Nekrolog auf Dr. rer. nat. Sigmund Jähn

      Ehrenmitglied Dr. Sigmund Jähn

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. trauert um ihr Ehrenmitglied Dr. rer. nat. Sigmund Jähn, den ersten deutsche Weltraumfahrer, der am 21. September 2019 im Alter von 82 Jahren verstorben ist.

Sigmund Jähn zählt mit einmaligen Leistungen zu den Personen der Weltgeschichte. Er gehört zu den ersten Hundert Menschen, die im Weltraum waren. Er nimmt unter ihnen den Platz 90 ein. Die Zahl der Personen, die vor ihm im Weltraum waren, um wie er vor allem wissenschaftliche Forschung zu betreiben, ist noch geringer. Er war der erste Deutsche im Weltraum, und zwar als Bürger des Teiles von Deutschland, der seinerzeit staatlich die Deutsche Demokratische Republik war. Er war der einzige Bürger der DDR, der im Weltraum war. In der zweiten Hälfte seines Lebens war er Forschungskosmonaut, eine Bezeichnung für seine Leistungen, die bereits viel aussagt.

Sigmund Jähn hat seinen Aufenthalt im Weltraum im August/September 1978 als Fliegerkosmonaut an Bord der sowjetischen Orbitalstation „Salut-6“ absolviert, wobei der Hinflug im sowjetischen Transportraumschiff „Sojus-31“ und der Rückflug im sowjetischen Transportraumschiff „Sojus-29“ erfolgten. An Bord der Weltraumstation oblag ihm vor allem die Durchführung der zahlreichen weltraumrelevanten wissenschaftlichen Experimente und Beobachtungsaufgaben, die von Forschungsinstituten der DDR vorbereitet worden waren. Die Mitwirkung an der Weltraummission „UdSSR-DDR“ war der Beitrag der DDR an der Erprobung des Weltraum-Komplexes für die Nutzung der Orbitalstation „Saljut 6“ zum ständigen Aufenthalt von Menschen im erdnahen Weltraum. Die „Saljut 6“ war gerade fertig geworden, sie ermöglichte erstmals den Wechsel der Besatzung und konnte wieder aufgetankt werden. Die Besatzungen konnten international zusammengesetzt werden.

Sigmund Jähn wurde am 13.02.1937 in Rautenkranz im sächsischen Vogtland geboren. Die Verbindung mit seiner Heimat hat er niemals aufgegeben. Als Kind hat er noch das Deutsche Reich und den 2. Weltkrieg erlebt. Mit der Gründung der DDR im Oktober 1949 wurde er deren Staatsbürger. Er wurde Berufsoffizier in den Luftstreitkräften (Jagdflieger) der DDR, erhielt eine akademische Ausbildung in der Sowjetunion, gehörte der Nationalen Volksarmee bis zum Ende der DDR an. Entlassen wurde er als Generalmajor. Mit dem Inkrafttreten des Vertrages über die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands („Einigungsvertrag“) im Oktober 1990 wurde er Staatsbürger der erweiterten Bundesrepublik Deutschland, arbeitete fortan bis zum Ende seines Erwerbslebens als freiberuflicher Konsultant der European Space Agency ESA bei der Vorbereitung von Weltraumfahrern für den Einsatz auf sowjetischen bzw. russischen Weltraumfahrzeugen.

Die Einladung der UdSSR zur Entsendung eines Staatsbürgers der DDR zu einem Aufenthalt an Bord der sowjetischen Weltraumstation war überraschend und kurzfristig erfolgt, und zwar in Verbindung mit den Verhandlungen auf Ebene der UNO zur Verlängerung des internationalen „Vertrages über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraumes einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper“ (kurz: Weltraumvertrag) von 1967. Der Weltraumvertrag verhindert, dass die Staaten, die leistungsstark genug sind, um Flugkörper in den Weltraum zu senden, sich den Weltraum oder Teile davon aneignen. Das wirksamste Verfahren, um die einseitige Aneignung zu verhindern, ist die Stationierung von Flugkörpern im Weltraum, in denen sich permanent Bürger aus möglichst vielen Staaten aufhalten, um dort Tätigkeiten auszuführen, deren Ergebnisse für die gesamte Menschheit Nutzen bringen – erfahrungsgemäß sind das wissenschaftliche Forschungen.

Die Beteiligung an der bemannten Weltraumfahrt war im Programm der DDR zur Beteiligung an der Erforschung und Nutzung des Weltraumes nicht vorgesehen. Sie konnte auch in den Folgejahren wegen der dafür erforderlichen hohen Kosten nicht aufgenommen werden. Mit der Realisierung der Einladung im Jahre 1978 wurde die DDR zum fünften Staat, der einen seiner Bürger zu einem Aufenthalt im Weltraum entsenden konnte, nach der UdSSR und den USA sowie (ab 1978) der CSSR und der VR Polen.

Nach wie vor können sich wohl nur Insider der bemannten Weltraumfahrt einigermaßen zutreffend vorstellen, welche Herausforderungen der Jagdflieger Sigmund Jähn bei der Vorbereitung auf seinen Einsatz als Forschungskosmonaut und bei dessen Durchführung meistern musste, was er dabei psychisch und physisch geleistet hat. Wie jeder Raumfahrer musste er lebensnotwendig darauf vorbereitet sein, dass beim Start oder der Rückkehr des Transportraumschiffes Schwierigkeiten auftreten können. Als Forschungskosmonaut sollte er wissenschaftliche Arbeiten ausführen, auf die sich vorzubereiten er nur wenige Monate Zeit hatte. Einen Einblick, der von großer persönlicher Bescheidenheit geprägt war, hat Sigmund Jähn in seinem Vortrag in der öffentlichen Plenarsitzung der Leibniz-Sozietät anlässlich des Jubiläums „50 Jahre bemannte Weltraumfahrt“ am 7. April 2011 gegeben.

Seine Beteiligung an der sowjetischen Weltraumfahrt brachte für Sigmund Jähn Aufgaben, die nur er erfüllen konnte und die er in seinem gesamten weiteren Leben in vorbildlicher Weise erfüllt hat. Seine Mitbürger erwarteten von ihm zu hören, wie das so im Weltraum ist, wie die Erde von weit oben aussieht. Die Wissenschaftler, die für ihn Experimente und Beobachtungsaufgaben zur Durchführung in der Orbitalstation vorbereitet hatten, erwarteten, dass er seine Erfahrungen in die Auswertung einbringt. Nachhaltig leistete er dies bei den Arbeiten auf dem Gebiet der Fernerkundung der Erde – mit derart wertvollen wissenschaftlichen Ergebnissen, dass er damit durch die Akademie der Wissenschaften der DDR zum Dr. rer. nat. promoviert werden konnte. Für die Führung von Staat und Wissenschaft war er ab sofort die einzige Persönlichkeit in der DDR mit originärer Kompetenz in allen Fragen der bemannten Weltraumfahrt. Seine Erfahrungen und seine Beziehungen zur Raumfahrt in der UdSSR besaßen so großen Wert für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (kurz: DLR) in der Bundesrepublik Deutschland, das die DLR den Forschungskosmonauten a.D. Jähn sofort nach der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands als ihren und als Konsultanten der European Space Agency beschäftigte.

Sigmund Jähn hat aus Ost und West hohe und höchste staatliche und wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten. Er wurde „Held der DDR“ und „Held der Sowjetunion“. Sigmund Jähn wurde Ehrenbürger der deutschen Hauptstadt Berlin – zuerst von Ostberlin, der Hauptstadt der DDR, nach Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands von Gesamtberlin, der Hauptstadt der erweiterten Bundesrepublik Deutschland.

In der Plenarsitzung am 7. April 2011 übergab der damalige Präsident der Leibniz-Sozietät Prof. Dr. Dieter B. Herrmann dem Forschungskosmonauten Dr. Sigmund Jähn die Urkunde über die Wahl zum Ehrenmitglied der Leibniz-Sozietät, die am 27. Januar 2011 erfolgt war. Die Laudatio und den Festvortrag hielt der damalige Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich Wörner.

Bereits 1978 hat die Leibniz’sche Gelehrtengesellschaft, die damals Träger der Akademie der Wissenschaften der DDR war, Sigmund Jähn nach Rückkehr von seinem Forschungseinsatz an Bord der sowjetischen Orbitalstation „Salut-6“ mit ihrer Leibniz-Medaille ausgezeichnet. Sie würdigte damit die hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen, die Sigmund Jähn in kürzester Zeit außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit vollbracht hatte. Mit ihrer Wahl zum Ehrenmitglied würdigte die Leibniz-Sozietät als heutige Form der Gelehrtengesellschaft ausdrücklich die hohe wissenschaftliche Qualität seiner Arbeiten, die er auf dem Gebiet der Weltraumwissenschaften als Forschungskosmonaut und in der Folgezeit durchgeführt hat, insbesondere die zur Fernerkundung der Erde von Bord einer Weltraumstation aus.

Bis an sein Lebensende hat sich unser Ehrenmitglied Sigmund Jähn höchst aktiv an der wissenschaftlichen Tätigkeit der Leibniz-Sozietät beteiligt. Die Mitglieder werden seiner stets mit höchster Achtung gedenken.

(Heinz Kautzleben, MLS)