Nekrolog auf unser Mitglied Konrad Canis

Prof. Dr. Konrad Canis, MLS 1938-2024 (Foto privat)

Die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V. trauert um ihr Mitglied, den Historiker Prof. Dr. phil. habil. Konrad Canis

Konrad Canis verstarb – für Familie, Kollegen und Freunde völlig unerwartet – am 28. November 2024 in Neuenhagen bei Berlin. Die Geschichtswissenschaft verliert einen auf seinen Fachgebieten international anerkannten und produktiven Wissenschaftler.

Konrad Canis wurde 1938 im sächsischen Wurzen geboren und wuchs in einer Lehrerfamilie auf. Das Studium der Geschichte führte ihn 1958 an die Karl-Marx-Universität in Leipzig, die er als Diplomhistoriker verließ. Dort lehrten damals namhafte Wissenschaftler wie Walter Markov, Ernst Engelberg und Hans Mayer. Seine wissenschaftliche Laufbahn setzte Konrad Canis 1963 an der Universität Rostock als wissenschaftlicher Assistent, Oberassistent und Hochschuldozent fort. In Rostock promovierte er 1965 mit einer Arbeit zur Rolle des preußischen Militarismus in der Revolution von 1848. Ergebnisse dieser Dissertation flossen in den Folgejahren in Aufsätze über den Staatsstreich vom Herbst 1848 in Preußen und über Leopold von Gerlach und über Joseph Maria von Radowitz ein. Die Frage, welche Bedeutung einer Politik des Ausgleichs junkerlicher und liberaler Interessen zukam, beschäftigte ihn später immer wieder.

Seine Dissertation B (in der DDR adäquat einer Habilitation) zum Thema „Bismarck und Waldersee. Die außenpolitische Krise der bonapartistischen Diktatur und die Position des Generalstabes“ verteidigte Konrad Canis 1975 noch in Rostock. Danach ging er als Dozent an die Humboldt-Universität zu Berlin, wo er 1980 zum ordentlichen Professor für Deutsche Geschichte berufen wurde. Einige Jahre hatte er an der Sektion Geschichte zudem die Forschung zu verantworten. Der Humboldt-Universität blieb er als Hochschullehrer bis 1999 und danach bis 2001 noch als Gastprofessor verbunden. Eine weitere Gastprofessur führte ihn 1999 und 2000 nach Wien. Im Jahr 2003 ließ er sich in den Ruhestand verabschieden. Die folgenden Jahre nutzte er, um mit erneuten intensiven Archivforschungen die Themen weiter zu bearbeiten, die er begonnen hatte, für die der Hochschulbetrieb ihm jedoch nicht genügend Raum und Zeit gelassen hatte.

Das ehrgeizige Projekt einer zwölfbändigen Deutschen Geschichte sah in den 1980er Jahren Konrad Canis unter den Autoren. Der Band 6, der den Zeitraum von 1897 bis 1917/18 behandelte und an dem er mitwirkte, konnte wegen des Wegfalls der Förderung nach dem Ende der DDR nicht mehr erscheinen, obwohl die Manuskripte bereits vorlagen. Der Vorgängerband 5 über den Zeitraum 1871 bis 1897, zu dessen Autoren er ebenfalls gehörte, erschien noch 1988.

Neben zahlreichen Aufsätzen in Sammelbänden und Fachzeitschriften muss noch seine Mitwirkung an solchen Projekten hervorgehoben werden, wie dem 1991 erschienen Lexikon „Biografien zur deutschen Geschichte“, das dem damaligen Mangel an biografischen Informationen begegnen wollte.

Aus seiner Habilitationsschrift erwuchs 1980 das Buch „Bismarck und Waltersee. Die außenpolitischen Krisenerscheinungen und das Verhalten des Generalstabes 1882 bis 1890“. Für die Qualität dieses Standartwerkes spricht u. a. die jüngst angekündigte Wiederauflage. Konrad Canis hat seine Forschungen zur Geschichte des deutschen Kaiserreiches und dessen Außenpolitik über Jahrzehnte kontinuierlich ausgebaut. Davon zeugen die Bücher zu Bismarcks Außenpolitik 1870 bis 1890 und von 1890 bis 1902 sowie zur deutschen Außenpolitik 1902 bis 1914. „Der Weg in den Abgrund“, so ein Titel aus dem Jahr 2011, zeichnet den Weg des deutschen Kaiserreiches in den Vorabend des Ersten Weltkrieges fast minutiös nach. Da Canis die Zeit seiner Gastprofessur in Wien auch für weiterführende Studien in den habsburgischen Archiven nutzte, konnte er 2016 außerdem eine Publikation über die bedrängte Großmacht Österreich/Ungarn für den Zeitraum 1866 bis 1914 vorlegen. In all diesen Studien wird ein außerordentlich breiter Fundus von Quellen oft erstmals erschlossen, ausgebreitet und verarbeitet. Seine langjährige intensive Beschäftigung mit der Politik Bismarcks empfahl ihn zur Mitwirkung an der Neuen Friedrichsruher Ausgabe der Gesammelten Werke des Reichskanzlers. Seit Beginn der 2000 Jahre war er neben Lothar Gall u. a. an den Bänden als Herausgeber beteiligt.

Vor einigen Jahren griff Konrad Canis nochmals die Frage auf, die ihn bereits anlässlich seiner Promotion bewegte: Wie gingen konservative Kräfte mit den Herausforderungen der Revolution 1848/49 um? Im bewussten Gegensatz zum tradierten Klischee zeichnet er ein differenziertes Bild der Auseinandersetzungen, Entscheidungen und Schritte, die den Weg Preußens in ein kontrolliertes konstitutionelles System charakterisierten. Im Titel seines Buches von 2022 „Konstruktiv gegen die Revolution“ kommen Anliegen und die grundlegende These treffend zum Ausdruck.

Die Leibniz-Sozietät wählte Konrad Canis 1998 zu ihrem Mitglied. Im gleichen Jahr berief ihn ebenfalls die Otto-von-Bismarck-Stiftung in ihren Wissenschaftlichen Beirat.

Wir verlieren einen außerordentlich sachkundigen und bemerkenswert produktiven Kollegen.

Jürgen Hofmann