Kurzbericht zu einem Workshop des Arbeitskreises „Gesellschaftsanalyse“ der Leibniz-Sozietät und des „Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung“

„Transformation im aktuellen Kontext – Chancen, Ambivalenzen und Blockaden“ – zu diesem Thema führte der Arbeitskreis „Gesellschaftsanalyse“ der Leibniz-Sozietät zu Berlin  in Kooperation mit dem „Institut für Gesellschaftsanalyse“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 22. März des Jahres einen ganztägigen Workshop durch. Knapp dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen an den Diskussionen im Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung teil.

Die inhaltliche Bilanz, so auch der Tenor erfolgter Rückmeldungen, ist als sehr positiv einzuschätzen. Unglücklicherweise sind zwar aus Krankheitsgründen zwei der vorgesehenen Beiträge kurzfristig ausgefallen. Die anderen erwiesen sich als sehr anregend und konnten so in dem kleinen, kompetenten Kreis ausführlicher diskutiert werden. Da mittlerweile auch der Rahmen für die vorgesehene Publikation von Workshop und weiteren Beiträgen gut abgesteckt ist, die Publikation also in wenigen Monaten vorliegen wird, ist hier nur ein kurzer Überblick zum Workshop und zugleich ein Ausblick auf Weiteres angebracht.

Nach einigen Jahren unterschiedlicher Diskussionen im Arbeitskreis – zum Teil auch in Klasse und dem Plenum der Sozietät (auf Aktivitäten des „Instituts für Gesellschaftsanalyse wird hier nicht eingegangen) – sollte der Workshop in der ausufernden, widersprüchlichen Diskurslandschaft und angesichts erheblicher Konflikte und Blockaden vor allem das Thema „Transformation“ angemessen justieren: Der eigene Anspruch des Arbeitskreises, wie er 2015 mit der zweibändigen Publikation „Transformation im 21. Jahrhundert“ (Bände 39.I und 39.II der Abhandlungen der Leibniz-Sozietät) systematisch begründet worden war, nämlich einen zeitgemäßen Transformationsbegriff zu entwickeln und empirisch, analytisch zu untersetzen, bildete die übergreifende Klammer für den Workshop.

Bereits mit seinen Begrüßungsworten konnte der Präsident der Leibniz-Sozietät, Prof. Gerhard Banse, wichtige Konturen und Herausforderungen des Themenfeldes umreißen. Transformation eben als aktuell verbreiteter thematischer Ansatzpunkt in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen. Dabei die Möglichkeiten einer fruchtbaren Debatte zwischen einzelnen Disziplinen auszuloten, dafür war zum Beispiel auf die mit Band 49 der Abhandlungen in Herausgeberschaft von Gerhard Banse, Ulrich Busch und Michael Thomas erschienene Publikation „Digitalisierung und Transformation“ zu verweisen. Und auch die nunmehr vorgesehene Publikation, das sei angefügt, wird eine thematische Verschränkung zur Digitalisierungsproblematik praktizieren. Ebenso sind weitere empirische Felder unterschiedlicher sozialer und auch regionalwirtschaftlicher Prozesse aufgenommen, in denen verschiedene sozialwissenschaftliche Disziplinen in anregender Weise mit der konzeptionellen Weite des Transformationsansatzes umgehen.

Diese herausfordernde, zum Teil auch ausufernde konzeptionelle Weite war zugleich ein erster Schwerpunkt des Workshops. Dieser wurde moderiert von Günter Krause und versammelte einführende Beiträge von Michal Thomas, Ulrich Busch und Wolfgang Küttler. Übergreifend wurden hier Fragen nach einer konkreten und zeithistorischen Bestimmung von Transformation – insbesondere hinsichtlich der postsozialistischen Transformation und einer heute anstehenden(?) Transformation – behandelt. Und weiter bzw. damit verbunden wurde darüber gestritten, ob von einer tatsächlichen, identifizierbaren Transformation gesprochen werden könne, oder ob es sich doch eher um eine kaum erkennbare oder gar bloß „virtuelle“ Transformation handeln würde. Positionen und die interessante Diskussion blieben kontrovers, waren zugleich aber mit einem deutlichen Erkenntnis- und Verständnisfortschritt verbunden: Erst wenn man analytisch hinreichend klar die Anforderungen für ein „starkes“ Transformationskonzept bestimmen und eben untersetzen kann – eines Konzeptes also, welches auf grundlegende gesellschaftliche Pfadänderungen abhebt –, lässt sich zugleich über die Relevanz sehr vielfältiger (in gewisser Hinsicht „schwacher“) Transformationskonzepte und die ambivalente historische Konstellation anzutreffender Blockaden und gegenläufiger Entwicklungen reden. Denn es ist eben diese Gleichzeitigkeit so unterschiedlicher Prozesse – häufig fasst man diese Konstellation deshalb als „Interregnum“ –, die aufzunehmen, konzeptionell zu bestimmen und nicht unproduktiv gegeneinander auszuspielen ist.

Damit war systematisch zugleich ein zweiter thematischer Kontext aufgemacht, der einmal vor allem Prozesse, Ansätze von Transformationen – einschließlich ihrer Voraussetzungen – behandeln sollte. Dann ging es ebenso um die Möglichkeiten von demokratischen Institutionen, diese Ansätze aufzunehmen, zu befördern oder gegebenenfalls solche Institutionen dazu zunächst einmal zu „öffnen“, zu befähigen. Insofern wurde eine Transformationsperspektive eingenommen und im Kontext konkret verortet. Konzipiert bzw. vorgesehen waren jeweils zwei parallele Beiträge, von denen jedoch zwei (wie schon erwähnt) weggefallen sind. Folglich konnten die konkreten politischen Prozesse einer Transformation zur Postwachstumsgesellschaft (Frank Adler) nicht behandelt werden wie auch nicht die grundlegenden Anforderungen an die repräsentative bürgerliche Demokratie (Lutz Brangsch). Beide Themen werden allerdings in die erwähnte Publikation eingehen. – Moderiert wurden die Beiträge und Diskussion zu diesem thematischen Komplex von Irene Zierke und Michael Thomas.

Michael Vester, der sich den Prozessen und ihren Voraussetzungen zuwandte, war es zunächst wichtig, mit Bezugnahme auf Karl Marx daran zu erinnern, dass man Klassen nicht nur unter der Opferperspektive sehen sollte, sondern als Akteure oder/und Subjekte der Veränderung. So erst eschließt sich die gegebene Relevanz für die Transformationsperspektive. Angesichts der widersprüchlichen Konstellationen des deutschen Exportmodells ist allerdings zugleich analytisch festzuhalten, dass eine solche Relevanz nur sehr bedingt auszumachen ist. Es dominieren konservierende Trends. Die Untersuchungen von Vester greifen tief in die gesellschaftlichen Konfliktfelder, berühren selbst Veränderungen der alltäglichen Lebensführung, womit sehr differenziert transformative Potenziale in den Blick kommen. Genau so kann der Faden einer starken“ Transformationsperspektive aufgenommen werden: Wo und wie finden sich Ansätze für Übergänge, Einstiege?

Schließlich war es abschließend Judith Dellheim, die auf einer sehr relevanten Ebene demokratischer Institutionen – der der Europäischen Union – nach den neuen Formen und Mustern weltweiter Kapitalakkumulation (der Rolle transnationaler Konzerne und von Auslandsinvestitionen) fragte und vor allem nach den konkreten Möglichkeiten, in solche Formen oder Muster unter dem Aspekt einer erforderlichen Transformation einzugreifen. Ihre Analyse sowohl zu den europäischen Institutionen – hier sei eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Potenzial und ausstehenden Problemlösungen auszumachen – wie ebenso zu einzelnen kritischen Aktivitäten und Ansätzen blieb allerdings diesbezüglich eher ernüchternd. Die Wege, sich scheinbar übermächtigen Reproduktionszwängen zu widersetzen, sind weitgehend blockiert. Dennoch zeigen sich produktive Ansätze und bemerkenswerte Gegenbewegungen, beispielsweise in der Herausbildung eines „Blocks“ zu einer aktiven Lokal- und Regionalentwicklung, also dem Versuch, sich dem Diktat der großen Konzerne zu widersetzen.

Der Workshop war letztlich ein Spiegel der aktuellen Situation. Zu verzeichnen ist für diese einerseits eine hochgradige Ambivalenz von innersystemischen Trends und Anpassungsmöglichkeiten – einschließlich solcher, die mit neuen Technologien, mit der Digitalisierung verbunden sind. Insofern scheint eine neue große Transformation weit entfernt. Andererseits springt deren Notwendigkeit gleichsam ins Auge, zeigen sich auch Ansätze für einen tiefgreifenden Wandel. „Postwachstumsgesellschaft“ könnte dafür eine mögliche Zielperspektive bilden. Es sind sozusagen zwei „Landkarten“, die sich hier zu analytischer Anleitung anbieten (Lessenich), nämlich eine „kognitive“ und eine „evaluative“. Erstere zeigt auf, was „gegeben ist“, die zweite das „sinnvoll Mögliche“. Kritische Transformationsforschung sollte nicht die eine Karte gegen die andere ausspielen, vor allem aber auch die evaluative in der Hand behalten: „Transformation“ kann nicht einfach als Synonym stehen für beliebigen Wandel, sondern für richtungsbestimmte Suchbewegungen.

Die vorgesehene Publikation wird neben den hier kurz präsentierten thematischen Beiträgen weitere Fallstudien enthalten, so etwa zur Transformation von Organisationen, zu sozialen Innovationen in ländlichen Räumen, zur transformativen Praxis in der digitalen Plattform-Ökonomie und zu Reallaboren als möglichen Inkubatoren für Transformation. Auf einer Sitzung des Arbeitskreises am 17. Mai werden Konzept und Beiträge nochmals zur Diskussion gestellt. Zudem werden in der Sitzung am 20. September auf der Grundlage einer jüngst fertig gestellten umfangreichen Publikation von Rolf Reißig Untersuchungen zu historischen Transformationsprozessen diskutiert.

Der Arbeitskreis „Gesellschaftsanalyse“  hat mit den Workshop (und mit den weiteren angedeuteten Aktivitäten) wiederum eine intensive Arbeitsphase hinter sich. Für den Workshop war die Kooperation mit dem „Institut für Gesellschaftsanalyse“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung (hier gilt der besondere Dank Judith Dellheim) sehr hilfreich, nicht zuletzt war der Salon der Stiftung ein geeigneter Diskussionsort. Dem Präsidenten unserer Sozietät, Gerhard Banse, ist ausdrücklich zu danken für seine Anwesenheit und Diskussionsteilnahme wie die ernsthafte Auseinandersetzung mit den vorliegenden Ergebnisses des Arbeitskreises.

Bei Interesse an weiteren Informationen oder/und den Diskussionen im Arbeitskreis ist eine Meldung beim Leiter des Arbeitskreises, Michael Thomas, der beste Weg: thomas@biss-online.de .