Nekrolog auf unser Mitglied Domenico Losurdo

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. trauert um ihr  Mitglied,
den Philosophen

Prof. Dr. Domenico Losurdo

der am 28. Juni 2018 im Alter von 77 Jahren verstorben ist.

Foto: https://de.wikipedia.org/wiki/Domenico_Losurdo

Sein Philosophiestudium an der Universität Urbino (Italien) schloß Domenico Losurdo 1963 mit der Dissertation über Karl Rosenkranz ab, einem Schüler Hegels. Anschließend war er dort als Hochschullehrer für Geschichte der Philosophie tätig. Zeitweise übter er die Funktion des Dekans der Philosophischen Fakultät aus. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Forschungen waren die Entwicklung des philosophischen Denkens von Kant bis Marx und der nach 1848 revolutionären und antirevolutionären geistigen Bewegungen in Deutschland, ganz im Sinne von Georg Lukács. In einer größeren Rezension ( Henny Hübner, München) zu seiner Schrift „Von Hegel zu Hitler? Geschichte und Kritik eines Zerrbildes“ (2015) heißt es, dass es aus Losurdos Sicht mythologisch und unwissenschaftlich ist, „die Geschichte Deutschlands unter das Negativvorzeichen einer Entwicklung auf den Nazismus hin zu stellen, auch wenn sich der Nazismus in Deutschland und in Italien aus historischen Gründen manifestierte. Hier war die Affinität zu einer sozialen Form der Emanzipation am größten und wurde in vorgezogener Weise niedergeprügelt. Die deutschen Nazisten werden sich auf den englischen Sozialdarwinismus berufen, was viel zu wenig Beachtung fand und allein von Hannah Arendt untersucht wurde. Ob es sich dabei um eine kontinuierliche oder eine diskontinuierliche Entwicklung handelt… bleibt offen, als historische Ausgangsposition setzt Losurdo nur die bürgerliche Revolution von 1848 an“. Seine Arbeit „Hegel, Marx und die Ontologie des gesellschaftlichen Seins“ (Zeitschrift für marxistische Erneuerung, Juni 2011) gehört genauso in den Reigen dieser Forschungen wie die Beschäftigung mit der Person und dem Werk von Friedrich Nietzsche.

Über ihn verfasste er ein größeres Werk, das 2002 in Italienisch und 2009 in deutscher Sprache erschien. Inzwischen gehört es zur Standardliteratur über den Naumburger Philosophen. Für Losurdo stellte sich der immer auch politisch denkende Nietzsche mit seinem aristokratischen Radikalismus gegen das Revolutionäre egal in welcher Form und – das ist Losurdos zentrale These – er verband den „horizontalen Rassismus“ von Volk zu Volk mit dem „vertikalen Rassismus“ von oben nach unten, also mit einem quasi sozialen „Rassismus“ gegen das ihm zeitgenössische Proletariat und die damalige Arbeiterbewegung. Losurdos Nietzschebild war neben Lukács auch in hohem Maße von Manfred Buhr beeinflußt.

Losurdo war sein gesamtes Leben über ein beeindruckender, konsequenter und kämpferischer Humanist, für den das gesellschaftliche Ideal sozialer etc. Gleichheit mehr war als nur bloßes Gerede. Wer übermäßigen Reichtum und damit übermäßige Armut zuläßt, wer Privatisierung und privates Großeigentum als das gesellschaftliche non plus ultra propagiert, schafft keine Gleichheit, so wie von der Aufklärung, von Kant, Fichte, Goethe oder Marx gefordert, sondern sorgt national wie global für Unfreiheit, soziale Ungleichheit bis hin zur modernen Sklaverei, zerstört wirkliche Demokratie (nicht die Scheindemokratie), fördert Terrorismus, religiöse Intoleranz, totalitaristische Tendenzen und letztlich Krieg. Nachdenkeswert ist seine These, dass die USA bis zur Abschaffung der Sklaverei der „erste Rassenstaat“ und damit für den „zweiten Rassenstaat“, Nazideutschland, das Vorbild gewesen sei.

Losurdo, der in einer langen europäischen geistesgeschichtlichen Tradition stand, offenbarte sich in seinen Schriften und bei öffentlichen Auftritten als kritischer, unbequemer, unerschrockener, nach vorn blickender Denker, der auch der europäischen Linken manch harte Lektion erteilte und unliebsame Fragen stellte und nicht zuletzt ihre modern gewordene, negative Haltung zu Nation und Staat verwarf.  Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf sein letztes, in Deutsch erschienenes Buch (2017) „Wenn die Linke fehlt… Gesellschaft des Spektakels, Krise, Krieg“.

Losurdo war einer der produktivsten Autoren in der Riege marxistischer Philosophen und weltweit anerkannt. Er verfasste mehr als 50 Bücher, die vielfach übersetzt wurden, darunter auch ins Deutsche, u.a. „Immanuel Kant – Freiheit, Recht und Revolution“ (1987), „Zwischen Hegel und Bismarck“ (1993) oder „Flucht aus der Geschichte?“ (2000). Es bestand eine enge Verbindung zur linken Tageszeitung „Junge Welt“, in deren Ladengalerie er im Januar 2017 letztmalig auftrat, und er war bis zu dessen Tod eng mit Hans-Heinz Holz, ebenfalls Mitglied der LS, verbunden, mit dem er gemeinsam die Halbjahreszeitschrift „Topos“ herausgab. Er gehörte zahlreichen wissenschaftlichen Organisationen an und war Präsident der „Internationalen Gesellschaft Hegel/Marx für dialektisches Denken“ und der „Assoziazione Politica e Cultura Marx XXI“.

Losurdo trat 1960 der Kommunistischen Partei Italiens bei und war 2016 aktiv an ihrer Neugründungf beteiligt. Losurda war zweifellos einer der bedeutendsten Marxisten des 20./21. Jahrhunderts.

1998 wurde er in die Leibniz-Sozieät der Wissenschaften zu Berlin als Mitglied zugewählt.

Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

Armin Jähne