Workshop des Arbeitskreises „Gesellschaftsanalyse“ am 11. November 2016; Bericht
Bericht zum Workshop des Arbeitskreises „Gesellschaftsanalyse“ am 11. November 2016 „Transformation in Zeiten von Digitalisierung und Informatisierung“
Der aufgeführte Workshop, der auch von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wurde, hatte sich thematisch als eine konsequente Umsetzung des seit ca. drei Jahren verfolgten und jüngst publizierten [1] systematischen Anspruchs vom Arbeitskreis „Gesellschaftsanalyse“ ergeben: Ein hinreichendes Transformationskonzept muss historisch kontextualisiert sein, eine Große Transformation betrifft den Bruch einer gesellschaftlichen Entwicklungsphase.
Insofern verstand sich der Workshop als ein weiterer Schritt hin zu einer solchen Kontextualisierung. Auch die vorgesehene Publikation wird entsprechend angelegt sein. Damit wie generell angesichts der thematischen Komplexität war es angemessen, dieses Vorhaben als ein übergreifendes der Leibniz-Sozietät anzulegen. Das hat sich für den Workshop, etwa durch die direkte Unterstützung des Präsidenten der Sozietät, sehr positiv ausgewirkt und sollte – so ein systematisches Ergebnis aus den Debatten – strategisch wie perspektivisch beibehalten werden.
Für den Workshop konnten hervorragende Referentinnen und Referenten gewonnen werden, die sowohl den state of the art zu Digitalisierung und Informatisierung wie die transformationsspezifischen Herausforderungen und Konsequenzen herauszuarbeiten vermochten. Der überwiegende Teil der Referentinnen und Referenten kam von namhaften Institutionen, nicht aus der Leibniz-Sozietät. Das trifft auch auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu. Interdisziplinarität und fachliche Kompetenz waren gegeben. Folgerichtig kam es im Verlauf des Workshops zu intensiven und dichten Diskussionen, an denen sich die Mehrheit der 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aktiv beteiligen konnte. Insofern lässt sich, wie auch einem vielfachen Feedback zu entnehmen ist, von einem erfolgreichen Workshop sprechen. Für die vorgesehene Publikation bestehen allein damit gute Voraussetzungen. Es gibt auf der Grundlage von Vorabsprachen durch den Arbeitskreis zudem noch eine Reihe von Zusagen, so dass von ca. 12 bis 14 Beiträgen auszugehen ist.
Der Workshop am 11. November ist in seinem Ablauf entsprechend dem Programm durchgeführt worden. Das ist knapp zu umreißen. Mit Begrüßung und kurzer thematischer Einführung konnte der Leiter des Arbeitskreises, Michael Thomas (MLS), Zugang und Interesse des Arbeitskreises darstellen: In den konträren Folgerungen, die etwa Digitalisierung und Informatisierung für eine Perspektive gesellschaftlicher Transformation gefunden haben bzw. finden (vom „optimistischen“ Szenario eines gelingenden Wandels in eine zukunftsfähige Gesellschaft zum „pessimistischen“ eines sich durchsetzenden Neofeudalismus), liegt eine klare analytische Herausforderung. Es ist unbedingt aufzuarbeiten, was sich tatsächlich vollzieht, welche Möglichkeiten damit verbunden sind und ob bzw. wie sich durch die eigenständige Transformation in Digitalisierung und Informatisierung die ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Handlungskontexte verändern. Es geht um die Dimension einer (möglichen) Gesellschaftstransformation und deren (mögliche) Voraussetzungen.
In seinem Beitrag im ersten thematischen Block, der grundlegende Perspektiven aufzeigen sollte, stellte Ulrich Busch (MLS) die Frage danach, ob es sich bei der Digitalisierung um einer Revolutionierung der Produktionsweise in dem Sinn handeln würde, dass von einer Großen Transformation zu sprechen sei, oder eher um eine neue Entwicklungsphase innerhalb der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Historischer Vergleich wie aktuelle Betrachtung stützten sich konsequent auf Kriterien, nach denen sich eher die zweite Hypothese einer systemimmanenten bzw. „kleinen“ Transformation bestätigen ließe. Im Grunde bewegte sich die Argumentation von Ingo Matuschek (Hochschule der Bundesagentur für Arbeit) zum Zusammenhang von Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 im Kontext dieser zweiten Hypothese. Aber genau damit ergibt sich auch die Konsequenz, die (arbeitspolitischen) Herausforderungen solcher Umbrüche aufzunehmen, sie nicht technizistisch-positivistisch zu trivialisieren, sondern mit Blick auf transformatorische Konsequenzen die Gestaltungskonstellationen freizulegen.
In einem zweiten thematischen Block zu den technisch-technologischen Dimensionen des Wandels konnten Gerhard Banse (MLS) wie Stephan Lingner (European Academy) zunächst einmal übereinstimmend einen gewissen Schnitt machen zwischen einem Hype („Hype-Technologie“) oder Euphorie um die Industrie 4.0 und deren tatsächlichem Stand und damit verbundenen Szenarien bzw. auch Erwartungen. Für Gerhard Banse verband sich damit insbesondere die Frage nach den auftretenden Gestaltungsrisiken, die sich z.B. aus Informationslücken ergeben würden und unbedingt mehr konkrete und kontextspezifische Einsichten verlangen. Nur damit, so die ähnliche Konsequenz bei Stephan Lingner, ließe sich zu einem verantwortungsvollen Handeln (als „conditio humana“) gelangen. Wir könnten ebenso aus Industrie 3.0 lernen wie wir aufgefordert sind zu einer Begleitung der Prozesse und verstärkt interdisziplinärer Forschung.
Der dritte thematische Block zu Organisation und Arbeit brachte einerseits eine Konzentration auf Arbeits- und Organisationsprozesse, andererseits wiederum eine Generalisierung, weil sich genau mit diesen Prozessen (etwa Jeremy Rifkin) umfassende transformationsspezifische Erwartungen verbinden. Daniel Schönefeld und Anna Schwarz (Europa-Universität Frankfurt/Oder) konnten erste Forschungsergebnisse zur Arbeitsorganisation in Crowdworking und Internetplattformen präsentieren und historisch in globale Trends einordnen. So ließ sich entgegen mancher Erwartungen (nicht nur der euphorischen bei Rifkin) zeigen, dass wir es vielfach noch mit hybriden Formen zu tun haben und sich bisher noch stärker eine Konkurrenz- und Marktlogik durchsetzt, statt eine kooperative oder kollaborative. Dies wurde im abschließenden Beitrag von Philipp Staab (jetzt Institut für Geschichte und Zukunft der Arbeit) aufgegriffen und in einem breiten und globalen Diskurs nochmals bestärkt. Der Blick ging dabei auf die wesentlichen Großunternehmen (etwa Facebook, Amazon oder auch Uber), die ihre eigenen und radikalen Marktbildungsstrategien verfolgen würden. Sie könnten eine Dominanz erreichen, die ihnen ein eigenständiges Setzen von Regeln ermöglichen und die Kunden radikal ins eigene soziotechnische System einbinden würde. Konsequent zeigt sich ein Zug zur Monopolisierung, der die Perspektive einer umfassenden gesellschaftlichen Transformation eher erschwert oder gar blockiert.
Der Workshop hat durchaus überraschende Einsichten gebracht und zugleich mehr offene Fragen als Antworten. Dies sollte Arbeitskreis wie wohl auch die Sozietät stimulieren. Zu den überraschenden Einsichten (jedenfalls für den Berichterstatter) gehört beispielsweise, dass Digitalisierung und besonders Industrie 4.0 eher sehr nüchtern betrachtet wurden. Einmal lassen sich erst wenige konkrete Beispiele, Ansätze ausmachen, dann wären vielleicht die Unterschiede zwischen Industrie 3.0 und einer solchen Industrie 4.0 weniger groß als behauptet und schließlich: Vielleicht doch „alter Wein in neuen Schläuchen“ (Banse)?
Diese Ernüchterung war aber keinesfalls damit verbunden, Umbruch oder eine durchaus mögliche Prozessdynamik zu unterschätzen. Gerade deshalb, und auch das ist nochmals zusammenfassend festzuhalten, müsste man sehr aufmerksam Szenarien wie ablaufende Prozesse beobachten, untersuchen, um so zu Gestaltungsmöglichkeiten zu kommen – zu gesellschaftlicher Handlungssouveränität, statt scheinbarem technologischen Sachzwang. Dies betrifft einmal die Prozesse in Industrie, Arbeit, in den unterschiedlichen Organisationsformen selbst, dann aber gerade auch die damit verbundenen gesellschaftlichen Handlungskonstellationen, mit denen sich das Transformationsproblem verbindet.
Hier wiederum ist im Fazit herauszustreichen – in mancher Hinsicht gleichfalls durchaus ernüchternd –, dass die zweifellos sich z.T. abzeichnenden, z.T. (gerade auch global) schon dynamisch verlaufenden Umbrüche oder Disruptionen wohl weniger das Fenster zu einer Großen Transformation aufmachen, dass sie es eher (vorübergehend?) schließen, und dass sich auch Voraussetzungen für bzw. Einstiege in eine solche Transformation eher verschlechtern bzw. weniger bereits zeigen würden. Es scheint sich mit Digitalisierung/Informatisierung – ähnlich wie für Finanzialisierungsprozesse – eine neue Anpassungsrunde in einem bestehenden gesellschaftlichen Entwicklungspfad zu ergeben, nicht aber ein Bruch. Daraus aber auf ein Ende bzw. eine Absage des/an das Transformationsprojekt(es) zu folgern, wäre wissenschaftlich so naiv wie gesellschaftlich fahrlässig. Selbst der Vielfalt technisch-technologischer Entwicklungen würde das nicht gerecht. Erschütterungen in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie globale Trends sprechen dafür, dass der Druck auf die leitenden Basisinstitutionen weiter zunimmt. Wie weit deren Verarbeitungskapazität gerade auch angesichts der aufgezeigten Umbrüche reicht, bleibt offen. Eine darauf ausgerichtete interdisziplinäre Forschungsarbeit steht auf der Agenda.
[1] Thomas, Michael/Busch, Ulrich (Hg.) 2015: Transformation im 21. Jahrhundert. Theorien – Geschichte – Fallstudien. Abhandlungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, Band 39, I und II. Berlin.
Michael Thomas