150-jähriges Jubiläum einer erfolgreichen Innovation

Oskar Liebreich (1.)

 Am 02. Juni 1869 stellte Oscar Liebreich (1839-1908) – Pharmakologe an der Berliner Charité – in der Berliner Medizinischen Gesellschaft seine Ergebnisse zu „Chloral, ein neues Hypnoticum und Anästheticum“ vor. Im gleichen Jahr erschien sein Buch „Das Chloralhydrat – Ein neues Hypnoticum und Anästheticum und dessen Anwendung in der Medizin“ (1).

Chloralhydrat eine einfache chemische Verbindung wurde schon 1832 von Justus von Liebig (1803-1873) synthetisiert. Liebreich gebührt das Verdienst es systematisch pharmakologisch untersucht zu haben. Den Ausgangspunkt hierfür findet man In seinem oben erwähnten Buch. Liebreich´s Hypothese war: Zerfällt das Chloralhydrat – wie in vitro – auch im Organismus in Chloroform? Da Chloroform schon einige Zeit als Narkoticum und Analgeticum angewandt wurde, lag es nahe Chloralhydrat in dieser Richtung zu untersuchen. Auf der Basis dieses Denkansatzes führte Liebreich Tierversuche an Fröschen, Kaninchen und Hunden durch. Anschließend folgten in Zusammenarbeit mit bekannten Medizinern wie dem Chirurgen B. v. Langenbeck (1810-1887) Untersuchungen an Patienten. Am Ende stand seine Aussage, dass Chloralhydrat sicher Schlaf bewirkt und keine schädlichen Nachwirkungen zur Folge hat, und dass es innerlich wie subcutan ohne Schwierigkeiten verabreicht werden kann. Hinzu kamen noch Vorschläge für pharmazeutische Rezepturen zur Anwendung am Menschen. Also ein Beispiel systematischer und zielstrebiger Wirkstoffentwicklung.

Damit war die Erfolgsgeschichte des Chloralhydrats jedoch nicht beendet. Vier Jahre nach Liebreichs Vortrag gründete der Chemiker Dr. Heinrich Byk (1845-1923) in Berlin eine chemische Fabrik.

Heinrich Byk (3.)

Unter den ersten Erzeugnissen dieser neugegründeten Firma war das von Liebreich beschriebene Chloralhydrat. Zunächst wurde es nach den Liebreich´schen Rezepturvorschlägen in kleinen Apothekerflaschen   als Chloralum hydratum angeboten; später als dickflüssiger Saft konfektioniert und vertrieben. Solche, noch dazu sehr preiswerte Chloralhydratpräparate, erfreuten sich bald – nicht nur in Deutschland – großer Beliebtheit.

Aus diesen Gründen entschied Byk, das Chloralhydrat nicht nur zu konfektionieren, sondern selbst herzustellen. Dazu musste jedoch mit Chlorgas gearbeitet werden. Unter den beengten Berliner Verhältnissen ergaben sich dadurch jedoch Probleme. Deshalb entschloss sich Byk 1885 das Unternehmen nach Oranienburg zu verlagern Dort bestanden bessere nicht umweltbelastende Freiräume für die Produktion. Hinzu kamen erfahrene Mitarbeiter auf Grund der langjährigen chemisch-pharmazeutischen Tradition (4); letzteres eng verbunden mit dem Wirken des großen deutschen Chemikers Friedlieb Ferdinand Runge (1795-1867). In Oranienburg expandiert die Firma Byk rasch und entwickelt mehrere weitere Produktionszweige. Auch Forschung und Entwicklung  wurde von Byk zielstrebig gefördert.  Insgesamt erwies sich Byk als ein Unternehmen in dem Chloralhydrat gut aufgehoben war. Chloralhydrat wird dann über einen langen Zeitraum ein vielfältig eingesetztes Arzneimittel. Es ist auch heute noch auf Markt, jedoch nur für spezielle Indikationen.

Die beispielhafte Erfolgsgeschichte des Chloralhydrat war nur möglich durch das Zusammentreffen der innovativen Leistung von Oscar Liebreich mit dem mittelständischen Unternehmer Heinrich Byk, dem die Literatur eine glückliche Verbindung von Unternehmermut und Forschergeist bescheinigt (3). Zu Recht ehrte ihn deshalb 1993 die Stadt Oranienburg durch Umbenennung der Industriestraße in Heinrich-Byk-Straße.
Zu Oscar Liebreich sagte der damalige Vorsitzende der Berliner Medizinischen Gesellschaft in seinem Nekrolog am 08. Juli 1908 u. a.: „(Liebreich ist)….berühmt durch eine große Zahl epochemachender Arbeiten,……….die seinen Namen über den ganzen Erdkreis getragen haben….Ich brauche nur an das Chloralhydrat zu erinnern…“.

Es ist ein gutes Zeichen, dass zwischen der  Byk- und der Lehnitzstraße seit 2011 der japanische Pharmaglobalplayer Takeda ansässig ist, erheblich investiert und die Tradition des Pharmastandortes Oranienburg weiterführt. Hierzu gehört neben dem Bezug zu Runge – die Traditionslinie zur Charité via Chloralhydrat und Oscar Liebreich.
Das 150-jährige Jubiläum von Oscar Liebreichs Leistungen zu Chloralhydrat und die erfolgreiche Translation durch Heinrich Byk, sollten Ansporn sein für ähnliche (notwendige) Erfolgsgeschichten aus der und für die Gesundheitsregion Berlin/Brandenburg.

Literatur
1. Liebreich, O.:
Das Das Chloralhydrat eine neues Hypnoticum und Anaetheticum und dessen Anwendung in der Medizin. Zweite unveränderte Auflage, Otto Müller Verlag Berlin. Berlin 1869. Reproduction by Forgotten books. London 2017
2.Laschinsky, G. und I. Roots: Das Entstehen der modernen Medizin. Vorträge vor der Berliner Medizinischen Gesellschaft von 1860 bis 1935. Ausgewählt von Geh. Medizinalrat Otto Solbrig. ABW Wissenschaftsverlag. Berlin 2018
3. Fischer, E. P.: Byk Gulden – Forschergeist und Unternehmermut. Piper Verlag München, Zürich 1989
4. Oehme, P.: Friedlieb Ferdinand Runge. In Dtsch. Apothekerzeitung. 134, S. 4991-4993. 1994
5. Oehme, P.: Oscar Liebreich und sein Chloralhydrat – Meilensteine der Berliner Pharmakologie. In Dtsch. Apothekerzeitung 278, S. 56-59, 2019

Peter Oehme, MLS