Publikation von MLS Helmut Bock

Die Leibniz-Sozietät informiert über eine Buchneuerscheinung. Der Geschichtswissenschaftler Helmut Bock (MLS) widmet sich der Frage:

Freiheit – ohne Gleichheit? Soziale Revolution 1789 bis 1989

in dem Buch:

Bock TS (3)Helmut Bock:  Freiheit – ohne Gleichheit? Soziale Revolution 1789 bis 1989. Tragödien und Legenden. Berlin; Karl Dietz Verlag 2013, 413 S.; ISBN 978-3-320-02290-7.

Seit 1789 ereigneten sich in Europa politische und soziale Revolutionen, die den Gang der Weltgeschichte nachhaltig beeinflussten. Die bürgerlichen Revolutionen sind durch illustre Begriffe wie die „Große“, die „Schöne“, die „Friedliche“ bezeichnet, auf diese Weise jedoch hinsichtlich ihrer widerspruchsvollen, gar fragwürdigen Inhalte und Resultate kaum kritisch beurteilt. Indes werden Versuche der arbeitenden Klassen, gerechte Lebensverhältnisse durch gesellschaftliche Alternativen, notfalls auch soziale Empörungen, zu gewinnen, von Staatsinstitutionen und Medien als „hässlich“ und „verbrecherisch“ abgeurteilt – oder in totale Vergessenheit verbannt. Das ist typisch für Besitzbürgerlichkeit in Politik und Geschichtsdenken. Losungen und Versprechen, die anfangs Millionen von Europäern in die Kämpfe und die Umwälzungen hineinrissen, sind nach zwei Jahrhunderten für Milliarden von Erdbewohnern noch immer nicht eingelöst. So war „Liberté! Egalité! Fraternité!“ verheißungsvoller Dreiklang der Großen Französischen Revolution; Präludium für ein erhofftes Wohlergehen aller Menschen und Völker. Im Weltverständnis von heute mit einer Ernüchterung vom misslichen Vorspiel der „Moderne“ verkleinert, kostet es Mühe, „Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!“ zumindest als ein utopisches Richtzeichen am dunklen Himmel der United Nations zu erkennen.
Wie das geschehen konnte, ist als Siegeszug des Liberalismus und als tragische Historie der sozialen Revolution diesem Buch eingeschrieben. Die Texte sind Arbeiten eines Geschichtsschreibers, der sich am Ende seines Lebens ebenso auf Studium und Wissen wie auf Erfahrungen als Zeitzeuge beruft: den Totentanz des Dritten Reiches, die Verheerungen des Zweiten Weltkrieges, den Systemkonflikt zwischen dem „Westen“ und dem „Osten“ der Nachkriegszeit, das Scheitern des staatsmonopolistischen Sozialismus in Sowjetunion und DDR. Die schließlich zur „Friedlichen Revolution“ gestylte Wiedervereinigung der Deutschen erfolgte unter den Auspizien des dominierenden Bankkapitals und der kapitalistischen Marktwirtschaft. Was danach folgen könnte, erscheint angesichts weltumspannender Globalisierung und Militarisierung noch immer als ein Hohn auf Menschenrechte und Weltfrieden – ein „offener Schluss“ mit etlichen Unbekannten.

Inhalt
7  –  Vorwort

9  –  1789: Die „Große Revolution“ : Freiheit – ohne Gleichheit?
Vielversprechende Deklarationen / „Die Revolution ist beendet!“/ „ Man will   die Nation in zwei Klassen teilen … „ / Wer treibt zum Krieg?/ Notgeburt: Frankreichs erste Republik / Grenzüberschreitung (I):die soziale Frage / Grenzüberschreitung (II): der Krieg / Postskriptum

59  –   1830: Die „Schöne Revolution“ : Auftritt der Blusenmänner
Das Volk kämpft / Die Bourgeoisie schleicht an die Macht / Das Bürgerkönigtum / „Arbeitend leben – oder kämpfend sterben!“ / Frühdämmerung des Klassenbewusstseins / Optimistisches Requiem

97  –  1848: Die „Hässliche Revolution“ : Sozialstaat oder Klassenkrieg?
Vordenker der proletarischen Revolution / Die zweite „République la France“ / Ansichten aus der Ferne(I): Gewagte Prophetie / Ansichten aus der Ferne (II): Versäumter Sieg? / Ansichten aus der Ferne (III): Haltung in tragischer Geschichte / Postskriptum

125 –  1871: Die „Proletarische Revolution“ : Pariser Kommune
Angriffskrieg und Niederlage / Die dritte „République la France“: Regierung der „Nationalen Verteidigung“ / Der Volkskrieg: zwischen Rebellion und Kapitulation / Frankreich verleugnet seine Hauptstadt / 18. März 1871: die defensive Revolution / Was tun? – Geburtswehen der Kommune / Idee und Wirklichkeit: kommunale Basisdemokratie und soziale Republik / Die Blutwoche / Postskriptum

201 – 1917: Die „Große Sozialistische Oktoberrevolution“ : Pyrrhussieg der Bolschewiki Die „Februarrevolution“ in Petragrad / Bürgerliche Revolution und revolutionäre Demokratie / Streit um Lenins „April-Thesen“ / Niedergang der Provisorischen Regierung / Machteroberung der Bolschewiki / Lenins Regierung und die Konstituierende Versammlung / „Proletarische“ Diktatur und „heiliger“ Bürgerkrieg / Sieg und Tragödie der Revolution / Staatskrise 1921: Basisdemokratie kontra Ein-Partei-Regime / Offener Schluss: Was war und – was blieb? / Postskriptum

287 –  1945: Die „Bombe“ : Das Menetekel: Exitus der Menschheit? Wie es begann… / „Eine Atombombe ist eine Hand voller Trümpfe“ / Es gab eine Alternative / Zwangsgeburt des Atomzeitalter

301 –  1949: „Sozialismus in den Farben der DDR“ : Partei – Staat – bürokratische Kaste, Revolution von oben / Hybris der Macht / Sozialistisch-kommunistische Systemkritiker / Die „führende“ Partei / „Totalitäre“ Organisation des Staats und der Gesellschaft / Staatseigentum und Bürokratisierung der Produktionsweise / Bürokratische Kaste / Teleologische Geschichtsideologie

331 –  1989: Die „Friedliche Revolution“ : Zeitzeuge im Zeugenstand Aufbruch im Osten. Von Ursachen und Zielen unserer Revolution / Was ist des Deutschen Vaterland? Nachdenken in „Wendezeiten“ / In welcher Zeit leben wir? Zum Tag der deutschen „Wiedervereinigung“ / Es führt kein Weg zurück. Moskauer Staatsstreich und PDS / Vom Elend historischer Kritik und Selbstkritik: Anmaßung der Sieger – Streit der Verlierer

387 –  Offener Schluss: Schöne neue Welt : Globalisierung und Militarisierung „Pflugscharen“ statt „Schwerter“! / „Pax Americana“ / „Out of area“ / NATO-Krieg und deutsche Kriegsschuld / „Verteidigung am Hindukusch“

405 –  Personenregister

Vorwort

Ob glorifizierende Übertreibung, ob Verteufelung – nichts ist der Schönfärbung oder der üblen Nachrede, sogar dem bewussten Vergessen so unterworfen wie historisch Vergangenes. Zumal, wenn es um politische und soziale Revolutionen geht. Andauernd drohen dem Geschichtsdenken Irritationen und Fälschungen durch betriebsame „Traditionsmacher“: Geschäftsführer von Partei- und Staatsinteressen, die für die öffentliche Meinung eine Deutungshoheit beanspruchen. Sie leiten die von ihnen gewünschten Traditionen aus der Historie her, wobei Auswahl, Deutung, Aktualisierung willkürlich erfolgen.
In diesem Buch ist Geschichtsdenken, das große Ereignisse auch heute noch manipulierend erinnert, in die Titel der hier beschriebenen Revolutionen aufgenommen: 1789, 1830, 1848, 1871, 1917, 1945, 1949 und 1989. Dem Leser sei anheimgestellt zu entscheiden: Entsprechen die semantisch-rhetorischen Ruhmredigkeiten und Verwerfungen den objektiven Tatsachen und ihren innewohnenden Botschaften? Oder wird die Vergangenheit in tendenziösen Erzählungen und Nachbildungen missbraucht, um für bürgerlichen „Mainstream“ – die „Schöne neue Welt“ von heute und morgen – Stimmung zu machen?