Bericht über das Raumfahrthistorische Kolloquium 2022

Das Raumfahrthistorische Kolloquium 2022 fand am 19.11.2022 nach vierjähriger Pause wieder als Präsenzveranstaltung bei ansprechender Teilnehmerzahl an gewohntem Ort im Einstein-Saal der Archenhold-Sternwarte statt. Die Raumfahrthistorischen Kolloquien waren 1981 von Dieter B. Herrmann initiiert und bis zu seinem Tod im Jahresrhythmus unter seiner Regie weitergeführt worden. Die letzte Präsenzveranstaltung war 2018. Die Coronapandemie unterbrach den Jahresrhythmus der Kolloquien. Auch 2020 konnte das Raumfahrthistorische Kolloquium als Präsenzveranstaltung nicht durchgeführt werden, sondern nur in verkürzter Fassung 2021 als Zoom-Konferenz der Leibniz-Sozietät. Dieter B. Herrmann hatte dieses Kolloquium noch organisiert und den entsprechenden Tagungsband über „Wissenschaftlich-technische Aspekte der Venuserkundung, Gestern – Heute – Morgen“ herausgegeben (Abhandlungen der Leibniz-Sozietät, Band 71). Die endgültige Fertigstellung dieses Bandes hat er nicht mehr erleben können.

Stefan Gotthold, Sabine Herrmann und Gerda Haßler auf dem Raumfahrthistorischen Kolloquium 2022

Das Raumfahrthistorische Kolloquium 2022 war das erste ohne seinen Initiator Dieter B. Herrmann.  Organisiert wurde es von Stefan Gotthold (Stiftung Planetarium Berlin), Dr. Christian Gritzner (DGLR Lilienthal-Oberth e. V.), Dr. Olaf Przybilski (Dresden) und Dietrich Spänkuch (Leibniz-Sozietät). Die Verdienste von Dieter B. Herrmann um die Raumfahrthistorischen Kolloquien wurden in allen Eröffnungsreden, vorgetragen von Gotthold für die Stiftung, Gritzner für die DLGR (verlesen von Spänkuch) und von der Präsidentin der Leibniz-Sozietät, Frau Prof. Dr. Gerda Haßler, gewürdigt. Höhepunkt der Eröffnung war die Übergabe eines Artefakts mit dem Wimpel in den Farben und dem Emblem der DDR, von der Leibniz-Sozietät, vertreten durch Prof. Dr. Haßler, an die Stiftung Planetarium Berlin, vertreten durch Herrn Gotthold. Dieser Wimpel befand sich an Bord des ersten Internationalen bemannten Weltraumflugs des Apollo-Sojus-Test-Projekts im Juli 1975. Das Artefakt enthält neben dem Wimpel auch die Unterschriften der Astronauten Deke Slayton, Tom Stafford und Vance Brand, die an Bord der Apollo-Kapsel waren. Das Artefakt war am 17. Mai 1977 vom Astronauten Garold P. Carr (1932-2020), Kommandant der Raumstation Skylab 4, der Botschaft der DDR in Washington zur Weiterleitung an den Vorsitzenden des „Koordinierungskomitees für die Erforschung und Nutzung des kosmischen Raumes“ (Interkosmos), Prof. Dr. Claus Grote, mit der Widmung „the People of the German Democratic Republic“ übergeben worden. MLS Claus Grote übergab dieses Artefakt am 29. September 2007 auf dem Kolloquium der Leibniz-Sozietät „50 Jahre Weltraumforschung. Erforschung und Überwachung der Erde und des Weltraumes gestützt auf die Mittel der Raumfahrt“ dem damaligen Präsidenten der Leibniz-Sozietät Dieter B. Herrmann. Seine Witwe, Frau Sabine Herrmann übergab das Artefakt kurz vor der Eröffnung des RHK 2022 an Frau Prof. Dr. Haßler zur Übergabe an die Stiftung Planetarium Berlin.

Das Raumfahrthistorische Kolloquium 2022 wurde von Dietrich Spänkuch eröffnet, der auch die Moderation für den ersten Teil des Kolloquiums übernahm. Im ersten Beitrag „Prof. Dr. Dieter B. Herrmann (1939-2021) – Porträt einer beeindruckenden Persönlichkeit“ würdigte MLS Jürgen Hamel, langjähriger Mitarbeiter Dieter B. Herrmanns an der Archenhold-Sternwarte, dessen Verdienste und zeichnete ein umfassendes Bild dieses großen Gelehrten anhand vieler persönlich mit ihm erlebten Gegebenheiten. Im anschließenden Nachruf auf Prof. Dr. Robert Knuth (1935-2022) ließ Prof. Dr. Dieter Oertel (Schwielochsee) das Leben und Wirken dieses namhaften Wissenschaftlers noch einmal Revue passieren. Robert Knuth verdiente sich seine ersten wissenschaftlichen Sporen im Observatorium für Ionosphärenforschung Kühlungsborn des Meteorologischen Dienstes der DDR und war danach erster Leiter der Satellitenbodenempfangsstation der DDR in Neustrelitz, die er zusammen mit seinen Mitarbeitern aufbaute (Dr. Norbert Jakowski, Mitautor des Nachrufs, gehörte zu diesen Mitarbeitern), und die heute wesentlich erweitert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betrieben wird. Er wurde Gründungsdirektor und erster Direktor des Instituts für Kosmosforschung der AdW der DDR, wo er maßgeblich die Raumfahrtforschung in der DDR mitgestaltete. Im anschließenden Vortrag „Die Raketenforschung der Junkers-Werke (JFM AG) Dessau 1928 – 1938“ von Dr. Reinhard Sagner (Dessau) zeichnete dieser ein eindrucksvolles Bild der Forschungsarbeiten in diesem Werk zu Pulverraketen und Benzin-Rückstoßern als Starthilfen für Raketen und gebündelten Einzeltriebwerken für Flugzeugjäger mit zum Teil neuen und noch nicht veröffentlichten Dokumenten. Dabei ging er besonders auf die Arbeiten des Raumfahrtingenieurs Johannes Winkler (1897-1947) ein, die auch von Wernher von Braun gewürdigt wurden. Wie stark der erste Start eines Erdsatelliten die Menschheit erstaunte und begeisterte, zeigte Dr. Wolfgang Both (Berlin) in dem anregenden Vortrag „Der Sputnik in der amerikanischen Alltagskultur – zum 65. Jahrestags des Sputnikstarts“, gewürzt mit vielen aussagekräftigen Illustrationen. Die ersten Reaktionen waren treffliche Karikaturen. Es folgten Beispiele von Wortschöpfungen, aus Musik, Mode und Design von Möbeln, Gebrauchsgegenständen und Kinderspielzeug. Der zweite Teil des Kolloquiums wurde von Stefan Gotthold moderiert. In den beiden Vorträgen von MLS Rainer Schimming und MLS Nina Hager ging es um die menschliche Besiedlung des Weltraums, wobei beide Vortragenden auf das letzte Buch von Dieter B. Herrmann „Erde an Mars. Wie die Menschheit das Weltall besiedeln wird.“  Bezug nahmen. Rainer Schimming ging in seinem Vortrag „Besiedelt die Menschheit das Weltall? Kosmismus von Ziolkowski bis heute“ vor allem der Frage nach, ob die Menschheit will, soll, darf, kann oder auswandern muss ins All. Dass die Menschheit in sehr weiter Zukunft auswandern muss, wenn sich unsere Sonne zu einem roten Riesen aufbläht, ist gewiss. Solange sie aber nicht die gegenwärtig bedrohlichen Einflüsse auf das Überleben der Menschen auf unserer Erde lösen kann, ist diese Frage nicht aktuell. In ihrem Vortrag „Auf dem „Weg zu den Sternen“ – zum Mensch-Natur-Verhältnis: Pflichten und Verantwortung“ beschrieb Nina Hager die historische Entwicklung von der Beobachtung der Himmelserscheinungen und deren Nutzung für die verschiedenartigen menschlichen Aktivitäten bis zur aktiven Raumfahrt mit der Perspektive der Errichtung von Weltraumfabriken auf dem Mond und auf erdnahen Asteroiden. Diese Geschichte lehrt aber gleichzeitig, dass die Folgen dieser Aktivitäten selten oder gar nicht bedacht werden.

Alle Beiträge des Raumfahrthistorischen Kolloquiums werden in einem Band der Abhandlungen der Leibniz-Sozietät veröffentlicht.

Dietrich Spänkuch