare Anwendung moderner Methoden der Künstlichen Intelligenz (großer Datenmengen und künstlicher neuronaler Netze) für die biologisch-medizinische Forschung.

zu (3) Verfügbarkeit von Wissen und Gerät

Der Entwicklungstand der Wissenschaft eines Landes wird wesentlich bestimmt vom Stand der Methodenentwicklung, von der Bereitstellung von Methoden und Gerät, von der Softwareentwicklung und Computertechnik. Er wird wesentlich bestimmt von der Befriedigung der Anforderungen an einen modernen Wissenschaftlerarbeitsplatz. Dieses Element in der Struktur der Forschungssituation: Verfügbarkeit von Wissen und Gerät wird insbesondere mit den Beiträgen von Hansjürgen Garstka, Horst Junger, Rainer Creutzburg und Dirk Hagen behandelt. Hansjürgen Garstka wies auf die Schwierigkeiten der Datenbereitstellung in der Forschung hin, Horst Junker auf die Notwendigkeit der Schaffung von betrieblichen Umwelt-Informationssystemen, mit denen wirklich eine Nachhaltigkeitsinformatik zu realisieren ist, die alle drei Säulen der Nachhaltigkeit (Ökonomie, Ökologie und Soziales) unterstützen. Rainer Creutzburg verdeutlichte mit seinem Beitrag, wie mit der Herausbildung der globalen Vernetzung, speziell mit dem Internet und den sozialen Netzen, unterschiedliche Modelle von Netzwerkeffekten bereitgestellt wurden. Er warnte vor einer Verbreiterung der digitalen Spaltung der Gesellschaft, einer Spaltung in „Information“ Rich und „Infomation Poor“. Dirk Hagen zeigte, wie moderne KI-Methoden zur Wissenschaftsorganisation genutzt werden können, wie nach Wissen Suchende mit dem (den) richtigen und wichtigen Experten zusammengebracht werden können.

zu (4) Relevanz für Erkenntnis und Gesellschaft

Bei der Frage nach der Relevanz für Erkenntnis und Gesellschaft, dem vierten Strukturelement der Forschungssituation, geht es um die Bedeutung der gewonnen wissenschaftlichen Erkenntnisse für die weitere wissenschaftlich-technische Forschung sowie für die Erhöhung der Lebensqualität der Menschen. Von dieser Relevanz des gewonnen Wissens für den Erkenntnisfortschritt und weiteren gesellschaftlichen Fortschritt ist die Bereitstellung entsprechender Mittel und auch die Zulassung bestimmter Forschungsprojekte, durch  die verantwortlichen gesellschaftlichen Gremien, abhängig. Hier spielt die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaftlerinnen angesichts der Ambivalenz der Forschung und ihrer Ergebnisse, der Möglichkeit ihrer dualen Nutzung eine besondere Rolle. Zu dieser Problematik gehört der Beitrag von Stefan Ullrich, der auf die ethischen Grundsätze von Hans Jonas und Joseph Weizenbaum verwies und betonte, im Zeitalter der „Turing-Galaxis“ sei die Herausbildung der Urteilskraft eine der zentralen Aufgaben der Informatik.

Im Schlusswort dankte Klaus Fuchs-Kittowski allen Teilnehmer*innen an dieser interessanten und weiterführenden Online-Veranstaltung. Sein Dank galt insbesondere den Veranstaltern, den Organisatoren und den Referent*innen sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung für die finanzielle Förderung. – Es ist vorgesehen, die Beiträge der Tagung sowie weitere, die aus Zeitgründen nicht gehalten werden konnten, zeitnah in einem Band der „Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät“ zu publizieren.

Gerhard Banse

Klaus Fuchs-Kittowski