„Menschen im Weltraum“ (17. und 18. Mai 2018)

Vom ersten Tag der wissenschaftlichen Konferenz

In der mit ca. 100 Teilnehmern gutbesetzten Aula des Leibniz-Gymnasiums in Berlin-Kreuzberg, mit dem die Leibniz Sozietät seit gut einem Jahr über eine Kooperationsvereinbarung verbunden ist, fand am 17. Mai der erste Teil der wissenschaftlichen Konferenz „Menschen im Weltraum“ statt. Die Konferenz, die die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften mit dem Leibniz-Institut für interdisziplinäre Studien (LIFIS) durchführte, war dem bevorstehenden 40. Jahrestag des Raumfluges von Sigmund Jähn, erster Deutscher im All, gewidmet. Dieser startete am 26. August 1978 und flog in der sowjetischen Sojus 31 zusammen mit dem sowjetischen Kosmonauten Waleri Fjodorowitsch Bykowski zur sowjetischen Raumstation Saljut 6. Der Flug dauerte 7 Tage, 20 Stunden, 49 Minuten und 4 Sekunden.

Klaus Wendt, Thomas Reiter, Sigmund Jähn und Gerhard Banse, der Präsident der Leibniz Sozietät (von links nach rechts)

 

Bereits am Tag zuvor war in der Aula des Gymnasiums durch Herrn Klaus Wendt vom Förderverein Heimatstube Sperenberg die Ausstellung „60 Jahre Raumfahrt-Geschichte auf Münzen und Medaillen“ eröffnet worden, Die Ausstellung wurde ergänzt durch Exponate zu Astronomie und Raumfahrt von Schülerinnen und Schülern der Schule vor allem aus dem Leistungskurs Physik, die in der Vorbereitung anlassbezogen komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge bearbeitetet hatten. Im Nachbarraum war die Mobile Planetariums-Kuppel im Rahmen des Projekts „Intens“ der Stiftung Planetarium Berlin aufgebaut, die in der Mittagspause und im Anschluss an die Tagung besucht werden konnte. Nach der Mittagspause erfreute das Kammerorchester des Leibniz- Gymnasiums die Anwesenden mit einem kleinen Konzert.

Tafeln der Ausstellung „60 Jahre Raumfahrt-Geschichte auf Münzen und Medaillen“

Schülerinnen und Schüler des Kammerorchesters des Leibniz- Gymnasiums während des Konzerts
Frau Dr. Jutta Koch-Unterseher überbringt die Grüße des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller

 

Die Leiterin des Leibniz-Gymnasiums, Frau Renate Krollpfeiffer-

Der Präsident der Leibniz Sozietät Prof. Gerhard Banse eröffnete die Konferenz (Plenum 2018 Mai I – Eröffnung). Er konnte neben führenden Vertreter der Europäischen Weltraumorganisation ESA und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) unter anderem Vertreter der Wissenschaftsverwaltung des Senats von Berlin, der Berliner Senatsschulverwaltung und der russischen Botschaft begrüßen. Grüße des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, überbrachte die Abteilungsleiterin für Forschung der Senatskanzlei, Frau Dr. Jutta Koch-Unterseher. Die Leiterin des Leibniz-Gymnasiums, Frau Renate Krollpfeiffer-Kuhring, begrüßte die Anwesenden im Namen der Schule.

Dr. Sigmund Jähn während seines Vortrags am 17. Mai

Den ersten Vortrag hielt Dr. Sigmund Jähn, Ehrenmitglied der Leibniz Sozietät. Er berichtete über seinen Weg zum Kosmonauten und seine Mission im Rahmen des Interkosmos-Programms der UdSSR und ihrer Verbündeten. Während seines Raumflugs führte Jähn zahlreiche Experimente durch. Dazu zählten wissenschaftlich-technische Experimente mit der Multispektralkamera MKF 6 zur Erdfernerkundung, aber auch materialwissenschaftliche Experimente und Experimente zur Kristallzüchtung, medizinische Experimente, Untersuchung der Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf das Sprechvermögen u. a.

Er berichtete, dass und wie die Weltraummission ihn, seine Haltung zur Wissenschaft, zur Technik und zum Menschen nachhaltig – bis in die Gegenwart – prägte und ihm half, manches Problem hinsichtlich seiner Größenordnung angemessen relativierend einzuordnen.

Dr. Thomas Reiter

Der frühere Astronaut und heutige ESA-Koordinator Internationale Agenturen sowie Berater von Generaldirektor Johann-Dietrich Wörner,  Dr. Thomas Reiter, erinnerte daran, dass mit Jähn die bemannte deutsche Raumfahrt begonnen hatte. Er selbst konnte bei seiner Ausbildung im Sternenstädtchen bei Moskau – wie später auch andere deutsche Astronauten – bei der Vorbereitung auf seinen ersten Langzeitflug mit der russischen MIR-Station (1995) von den Kenntnissen und Erfahrungen Jähns direkt profitieren. 2006 flog er mit der US-Raumfähre STS-121 zur ISS. Mit Alexander Gerst, der am 6. Juni zum zweiten Mal zur Internationalen Raumstation ISS startet, sei bereits die dritte Astronautengeneration unterwegs.

Dr. Reiter gab einen Einblick in den Betrieb und die wissenschaftlichen Arbeiten an Bord der internationalen Raumstation ISS. Dass zur ISS viele Nationen ihren Beitrag leisten, eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten bzw. von den Ergebnissen partizipieren, sei angesichts der vielen Konflikte auf der Erde beispielgebend. Er gab zudem einen Ausblick auf künftige ESA-Missionen, die Zukunft der bemannten wie der unbemannten Raumfahrt und die allgemeinen ESA-Trends im Bereich der Erkundung unseres Sonnensystems. Hierzu gehören insbesondere Aktivitäten im Zusammenhang mit der Erforschung des Mondes und unseres Nachbarplaneten Mars.

Prof. Dieter B. Herrmann (MLS) sprach danach zum Thema „Menschen im Weltraum – eine alte Vision“. Er erinnerte an Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski, heute unumstritten als Begründer der „Astronautik“, – der sich auch literarisch mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Ziolkowskis begann 1896 mit der Arbeit an seinem Science Fiction-Roman „Außerhalb der Erde“, der erstmals 1916 erschien. Doch die Vision von Menschen im Weltraum ist viel älter. Die Sehnsucht des Menschen nach Überwindung der Schwerkraft hüllte man aber zunächst in ein mythologisches Gewand. Die Vision vom Fliegen – und zwar immer von Menschen – gab es bei fast allen Kulturvölkern, und sie blieb über viele Jahrhunderte erhalten. Die Kulturgeschichte des Weltraumfluges sei also keineswegs allein eine Domäne der Technikhistorie, sondern ebenso auch die Geschichte eines Traums. Visionen waren und sind für seine Realisierung notwendig, aber nicht hinreichend. Und mit Blick auf Projekte wie eine Besiedlung des erdnahen Raumes etwa in Form einer Dyson-Sphäre oder gar eine Kolonisierung der Galaxis, meinte er, niemand würde die Prognose wagen, dass sich jede Vision irgendwann auch erfüllt.

Prof. Heinz Kautzleben (MLS), der führend am Interkosmos-Programm mitgewirkt hatte, referierte zum Thema „Verifizierte Erinnerungen mit Relevanz zum Weltraumflug von Sigmund Jähn“. Der Weltraumflug von Sigmund Jähn im Jahre 1978 sei nach wie vor als bedeutendes historisches Ereignis zu würdigen – eine Pionierleistung mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Die Akademie der Wissenschaften der DDR hatte großen Anteil an der Vorbereitung der Vorbereitung des Fluges und der Auswertung der Ergebnisse. Prof. Kautzleben machte darauf aufmerksam, dass der Weltbürger Sigmund Jähn nicht nur Fliegerkosmonaut war, sondern mit seinen Arbeiten auf dem Gebiet der Fernerkundung der Erde mit aerokosmischen Mitteln in der AdW zum Dr. rer. nat. promovierte. (HK Folien zum Vortrag am 17.05.2018)

Die Mitwirkung der DDR an internationalen Aktivitäten wie dann am Interkosmosprogramm habe dazu geführt, dass die DDR eigene Raumfahrtkapazitäten entwickelte, die sie dann – nicht zuletzt ergänzt durch das unermüdliche persönliche Engagement Sigmund Jähns – in das geeinte Deutschland einbrachte.

Prof. Hanns Christian Gunga (Zentrum für Weltraummedizin, Charite, Berlin) referierte über „Aktuelle Fragen der Weltraummedizin“ und berichtete, wie „Weltraummedizin“ und entsprechende bedingungsgerechte Untersuchungen – wie in der ISS – auch den Erdenbürgerinnen und ‑bürgern hilft. Ein Flug ins All ist Stress für Körper und Psyche. Eine lange Weltraumreise, beispielsweise zum Mars, wäre Prof. Gunga zufolge für die Astronauten extrem belastend. Am Beispiel der Thermoregulation führte er näher aus, welche bisher nur in Grundzügen erkannten und wenig verstandenen Probleme bei Langzeitflügen entstehen: Die essentielle mittlere Körpertemperatur von Menschen auf der Erde variiert im Verlauf des Tages um ca. ein Kelvin. Die normale Schwankung während des Tages weist typischerweise ein morgendliches Minimum der Körperkerntemperatur (ca. 36,5 °C) und ein Maximum am Nachmittag (Körperkerntemperatur; 37,8 °C) auf. Während der Phasen besonderer Leistungsbereitschaft unter extremen Bedingungen erhöht sich die Temperatur der Astronauten um Grade. Bei körperlicher Anstrengung im Orbit “überwärmen” sich u. a. infolge der reduzierten Wärmeübertragung die Körper der Astronauten. Laut Studie sogar bis zu lebensfeindlichen 40 °C. Für dieses thermoregulatorische Problem existiert bisher keine Lösung.

Prof. Nina Hager (MLS) sprach zum Thema „Raumfahrt als Kulturaufgabe? – Zu philosophischen Fragen der bemannten Raumfahrt“ und setzte sich mit der Behauptung, die bemannte Raumfahrt sei eine „Kulturpflicht“, auseinander. Von jenen, die sie als als „Kulturaufgabe“ ansehen, würden oft utilitaristische und transutilitaristische Begründungen angeführt. Das aber greife zu kurz, um die realen Prozesse, aber auch Vorstellungen, Wünsche, Interessen der Menschen usw. zu erfassen. Raumfahrt benötige nicht nur Enthusiasmus und Neugier, Visionen, Ideen, wissenschaftliche wie technische Umsetzung, sondern auch politische Entscheidungen, Prioritätensetzung und Geldgeber. Auch sei nicht klar, welcher Kulturbegriff hier benutzt werde. Bemannte Raumfahrt muss danach bewertet werden, in welchem Ausmaß sie auch als Mittel menschlicher Entwicklung und der Sicherung menschlicher Existenz wie der Selbstverwirklichung des Menschen, den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen und der Schöpferkraft dient sowie beiträgt zur Gestaltung humaner gesellschaftlicher Beziehungen und zur Entfaltung entsprechender demokratischer und sozialer Strukturen auf unserem Planeten.

Die DLR-Vorstandsvorsitzende Prof. Pascale Ehrenfreund informierte in ihrem sehr anschaulichen Beitrag „Kosmischer Staub und die Suche nach Leben im Universum“ (2018.05.17._LeibnizSozietät_Ehrenfreund) über den derzeitigen Stand der Forschung. Ist die Erde der einzige Planet in unserem Sonnensystem, auf dem es Leben gibt? Sind die Bausteine für das Leben auf der Erde aus dem All gekommen? In der Frühzeit unseres Planeten war dieser von Magma bedeckt. Daraus konnte kein Leben entstehen. Doch dann sorgten offenbar unzählige Einschläge von Asteroiden, Meteoriten und Kometen für eine „Impfung“ der Erde. In Meteoriten habe man sogar 80 verschiedene Aminosäuren gefunden. Auch die Untersuchungen des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko brachten entsprechende Ergebnisse. Die Suche nach Leben in unserem Sonnensystem gehe aber weiter: auf dem Mars, auf Monden des Jupiters und Saturn. Deutschland trage mit zahlreichen wissenschaftlichen Geräten maßgeblich zum Erfolg vieler internationaler Missionen bei, so zum Mars oder zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko.

Die überaus anregende und informative Konferenz wurde am nächsten Tag unter der Verantwortung des Leibniz-Instituts für interdisziplinäre Studien e.V. (LIFIS) thematisch akzentuiert fortgesetzt. Dabei stand die Thematik „Weltraumforschung – unerschöpflicher Quell für Phantasie und Schöpfertum – Bindeglied zwischen Generationen“ im Zentrum.

Nina Hager

 

Alle Bilder: Dietmar Linke

Prof. Dieter B. Herrmann

Prof. Heinz Kautzleben

Prof. Hanns Christian Gunga

Prof. Nina Hager

Die DLR-Vorstandsvorsitzende Prof. Pascale Ehrenfreund (rechts) und Prof. Lutz-Günther Fleischer (MLS), der am Nachmittag die Konferenz leitete