Raumfahrthistorisches Kolloquium 2018; Bericht
Bericht über das Raumfahrthistorische Kolloquium 2018
(Unter Verwendung von Kurzfassungen der Referenten)
Das diesjährige Raumfahrthistorische Kolloquium fand am 24. November von 10 bis 15 Uhr traditionsgemäß in der Archenhold-Sternwarte Berlin-Treptow statt. Trotz einer bedauerlichen, aber nicht vermeidbaren Terminüberschneidung mit den 34. Neubrandenburger Raumfahrttagen (23.-25.11.) war die Veranstaltung sehr gut besucht. Lediglich der Vortrag von Marie-Luise Heuser (Braunschweig) „Apokalypse und Hoffnungsschimmer – Max Valier als Sciencefiction-Autor“ musste aus gesundheitlichen Gründen der Referentin leider entfallen.
Dr. Wolfgang Both (Berlin) eröffnete die Vortragsreihe mit einer Biografie von Dr. Walter Hohmann. Hohmann hat vor 100 Jahren die möglichen Flugbahnen künstlicher Himmelskörper zwischen den Planeten untersucht und damit einen essentiellen Beitrag zur Weltraumfahrt geleistet. Dies wiegt umso schwerer, als er diese Berechnungen neben Beruf und Familie als Hobby anfertigte und er Probleme hatte, einen Verleger für seine Ausarbeitung zu finden. Walter Hohmann, Sohn eines Landarztes, wurde 1880 geboren. Nach Schulausbildung, teilweise in Südafrika, und Abitur studierte er an der TH München Bauingenieurwesen. Im Jahr 1904 legte er dort erfolgreich sein Diplom ab und trat verschiedene Arbeitsstellen im Wien, Hannover, Berlin und Breslau an. Im Jahr 1911 regte ihn das Lehrbuch seines Cousins Wilhelm Trabert über kosmische Physik zur Frage nach den Flugrouten zu anderen Himmelskörpern an. Diese Berechnungen schloss er 1919 ab, fand aber erst 1925 einen Verleger für seine Arbeit, die das Werk von Oberth kongenial ergänzte. In einem weiteren Beitrag entwickelte er die Idee einer Landefähre (ein leichtes Beiboot) zum Abstieg auf einen anderen Himmelskörper. In den folgenden Jahren engagierte er sich im Vorstand des Vereins für Raumschifffahrt sowie in der Gesellschaft für Weltraumforschung. Völlig entkräftet starb er wenige Wochen vor Kriegsende in einem Essener Krankenhaus. Für seine Recherche konnte der Referent auf das Archiv der Familie Hohmann zurückgreifen und den Vortrag mit zahlreichen Dokumenten illustrieren. Einer der Enkel Hohmanns war anwesend.
Andreas Weise konnte in seinem Vortrag „Iljuschin, Worker und der erste Flug in den Kosmos“ eine spannende Geschichte berichten.
In den ganz frühen Morgenstunden des 12. April 1961 war in der Zeitung „Daily Worker“ in Großbritannien ein Bericht über den ersten Flug eines Menschen in den Kosmos erschienen. Dieser Flug sollte am 7. April 1961 stattgefunden haben. Diese Meldung entpuppte sich jedoch schnell als Falschmeldung. Und sie wäre bestimmt rasch in Vergessenheit geraten, wenn nicht just an diesem Tag zu einer Zeit, als der Worker mit seiner Meldung gerade frisch in den Verkaufsständen lag, tatsächlich der erste bemannte Weltraumflug in der Geschichte der Menschheit stattgefunden hätte. Weise erzählte in seinem Vortrag die unglaubliche Geschichte einer Zeitungsente, die an Brisanz dadurch gewann, dass sie am Erscheinungstag durch einen Zufall von der Wirklichkeit eingeholt wurde. Dabei erfuhr der Zuhörer, wie es zu dieser Medien-Panne gekommen war und wie sich daraus eine der bekanntesten Verschwörungstheorien der frühen sowjetischen Raumfahrt entwickelt hat.
Der Vortrag ging auch auf die wirkliche Tätigkeit des unfreiwilligen Hauptakteurs dieser Geschichte ein, des berühmten sowjetischen Testpiloten Wadimir Iljuschin. Am Ende stand die Erkenntnis, dass die Raumfahrtgeschichte nicht umgeschrieben werden muss, denn Gagarin war der erste Mensch im Weltraum.
Die Geschichte zum nachlesen: https://www.raumfahrer.net/news/raumfahrt/15042014220440.shtml
Olaf Przybilski warf mit seinem Vortrag über einen der größten deutschen Raketenexperten ein erstes Schlaglicht auf den im nächsten Jahr anstehenden 40. Jahrestag des ersten erfolgreichen ARIANE-Starts. Er beleuchtete dabei erstmalig öffentlich mit privaten Bildern und Dokumenten das Leben von Heinz Bringer, der am 16. Juni 110 Jahre alt geworden wäre und am 2. Januar 1999 verstarb. Sehr anschaulich und wie bei ihm üblich mit einmaliger Hardware „untermalt“, erläuterte er innerhalb der Genesis der französischen Höhenforschungsraketen die Wichtigkeit eines gut funktionierenden Gaserzeugersystems, das sowohl für ein Raketen-Drucktanksystem als auch als Antriebsmedium einer Turbopumpe einzusetzen ist. Der Erfinder Bringer legte dafür schon 1942 in Peenemünde die patentrechtliche Grundlage. Bringers einzigartige Idee eines ringförmigen Treibstoffinjektors für Raketenbrennkammern formte sich Anfang der Fünfziger des letzten Jahrhunderts heraus und legte damit den antriebstechnischen Grundstein für die unglaubliche Erfolgsgeschichte der ARIANE-Trägerraketen
Thomas Breit vom Förderverein des Museums Kummersdorf e.V. beschäftigte sich in seinem Vortrag mit konkreten offenen Fragen zu den Anfängen der Flüssigkeitsraketenforschung auf der Versuchsstelle West in Kummersdorf. Dabei ging er vor allem der Frage nach, welche Versuche von wem, sowie wann und wo durchgeführt wurden. Speziell beschäftigte er sich mit der Frage, auf welchem Prüfstand Wernher von Braun die Versuche für seine Dissertation durchführte und wo er seine Arbeiten für das Heereswaffenamt im November 1932 begann.
Anhand der detaillierten Analyse der Dissertation v. Brauns, des Zeichnungs- und Dokumentenbestandes des Bundesarchivs Freiburg, des Nachlasses von Brauns in Huntsville (Alabama) usw. konnte der Nachweis geführt werden, dass diese Arbeiten auf dem vorher kaum beachteten und nicht mehr vorhandenen Prüfstand 2 auf der Versuchsstelle West in Kummersdorf erfolgt sind. Abschließend skizzierte Herr Breit ein Bild, bis wann dieser historische Prüfstand in Benutzung war, und darüber hinaus, wann und für welche Zwecke die Prüfstände 3 und 4 erbaut wurden.
Heiko Triesch vom Deutschen Technikmuseum Berlin berichtete über die am 20. September eröffnete Ausstellung „40 Jahre Deutsche im All“, die gemeinsam mit dem Raumfahrtmuseum Mittweida gestaltet wurde. Auf rd. 150 m² werden 150 Originalexponate, wie z.B. Spezialanzüge, Werkzeuge und Souvenirs gezeigt. Die Ausstellung soll der Anfang einer ständigen Präsentation zum Thema Raumfahrt im Technikmuseum werden.
Außerhalb des offiziellen Programms stellte Rolf Junghanns (Karlsruhe) die Autobiographie von Alexei Leonov vor, auf die er bei einem Besuch in Russland zufällig gestoßen war. Eigens für das Kolloquium hatte er die Schilderung des risikoreichen weltweit ersten Ausstiegs von Leonov in den freien Weltraum (1965) übersetzt und vorgetragen. Er hofft nun mit Hilfe der Kolloquiumsteilnehmer auf Kontakte, die einen hiesigen Verlag bewegen könnten, dieses Buch in deutscher Sprache herauszubringen.
Alles in allem war auch das diesjährige Kolloquium eine anregende Begegnung der Raumfahrt-Experten, die einen lebhaften Gedankenaustausch pflegten und die Vorträge auch durch instruktive Ergänzungen (besonders Karl-Heinz Rohrwild, Leiter des Oberth-Museums in Feucht bei Nürnberg und Michael Tilgner aus Hamburg) bereicherten.
Dieter B. Herrmann