Nekrolog auf unser Mitglied Prof. Dr. Dieter Kirchhöfer

 

 

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. trauert um ihr Mitglied,

den Philosophen und Bildungstheoretiker

Prof. Dr. phil. habil. Dieter Kirchhöfer,

der am 15. Oktober 2017 im Alter von 81 Jahren verstorben ist.

Dieter Kirchhöfers wissenschaftliches Lebenswerk war von einem tief humanistischen Forschungsinteresse an den Möglichkeiten und Chancen der Bildung des Menschen geprägt. Es waren die großen und kleinen Fragen des Menschseins und Menschwerdens, die er als praktizierender Pädagoge, als Philosoph, Soziologe, Anthropologe und Bildungstheoretiker und nicht zuletzt in wissenschaftsleitenden Positionen in den Mittelpunkt seines Tuns und Denkens rückte.

Am 6. September 1936 in Leipzig geboren, studierte Dieter Kirchhöfer nach Volksschule und dem Besuch der Leipziger Leibniz-Oberschule am Pädagogischen Institut Dresden Geographie und Geschichte. Er arbeitete zunächst als Landschullehrer in Rossbach im Kreis Merseburg, dann als Lehrer an der Fachschule für Horterzieher in Bad Frankenhausen, wurde 1963 Assistent an der Pädagogischen Hochschule Dresden und nahm zeitgleich ein Fernstudium in Philosophie an der Karl-Marx-Universität Leipzig auf. Bei Dieter Wittich promovierte er 1972 mit dem Thema „Der Prinzipienbegriff in der marxistisch-leninistischen Philosophie“, 1981 folgte die Habilitation zur Thematik „Die Entfaltung der Methoden. Zum Wirken widersprüchlicher Tendenzen in der Methodenentwicklung“. Als Hochschullehrer für Philosophie, Erkenntnistheorie, Wissenschaftsmethodologie und Logik lehrte er an den Pädagogischen Hochschulen Dresden und Zwickau sowie an der Technischen Universität und der Militärakademie Dresden. 1981 wurde er zum Rektor der Pädagogischen Hochschule Zwickau und 1985 zum Vizepräsidenten der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften zu Berlin berufen.

Mit seinen Forschungen erlangte Dieter Kirchhöfer nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der Pädagogik Aufmerksamkeit. Fragen der Wissenschaftsmethodologie, der pädagogischen Begriffsbildung und insbesondere anthropologische und erziehungstheoretische Probleme der Individualitätsentwicklung und Werteerziehung beschäftigten ihn in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeitsgruppen, u.a. am Ardenne-Forschungsinstitut in Dresden und an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften. Seit 1985 wirkte er im Arbeitskreis für Humanontogenetik bei Karl-Friedrich Wessel an der Humboldt-Universität zu Berlin mit, bis zuletzt war er im Wissenschaftlichen Beirat und als Ehrenmitglied der Gesellschaft für Humanontogenetik aktiv.

Seine wissenschaftlichen Positionen hatten prägenden Einfluss auf die erziehungs- und bildungstheoretischen Diskussionen in den 1980er Jahren, sie trugen zu einer breiteren theoretischen und methodologischen Öffnung der erziehungswissenschaftlichen Disziplinen bei und gewannen besonders in den Bildungsreformdebatten des Herbstes 1989 Bedeutung.

Mit der Abwicklung der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften Ende 1990 verlor auch Dieter Kirchhöfer sein festes Arbeitsumfeld. Es folgten Lehraufträge an mehreren Universitäten sowie viel beachtete Forschungsprojekte zur Kindheitsentwicklung in Ostdeutschland, an denen er in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin, der Universität Potsdam und dem Siegener Zentrum für Kindheitsforschung arbeitete und die ihm wichtig waren, um Alternativen und Leistungen der DDR-Pädagogik in die gesamtdeutsche Wissenschaftslandschaft einzubringen.

Gleichermaßen Bedeutung erlangte seine Mitwirkung in der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung, in der er als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats „Lernen im sozialen Umfeld“ tätig war und zur Herausbildung neuer Lernkulturen in modernen Gesellschaften forschte. Noch vieles ließe sich anfügen – seine Herausgebertätigkeit (u.a. Jahrbuch für Pädagogik, Jugendforschung aktuell, Gesellschaft und Erziehung), vielfältige Gremienarbeit und nicht zuletzt seine Aktivitäten in der Leibniz-Sozietät, deren Mitglied er 1998 wurde. Vor allem sein Engagement für den von ihm mit begründeten Arbeitskreis Pädagogik sowie für das Projekt Bildung und Toleranz wird hier bleibende Spuren hinterlassen.

Lang ist die Liste seiner wissenschaftlichen Publikationen – Arbeiten zur Transformationsforschung, zur Anthropologie und Bildungstheorie, zur Kindheits- und Jugendsoziologie, zu Individualität und Individualitätsentwicklung, zu Entwicklungstendenzen neuer Lernkulturen, zu informellem Lernen und Kompetenzentwicklung, zum Wandel der Arbeit, zur Zukunft von Schule und Bildung. Bis zu seinem so plötzlichen Tod arbeitete er trotz mannigfacher gesundheitlicher Probleme an anspruchsvollen wissenschaftlichen Projekten – und er hatte noch viele Pläne.

Mit Dieter Kirchhöfer verliert die Leibniz-Sozietät einen Wissenschaftler, der über sein Fach hinaus wissenschaftlichen Respekt und hohes persönliches Ansehen genoss. Sein wissenschaftliches Denken und Tun besaß jene hohe Integrität und Anregungskraft, die produktiver wissenschaftlicher Auseinandersetzung ebenso förderlich ist wie interdisziplinärem Dialog, solidarischem Miteinander und der Eröffnung neuer wissenschaftlicher Perspektiven.

Mit Hochachtung und Dankbarkeit werden wir ihn in Erinnerung behalten.

 Christa Uhlig