Nachruf für unser Mitglied Theodor Hellbrügge
Professor Dr. med.
Dr. lit. h.c., Dr. paed. h.c., Dr. phil. h.c. et Dr. med. h.c. mult.
Theodor Hellbrügge
*23.10.1919 †21.01.2014
Die Leibniz-Sozietät hat mit Theodor Hellbrügge einen der profiliertesten Kinderärzte Deutschlands verloren. Er hat die deutsche Pädiatrie des 20. Jahrhunderts wesentlich geprägt. Mit der Gründung des Kinderzentrums in München und seinen interdisziplinären Behandlungsstrategien für entwicklungsauffällige und behinderte Kinder hat er neue Maßstäbe gesetzt, die sich weltweit verbreitet haben. Inzwischen arbeiten über 200 sozialpädiatrische Kinderzentren nach dem Münchener Vorbild im In- und Ausland.
Hellbrügges Denken und Trachten galt stets dem Kind und seinem optimalen Umfeld. Das zeichnet ihn als großen Sozialpädiater aus. Viele seiner Denkanstöße und eigenen Forschungsergebnisse haben allgemeine Gültigkeit errungen und sind über Deutschland hinaus verbreitet.
So werden behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder und ihre Eltern nach seiner Devise „Früherkennung, interdisziplinäre Frühförderung und frühe soziale Eingliederung“ betreut. Die von Maria Montessori propagierte Pädagogik hat er für die integrative Betreuung und Beschulung behinderter und nicht behinderter Kinder als Montessori-Heilpädagogik weiter entwickelt. Sie findet in ungezählten Montessori-Schulen praktische Anwendung. Mit der Gründung „Aktion Sonnenschein – Hilfe für das mehrfach behinderte Kind“ schuf Hellbrügge die strukturelle Basis für die Betreuung und Förderung dieser Kinder.
Seine Entwicklungsstudien an gesunden Kindern fanden ihren Niederschlag in der Münchener Funktionellen Entwicklungsdiagnostik, deren große Verbreitung anhand der Übertragung in fast 40 Sprachen abzulesen ist. Die von ihm empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen U1 bis U9 sind im Gelben Heft enthalten, nach denen heute in allen Kinderarztpraxen gearbeitet wird.
Die von ihm ins Leben gerufenen, äußerst beliebten Fortbildungskongresse in Brixen – zweimal jährlich – haben inzwischen zum 40. Mal stattgefunden. Auch die von ihm 1970 gegründete Zeitschrift des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands „Der Kinderarzt“ erfreut sich heute noch großer Beliebtheit.
Sein wissenschaftliches Werk ist umfangreich und enthält mehr als tausend Publikationen und vierzig Bücher, darunter populärwissenschaftliche Bücher wie „Das sollten Eltern wissen“ und „Die ersten 365 Tage im Leben eines Kindes“, ein Buch, das – in über 35 Sprachen übersetzt – nicht nur in deutschen Familien gelesen wird.
Seine hohe nationale und internationale Wertschätzung fand ihren Ausdruck in 20 Ehrendoktorwürden sowie in zahlreichen hohen Auszeichnungen, darunter Großes Bundesverdienstkreuz, Bayerische Staatsmedaille, Otto-Heubner-Preis der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft sowie zahlreiche Ehrenmitgliedschaften in wissenschaftlichen und anderen Gremien.
Im Jahr 1991 gründete er die Theodor-Hellbrügge-Stiftung zur Förderung der Sozialpädiatrie in Wissenschaft, Forschung und Lehre. Die Stiftung hat inzwischen eine weltweite Ausstrahlung weit über Europa hinaus. Ziel ist die Frühdiagnostik und interdisziplinäre Frühförderung von Kindern, damit sie vor lebenslangen Einschränkungen bewahrt werden oder das Ausmaß ihrer Behinderungen abgemildert wird. 2011 legte Hellbrügge die Grundlage für einen Stiftungslehrstuhl für Sozialpädiatrie an der Technischen Universität in München, der seit 2012 mit Herrn Professor Dr. Volker Mall besetzt ist. Seine Stiftung mit dem Stiftungslehrstuhl wird die Ideen und Werke Theodor Hellbrügges fortsetzen.
Vorstand und Mitglieder der Leibniz-Sozietät gedenken ihres im Jahre 2003 zugewählten Mitgliedes Theodor Hellbrügge in Hochachtung und Verehrung.
Burkhard Schneeweiß