Nachruf für MLS Harry Nick

Nekrolog für unser Mitglied
Prof. Dr. Harry Nick

Harry Nick; Foto: nd-Burkhardt Lange
Harry Nick; Foto: nd-Burkhardt Lange

* 15 August 1932 – † 07. Dezember 2014

Am 7. Dezember 2014 verstarb in Berlin nach langer Krankheit unser Mitglied Professor Dr. habil. Harry Nick. Die Leibniz-Sozietät, der er seit 1996 angehörte, verliert mit ihm einen namhaften marxistischen Wirtschaftswissenschaftler, einen streitbaren Theoretiker der DDR-Ökonomie und einen geschätzten Publizisten.

Geboren am 15. August 1932 in Borowo bei Łodz (Polen) als Sohn eines Forstarbeiters kam Harry Nick mit der Familie im Januar/Februar 1945 ins Mansfeldische. Nach dem Abitur arbeitete er einige Monate im Walzwerk Hettstedt als Stangenzieher. Von 1951 bis 1954 studierte er an der Ökonomischen Hochschule in Berlin-Karlshorst Industrieökonomik und war nach dem Examen dort als Assistent bzw. Oberassistent am Institut für politische Ökonomie tätig. 1959 promovierte er. Im Jahre 1962 wechselte er zur Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, wo er 1964 zum Dozenten ernannt wurde und sich 1965 mit der Arbeit Der Fondsvorschuss als besondere Aufwandsart habilitierte. 1967 wurde er zum Ordentlichen Professor für Politische Ökonomie berufen. Harry Nick war Leiter des Forschungsbereichs Ökonomische und soziale Probleme des wissenschaftlich-technischen Fortschritts am Institut für Politische Ökonomie und in dieser Funktion bis 1990 tätig. In zahlreichen Publikationen lenkte er die Aufmerksamkeit auf Probleme, deren Lösung er für eine Reformierung der DDR-Wirtschaft für dringlich hielt. Zu nennen sind z.B. Technische Revolution und Ökonomie der Produktionsfonds (1967), Gesellschaft und Betrieb im Sozialismus (1970) und Ökonomische und soziale Wirksamkeit des wissenschaftlich-technischen Fortschritts (1986). Aktiv war er in den1960er Jahren an den Debatten um ein neues ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft der DDR, eines ernst zu nehmenden Versuchs einer Wirtschaftsreform im Realsozialismus, beteiligt.

Für seine Beiträge zur ökonomischen Theorie war Harry Nick u.a. mit dem Nationalpreis der DDR und dem Titel Verdienter Hochschullehrer der DDR ausgezeichnet worden.

Im Unterschied zu manch anderen seiner Zunft verstummte er nach dem Untergang der DDR und der Abwicklung der Akademie für Gesellschaftswissenschaften nicht, was für ihn 1991 den Gang in den Ruhestand bedeutete. In seinen Publikationen Gemeinwesen DDR. Erinnerungen und Überlegungen eines Politökonomen (2003) und Ökonomiedebatten in der DDR (2011) legt er seine Sicht auf die Ursachen für das Scheitern des osteuropäischen Sozialismusprojekts dar und resümiert den Disput über theoretische Fragen der Ökonomie realsozialistischer Länder, insbesondere der Wirtschaftspolitik in der DDR von ihren Anfängen bis zu deren Ende. Sein Befund: Was als Planwirtschaft bezeichnet wurde, war im Kern ein zentralistischer Dirigismus, der letztlich eine planmäßige Entwicklung der Wirtschaft verhinderte. Er hat die Kategorien der Geldwirtschaft (Preis, Kosten, Gewinn, Kredit, Zins u.a.) durch eine Flut von Surrogaten in Gestalt subjektivistisch, willkürlich konstruierter „ökonomischerHebel“ ersetzt und damit eine zusätzliche Barriere zwischen real- und geldwirtschaftlichen Vorgängen errichtet. So waren unverfälschte Informationen über die realwirtschaftlichen Verhältnisse kaum noch zu erhalten. Harry Nick widerspricht der These, die DDR sei wirtschaftlich am Versagen der ökonomischen Theorie gescheitert. Diese hätte mehr Vorlauf für eine Reformierung geboten als tatsächlich umgesetzt worden sei. Selbstkritisch bekennt er aber auch, dass er sich wie viele Ökonominnen und Ökonomen der DDR auf die Entgegensetzung von Plan- und Marktwirtschaft eingelassen hat. Dabei verdecke die Debatte um Plan und Markt, dass es insbesondere um das Verhältnis zentraler Steuerungen aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu autonomer Selbstregulierung wirtschaftlicher Einheiten, der Betriebe und lokalen Ökonomien geht. Harry Nick plädiert für Such- und Lernprozesse auf dem Wege zu einer dauerhaft lebensfähigen Alternative zum kapitalistischen System. Am wahrscheinlichsten hält er dafür den evolutionären Pfad eines schwierigen und langwierigen Transformationsprozesses. Sozialistinnen und Sozialisten sollten sich heute, so sein Rat, von der Geringschätzung des Geldsystems, seiner Apostrophierung als Fremdkörper im Sozialismus trennen. Sie sollten sich an Debatten über die Handhabung marktwirtschaftlicher Mechanismen beteiligen, aber das Bestreben ablehnen, den Kapitalismus als „Marktwirtschaft“ zu verbrämen und diese als alternative Wirtschaftsordnung zum Sozialismus anzupreisen. Harry Nick beließ es nicht bei der kritischen und selbstkritischen Rückschau, sondern begründete seine Auffassung von der Verwertbarkeit gewonnener Erfahrungen aus dem gescheiterten Sozialismusversuch für Gegenwart und Zukunft. Nachdrücklich warb er dafür, die Idee des Gemeineigentums nicht aufzugeben. Das stünde für gesamtwirtschaftliche Vernunft in einem weiten Zeithorizont.

Seine Publikationen und mitunter zuspitzenden Vorträge boten stets Anregungen für eine Diskussion von Grundfragen der weiteren Menschheitsentwicklung. Dabei ging es ihm um einen intensiven demokratischen Diskurs, in dem eine Verständigung über folgende Frage angestrebt werden muss: Wie wollen und wie könnten wir leben?

Beispielhaft hat er als begeisterter Wissenschaftler im Bourdieu’schen Sinne immer auch im Dienste einer ökonomischen Alphabetisierung der Massen gewirkt. Eineinhalb Jahrzehnte war er Wirtschaftskolumnist der Zeitung Neues Deutschland, vermittelte Wissen in Sonntagsforen und gab Denkanstöße. Wichtig war ihm aufzudecken, wie ökonomische Verhältnisse durch Sprache verschleiert werden. Leidenschaftlich mischte er sich bis ins hohe Alter ein inaktuelle gesellschaftspolitische Debatten, oft polemisch, immer von gediegener Sachkenntnis und fundierter Auseinandersetzung mit neoklassischen und neoliberalen Positionen geprägt.

Seine wissenschaftliche Arbeit hinterlässt Spuren.

Christa Luft