Neuer Arbeitskreis „Europa – Selbstverständnisse und Perspektivenvielfalt“ gegründet

Ausgangspunkt für die Gründung eines multidisziplinär ausgerichteten Arbeitskreises „Europa – Selbstverständnisse und Perspektivenvielfalt“ im Juli  2021 stellt die neue Bedeutung dar, die die Denktradition um die Sprachfigur „Europa“ als Begriff, Metapher, Projekt unter den Bedingungen heutiger Globalisierungsprozesse nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus gewinnt. Solche Bedingungen sind auch Ausdruck eines gewandelten Verhältnisses zwischen West-, Mittel- und Osteuropa sowie von Gesamteuropa zur übrigen Welt. Einen ersten Arbeitsschwerpunkt bildet deshalb die Geschichte der verschiedenen Europa-Vorstellungen. Herauszuarbeiten sind die unterschiedlichen disziplinären Annäherungen an die Erfindungsgeschichte des Phänomens „Europa“, die von den antiken und neuzeitlichen Gegensatzfeldern von Okzident und Orient bis in die modernen Konflikte zwischen Westen und Osten sowie zwischen Norden und Süden reicht.

Einen zweiten Arbeitsschwerpunkt stellt die historisch entstandene Perspektivenvielfalt dar, die mit der Europäisierung von Kontinent- und Weltgeschichte durch die Ideologen einer kapitalistischen Moderne Westeuropas begann und in postkoloniale Forderungen nichteuropäischer DenkerInnen nach „Provinzialisierung“ (Dispesh Chakrabarty) Europas mündet. Dabei geht es sowohl um eine ausgewogene, wissenschaftlich begründete Betrachtung des Beitrags Europas zur Weltkultur als auch um eine sachgerechte, konsequente Kritik des Europazentrismus. Gleichzeitig ist „Europa“ seit  der Aufklärung auch als Ort einer kritischen Denktradition der Selbstermächtigung zu untersuchen, die auf jene universal gültige Motivation zielte, dass menschliches Handeln die Welt grundlegend verändern kann.

Ein dritter Arbeitsschwerpunkt widmet sich dem gegenläufigen Wirken der Vorstellungen von West-Mittel- und Osteuropa. Sie erklären sich zum einen aus Ganzheitskonzepten des Nationalen und Universalen. Zum anderen sind sie als regional oder lokal begründete und in der tatsächlichen kleinräumigen Verfasstheit Gesamteuropas wurzelnde Gegenvisionen zu erschließen, mit denen westliche Nachahmungsmodelle durch die Verteidigung partikularer nationaler Souveränitäten abgewehrt oder umgebildet wurden und werden.

Da die ökonomische, politische und kulturelle Topographie um „Europa“ nicht eindeutig einer einzigen Wissenschaft zuzuordnen ist, laden wir alle Interessierten in- und außerhalb der Leibniz-Sozietät herzlich zu einer offenen Debatte über die jeweils unterschiedliche, methodische und begriffsgeschichtliche Herangehensweise der einzelnen Disziplinen an die Thematik des Arbeitskreises ein.

Die erste Sitzung findet am 19.11.2021 von 14-16 Uhr im Beratungsraum der Fa. GEFEG, Storkower Bogen, Storkower Str. 207, 9. Etage statt.

Prof. Dr. Monika Walter
Prof. Dr. Dieter Segert
Prof. Dr. Dorothee Röseberg
Prof. Dr. Wolfgang Küttler
Prof. Dr. Andrea Komlosy
Prof. Dr. Angela Richter