Bericht über die strategische Vorbesprechung im Arbeitskreis „Spätphilosophie Schellings“ am 28. September 2019 in der Leucorea, Wittenberg.

Am Rande der traditionellen Herbsttagung zum Thema „Strukturwandel & Diskurs“ an der Leucorea, Wittenberg, durchgeführt vom Institut für Design Science München e.V. in Kooperation mit der Leibniz-Sozietät, fand die strategische Vorbesprechung des neuen Arbeitskreises zur Spätphilosophie Schellings statt, an der außer mir teilnahmen: Martin Blumentritt (Hamburg), José M. Díaz Nafría (León/Madrid), Ralph-Miklas Dobler (München, MLS), Annette Grathoff (Wien), Francesca Vidal (Landau, MLS), Doris Zeilinger (Nürnberg).

Wie man dem beigefügten Diagramm entnehmen kann, bereitet die Präsentation der Arbeitsinhalte dieses Arbeitskreises vor allem deshalb Probleme, weil es sich im Grunde nur um ein Teilprojekt inmitten eines Projekt-Netzwerkes handelt. Das erschwert im übrigen auch die Beantragung von Fördermitteln.

In der Hauptsache handelt es sich um das Unternehmen, die Philosophie des späten Schelling (von dessen Werken „Weltalter“ und „Grundlegung der positiven Philosophie“ ausgehend), welche im angelsächsischen wie auch im französischen Sprachkreis gegenwärtig zu einem aktuellen Thema geworden ist, wenn auch nicht auf vergleichbare Weise im deutschen Sprachraum, neu zu bewerten, indem sie „materialistisch“ mit der Philosophie von Hans Heinz Holz gegengelesen wird. Nicht nur schließt dieses Programm an die genannten aktuellen Aktivitäten an, sondern es bezieht sich auch explizit auf ein anderes Unternehmen, das vor kurzem Isabelle Stengers (Brüssel) auf die Philosophie Whiteheads angewendet hat, indem sie diese mit der Philosophie von Deleuze gegengelesen hat. (Isabelle Stengers: Thinking With Whitehead, Harvard University Press, 2011 – mit einem Vorwort von Bruno Latour) Der Schwerpunkt dieses Programms soll vor allem auf den naturphilosophischen Konsequenzen liegen und sodann in eine Neu-Interpretation der „Naturdialektik“ münden, die im Jahr 2020 ohnehin Gegenstand neuerlicher Betrachtung sein wird. Insofern sind die oberen drei Einträge des Diagramms auf das engste miteinander verbunden.

Die beiden unteren Einträge verweisen aber auf einen weiteren Zusammenhang: Dabei wird die Philosophie Schellings auf einer Denklinie positioniert, die, abgesehen von ihren Wurzeln in der griechischen und römischen Antike, ihren „modernen“ Anfang recht eigentlich vom katalonischen Philosophen (und Theologen) Ramón Llull nimmt, der mit der Entwicklung seiner algorithmisch strukturierten Logik (ars magna) bereits auf spätere Entwicklungen vorgegriffen hat. Nicht nur die heutigen Informatiker sind an seinem umfassenden Algorithmus interessiert, sondern dieser hat auch zahlreiche andere Philosophen beeinflußt, Cusanus, Bruno, Spinoza bis zu Leibniz (ars inveniendi) und zu Schelling selbst. Das Llull-Projekt thematisiert daher im Grunde den historischen Vorlauf zu einer Abarbeitung des Idealismus am Materialismus – freilich verstanden im Sinne der heutigen Sichtweisen und Ergebnisse der Philosophie und Einzelwissenschaften. Das Diagramm kann deshalb im Uhrzeigersinn gelesen werden als Form eines chronologischen Gesamtzusammenhanges. Konsequenterweise verweist der Eintrag rechts unten im Diagramm auf eine heutige, praktische Anwendung der dargestellten Konzeption: Die physikalischen Grundlagen der Astrobiologie, eines neueren Forschungsgebietes, das eine besondere Relevanz in den letzten Jahren gewonnen hat, nachdem zahlreiche exosolare Planeten entdeckt worden sind, können nämlich im Sinne des hier Ausgeführten als Anwendung der metaphysischen (vor allem der ontologischen) Thematisierung gesehen werden, und zwar so, daß die Frage nach der Rolle des Lebens im Universum selbst wieder zu einer philosophischen wird, weil dann Leben als eine physikalische Struktur unter anderen aufgefaßt werden kann. Zudem muß dann der Abbildungscharakter der Physik (bzw. deren mathematischer Formalisierung) hinterfragt werden. Auf diese Weise ist auch leicht zu erkennen, auf welche Art die metaphysische Fundierung einer Fragestellung auch sofort auf ethische Themen verweist. Zu den Bereichen „Llull“ und „Astrobiologie“ gibt es eigene Arbeitsgruppen, die aber mit der „Schelling-Gruppe“ in engstem Kontakt stehen und zum Teil auch personalidentisch sind. Dabei bestehen nach wie vor kooperative Verbindungen zur Wiener Gruppe um Wolfgang Hofkirchner (MLS) und zur Gruppe von León (jetzt Madrid) von José M. Díaz Nafría.

Gegenwärtig läuft noch die explizite Zeitplanung und die Kontaktaufnahme mit einschlägigen Institutionen nebst der Recherche nach weiteren Förderquellen. Nach Abklärung der Einzelheiten wird es ein weiteres Arbeitstreffen geben.

Rainer E. Zimmermann