Wissenschaftliche Sitzungen des Plenums der Leibniz-Sozietät im Jahre 2010

Nachfolgend werden die im Jahr 2010 stattgefundenen wissenschaftlichen Sitzungen im Plenum der Leibniz-Sozietät zusammen mit den Kurzreferaten und Angaben zu den C.V. der Vortragenden aufgelistet.
Die Namen der Autoren sind mit dem Autorenverzeichnis verlinkt und die einzelnen Beiträge, die bereits in einer Publikationsreihe der Leibniz-Sozietät erschienen sind, sind als PDF-Dateien unterlegt.

 

28. Januar 2010

Gerhard Banse
Technik und Kultur

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung: Leibniz Intern Nr.47; 19.05.10  

Prof. Gerhard Banse (63) ist Technikphilosoph, Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2000 und deren Vizepräsident seit 2009. Nach einem Studium der Chemie, Biologie und Pädagogik sowie der Promotion an der Sektion Philosophie der Berliner Humboldt-Universität war er von 1974 bis 1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR, am Lehrstuhl Technikphilosophie der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus sowie am Institut für Philosophie der Universität Potsdam; jetzt arbeitet er am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), Campus Nord (bis 30.08.2009 Forschungszentrum Karlsruhe in der Helmholtz-Gemeinschaft). Seine Hauptarbeitsgebiete sind Technikphilosophie (Wissenschaftstheorie der Technikwissenschaften, interdisziplinäre Risikoforschung), Allgemeine Technikwissenschaft (Allgemeine Technologie, Technikgeneseforschung) und Technikfolgenabschätzung (vor allem im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Informationstechnische Sicherheit).

Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Technik und Kultur sind so alt wie die Mensch¬heit selbst: Die technischen Hervorbringungen haben die Kultur und die kulturellen Muster und Praxen haben die Technik beeinflusst, deren Hervorbringung, Veränderung, Verbreitung wie Verwendung. Nicht so alt sind indes die theoretischen Reflexionen über diesen Zusam¬menhang. Abgesehen davon, dass manche frühen Menschheitsperioden – in der Regel ex post – nach dem technischen oder technisch bedingten Entwicklungsstand benannt werden (z. B. Bronze- oder Eisenzeit) oder sich Ähnliches bezogen auf die Gegenwart findet (z. B. Raum¬fahrt- oder Atomzeitalter, Industriegesellschaft, Postindustrielle Gesellschaft), wird traditio¬nell (vor allem im deutschen Sprachraum) zwischen Technik und Kultur häufig Fremdheit oder gar ein offener Antagonismus gesehen, auf den gelegentlich mit entsprechenden (Ab¬wehr-)Bewegungen reagiert wurde, z. B. in der Romantik. Das Reden von den „zwei Kulturen“ ist in dieser Hinsicht wohl symptomatisch.
In einer sich globalisierenden Welt mit einem globalen Techniktransfer und sich zunehmend global auswirkenden Folgen technisch instrumentierten Handelns sowie der zugehörenden globalen (interkulturellen) Kommunikation erlangen die Interdependenzen von Technik und Kultur einen hohen Stellenwert: In jüngeren Ansätzen wird deshalb häufig auf die Zusammengehörigkeit beider Bereiche hingewiesen und in den Wissenschaften vielfältig thematisiert. Wie sich Technik und Kultur gegenseitig beeinflussen, durchdringen und bedingen, wird in verschiedenen Disziplinen in den Blick genommen, auf eine je spezifische Weise. Technisches wird zunehmend in seiner Kulturalität, Kultur (auch) in ihrer Technizität“ („Technikförmigkeit“) analysiert und interpretiert.
Im Vortrag werden aus technikphilosophischer Sicht einige damit zusammenhängende Aspekte etwas näher dargestellt. Dazu werden zunächst die für den hier interessierenden Zusammenhang wesentlichen begrifflichen bzw. theoretisch-konzeptionellen Ausgangspunkte charakterisiert: Technik/Technisches und Kultur/Kulturelles/„Kultürliches“. Darauf aufbauend werden der Zusammenhang von Technik und Kultur dargestellt sowie Beispiele für deren Wechselwirkungen gegeben.

 

11. Februar 2010

John Erpenbeck
Nutzen und Perspektiven der Kompetenzforschung

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung: Leibniz Intern Nr.47; 19.05.10  

Prof. Erpenbeck (67) ist Physiker, Philosoph und Literaturwissenschaftler sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1995. Nach Promotion (1968) in Biophysik und Habilitation (1978) in Philosophie wurde er 1984 zum Professor ernannt. 1993 – 1994 war er Research Professor am Center for Philosophy of Science, Pittsburgh. Von 1998 – 2007 war er Bereichsleiter Grundlagenforschung der QUEM (Qualifikations-Entwicklungs-Management) im Projekt Lernkultur/Kompetenzentwicklung. Seit 2007 hat er den Lehrstuhl Wissensmanagement/Kompetenzmanagement der School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) inne. Er arbeitete zu philosophischen, historischen und wissenschaftstheoretisch-methodologischen Problemen der Psychologie kognitiver, emotional-motivationaler und volitiver Prozesse sowie zu Fragen der Kompetenzentwicklung. Seine Erkenntnisse sind in 10 Fachbüchern publiziert – die meisten Gemeinschaftspublikationen. Er entwickelte zusammen mit V. Heyse und H. Max die Kompetenzmessinstrumente KODE® und KODE®X und zusammen mit B. Brenninkmeijer den Kompetenz-Werte-Test WERDE©.

Ohne dass man genauer weiß, was Kompetenzen eigentlich „sind“, hat der Begriff eine beispiellose Karriere hinter sich, ist zugleich zum Gutwort für menschliche Eigenschaften wie zum Ersatzwort für Bildung geworden. Hinter der Karriere aber steht das klar aufweisbare Bedürfnis, von einem Wissens- zu einem Könnensnachweis zu gelangen. Der Zug von Pisa nach Bologna ist längst abgefahren: Bei aller Kritik an den Bachelors und Masters ist die zentrale Botschaft von Bologna ein Übergang (oder eine Rückkehr?) von der Input- zur Outcome-Orientierung des Lernens. Kompetenzmessung ist dieser Orientierung verpflichtet.
Bildung und Weiterbildung, die lediglich Wissen, Fertigkeiten und Qualifikationen vermitteln, stehen deshalb auf verlorenem Posten. Die Drehpunkte, diese zweifellos notwendigen Bildungsvoraussetzungen in Handeln zu überführen, sind Kompetenzen. Hochqualifizierte Inkompetente gibt es genug. Bildung und Weiterbildung muss sich zunehmend auf Kompetenzentwicklung orientieren. Das setzt neue Formen der Vermittlung und Aneignung voraus.
Kompetenzen werden maßgeblich durch interiorisierte, d.h. in Form eigener Emotionen und Motivationen „angeeignete“ Regeln, Werte und Normen bestimmt. Diese ermöglichen ein Handeln unter der mit der erhöhten sozialen, ökonomischen und politischen Komplexität zunehmenden Unsicherheit moderner Gesellschaften. Wir können von Wertekernen der Kompetenzen sprechen und diese auch messen. Kompetenzen werden prinzipiell nicht in Wissensform weitergegeben, sie bedürfen emotionaler Labilisierung, in Praxis (job rotation), Coaching/Mentoring und Training gesetzt, um die notwendigen Interiorisationsprozesse zu aktivieren. Es lohnt sich, bei jeder angekündigten Maßnahme zur Kompetenzentwicklung zu fragen: Und wo ist der Punkt emotionaler Labilisierung?
Kompetenzentwicklung ist ein wichtiger Bestandteil jedes betrieblichen Kompetenzmanagements. Zunehmend werden dafür auch netzbasierte Instrumente und Verfahren eingesetzt. Die Wissensweitergabe im Web 1.0 eignet sich dabei nur sehr schlecht, die Kommunikationsprozesse im Web 2.0 eignen sich hingegen hervorragend für die Kompetenzvermittlung. Diese Entwicklung wird auch mit der Weiterentwicklung des Netzes selbst (Web 3.0, semantische Netze…) verstärkt weitergehen.

 

06. März 2010

Wolfdietrich Hartung
Sprache – Wirklichkeit – Fiktion

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung: Leibniz Intern Nr.47; 19.05.10

Prof. Hartung (77) ist Sprachwissenschaftler und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1996. Nach dem Studium der Germanistik und Nordistik begann er 1955 seine Tätigkeit an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Dort war er bis 1969 Mitarbeiter der Arbeitsstelle Strukturelle Grammatik, danach bis 1991 Leiter des Bereichs Sprachliche Kommunikation am Zentralinstitut für Sprachwissenschaften. 1992/93 arbeitete er am Institut für deutsche Sprache in Mannheim, danach an einem DFG-Projekt mit. Zahlreiche Publikationen auf folgenden Gebieten: Syntax des Deutschen, Grammatiktheorie, Kommunikation und Gesellschaft, Soziolinguistik, Sprachnormen, Gesprächsanalyse, Geschichte der Sprachwissenschaft, Sprache und Kultur, deutsch-deutsche Kommunikation. Mitarbeit an Wörterbüchern; (Mit-)Herausgabe mehrerer Zeitschriften; (Mit-) Veranstalter zahlreicher internationaler Tagungen. Gegenwärtige Arbeits- und Interessengebiete: Sprache und Kultur, Geschichte der Sprachwissenschaft, Sprache in der DDR.

Vor wenigen Wochen gab es eine Meldung, dass die Grundlagen des Wörterbuchs des Gehirns entdeckt seien und dass man aus neuronalen Aktivitätsmustern erkennen könne, an welches Wort eine Person denkt. Weit verbreitet ist die Überzeugung, dass in Sprachen auf die eine oder andere Art eine vom Menschen unabhängige Außenwelt abgebildet oder repräsentiert ist, so dass im Gebrauch einer Sprache nicht nur zugänglich wird, was Menschen denken, sondern dass dabei auch ihr Erkennen der Wirklichkeit gelenkt und koordiniert wird. Auf der anderen Seite ist menschliches Zusammenleben davon geprägt, dass der Bezug von sprachlich Geäußertem auf eine gemeinsame Wirklichkeit sehr schwierig sein kann. Was zumindest nahelegt, dass der individuelle Anteil an sprachlichen Inhalten gewichtiger und flexibler ist als oft angenommen.
Im 1. Teil des Vortrags werden – ausgehend von der Frage, wo uns Sprachliches begegnet und welchen Zugang wir dazu haben – verschiedene Perspektiven auf das Verhältnis von Sprache und Denken skizziert und aus linguistischer Sicht diskutiert. Der 2. Teil führt Typen kommunikativer und sprachbeschreibender Probleme vor, in denen Wirkliches und Fiktionales ineinander übergehen.

 

8. April 2010

Ganztägige Plenarveranstaltung der Leibniz-Sozietät
Einfachheit als Wirk-, Erkenntnis und Gestaltungsprinzip
Mit Beiträgen von Erdmute Sommerfeld, Herbert Hörz und Werner Krause

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung: Leibniz Intern Nr.47; 19.05.10

Prof. Dr. Herbert Hörz (Berlin)
Philosophischer Reduktionismus oder wissenschaftlich berechtigte Reduktionen? Zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen des Prinzips Einfachheit

Prof. Dr. Werner Krause (Jena)
Einfachheit und menschliche Informationsverarbeitung? 

Prof. Dr. Sabine Müller (Greifswald)
Einfachheit biochemischer Komplexität – ein Widerspruch?

Prof. Dr. Rainer Schimming (Greifswald)
Optimierung von Erkenntnis: Einfachheit, Einheitlichkeit, Anschaulichkeit

Prof. Dr. John Erpenbeck (Berlin)
Kognition, Evaluation und Vereinfachung des Handelns

Prof. Dr. Gerhard Banse (Berlin und Karlsruhe)
„Nicht so exakt wie möglich, sondern so genau wie nötig“. Das Einfachheitsprinzip in den Technikwissenschaften

Prof. Dr. Hans-Otto Dill (Berlin)
Einfachheit als rationalistisches Prinzip in Wissenschaft und Kunst

Prof. Dr. Erdmute Sommerfeld (Senzig)
Anregungen zur interdisziplinären Diskussion: Einfachheit – ein Grundprinzip in den unterschiedlichsten Disziplinen?

 

20. Mai 2010

Reinhard Mocek
Von der Spätaufklärung zur Romantik als Fortschritt in der Theorie der Medizin – Nachtrag zum vergessenen 250. Geburtstag von Johann Christian Reil

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung: Leibniz Intern Nr.48; 01.08.10

 

10. Juni 2010

Charles Coutelle
Hoffnungen und Risiken einer präventiven pränatalen Gentherapie genetischer Erkrankungen

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung: Leibniz Intern Nr.48; 01.08.10

Prof. Coutelle (70) ist Humangenetiker. Er wurde 1989 zum Korrespondierenden Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. Seit 2008 ist er Professor emeritus für Gentherapie am National Heart and Lung Institute, Imperial College London.
Er hat an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Medizin studiert und wurde 1963 promoviert. Nach einigen Jahren klinischer Tätigkeit an der Berliner Charité nahm er eine Facharztausbildung am Institut für Biochemie auf und promovierte 1974 auf diesem Gebiet zum Dr. med. sc. 1973 wechselte er an das Zentralinstitut für Molekularbiologie der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin-Buch, wo er zuletzt Leiter der Abteilung Molekulare Humangenetik war und an Problemen der Genexpression, Humangenkartierung und DNA-Diagnotik arbeitete. 1992 folgte er einem Ruf als Leiter der neugegründeten Cystic Fibrosis Gene Therapy Group an das St Mary’s Hospital, London. Diese Gruppe führte gemeinsam mit 2 weiteren britischen Einrichtungen die erste klinische Gentherapie-Studie zur Cystischen Fibrose mit nicht-viralen Vektoren durch. Nach dieser Studie wandte er sich mit seiner Gene Therapy Research Group am Imperial College mehr grundlegenden Fragen der Entwicklung viraler und nicht-viraler Vektorsysteme und Tiermodelle zur Gentherapie genetischer Erkrankungen (Cystische Fibrose, DMD, Hämophilie) zu. In den letzten 15 Jahren leitete er auch mehrere Projekte zur Untersuchung der pränatalen Gentherapie als Ansatz zur Prävention schwerer früh-manifestierender genetischer Erkrankungen.

Genetische Defekte rufen häufig unerwartet schwerwiegende, nicht heilbare und oft früh-manifestierende Erkrankungen hervor. Die Fortschritte der Humangenomanalyse ermöglichen die DNA-Diagnose für praktisch jede monogenetisch bedingte Erkrankung und eröffnen neue Möglichkeiten ihrer Behandlung; unter anderem auch durch Gentherapie. Trotz eindeutiger Fortschritte hat die Gentherapie jedoch bisher noch keine breitere klinische Anwendung erreicht. Die postnatale Gentherapie ist insbesondere durch Probleme der Gentransfer-Effizienz, durch Immunreaktionen und die verfügbare Vektordosis begrenzt und kommt häufig zu spät, um früh auftretende irreversible Organschäden zu vermeiden. Dieser Vortrag beschreibt die Entwicklung und Erprobung der pränatalen (fetalen, in utero) Gentherapie als einer experimentellen Strategie zur Prävention schwerwiegender genetischer Erkrankungen. An tierischen Krankheitsmodellen wurde „proof of principle“ einer kurativen Gentherapie ausgewählter genetischer Erkrankungen erbracht und die prinzipielle Anwendbarkeit von minimal-invasiven Techniken der menschlichen Fetalmedizin zur Gen-Applikation am Schaf- und am Primatenmodel demonstriert.
Die Übertragung dieser Ergebnisse auf den Menschen verlangt sehr hohe Anforderungen an Einfachheit und Sicherheit der fetalen Gentherapie, um eine wirkliche Alternative zur Akzeptanz eines betroffenen Kindes, der Schwangerschaftsunterbrechung oder der Embryoselektion nach in-vitro-Fertilisation und Präimplantationsdiagnose zu bieten. Insbesondere sind weitere Untersuchungen zur Erkennung und Vermeidung möglicher Risiken dieses präventiven Konzepts wie fetale Entwicklungsstörungen, Geno-Toxizität und Keimbahntransmission erforderlich, bevor eine klinische Anwendung denkbar wäre.

 

3. Juni 2010

Sondersitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät aus Anlass des 300. Jahrestages der Verkündung des Statuts am 3. Juni 2010 –
Das Statut der Königlichen Societät der Wissenschaften von 1710

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung: Leibniz Intern Nr. 49; 01.12.10

 

25. Juni 2010

Sondersitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät zu Ehren ihres Mitglieds Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Horst Klinkmann
Medizinische Wissenschaften – Gesundheitswesen – Gesundheitswirtschaft;

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung: Leibniz Intern Nr. 49; 01.12.10

 

9. September 2010

Ulrich Busch
Inflationsängste und Inflationshoffnungen in Zeiten konjunktureller Erholung

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung: Leibniz Intern Nr. 49; 01.12.10  

Dr. habil. Busch (59) ist Volkswirtschaftler mit besonderem Interesse für Geld- und Finanztheorie sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2009. Nach der Promotion (1976) an der Humboldt-Universität zu Berlin war er im Bankwesen leitend tätig. 1984 habilitierte er sich und wurde 1987 zum Hochschuldozenten berufen. Er lehrte und forschte auf volkswirtschaftlichem und finanzwissenschaftlichem Gebiet. Forschungs- und Lehraufenthalte führten ihn u. a. an die Wirtschaftsuniversität Budapest, das Rijksuniversitair Centrum Antwerpen und die Université de Vincennes-Saint-Denis (Paris VIII). Nach Lehrtätigkeit an der Frankfurt School of Finance & Management sowie Beratungstätigkeit in Banken war er zuletzt am Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin tätig sowie an der Universität Göttingen. Außerdem redigiert er das Journal Berliner Debatte Initial.

Die Immobilienkrise ist bereits Geschichte; die globale Finanzmarktkrise scheint überwunden, ebenso die konjunkturelle Krise der Jahre 2008 und 2009. Was andauert, ist die Verschuldung der öffentlichen Haushalte, die Schuldenkrise der Staaten. Folgt hieraus eine große Inflation? Die meisten Ökonomen bestreiten dies und sehen angesichts der Sparanstrengungen und fiskalischen Konsolidierungsbemühungen der Regierungen eher ein Deflationsrisiko. Trotzdem breitet sich gegenwärtig besonders in Deutschland eine hysterische Angst vor Inflation aus. Wie real ist diese Angst? Gibt es Parallelen zu den Hyperinflationen der Vergangenheit? Welche Faktoren haben hierauf Einfluss? Mit diesen Fragen und den volks- und finanzwissenschaftlichen Aspekten der aktuellen konjunkturellen Situation befasst sich der Vortrag.

 

14. Oktober 2010

Eberhard Knobloch
Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß – Roman und Wirklichkeit

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung: Leibniz Intern Nr. 49; 01.12.10  

Prof. Knobloch (67) ist Wissenschaftshistoriker. Er hat Mathematik, Klassische Philologie sowie Geschichte der exakten Wissenschaften und der Technik an der FU und TU Berlin studiert, wurde 1972 promoviert und habilitierte sich 1976. Seit 2002 hat er eine Akademieprofessur für Geschichte der exakten Wissenschaften und der Technik an der Technischen Universität Berlin und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) inne. Dort wirkt er als Projektleiter der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle und der beiden Leibniz-Arbeitsstellen.
Außerdem ist er Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, der Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften, der Academia Scientiarum Europaea, Präsident der Académie Internationale d’Histoire des Sciences (Paris), Past President der European Society for the History of Science. Zu Gastprofessuren weilte er an der Maison des Sciences de l’Homme, an der Ecole Normale Supérieure, an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales (alle Paris), an der Russischen Akademie der Wissenschaften (St. Petersburg), an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (Peking); Honorarprofessor ist er an der Northwest University of Xian (China). Er ist Präsident des Wissenschaftlichen Beirats der Bernoulli-Kommission (Basel), Mitglied des Comitato Direttivo der Maurolico-Edition (Pisa), Mitglied der Jury für den Fernando Gil International Prize in Philosophy of Science (Lissabon), Mitherausgeber italienischer, griechischer, französischer, indischer, belgischer, mexikanischer, amerikanischer und russischer Zeitschriften für Wissenschaftsgeschichte. Seine Forschungsschwerpunkte sind Geschichte und Philosophie der mathematischen Wissenschaften, Alexander von Humboldt und Renaissancetechnik.

Daniel Kehlmanns Roman „Die Vermessung der Welt“ wurde hoch gepriesen und heftig kritisiert. Kehlmanns Kritiker lasen seine Satire als eine verunstaltete Biographie von Gauß und Humboldt, obwohl der Autor wiederholt selbstironische Bemerkungen in seinen Roman eingestreut hat, die sein wahres Ziel offenbaren. Der Vortrag wird versuchen, Kehlmanns fiktivem Roman gerecht zu werden und einige der Gaußschen und Humboldtschen wirklichen Aktivitäten und Leistungen zu charakterisieren, indem er Kehlmanns Erzählung mit historischen Tatsachen vergleicht.
Beide Wissenschaftler waren sehr am Erdmagnetismus interessiert, ein Interesse, das vorübergehend zu einigen Spannungen zwischen ihnen führte. Humboldts Messmethoden und seine Überzeugung, dass alles Wechselwirkung ist, waren zwei Seiten derselben Medaille. Nur numerische Elemente konnten helfen, die Gesetze zu finden, die die Welt regierten. Seine wissenschaftlichen Techniken und Ziele (Methode der Mittelwerte) waren wohl begründet. Humboldts Reisen und Forschen bildeten eine untrennbare Einheit. Sein Naturbegriff implizierte beide Möglichkeiten, das heißt die natura naturans und die natura naturata, die schaffende und lenkende Natur ebenso wie die Natur, die durch bestimmte Gesetze gelenkt wird. Sein überragendes Interesse an Naturgesetzen war auf die Überzeugung gegründet, dass diese Gesetze ewig sind und dass sie die Ordnung und die Ewigkeit der Welt garantieren.

 

11. November 2010

Jahrestagung 2010: Akademie und Universität in historischer und aktueller Sicht

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal

 

 

09. Dezember 2010

Ulrich van der Heyden
Neue Tendenzen in der Kolonialgeschichtsschreibung – die postkoloniale Sicht

Berlin, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3, Otto-Suhr-Saal
Zusammenfassung: Leibniz Intern Nr. 50; 01.03.11  

PD Dr. phil. et Dr. rer. pol. habil. Ulrich van der Heyden (56) ist Afrika- und Kolonialhistoriker sowie Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Afrika sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2005. Er lehrt als Privatdozent am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Religions- und Missionswissenschaft sowie Ökumenik der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Wintersemester 2006/2007 war er Gastprofessor auf dem Alfred-Grosser-Lehrstuhl am Institut d’Etudes Politiques de Paris (Science Po) in Nancy.
Er studierte Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und wurde dort 1984 promoviert. Danach übte er Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften der DDR, am Forschungsschwerpunkt Moderner Orient der Humboldt-Universität sowie an der Freien Universität aus. 1997 erfolgte die zweite Promotion, dieses Mal an der Freien Universität im Fach Politikwissenschaft; dort auch 2002 Habilitation. Er gibt sieben wissenschaftliche Buchreihen (mit) heraus und ist Autor bzw. Herausgeber von mehr als 40 Monographien sowie Verfasser von zirka 150 wissenschaftlichen Studien. Seine Forschungsgebiete sind u.a. die Kolonial- und Afrikageschichte, postkoloniale Studien, Missionsgeschichte, Geschichte und Politik Südafrikas, europäische Entdeckungsgeschichte.

Eine kritische deutsche Kolonialgeschichtsschreibung hat sich seit Ende der 1950er Jahre in der DDR herausgebildet. Deren Hauptaufgabe bestand darin, sich mit der kolonialen Vergangenheit des Deutschen Reiches engagiert auseinanderzusetzen. Zu jener Zeit errangen viele afrikanische und asiatische Länder ihre nationale Unabhängigkeit, so dass die Beschäftigung mit der gemeinsamen Vergangenheit von Deutschland und seinen ehemaligen Kolonien staatliche Förderung erfuhr. Es entstanden erste kolonialhistorische Studien, von denen einige auf die damals in der DDR übliche primitive propagandistische Polemik nicht verzichteten, andere waren streng wissenschaftlich orientiert. Diese vornehmlich quellenorientierten Studien regten einige jüngere Wissenschaftler in der Bundesrepublik in den 60er Jahren an, sich ebenfalls kritisch mit der kolonialen Vergangenheit ihres Vaterlandes auseinanderzusetzen, denn bislang herrschte im Westen Deutschlands eine kolonialapologetische Betrachtungs- und Interpretationsweise vor.
Im Mittelpunkt der Untersuchungen zur Kolonialgeschichte in der DDR standen die wirtschaftlichen, ideologischen und politischen Hintergründe, die zur kolonialen überseeischen Expansion Deutschlands führten, die in den meisten Schriften als wesenseigener Bestandteil des Imperialismus interpretiert wurde. Auch Unterdrückung und Widerstand in den Kolonien war ein wichtiges Thema. So errang die koloniale Historiographie alles in allem eine anerkennende internationale Beachtung, nicht zuletzt in den jungen Nationalstaaten selbst. Davon zeugte ebenso die positive Evaluation unmittelbar nach der Wende durch westdeutsche Kollegen. Dennoch wurden die sich mit der Kolonialhistoriographie befassenden DDR-Historiker bis Mitte der 1990er Jahre alle aus den staatlich geförderten Wissenschaftseinrichtungen verdrängt.
Inzwischen hat eine neue, jüngere Generation von Kolonialhistorikern in Deutschland sich dem Thema genähert. Einerseits werden die traditionellen Untersuchungen fortgesetzt, also die Erforschung des konkreten Vorgehens sowie der Folgen der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika, in Tsingtao in China sowie in der Südsee; andererseits wird zunehmend die aus den USA übernommene Sichtweise auf die Folgen der Kolonialherrschaft für die kolonisierende deutsche Gesellschaft in den Fokus einschlägiger Analysen, der postcolonial studies, gestellt. Beachtliche Ergebnisse liegen inzwischen vor. Inspiriert und dominiert wird diese Sicht auf die koloniale deutsche Vergangenheit durch die sog. Diasporaforschung, die sich der Erforschung der Geschichte von Afrikanern in Deutschland widmet.