Nekrolog für unser Mitglied Herbert Meißner

Herbert Meißner; Foto: Archiv BBAW

 

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften trauert um eines ihrer Gründungsmitglieder, den Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. habil. Herbert Meißner, der am 1. Februar 2021 verstorben ist.

Herbert Meißner wurde am 16. Mai 1927 in Dresden geboren. Nach dem Absolvieren der Volksschule sowie einer Kellner-Lehre wurde er 1944 zur Wehrmacht einberufen und geriet dann in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Aus dieser im Oktober 1945 entlassen, war er als Hilfsarbeiter im Gummiwerk Dresden tätig und besuchte bis Oktober 1946 einen Kurs für das Notabitur.

Von 1946 bis 1951 studierte Herbert Meißner an der Universität Leipzig Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und beendete dieses Studium mit dem Titel „Dipl.rer. pol.“. Nachdem er zeitweilig im Staatssekretariat für das Hochschulwesen als Abteilungsleiter für das gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium an den Hochschulen und Universitäten der DDR tätig war, absolvierte er von 1952 bis 1956 eine Aspirantur an der Leningrader Universität. Mit einer Promotion zu theorienkritischen und -historischen Fragen der politischen Ökonomie in der Bundesrepublik  schloss er diese ab und erlangte damit den sowjetischen Titel „Kandidat der ökonomischen Wissenschaften“, der dem deutschen „Dr. rer. oec.“ entsprach.

Nach seiner 1956 erfolgten Rückkehr aus Leningrad wurde Herbert Meißner an der Berliner Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner“ (HfÖ) zum Dozenten für politische Ökonomie und ihre Geschichte berufen. 1962 habilitierte er sich hier mit einer Schrift über die Gleichgewichts- und Wachstumstheorie der nicht-marxistischen politischen Ökonomie. 1965 wurde er zum Professor für Geschichte der politischen Ökonomie an das Institut für Wirtschaftswissenschaften der Deutschen Akademie der Wissenschaften (ab 1972: Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR) berufen. Ab 1969 agierte er hier als einer von drei Institutsdirektoren.

Die Zeit von Herbert Meißner an der Akademie war erstens erfüllt von vielfältigen Anstrengungen zur inhaltlichen Entwicklung bzw. Weiterentwicklung der gesellschafts- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschung an der Akademie und ihren Instituten. Zweitens unternahm er zahlreiche Initiativen zur Förderung von Interdisziplinarität und Kooperationen in der Arbeit der Akademie. Insbesondere auf dem Gebiet der Friedensforschung und des Komplexes von Wissenschaft-Abrüstung-Frieden gingen von ihm wichtige Impulse aus. Drittens widmete er sich engagiert dem Aufbau und der Leitung der am ZIW angesiedelten Abteilung „Geschichte der politischen Ökonomie“, der weiteren inhaltlichen Ausrichtung bzw. Profilierung der Geschichte der politischen Ökonomie als Lehr- und Forschungsgebiet. In diesen Kontext gehört insbesondere seine Arbeit als Herausgeber und Mitautor des Buches „Geschichte der politischen Ökonomie. Grundriß“ (1. Auflage 1978, 2. überarbeitete und erweitere Auflage 1985). Viertens zeichnete sich Meißner durch eigene umfangreiche Forschungs- und Publikationstätigkeit im nationalen wie internationalen Rahmen aus. Sein besonderes Interesse galt dabei der Analyse der Geschichte sowie der Kritik der nicht-marxistischen politischen Ökonomie, der Charakterisierung ihrer verschiedenen Perioden sowie deren Merkmale. Ergebnisse dieser Aktivitäten waren z.B. die Schriften „Bürgerliche Ökonomie im modernen Kapitalismus“ (1967) und „Bürgerliche Ökonomie ohne Perspektive“ (1976), für die Herbert Meißner jeweils als Herausgeber und Mitautor verantwortlich zeichnete. Ein weiterer zentraler Gegenstand seiner Forschungen waren weiterhin die wichtigsten nicht-marxistischen Wachstumstheorien. Dabei interessierten ihn die ideologischen Komponenten und erkenntnistheoretischen Grenzen sowie die wirtschaftspolitische Relevanz der verschiedenen Wachstumsmodelle (vgl. die 1962 bzw. 1972 publizierten Arbeiten „Wachstumstheorien – Retter des Kapitalismus?“ sowie „Theorie des Wirtschaftswachstums“).

1975 erfolgte die Wahl von Herbert Meißner zum Korrespondierenden und 1981 zum Ordentlichen Akademie-Mitglied. Von 1980 bis 1982 hatte er die Funktion des Stellvertretenden Leiters des Forschungsbereiches Gesellschaftswissenschaften der Akademie inne. Als ihr Stellvertretender Generalsekretär wirkte er in den Jahren von 1984 bis 1986.

Auf Grund seiner Fachkompetenz war Meißner ein gefragtes Mitglied diverser nationaler wie internationaler Gremien. So wurde er z.B. zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Rates für Imperialismus-Forschung, zum Mitglied des Nationalkomitees für politische Wissenschaften sowie des Komitees für wissenschaftliche Fragen der Sicherung des Friedens und der Abrüstung der DDR berufen. Er war langjähriges Mitglied des Redaktionskollegiums der Zeitschrift „Wirtschaftswissenschaft“. Von 1976 bis 1986 wirkte er im Exekutivrat der „Weltföderation der Wissenschaftler“ mit und von 1982 bis 1984 war er Mitglied einer Forschungsgruppe beim Generalsekretär der UNO zum Thema „Wissenschaft, Abrüstung, Frieden“.

Für sein vielseitiges Wirken erfuhr Herbert Meißner zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen. In der DDR erhielt er u.a. 1964 die „Verdienstmedaille der DDR“, 1974 den „Vaterländischen Verdienstorden“ in Silber und 1984 in Gold. 1977 wurde er mit dem Orden „Banner der Arbeit“ und zwei Jahre später mit dem „Nationalpreis“ gewürdigt. Die bulgarische Akademie der Wissenschaften wählte ihn 1978 zu ihrem Ehrenmitglied, die sowjetische Gesellschaft „Snanije“ verlieh ihm ihre Goldene Ehrennadel.

Nach seiner 1992 im Zuge der Abwicklung beendeten Tätigkeit an der Akademie wirkte Herbert Meißner bis 2003 als selbständiger Unternehmensberater für die mittelständische Wirtschaft. Zugleich setzte er seine wissenschaftliche Arbeit fort, referierte u.a. mehrfach im Plenum unserer  Sozietät bzw. in ihrer Klasse für Sozial- und Geisteswissenschaften. Er veröffentlichte weiterhin Artikel, Broschüren und Bücher. Dabei war insbesondere seiner 2014 erschienenen Schrift „Gewaltlosigkeit und Klassenkampf – revolutionstheoretische Überlegungen“ ob ihrer herausfordernden und aktuellen Thematik große Aufmerksamkeit beschieden.

Die Leibniz-Sozietät wird Herbert Meißner ein würdiges Andenken bewahren. Den Hinterbliebenen bekunden wir unser tief empfundenes Beileid.

Günter Krause