Nekrolog für unser Mitglied Emilia Staitschewa

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften trauert um ihr Mitglied, die Philologin
Prof. Dr. Dr. Emilia Staitschewa,
die am 23.12.2020 im Alter von 84 Jahren verstorben ist.

Emilia Staitschewa stammt aus einer Familie mit bulgarisch-deutschen Wurzeln. Sie wuchs in Sofia auf, besuchte dort die Schule und studierte später an der St. Kliment-Ochridski-Universität in Sofia Deutsche Philologie. 1964 nahm sie am Lehrstuhl für Germanistik derselben Universität ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin auf.
Im Interesse ihrer angestrebten Forschungen zum Thema „Das Menschenbild in der frühen Prosa von Ricarda Huch” (ihre deutsche Großmutter war eine Cousine von Ricarda Huch; letztere lebte von 1936-1947 in Jena) ging sie zeitweilig an die Friedrich-Schiller-Universität nach Jena, wo sie 1977 promovierte. Ihr dauerhaftes Interesse für wichtige Persönlichkeiten der deutschen Literatur und deren Bedeutung für den bulgarischen kulturellen Kontext stellte sie zehn Jahre später mit ihrer Habilschrift zur Heinrich-Heine-Rezeption in Bulgarien unter Beweis. Mit einer umfangreichen Untersuchung zu dem bulgarischen Dichter Teodor Trajanov (1882-1945), dem bedeutenden Lyriker und bulgarischen Hauptvertreter des Symbolismus, wurde ihr der wissenschaftliche Grad doctor scientarium zuerkannt und sie wurde zur Universitätsprofessorin ernannt.

Auch fürderhin war Frau Staitschewa im Interesse der deutsch-bulgarischen Literatur- und Kulturbeziehungen äußerst aktiv. Neben ihrer umfangreichen Lehrtätigkeit in Sofia mit den Schwerpunkten Geschichte der deutschen Literatur, deutsch-bulgarische und österreichisch-bulgarische Literaturbeziehungen war sie eine gefragte Spezialistin bei unzähligen Konferenzen im europäischen Ausland und darüber hinaus, so u.a. in Hamburg, Halle, Kassel, Jena, Wien, Innsbruck, Kiew, Warschau, Tokyo, Vancouver, Bern. Als Gastprofessorin weilte sie 1991/92 an der Universität Salzburg. Sie verantwortete bis 2019 die von ihr begründete Österreich-Bibliothek der Universität Sofia, initiierte und organisierte in diesem Rahmen Lesungen und Buchpräsentationen, übersetzte u.a. Dürrenmatt, Kleist, Lessing und Rilke ins Bulgarische.

Emilia Staitschewa wirkte in- und außerhalb der Universität in zahlreichen Ämtern und Ehrenämtern: am Institut für Literatur der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, beim bulgarischen Übersetzerverband, bei der Goethe-Gesellschaft, der Internationalen Elias Canetti-Gesellschaft und beim Rat der Internationalen Stiftung Hl. hl. Kyrill und Methodius. Sie war Ehrenvorsitzende des Bulgarischen Germanistenverbands, Ehrenmitglied der Deutsch-Bulgarischen Gesellschaft zur Förderung der Beziehungen zwischen Deutschland und Bulgarien e.V., korrespondierendes Mitglied der Südosteuropa-Gesellschaft und seit 2007 Mitglied der Leibniz-Sozietät.
Für ihre Verdienste wurde Emilia Staitschewa 1997 mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse geehrt, 2007 mit dem Ehrenabzeichen der Universität Sofia am blauen Bande, 2009 wurde sie vom Bulgarischen Ministerium für Kultur für ihre Verdienste um die kulturelle Entwicklung Bulgariens ausgezeichnet.
Emilia Staitschewa war eine ausnehmend vielseitige, lebenslang aktive Gelehrte und beliebte Hochschullehrerin, die sich um die deutsch-bulgarischen Kulturbeziehungen und den Wissenstransfer verdient gemacht hat. Sie verstarb am 23.12.2020.

Wir werden ihr Andenken in Ehren halten.

Berlin, den 20.02.2020
Angela Richter