Wissenschaftliche Sitzungen der Klassen der Leibniz-Sozietät im Jahre 2007

Nachfolgend werden die im Jahr 2007 stattgefundenen wissenschaftlichen Sitzungen der beiden Klassen der Leibniz-Sozietät zusammen mit den Kurzreferaten und Angaben zu den C.V. der Vortragenden aufgelistet.
Die Namen der Autoren sind mit dem Autorenverzeichnis verlinkt, weiterhin sind Links zu den Publikationen der Leibniz-Sozietät angegeben, falls die Vorträge bereits publiziert wurden.

11. Januar 2007

Fritz Gackstatter
Lunisolarer Einfluss auf Ebbe und Flut

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, BVV-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 34, 10.03.07 

Prof. Gackstatter (65) ist Mathematiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2006. Er lehrt am 1. Mathematischen Institut der Freien Universität Berlin.

Der Vortrag beschäftigt sich mit Gezeitendynamik. Hohe Springfluten (“Extreme Proxigean Spring Tides”) treten auf, wenn Abstände im Dreikörpersystem Sonne-Erde-Mond besonders klein ausfallen. Die von Hipparch entdeckte Evektionsungleichheit der Mondbahn spielt dabei eine Rolle.
Ein interessantes Phänomen tritt in Erscheinung: Die erste extreme Dreikörperkonstellation im neuen Jahrtausend ist am 10.Januar 2005 bei Neumondstellung aufgetreten. Einen halben synodischen Monat zuvor, bei Vollmond am 26. Dezember 2004, hat ein ozeanisches Erdbeben vor der Küste von Sumatra den Tsunami im Indischen Ozean ausgelöst.

 

Herbert Meißner
Zur Geschichte der ‘Geschichte der politischen Ökonomie’ in der DDR – ein wissenschaftlicher Versuch

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 34, 10.03.07  

Prof. Meißner (79) ist Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1993. Nach dem Studium in Leipzig absolvierte er 1952 – 1956 eine Aspirantur an der Universität Leningrad und promovierte dort. An der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst erhielt er eine Dozentur und habilitierte sich 1963. Zwei Jahre später wurde er als Professor an die Akademie der Wissenschaften der DDR berufen. 1975 wurde er Akademiemitglied, 1979 erhielt er den Nationalpreis der DDR.
Sein Spezialgebiet ist die Geschichte der politischen Ökonomie. Er gab mehrere Gemeinschaftswerke und Lehrbücher heraus, veröffentlichte einige Bücher, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden sowie 228 Artikel in in- und ausländischen sowie internationalen Fachzeitschriften, veranstaltete internationale wissenschaftliche Konferenzen als Leiter internationaler Fachkommissionen.

Das Anliegen des Vortrags besteht in der kritischen und selbstkritischen Analyse wissenschaftsgeschichtlicher Entwicklung in der DDR am Beispiel der Wirtschaftswissenschaft. Das in der Nachwendezeit von der offiziellen Wissenschaftspolitik intensiv verbreitete Vor- und Fehlurteil, die Gesellschaftswissenschaften hätten nur eine Rechtfertigungsfunktion gehabt und unter politischem Zwang gestanden, wird mittels vieler Quellennachweise widerlegt. Von DDR-Ökonomen erbrachte Forschungsergebnisse von bleibendem wissenschaftlichem Wert werden vorgestellt, ob es sich um Arbeiten über Martin Luther, Adam Smith, die Physiokraten oder John Stuart Mill handelt. Auch zur ökonomischen Theorie während des Faschismus und in der Nachkriegszeit liegen wertvolle Forschungen vor, so zu Wachstumstheorien, zum Keynesianismus, zur Konvergenztheorie und zum Neoliberalismus alter und neuer Prägung.
Selbstkritisch werden auch konkrete Beispiele für Simplifizierung, Mittelmaß und ideologisch begründete Vulgarisierungen angeführt. Insgesamt aber hat in der DDR seriöse wissenschaftliche Lehr- und Forschungsarbeit stattgefunden, und es wurde Erkenntniszuwachs produziert, der für die Wissenschaftsgeschichte gültig und wertvoll bleibt.

 

8. Februar 2007

Sabine Müller
Auf der Suche nach dem Ursprung des Lebens: Einsichten in die RNA-Welt

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, BVV-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 35, 15.06.07  

Frau Prof. Müller (40) ist Biochemikerin. Nach dem Studium in Berlin und Moskau arbeitete sie am Institut für Chemie der Humboldt-Universität sowie als Postdoc am Medical Research Council in Cambridge (U.K.). 2001 – 2003 leitete sie eine Nachwuchsgruppe (DFG-Habilitandenstipendium) in Berlin. Nach der Habilitation (2003) wurde sie als Professorin für Bioorganische Chemie an die Ruhr-Universität Bochum berufen. Seit 2006 ist sie Professorin für Bioorganische Chemie/Biochemie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.
Im Rahmen der von der EU geförderten Initiative “Prebiotic Chemistry and Early Evolution” arbeitet sie mit Partnern aus dem europäischen Ausland zusammen. Bilaterale Projekte verfolgt sie mit Partnerinnen in Paris, Moskau und den USA.

Was ist Leben? Die naturwissenschaftliche Betrachtung weist einem lebenden System charakteristische Eigenschaften zu: Energieaustausch mit der Umgebung, Stoffwechsel, Informationsaustausch, Reaktion auf Umweltveränderungen, Wachstum, Fortpflanzung. Auf molekularer Ebene bedeutet das: Leben beginnt, wenn sich Moleküle als Träger eines genetischen Programms mit Hilfe von Helfermolekülen zur Realisierung, Vervielfältigung und Anpassung dieses genetischen Programms zu Systemen organisieren.
RNA-Moleküle sind Träger eines genetischen Programms und können durch ihre Fähigkeit, eine große Breite von chemischen Reaktionen zu katalysieren, gleichzeitig als Helfermoleküle fungieren. Darauf basiert das Konzept der RNA-Welt, in der RNA-Moleküle sowohl Informationsträger als auch funktionelles Element einfacher Lebensformen waren. Noch heute finden sich Relikte RNA basierter Lebensformen in der Natur, z. B. autokatalytische RNAs in Viren und Bakterien, das Ribosom als Ort der Proteinbiosynthese oder die Regulation der Genexpression auf mRNA-Ebene.
Die Suche nach RNA-Molekülen, die neue katalytische Eigenschaften mit funktionellen Konsequenzen besitzen, ist ein zentraler Punkt der Forschungsproblematik. Durch rationales und evolutives Design kombiniert mit organischer Synthese und biophysikalischen Methoden zur Struktur- und Mechanismusanalyse entwickelt die Vortragende kleine funktionelle RNA-Moleküle als Modelle für Informationstransfer und Katalyse in RNA-Welt-Szenarien.

 

Rolf Hecker (Berlin):
Marx´ Arbeit am 2. Bd. des „Kapitals“, Engels’ Redaktion sowie die zeitgenössische Rezeption (zum Erscheinen des MEGA-Bandes II/13)

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226

Prof. Hecker hat Geschichte der politischen Ökonomie an der Lomonossow-Universität in Moskau studiert und ebendort promoviert (1972–80); seit 1980 arbeitet er mit an der MEGA (II/6, II/8). Mit einer japanischen Arbeitsgruppe hat er den Band II/12 ediert (2005). Nach der Habilitation (1988), über die Entwicklung der Werttheorie bei Marx, wurde er ans Berliner Institut für Marxismus-Leninismus (IML) zum Professor für Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung berufen. Zuletzt war er angestellt im Akademievorhaben MEGA der BBAW (bis 1994). Seit 1995 ist er freiberuflich tätig: u.a. war er mehrfach zu Gastvorlesungen an verschiedenen Universitäten in Japan, leistete Forschungen und Erstveröffentlichungen zur Geschichte der MEGA-Edition seit den 1920er Jahren, beteiligt sich an der Herausgabe der Beiträge zur Marx-Engels-Forschung – Neue Folge – sowie an weiteren Publikationen in Mitautor- und -herausgeberschaft. Er ist ehrenamtlicher Vorsitzender des Berliner Vereins zur Förderung der MEGA-Edition e.V.

Im MEGA-Band II/12 wurde das Redaktionsmanuskript von Engels zum zweiten Band des Marxschen „Kapitals“ erstmalig veröffentlicht (2005). Im Band II/13 wird die Druckfassung des Werkes von 1885 neu ediert (2007). Diese Bände, zusammen mit den bisher unveröffentlichten, jedoch im Band II/11 noch zu erwartenden Marxschen Manuskripten zum zweiten Buch (ebenfalls 2007), eröffnen eine neue Sicht auf den Ausarbeitungsprozess des Werkes durch Marx und die Editionstätigkeit von Engels. Es stellt sich, wie für den dritten Band bereits in der wissenschaftlichen Diskussion geschehen, die Frage nach dem Verhältnis von Autor und Herausgeber. Engels musste, um ein publikationsreifes Werk präsentieren zu können, aus den von Marx hinterlassenen Manuskripten die Textpassagen auswählen und vielfältige Veränderungen in der Anordnung und Terminologie vornehmen. All dies wird in detaillierten Verzeichnissen in den MEGA-Bänden nachgewiesen.
Der zweite Band des „Kapitals“ hat eine vielschichtige Rezeptionsgeschichte, die von strikter Ablehnung nach seiner Veröffentlichung bis zu lebhaften Diskussionen der Reproduktionsschemata Anfang des 20. Jahrhunderts reicht. Im Vortrag werden die bei der Bearbeitung der beiden MEGA-Bände gewonnenen neuen Forschungsergebnisse vorgestellt.

 

08. März 2007

Ganztägige gemeinsam Sitzung von Plenum und Klassen anlässlich des Druckes der “Opera didactica omnia” des Johann Amos Comenius vor 350 Jahren

Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, BVV-Saal

Prof. Dr. Siegfried Wollgast (Dresden):
Aufklärung, Pädagogik und Akademiegedanke  

Prof. Dr. Dr. h.c. Jaroslav Pánek (Vizepräsident der AdW der čR und Prof. an der Karls-Universität in Prag):
Comenius und seine Zeit 

Dr. Werner Korthaase (Berlin):
Comenius – In Verantwortung für das Schicksal der Menschheit 

Prof. Dr. Andreas Fritsch (Vorsitzender der Deutschen Comenius-Gesellschaft):
Die „neueste Sprachenmethode” in den “Opera didactica omnia” des Comenius 

 

12. April 2007

Gemeinsame wissenschaftliche Sitzung von Plenum und Klassen zum 300. Geburtsatag Leonhard Euler am 12.4. 2007

Humboldt-Universität zu Berlin, Hauptgebäude, Unter den Linden 6, Senatssaal

Prof. Dr. Lothar Budach (Berlin):
Eulers Begründung der Analysis situs 

Prof. Dr. Fritz Gackstatter (Berlin):
Eulers Beiträge zu Variationsrechnung und Himmelsmechanik 

Prof. Dr. Erik W. Grafarend (Stuttgart):
Kinematische und dynamische Gleichungen zur Erdrotation – Messexperimente, Präzession/Nutation versus LOD/Polbewegungen 

Prof. Dr. Herbert Hörz (Berlin):
Freiheit als Stein des Anstoßes in der Philosophie – Welträtsel in Eulers Sicht 

Prof. Dr. Roswitha März (Berlin):
Rechnen mit Euler

 

10. Mai 2007

Gemeinsame Sitzung der Klassen Naturwissenschaften – und Sozial- und Geisteswissenschaften aus Anlass des 80. Geburtstages von Karl Lanius

Verantwortung des Wissenschaftlers in einer sich rasch wandelnden Welt

Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, BVV-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 36; 10.08.07

Prof. Dr. Werner Ebeling:
Laudatio 

Christian Spiering (Zeuthen):
Astroteilchenphysik: Erfolge und Perspektiven 

Dr. Spiering, Jahrgang 1948, studierte Physik an der Humboldt-Universität zu Berlin und promovierte 1974. Von 1974 bis 1978 arbeitete er am Vereinigten Institut für Kernforschung in Dubna, danach wieder am Institut für Hochenergiephysik (IfH) der AdW der DDR in Zeuthen (jetzt Helmholtzzentrum DESY).
Seit 1988 baute er in Zeuthen eine Gruppe für Neutrino-Astrophysik auf, mit Beteiligungen am Baikal-Neutrinoteleskop in Sibirien und dem AMANDA/IceCube Teleskop am Südpol. Er ist gegenwärtig Sprecher der IceCube-Kollaboration. Er leitet außerdem das Peer Review Committee von ApPEC (Astroparticle Physics European Coordination). ApPEC hat kürzlich ein Strategiepapier (“Roadmap”) für die Astroteilchenphysik in Europa vorgestellt.

Astroteilchenphysik ist ein interdisziplinäres Feld an den Schnittpunkten von Teilchenphysik, Astronomie und Kosmologie. Es sucht nach Antworten auf Fragen wie etwa der nach der Natur der Dunklen Materie oder der nach dem Ursprung der kosmischen Strahlung. Eine wichtige Rolle spielen dabei Neutrinos, mit denen man Einblick in das Innere kompakter kosmischer Objekte erhalten kann. Im Mittelpunkt des Vortrages wird die Neutrinoastronomie stehen.

Herbert Hörz (Berlin):
Ist Wissenschaft eine moralische Instanz? 

Prof. Hörz (73) ist Philosoph und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1993. Seit 1965 war er Professor für philosophische Probleme der Naturwissenschaften an der Humboldt-Universität, seit 1973 Leiter des Bereichs Philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung am Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1989 – 1992 Vizepräsident der AdW der DDR für die Gelehrtensozietät (jetzt Leibniz-Sozietät), 1992-1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW). Bis Januar 2006 war er Präsident der Leibniz-Sozietät und gehört nun als Altpräsident dem Präsidium der Sozietät an.
Er hat sich besonders beschäftigt mit Methodologie, Erkenntnistheorie und Geschichte der Wissenschaften, philosophischer Entwicklungstheorie und interdisziplinären Beziehungen zwischen Natur-, Technik- und Sozialwissenschaften. Die Korrespondenz von Hermann v. Helmholtz hat er ediert. Zu Vorträgen weilte er in den USA, China, Japan und den Ländern Ost- und Westeuropas, zu Gastprofessuren in Moskau und Graz. Von seinen zahlreichen Buchpublikationen seien nur genannt: Werner Heisenberg und die Philosophie (1966); Philosophische Entwicklungstheorie (1983); Naturphilosophie als Heuristik? (2000)

Der Vortragende würdigt zu dessen 80. Geburtstag das gesellschaftskritische Wirken des Hochenergiephysikers Karl Lanius. Gesellschaftskritik ist nicht nur Sache von Gesellschaftstheoretikern. Aktivitäten der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Leibniz-Sozietät, in die der Jubilar eingebunden war und ist, belegen das. Ein Beispiel ist die von ihm initiierte Debatte “Verantwortung” auf der homepage der Leibniz-Sozietät. Generell geht es um die Frage, ob Wissenschaft eine moralische Instanz sein kann. Das führt zu weiteren Problemen: Welche Funktion haben Weltbilder? Welches Wissenschaftsverständnis ist unserer Zeit angemessen? Wie ist das Verhältnis von Wissenschaft und Moral?
Wir treffen Entscheidungen auf der Grundlage unvollständiger Erkenntnis und versuchen mit Versuch und Irrtum den Risiken zu begegnen. Das ist mit tieferer Einsicht in die objektiven Gesetze der Natur, der Gesellschaft und der Aneignung der Wirklichkeit besser möglich. Insofern kann Wissenschaft zur moralischen Instanz werden, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrer Verantwortung gerecht werden. Sie erweitern dazu ihre Kompetenz, um Erkenntnisse danach zu bewerten, wie die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren ist und die Lebensqualität aller Menschen erhöht werden kann. Gesellschaftskritik wird so zum Bestandteil wissenschaftlichen Forschens.

 

14. Juni 2007

Dietrich Reinhardt
Allergische Erkrankungen – Zivilisationskrankheiten?

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, BVV-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 36; 10.08.07 

Prof. Reinhardt (65) ist Facharzt für Kinderheilkunde und Pharmakologie und Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München. Neben seiner Lehrtätigkeit ist er Mitherausgeber verschiedener Lehrbücher und medizinischer Fachzeitschriften sowie Autor zahlreicher fachwissenschaftlicher Veröffentlichungen. Er ist verantwortlicher Schriftleiter der „Monatsschrift für Kinderheilkunde“ und Herausgeber des Lehrbuchs „Therapie der Krankheiten des Kindesalters“. Nach seinem Studium in Heidelberg und Kiel war Prof. Reinhardt an den Universitäten Essen und Düsseldorf tätig und absolvierte einen mehrmonatigen Aufenthalt an Kinderkliniken in den USA. Seit vielen Jahren gilt sein Engagement zudem der Organisation und Durchführung von Veranstaltungen zur ärztlichen Fortbildung im In- und Ausland. Seine Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Klinik sind die Arzneimitteltherapie, Lungenerkrankungen und Allergien bei Kindern sowie die Mukoviszidose.
Prof. Reinhardt ist seit März 2005 Dekan der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2006.

Die Entstehung von Asthma und allergischen Erkrankungen wird sowohl durch genetische Veranlagung als auch durch Umwelteinflüsse bedingt. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei der genetischen Veranlagung um komplexe Veränderungen in mehreren Genen handelt, die an verschiedenen pathophysiologischen Mechanismen beteiligt sind. Kandidatengene für die Entstehung von Asthma und Allergie wurden mit unterschiedlichen Methoden identifiziert und auf das Vorhandensein von Polymorphismen (Mutationen = Genveränderungen) untersucht. Während eine Vielzahl von Polymorphismen in Assoziationsstudien eine Verbindung mit Asthma und Allergie zeigten, sind die funktionellen Hintergründe dieser Assoziationen in den meisten Fällen noch unklar. Auch die Beziehung zwischen Umwelteinflüssen und genetischer Prädisposition könnte potenziell tiefgreifende Auswirkungen auf die Entstehung von Asthma und Allergie haben. In diesem Zusammenhang spielt auch die frühkindliche Ernährung eine Rolle. So ist eindeutig belegt, dass gestillte Kinder weniger zu Allergien neigen.
Aus den erkannten Entstehungsmechanismen für Allergien leiten sich eine Reihe von neuen Präventions- und Therapiestrategien ab.

 

Ulrich van der Heyden
Zur Geschichte der Afrikanischen Unabhängigen Kirchen im nördlichen Südafrika – dargestellt vornehmlich mit Quellen aus Berlin südlichen Afrika

Vortrag vor der Klasse Geistes- und Sozialwissenschaften der Leibniz-Sozietät Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 36; 10.08.07 

PD Dr. phil. et Dr. rer. pol. habil. van der Heyden (52) ist Afrika- und Kolonialhistoriker sowie Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Afrika. Er lehrt als Privatdozent am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Missions- und Religionswissenschaft sowie Ökumenik der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Wintersemester 2006/2007 war er Gastprofessor auf dem Alfred-Grosser-Lehrstuhl am Institut d’Etudes Politiques de Paris (Science Po) in Nancy.
Er studierte Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und promovierte 1984 am Bereich Afrikanistik der Humboldt-Universität. Danach Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften der DDR, am Forschungsschwerpunkt Moderner Orient, an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der Freien Universität Berlin. Im Jahr 1997 erneute Promotion an der Freien Universität Berlin, dort auch 2002 Habilitation. Er gibt sechs wissenschaftliche Buchreihen (mit) heraus und ist Autor bzw. Herausgeber von mehr als 30 Monographien sowie Verfasser von zirka 130 wissenschaftlichen Studien.
Seit 2005 gehört er der Leibniz-Sozietät an.

Die Afrikanischen Unabhängigen Kirchen (AUK) spielen in Afrika, so auch in Südafrika, eine nicht unbedeutende Rolle. Entstanden Ende des 19. Jahrhunderts als Ausdruck der Emanzipation von der Kolonialkirche, insbesondere den europäischen Missionsgesellschaften, machten die Gründer und Anhänger der AUK deutlich, daß sie auch ohne die Europäer in der Lage sind, ihr eigenständiges Christentum zu leben. Um die Jahrhundertwende wurde aus dem religiös motivierten Protest ein politischer Widerstand. Im Süden Afrikas kulminierter dieser in der Mitbegründung der Befreiungsorganisation African National Congress (ANC) im Jahre 1912. Heute allerdings haben sie kaum noch eine politische Bedeutung.
Wesentlichen Anteil an der Entstehung einer der ersten AUK in der heutigen Republik Südafrika, der Lutheran Bapedi Church, hat – ungewollt und bekämpft – die in der deutschen Hauptstadt ansässige Berliner Missionsgesellschaft, die seit 1834 im Süden Afrikas versuchte, die Afrikaner zum Christentum zu bekehren. Als Akt der Emanzipation von den europäischen Missionaren entstand 1890 auf ihren “Missionsfeld” die heute noch existente Lutheran Bapedi Church. Da über Entstehung und Entwicklung dieser afrikanischen Kirche in Südafrika so gut wie keine schriftlichen Dokumente existieren, ist der Historiker auf die in Berlin lagernden deutschen Quellen angewiesen.
Das erwähnte Beispiel belegt die exorbitante Bedeutung der in den deutschen Missionsarchiven lagernden historischen Quellen für die weit über die traditionelle Missionsgeschichtsschreibung hinausgehende Historiographie (des “neuen”) Südafrikas.

 

13. September 2007

Gisela Jacobasch
Übergewicht und Fettsucht: Gesundheitliche und ökonomische Konsequenzen

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, BVV-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 37; 21.11.07 

Frau Prof. Jacobasch (72) ist Biochemikerin und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1997. 35 Jahre lang war sie am Institut für Biochemie der Charité an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. 1995 übernahm sie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke die Leitung der Abteilung Präventiv-Medizinische Lebensmittelforschung.

Übergewicht und Fettsucht, die in den letzten Jahren endemisch zugenommen haben, sind zu einem ebenso großen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Problem geworden wie die Unterernährung in vielen Ländern. Weltweit geht gegenwärtig die WHO von 1,6 Milliarden übergewichtigen Menschen (BMI>25) und 400 Millionen Fettsüchtigen (BMI>30) aus. Seit 1980 nahm die Zahl der fettsüchtigen Menschen um >75% zu. Besonders alarmierend ist die immer größer werdende Anzahl fettsüchtiger Kinder; sie hat sich z. B. in den letzten 10 Jahren in den USA verdreifacht, in China sogar verachtfacht. Die Ursache dieser Entwicklung liegt im Ungleichgewicht von zu hoher Energieaufnahme und zu geringem -verbrauch. Der Überschuss wird als Fett gespeichert.
Fettsucht erhöht sowohl die Mortalitäts- als auch die Morbiditätsrate signifikant. Sie gehört zu den Risikofaktoren für koronare Herzerkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 und Krebs.
Die skizzierte Situation hat die Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Fettsucht in den letzten Jahren intensiviert; sie ist begleitet von einem Wettlauf der Arzneimittelindustrie, die bereits jetzt hohe finanzielle Gewinne verbucht. Als verschwindend gering sind im Vergleich dazu die Bemühungen zur Prävention einzuschätzen, obwohl sie am erfolgversprechendsten wären. Präventionsmaßnahmen lassen sich jedoch nur durch ein gemeinsames Handeln von Politik und Wirtschaft realisieren.
Abnehmen ist wesentlich schwieriger als Zunehmen, da die Kontrolle des Organismus darauf ausgerichtet ist, das jeweils erreichte Gewichtsniveau zu stabilisieren.
Im Vortrag werden die zentralen Mechanismen der Appetitkontrolle sowie die kausalen Zusammenhänge, die bei Übergewicht und Fettsucht das Risiko für bestimmte Erkrankungen erhöhen, erläutert.

 

Sitzung der Klasse Geistes- und Sozialwissenschaften aus Anlaß des 75. Geburtstages von Reimar Müller

Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226

Armin Jähne (Bernau):
Recht oder Gerechtigkeit. Das Dilemma des heimgekehrten Odysseus 

Prof. Jähne (66) ist Spezialist für Alte Geschichte und Osteuropäische Geschichte sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2001. Nach Promotion (1970) und Habilitation (1980) wurde er 1988 zum Professor an der Humboldt-Universität Berlin berufen, wo er bis 1996 wirkte. Seitdem leistet er Projektarbeit. Seine Forschungsgebiete sind die Geschichte Griechenlands und des Hellenismus sowie die Wissenschaftsgeschichte, hier vor allem Arbeiten zu Person und Werk Heinrich Schliemanns.

Die Freier der Penelopeia waren dabei, den Besitz des Odysseus zu ruinieren und dessen Sohn Telemachos um sein Erbe zu bringen. Außerdem litt das politische Gemeinwesen, dem Odysseus als König einst vorstand, an gestörtem gesellschaftlichem und sozialem Konsens. Wie sollte sich der Rückkehrer Odysseus angesichts des gesetz- wie sittenlosen Treibens der Freier, denen niemand Einhalt gebot, verhalten? Er entschloss sich zu präventiver Selbstjustiz im Sinne sozialer Notwehr und ließ die blanke Gewalt entscheiden. Im Zuge seiner Rache wurde ihm durchaus bewusst, dass er sich mit diesem Akt der Selbsthilfe in eine rechtliche Grauzone begab, dass er Gerechtigkeit gegen das Herkommen bzw. das göttliche Gebot setzte, seine Selbsthilfe – moralisch wie rechtlich – ein fragwürdiger Akt war und er schwere Schuld auf sich lud.

Wolfgang Kirsch:
Die hagiographische Versepik in karolingischer Zeit. Eine vorläufige Bilanz
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Prof. Kirsch (68) ist Latinist und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1997.

Sein Beitrag führt ins Mittelalter, ins 8. bis 10. Jahrhundert, in die Zeit Karls des Großen und seiner Nachfolger. Aus dieser Periode sind uns über fünf Dutzend lateinische Dichtungen von insgesamt über 50 000 Versen überliefert, die das Leben, Leiden und Sterben von Heiligen und ihre Wundertaten zu Lebzeiten und nach ihrem Tod zum Gegenstand haben. Prof. Kirsch, der an einer Darstellung der Geschichte dieser Literatur arbeitet, wird über Probleme berichten, die sich ihm bei der Abgrenzung seines Forschungsfeldes, bei der Datierung der Werke, bei der Bestimmung ihrer Funktion und bei ihrer ästhetischen Wertung gestellt haben.

Wolfgang Eichhorn:
Geschichtsphilosophie in Reimar Müllers „Entdeckung der Kultur“ 

Prof. Eichhorn (77) ist Geschichtsphilosoph. Er wurde 1969 zum Korrespondierenden, 1973 zum Ordentlichen Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. Lange Zeit war er Dozent und Professor an der Humboldt-Universität Berlin und an der Akademie der Wissenschaften der DDR.

Reimar Müllers „Entdeckung der Kultur“ erschließt eine – immerhin mehr als 700 Jahre umgreifende – Entwicklung des geschichtlichen Denkens und der kulturtheoretischen Leistungen der Antike von Homer und Hesiod bis zu Seneca. Aus geschichtsphilosophischer Sicht handelt es sich sowohl hinsichtlich der verfolgten Konzeption wie auch hinsichtlich der zugrunde liegenden Sachkenntnis um ein bedeutendes und einmaliges Werk. „Entdeckung der Kultur“ erweist sich zugleich als Entdeckung von Geschichte, als Formung geschichtlichen Denkens in der Breite des kulturellen Lebens, als Entwicklung und Diskurs geschichtsphilosophischer Entwürfe. Die heute weit verbreiteten – meist mit pejorativen Vorurteilen gegen die Geschichtsphilosophie einhergehenden – Vorstellungen, Geschichtsphilosophie sei im 18. Jahrhundert oder gar noch später entstanden, inzwischen aber längst wieder erstorben, erweisen sich gerade angesichts der kulturtheoretischen und -geschichtlichen Untersuchungen Müllers als total verfehlt.

 

11. Oktober 2007

Horst Hennig
Seltene Erden in der medizinischen Diagnostik

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, BVV-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 37; 21.11.07 

Prof. Hennig (70) ist Chemiker. Nach Promotion (1964) und Habilitation (1971) wurde er 1977 zum Ordentlichen Professor für Anorganische Chemie an der Universität Leipzig berufen. 1987 – 1990 war er Rektor der Universität Leipzig. Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig wählte ihn 1985 zum Ordentlichen Mitglied, die Akademie der Wissenschaften der DDR 1988 zum Korrespondierenden Mitglied. Nach der Emeritierung war er bis 2006 Wissenschaftlicher Direktor des ChemieParks Institut Bitterfeld; jetzt ist er wissenschaftlicher Berater im TGZ Bitterfeld-Wolfen und in der Xyntec GmbH Wolfen. Zu seiner wissenschaftlichen Bilanz zählen 335 wissenschaftliche Publikationen, mehr als 50 Patente, nahezu 400 wissenschaftliche Vorträge (darunter zahlreiche Plenarvorträge zu internationalen Fachtagungen), zwei Bücher und zahlreiche Buchbeiträge sowie -übersetzungen; Gastaufenthalte u.a. in der Schweiz, den USA, der UdSSR, in Bulgarien, Polen, Italien, Tschechien, der Slowakei, Japan, Indien, Großbritannien und Frankreich sowie der Gustav-Hertz-Preis der Universität Leipzig und die Ostwald-Medaille der Sächsischen Akademie der Wissenschaften.

Seltene Erden, 14 metallische Elemente einer Untergruppe des Periodensystems, sind so selten nicht. Immerhin ist das seltenste Element dieser Gruppe häufiger verbreitet als Silber. Die Bezeichnung Seltene Erden ist darauf zurückzuführen, dass diese Elemente ubiquitär verteilt sind und sich weltweit nur wenige Lagerstätten mit höheren Anreicherungen finden. Des weiteren waren diese Elemente zur Zeit ihrer Entdeckung auf Grund ihrer physikalischen und chemischen Ähnlichkeit nur schwer zu trennen und rein darzustellen.
Dass Seltene Erden auch im täglichen Leben eine Rolle spielen, ist wenig bekannt. So bestehen Feuersteine für Feuerzeuge aus einer Cer-Legierung, Europiumverbindungen sind Bestandteile von Phosphoren für Farbfernsehröhren, Lanthan ist in Metallhydrid-Akkumulatoren und bestimmte Seltene Erden sind in Suprapermanentmagneten hoher Koerzitivkraft sowie in Neophangläsern für Sonnenbrillen enthalten.
Auch in der Medizin finden Seltene Erden Anwendung, z.B. in bildgebenden Verfahren (Kernspin-Tomographie) oder in Form spezieller Nuklide in der Nuklearmedizin.
Die Anwendung von Europium- und anderen Seltene Erdverbindungen als Immunoassays in der medizinischen Diagnostik beruht auf deren signifikanten Phosphoreszenzeigenschaften. Unter Phosphoreszenz versteht man die Emission von Licht, das längerwellig ist als eingestrahltes Anregungslicht. Zudem sind Phosphoreszenzemissionen von längerer Lebensdauer als Fluoreszenzeffekte.
Auf der Phosphoreszenz von Seltenen Erdverbindungen beruht das Phänomen des Fluoreszenz-Resonanz-Energie-Transfers (FRET). Befinden sich in der Nähe von phosphoreszierenden Europium(III)-Komplexen fluoreszierende Farbstoffmoleküle, die in der Lage sind, das Phosphoreszenzlicht zu absorbieren, dann wird die Phosphoreszenz des Europiums gelöscht und stattdessen die Fluoreszenz des Farbstoffs beobachtet. Verknüpft man bestimmte Europium-Komplexe und FRET-geeignete Farbstoffe mit sogenannten Linkern, die in der Lage sind, Proteine zu binden, dann können Immunoassays aufgebaut werden, die analytisch mittels Lumineszenzspektroskopie ausgewertet werden können. So kann man z.B. an den Europium-Komplex einen Antikörper binden, der selektiv mit einem am Farbstoff gebundenen Antigen in Wechselwirkung tritt. Diese Antigen-Antikörper-Wechselwirkung bringt den markierten Europiumkomplex in räumliche Nachbarschaft zum antigenmarkierten Farbstoff, die in der Größenordnung des sogenannten Förster-Abstands liegt (eine wesentliche Voraussetzung für das Auftreten von FRET).
Anhand einer Reihe von Beispielen wird dieser neue Typ von Bioassays vorgestellt, und die Vorteile im Vergleich zu konventionellen Fluoreszenz-Immuno-Assays (FIA) werden erläutert.

Arne Heise
Politische Ökonomie der Leistungseliten: Arbeitslosigkeit und Ungleichheit in verschiedenen Kapitalismus-Modellen

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 37; 21.11.07 

Prof. Heise (47) ist Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2007. Nach Promotion und Habilitation an der Universität Bremen wurde er zum Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg berufen. Hier wurde er zum Mitbegründer des Centrums für Internationale Studien (CIS) und des Zentrums für ökonomische und soziologische Studien (ZOESS). Gastprofessuren führten ihn nach Cambridge, Stellenbosch/Südafrika, Köln, Wien und Konstanz. Er ist regionaler Herausgeber der Fachzeitschrift INTERNATIONAL JOURNAL OF PUBLIC POLICY und Mitglied des Beirats der Fachzeitschrift INTERECONOMICS – REVIEW OF ECONOMIC POLICY.

Der ‘Big Trade Off’, den Arthur Okun schon vor über dreißig Jahren formuliert hat, ist zurück. Ökonomische Effizienz und soziale Gleichheit erscheinen unvereinbar. Oder anders: Moderne Gesellschaften müssen sich zwischen der Scylla hoher Einkommensungleichheit und der Charybdis von Arbeitslosigkeit entscheiden. Und es sieht so aus, als ob sich die kontinentaleuropäischen Länder wie Frankreich und Deutschland für höhere Einkommensgleichheit und Arbeitslosigkeit entschieden hätten, während die liberalen Ökonomien Großbritanniens und der USA größere Einkommensungleichheit und einen höheren Beschäftigungsstand anstrebten.
In diesem Vortrag wird argumentiert, dass der Trade Off keineswegs eine angebotspolitische Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung der Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer ist, sondern politökonomisch gedeutet werden kann als das Ergebnis von ‘Rent seeking’-Verhalten. Doch im Gegensatz zu dem bahnbrechenden Werk von Mancur Olson sind es nicht die Gewerkschaften, die eine Verteilungskoalition bilden, sondern vielmehr die Leistungselite, die mittels fehlgesteuertem Demand management eine meritokratisch-optimale Arbeitslosigkeit ansteuert, um ihre Verteilungsinteressen durchzusetzen.

 

8. November 2007

Reinhard O. Greiling
Gesteinsmagnetik und die Erfassung von Strukturen in der Lithosphäre

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften; die Veranstaltung wird am Folgetag, dem 9.11., zur gleichen Zeit am gleichen Ort fortgesetzt mit dem Kolloquium „Probleme der Geologie“ aus Anlass des 50. Todestags von Serge v. Bubnoff.
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, BVV-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 38; 09.02.08  

Prof. Greiling war 1988 – 2007 Professor für Strukturgeologie und Tektonophysik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und arbeitet jetzt am Geologischen Institut der Universität Karlsruhe. Studienaufenthalte und Gastprofessuren führten ihn nach Großbritannien, Belgien, Israel, Schweden und Polen.

Der Vortrag beginnt mit einer kurzen Einführung in die Gesteinsmagnetik, die Ursachen des Magnetismus und die magnetische Suszeptibilität der Minerale und Gesteine in Erdkruste und Lithosphäre, sowie die Gelände- und Labormethoden zur Bestimmung der magnetischen Parameter. Vor allem die Anisotropie der magnetischen Suszeptibilität (AMS) ermöglicht das Gefüge der Gesteine zu charakterisieren und zu quantifizieren.
Diese Quantifizierung der Gefüge ist die Grundlage für eine genaue Erfassung wichtiger geologischer Prozesse. AMS kann Fließgefüge zeigen, die beim Aufstieg von Schmelzen/Magmen in der Lithosphäre entstehen (z.B. im Zusammenhang mit Vulkanismus). Deformationsgefüge erlauben Rückschlüsse auf Prozesse, wie sie etwa bei Erdbeben, der Entwicklung von Gebirgen oder bei anderen plattentektonischen Vorgängen ablaufen.
Regionale Beispiele u.a. aus Mitteleuropa werden die Anwendung der AMS auch für die Bewertung von geologischen Naturressourcen erläutern.

 

Henrieta Todorova (Sofia):
Frühestes Gold der Menschheit

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226

Frau Prof. Todorova ist Archäologin und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2007 sowie Korrespondierendes Mitglied der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften in Sofia. Während ihrer 40-jährigen Grabungstätigkeit hat sie10 archäologische Kulturen entdeckt und 18 Bücher darüber geschrieben. Einige davon sind in Deutschland, England und Russland erschienen. Sie beschäftigt sich ferner mit den Anfängen der Metallurgie, mit den klimabedingten ökologischen Krisen in der Urgeschichte und leitet die bulgarische Mannschaft der bulgarisch-griechischen Ausgrabungen in Promachon-Topolnitsa.
Ihre wichtigste Grabung heißt DURANKULAK (am Schwarzen Meer, 1974-2004). Diese wichtige Insellokalität wird “bulgarisches Troja“ genannt: Sie umfasst das Neolithikum, das Äneolithikum, die späte Bronzezeit, ein hellenistisches Höhlenheiligtum der Gottheit Kybele und eine frühmittelalterliche Siedlung.

In ihrem Vortrag stellt sie die früheste Protohochkultur der Menschheit vor, die in der zweiten Hälfte des 5. Jahrtausends v. u. Z. am Schwarzen Meer entstanden ist und dementsprechend den bekannten Hochkulturen des Orients um 1500 Jahre vorangeht. Hier gibt es auch das früheste heute bekannte Gold der Menscheit und ein frühes Zentrum der Kupfermetallurgie.

 

13. Dezember 2007

Martin Grunwald
Haptikforschung. Informationsaustausch des Menschen mit seiner Umgebung durch Berührung

Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät
Vortragsreihe: „Menschliche Informationsverarbeitung – interdisziplinäre Elementaranalyse und diagnostische Anwendung“ – aus Anlaß des 80. Geburtstages von Friedhart Klix
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, BVV-Saal
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 38; 09.02.08 

Der Psychologe Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Friedhart Klix (13.10.1927 – 22.09.2004) war ein Wissenschaftler von herausragender Bedeutung. Seine richtungweisenden Ideen und Experimente schufen die Basis für eine Psychophysik kognitiver Prozesse und für eine naturwissenschaftlich fundierte Theorie der menschlichen Informationsverarbeitung. Sowohl der Interdisziplinarität in Forschung und Lehre als auch der Verbindung zwischen Theorie und Praxis maß er eine hohe Bedeutung bei. Damit schuf er bleibende Brücken zwischen der Psychologie und anderen Disziplinen, insbesondere der Mathematik, Physik, Biologie und Philosophie.
Friedhart Klix war langjähriger Direktor des Instituts für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin und gehörte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1992 der Universität an. Er war Mitglied der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, der Akademia Europaea in London, der Finnischen Akademie der Wissenschaften, der Amerikanischen Akademie in New York, der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der Deutschen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Leibniz-Sozietät.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie hat ihm den Preis für sein Lebenswerk verliehen. Die Deutsche Gesellschaft für Kybernetik ehrte ihn mit dem Wiener-Schmidt-Preis.
National und international hoch angesehen ist er weit über sein Fach hinaus bekannt geworden. Von 1980 bis 1984 war er Präsident der Internationalen Gesellschaft für Psychologie. Während seiner Amtsperiode gelang es ihm, dass die Internationale Gesellschaft für Psychologie als Mitglied in die Vereinigung aller internationalen naturwissenschaftlichen Gesellschaften, das Konsultationsorgan der UNESCO, gewählt wurde.
Nach einer Würdigung des wissenschaftlichen Werkes von Prof. Friedhart Klix durch Frau Prof. Dr. Erdmute Sommerfeld, Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, hält Herr PD Dr. Martin Grunwald, Leipzig, den ersten Vortrag der Vortragsreihe.

Dr. Grunwald (41) promovierte (1998) und habilitierte sich (2004) für das Fachgebiet Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit seiner Promotion untersucht er verschiedene grundlagen- und klinisch-anwendungsorientierte Aspekte der humanen Tastwahrnehmung (Haptik). Seit 1996 leitet er das Haptik-Forschungslabor an der Universität Leipzig. Nach Einladung an das MIT und gefördert durch ein Stipendium der G.A. Lienert-Stiftung führte Grunwald 2002 Grundlagenstudien zur humanen Tastwahrnehmung am Touch Laboratory des MIT durch.
Neben zahlreichen wissenschaftlichen Originalarbeiten ist Grunwald Herausgeber zweier Lehrbuch-Monographien (deutsch/ englisch) zur humanen Haptik und Inhaber von 2 Patenten.
Seine Forschungsarbeiten zur Tastwahrnehmung bei Anorexia nervosa erbrachten einen neuartigen Therapieansatz zur Reorganisation des Körperschemas, der sowohl in Deutschland (Berlin Charité) als auch in den USA (Boston) angewandt wird. Das Haptik-Labor ist im Bereich der Industrieforschung international aktiv.

Ziel des Vortrages ist es, dem weit verbreiteten Vorurteil zu begegnen, dass Analysen haptischer Informationsverarbeitungsprozesse ( „Haptik“ als wissenschaftliche Lehre des Tastsinnes und gleichzeitig Synonym für aktive Tastwahrnehmungsprozesse vs. taktil, passive Reizverarbeitung) für klinisch-diagnostische oder industrielle Anwendungen wenig nutzbar seien. Der Autor macht vor diesem Hintergrund am Beispiel eigener Studien und mit Bezug auf aktuelle Industrieforschung auf einen beginnenden Perspektivwandel aufmerksam.
Im ersten Teil des Vortrages wird ein kurzer Überblick über die traditionelle und aktuelle Einordnung des Tastsinnes in die Hierarchie der Sinnessysteme, sowie die Stellung der haptischen Informationsverarbeitung aus Sicht der Human-, Geistes- und Technikwissenschaften gegeben. Mit Bezug zur strukturellen Informationstheorie und zu eigenen Grundlagenexperimenten werden klinisch-experimentelle Anwendungsuntersuchungen zur gestörten haptischen Informationsverarbeitung bei Patienten mit Anorexia nervosa und Bulimia nervosa und klinische Interventionsperspektiven dargestellt.
Im zweiten Teil des Vortrages verknüpft der Autor aktuelle Forschungsfragen zur haptischen Informationsverarbeitung im Bereich der Industrieforschung mit eigenen Grundlagenstudien, die in Zusammenarbeit mit dem Touch Laboratory des MIT durchgeführt wurden. Es wird dargestellt, mit welcher Motivation aktuelle und zentrale Fragestellungen der Industrie z. B. im Bereich der Oberflächengestaltung oder der Robotik abgeleitet werden. Der Vortrag schließt mit der Darstellung notwendiger und bisher fehlender Forschungsbemühungen sowohl in der Grundlagen- als auch in der Anwendungsforschung im Bereich der Haptik und verweist auf ungenutzte Potentiale.


Helmut Steiner (Berlin):
Klassentheorie heute

Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät
Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, 10179 Berlin, Raum 226
Zusammenfassung in Leibniz-Intern Nr. 38; 09.02.08  

Prof. Steiner (71) ist Soziologe und Wissenschaftshistoriker sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1994. Er war bis zur Schließung der Akademie der Wissenschaften der DDR 1991 in ihr als Soziologe beschäftigt. Seit 1992 hat er sich mit der Analyse der Entwicklung in den ost- und südosteuropäischen Ländern beschäftigt, an wissenschaftlichen Veranstaltungen organisierend teilgenommen und sowohl in Deutschland als auch in Polen, Rußland, der Ukraine, Bulgarien, Tschechien und Ungarn darüber publiziert.