Bericht über das Raumfahrthistorische Kolloquium 2019 in Berlin

 

Am Samstag, den 16. November 2019 fand an der Archenhold Sternwarte in Berlin-Treptow das diesjährige Raumfahrthistorische Kolloquium statt.

Veranstalter waren wie in den Jahren zuvor die Stiftung Planetarium Berlin (Archenhold Sternwarte), die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt Lilienthal-Oberth e.V. (DGLR), die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR).

Das Kolloquium wurde organisiert von Prof. Dr. Dieter B. Herrmann (Berlin), Dr.-Ing. Olaf Przybilski (Dresden) und Dr.-Ing. Christian Gritzner (Bonn). Eröffnet wurde das Kolloquium von Stefan Gotthold, dem neuen Leiter der Archenhold Sternwarte, durch das Programm führte Herr Gritzner.

Da der eigentlich geplante erste Vortrag leider kurzfristig entfiel, sprang Dr. Przybilski ein mit seinem Vortrag „Erinnerung an Sigmund Jähn und die DDR Kosmonauten-Kandidaten“. Nach einer Gedenkminute für den am 21. September 2019 unerwartet verstorbenen Dr. Sigmund Jähn, den ersten Deutschen im Weltraum, wurde der damals hochgeheime Auswahlprozess für den ersten DDR-Kosmonauten präsentiert. Aus den rund 600 Militärpiloten, die grundsätzlich in Frage kamen, wurden 30 Anwärter identifiziert, von denen nach strengen medizinischen Tests und weiteren Eignungsprüfungen 16 in die engere Auswahl kamen. Schließlich blieben 4 Bewerber übrig, die im Moskauer Sternenstädtchen zusammen mit sowjetischen Raumfahrtärzten nochmals eingehend untersucht wurden. Schlussendlich wurden Sigmund Jähn und als sein „Double“ Eberhard Köllner 1976 in Moskau als die ersten DDR-Kosmonauten ausgewählt. Dass Köllner der Ersatzmann von Jähn sein sollte wurde den beiden aber erst zwei Tage vor dem Start mitgeteilt. Am 26. August 1978 startete Sigmund Jähn zu seinem Raumflug. Eine Zusammenfassung dieses Vortrags ist übrigens in Heft 04/2018 der „Luft- und Raumfahrt“ der DGLR erschienen und kann auf der DGLR-Homepage heruntergeladen werden. Dr. Przybilski ist es auch zu verdanken, dass sich im Frühjahr 2019 noch 8 der Kandidaten und zwei Witwen in Dresden getroffen haben. Heinz Boback, einer der 16 Kosmonautenkandidaten, nahm am diesjährigen Kolloquium als Zuhörer teil. Übrigens ist Sigmund Jähn (oder „Sig“, wie er von seinen Freunden und Fans genannt wurde) ein häufiger und gerngesehener Gast des Raumfahrthistorischen Kolloquiums gewesen, der sich aktiv an den Diskussionen beteiligte! Wir werden ihn in bester Erinnerung behalten!

Im nächsten Beitrag berichtete Dr. Wolfgang Both anlässlich des 125. Geburtstags von Hermann Oberth und Rudolf Nebel über deren Verhältnis zueinander. Dieses Verhältnis war von einem dauernden hin und her geprägt, bis es nach rund 2 Jahren zum endgültigen Zerwürfnis kam. Anfangs bewarb sich Nebel bei Oberth, um an der Rakete für den Fritz Lang-Film „Die Frau im Mond“ zu bauen. Die UFA gab eine Geldsumme für die Arbeiten an Oberth, so dass diese Nebel ein Gehalt zahlen konnte. Nachdem kein Raketenstart zur Filmpremiere stattfand, ging Oberth zurück nach Siebenbürgen und stellte Nebel eine Vollmacht für die Weiterarbeit an der Rakete aus. Oberth war dann aber oft mit Nebel’s Arbeiten unzufrieden und wollte ihm vieles vorschreiben. Nebel fühlte sich kontrolliert und hatte seine eigenen Ideen, die er in die Raketenexperimente einbringen wollte. Ein überraschendes Detail wurde durch Dr. Both bei seinen Recherchen aufgedeckt: der unzufriedene und argwöhnisch gewordene Oberth beauftragte einen Privatdetektiv, um mehr über Nebel und dessen Vorgeschichte zu erfahren. Dies ergab aber nichts, was Oberth genutzt hätte. Ende 1930 antwortete Oberth nicht mehr auf Nebel’s Briefe und Nebel sah sich an frühere Abmachungen nicht mehr gebunden und gründete mit anderen Mitstreitern und mit Unterstützung des Heereswaffenamtes 1930 den Raketenflugplatz Reinickendorf.

Michael Tilgner stellte in seiner Präsentation den 1927 ins Leben gerufenen „REP-Hirsch-Preis“, den Internationalen Preis für Astronautik vor. Mit „REP“ ist Robert Esnault-Pelterie (1881-1957) gemeint, der als französischer Flug- und Raumfahrtpionier gilt. Als er nach einer eigenen Veröffentlichung erfuhr, dass Walter Hohmann bereits ein Buch über die Berechnung von Raketen- und Satellitenflugbahnen veröffentlicht hatte, beschloss er, zusammen mit dem Bankier André-Louis Hirsch einen Astronautikpreis zu stiften. Dieser Preis sollte Forscher in aller Welt als Anreiz für weitere Forschungen dienen. Den ersten Preis erhielt 1927 Hermann Oberth, während Walter Hohmann anerkennend erwähnt wurde. Oberth war sehr erfreut und positiv überrascht, dass er knapp 10 Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges als Deutscher ausgerechnet einen französischen Preis für sein erstes Buch erhielt. In den Folgejahren gab es mehrfach Auszeichnungen, bis dies durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen wurde. Herr Tilgner fand allerdings in einer Veröffentlichung Esnault-Pelterie’s nach Kriegsende einen anderen Grund für diesen Preis: Esnault-Pelterie wollte aus den eingesandten Manuskripten speziell mehr über die deutschen Aktivitäten auf dem Gebiet der Raketentechnik erfahren, zum Wohle und Schutz seines Vaterlandes. Bereits 1943, kurz nach dem Einsatz der V2-Raketen, hatte er sich so geäußert, aber es ist unklar, ob diese Absicht anfangs wirklich bestand oder ob er sich als visionärer Warner und Retter darstellen wollte.

Frau Dr. Marie-Luise Heuser widmete Ihren Vortrag dem Thema „Apokalypse und Hoffnungsschimmer – Max Valier als Sciencefiction-Autor“. Max Valier war Astronom und schon früh von der Raumfahrt begeistert. Akribisch stellte Dr. Heuser die zahlreichen Schriften Valier’s einander gegenüber und konnte darlegen, dass er vermutlich begründet in seinen Erlebnissen als Flieger im Ersten Weltkrieg und dem dort Erlebten tief erschüttert war. Sein 1919 erschienener Roman „Spiridion Illuxt“ war dementsprechend düster und er beschrieb den Versuch der Vernichtung der Welt durch seinen Protagonisten. In der Folgezeit schrieb er zahlreiche populärwissenschaftliche Veröffentlichungen zur Astronomie, Raketentechnik und der damals diskutierten Welteislehre. Der 1927 veröffentlichte Science-Fiction-Roman „Auf kühner Fahrt zum Mars“ wendete sich aber der Erforschung des Mars und des Weltraums zum Wohle der Menschheit zu. Valier gründete zusammen mit Johannes Winkler 1927 in Breslau den Verein für Raumschiffahrt. Bekannt in der Öffentlichkeit wurde er mit den Raketenauto-Versuchen zusammen mit Fritz von Opel. Valier forschte zusammen mit seinen Assistenten Walter Riedel und Arthur Rudolf in den Berliner Heylandt-Werken an Raketenmotoren mit Flüssigbrennstoffen, was ihn als echten Raketenpionier ausweist. Valier starb 1930 an den Folgen einer Explosion bei einem Brennversuch eines Raketentriebwerks.

Einen umfassenden Überblick über die europäische Raketenentwicklung bis heute präsentierte Dr. Olaf Przybilski unter dem Titel „Warum ARIANE von Wikingern getragen wurde – Rückblick auf den Erststart der europäischen Ariane-Trägerrakete vor 40 Jahren“. Anhand der in Frankreich entwickelten Raketenmotoren des Typs „Viking“ (Wikinger) stellte er die ersten Anfänge der europäischen Triebwerksentwicklung, damals mit US-Unterstützung, noch vor der „Europa I“ dar. Später folgten einige weitere Raketenmotoren, deren Namen alle mit eine „V“ beginnen (z.B. Vulcain), was für den Standort Vernon nahe Paris steht. Herr Przybilski konnte nach dem Ende des Ariane 4 Programms über den Sächsischen Verein für historisches Fluggerät zahlreiche Hardwareteile und Unikate vor der Verschrottung retten und brachte eine kleine Auswahl zum Kolloquium mit. Auf die maßgebliche Beteiligung des deutschen Ingenieurs Bringer bei der Triebwerks- und Turbopumpen-Entwicklung ging er ebenso ein und verwies auf seinen Vortrag im Kolloquium im letzten Jahr. Nun steht Europa vor dem Wechsel von der sehr erfolgreichen Ariane 5 auf die den neuen Markterfordernissen besser angepassten Ariane 6, die 2020 ihren Erststart absolvieren soll.

Durch diese interessanten Vorträge und die sich daraus entwickelnden Diskussionen konnte an diesem recht trüben Herbsttag doch etwas Licht in die Geschichte der Raumfahrt gebracht werden. Im nächsten Jahr soll sich das Kolloquium wieder einem Generalthema widmen: der Erforschung des Planeten Venus!

Dr. Christian Gritzner (Bonn)