Bericht über das Raumfahrthistorische Kolloquium 2023

Das Raumfahrthistorische Kolloquium 2023, das zweite nach der Coronapandemie, wurde wieder von Stefan Gotthold (Stiftung Planetarium Berlin), Dr. Christian Gritzner (DGLR Lilienthal-Oberth e. V.), Dr. Olaf Przybilski (Dresden) und Dietrich Spänkuch (Leibniz-Sozietät) organisiert und fand am 18.11.2023 wie gewohnt im Einstein-Saal der Archenhold-Sternwarte statt. Nach einführenden Worten von Stefan Gotthold, dem Hausherrn der Tagung, wurde der erste Teil der Vorträge von Dr. Olaf Przybilski moderiert.

Im ersten Vortrag „Die Raketen zu den Planetenräumen“ erinnerte Dr. Wolfgang Both (Berlin) an den 100. Jahrestag der Erscheinung des Buches von Hermann Oberth mit gleichnamigem Titel im Münchener Wissenschaftsverlag R. Oldenbourgh. Eine Neuauflage dieses Buches erschien mit einem Vorwort von Wernher von Braun im Jahre 1960. Aus heutiger Sicht ist schon erstaunlich, dass damals mehrere Verlage dieses Manuskript ablehnten. Im Vortrag wurden, ausgehend von den Anregungen, die Oberth als Jugendlicher durch die Lektüre von Jules Vernes Roman „Von der Erde zum Mond“ erhielt, wesentliche Beiträge zur Entwicklung der Raumfahrt vor dem Erscheinen des Buches, wie die erste Ableitung der Raketengleichung 1810 von dem britischen Mathematiker William Moore in „A Journal of Natural Philosophy, Chemistry and the Arts“, als auch die Wirkung des Werkes auf seine Zeitgenossen diskutiert. Während die Rezeption des Buches von Oberth in Europa und Amerika mit wenigen Ausnahmen – die Lektüre des Buches beflügelte den Gymnasiasten Wernher von Braun zu größerem Lerneifer – gering war, wurde das Werk in der jungen Sowjetunion begeistert kommentiert, auch wenn Ziolkowski anfänglich noch skeptisch war.

Michael Tilgner (Wedel) beschrieb in seinem Vortrag „Die dunkle Seite des Mondes“ zunächst die Vorstellungen von der Rückseite des Mondes vor der Raumfahrt, die vom identischen Aussehen analog der Vorderseite bis zu einer mit Leben erfüllten Mondhälfte ausgingen. Diese Spekulationen wurden erst Ende 1959 durch die Aufnahmen der sowjetischen Sonde Luna 3 beendet, die 70% der Rückseite fotografieren konnte. Weitere verbesserte Aufnahmen wurde von späteren Missionen geliefert. Danach ist die Rückseite reliefarm und arm an Mondmeeren. Auffällig ist nur der als Moskauer Meer bezeichnete runde dunkle Fleck in sonst weiten Hochebenen.

Im letzten Vortrag der Vormittagssession referierten Dr. Yelena Stein (DLR Bonn) und Dr. Christian Gritzner (DLR Bonn) über „Die Geschichte der Weltraumteleskope“. Weltraumteleskope können im Gegensatz zu terrestrischen Teleskopen, die nur begrenzten Bereichen, und zwar den atmosphärischen Fenstern des sichtbaren, infraroten und Radiowellenbereichs des elektromagnetischen Spektrums operieren können, alle Spektralbereiche ohne Einschränkungen nutzen. Als erste Weltraumteleskope können die Geräte zur Messung von Gammastrahlung und Partikeln mit den sowjetischen Proton-1 und -2-Satelliten im Oktober 1965 angesehen werden. Die ersten UV-Teleskope befanden sich auf den Orbiting Astronomical Observatories (OAO) der NASA, wo vom OAO-2 Ende 1968 die ersten UV-Aufnahmen des Weltalls gemacht wurden. Der sichtbare Spektralbereich wurde erst nach den Starts von Uhuru (Explorer 42 oder auch SAS (Small Astronomical Satellite) bezeichnet) für Röntgenstrahlung im Dezember 1970 und des Infrared Astronomical Satellite (IRAS) für das mittlere und ferne Infrarot im Januar 1983 durch den Satelliten Hipparcos der ESA im August 1989 realisiert. Es folgten auch 1989 der Cosmic Background Explorer (COBE) zur Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung und 1997 der japanische Radiowellensatellit HALCA (Highly Advanced Laboratory for Communications and Astronomy). Der 2015 gestartete Satellit LISA Pathfinder der ESA galt der Technologieerprobung zur Messung von Gravitationswellen, für die 2037 die Mission LISA vorgesehen ist. Der Beitrag der ESA an Weltraummissionen ist beachtenswert, aber auch Deutschland trägt signifikant dazu bei und hatte beispielsweise das Röntgensatelliten ROSAT führend entwickelt. Abschließend wurden Ergebnisse des Hubble-Weltraumteleskops und des James-Webb-Teleskops mit neuesten Aufnahmen vorgestellt, erläutert und diskutiert.

Die Nachmittagssitzung war Raumfahrtingenieuren und ihren Leistungen gewidmet und wurde von Dr. Christian Gritzner geleitet. In seinem Vortrag „Moritz Pöhlmann (1881-1964): Ein Erfinder und seine Rolle bei der Entwicklung der A-4 (V-2) Rakete des Deutschen Heereswaffenamtes“ zeichnete Thomas Breit (Alzey) aufgrund seiner akribischen archivalischen Studien ein detailliertes Bild eines fähigen Entwicklers, der neben seinen Leistungen für die Raketentechnik – seine Film- bzw. Schleierkühlung verhinderte das Durchbrennen der Raketenöfen und führte zu den „Pöhlmann-Öfen“, weitere Entwicklungen betrafen Pumpen und Dampferzeuger, die wegweisend für spätere Entwicklungen waren – auch beachtliche patentwürdige Beiträge zu Kältemaschinen und Strahlantrieben für Schiffe aufweisen kann. Sein komplizierter, zu Teamarbeit eher ungeeigneter Charakter verhinderte eine größere Wirksamkeit und Anerkennung.

Anschließend berichtete Dr. Reinhard Sagner (Hamburg) „Über die Forschungsergebnisse von Johannes Winkler in der Luftfahrtforschungsanstalt Braunschweig von 1939 bis 1947“. Dieser Beitrag schloss an den Vortrag an, den Dr. Sagner auf dem vorherigen Raumfahrthistorischen Kolloquium 2022 gehalten hatte, wo er die Arbeiten Winklers in den Dessauer Junkers-Werken behandelte, veröffentlicht in den Abhandlungen der Leibniz-Sozietät, Band 74. In Braunschweig arbeitete Winkler zunächst als freier Mitarbeiter, später als Abteilungsleiter, im Institut für Gasdynamik weiter an effektiven Triebwerken und deren Bündelung, an Raketenkennziffern und der Berechnung der Dissoziation von Feuergasen. Diese Arbeiten wurden von ihm nach dem Krieg in zwei Berichten an die britischen Behörden festgehalten.

Im letzten Vortrag „Hans Schneider und seine Konstruktionen von Raketenbrennkammern“ wies Dr. Olaf Przybilski die Spuren des Raumfahrtpioniers Hans Schneider in den Bayerische Motoren Werken in Berlin-Spandau am Standort Zühlsdorf, bei der Société d’Etudes de la Propulsion par Reaction (SEPR) in Villaroche und im Entwicklungsring Nord (ERNO) Raumfahrttechnik GmbH in Bremen nach und zeigte Fragmente von Raketentriebwerken von allen Tätigkeitsorten.

Zwischendurch konnte in der Kaffeepause live auf dem großen Monitor des Einstein-Saales der zweite Start der Starship-Trägerrakete von Space-X von der SpaceX Texas Launch Site, der Startanlage und Fabrikationsstelle in Boca Chica Village bei Brownsville, Texas verfolgt werden. Das Auditorium dankte dem Hausherrn mit anhaltendem Beifall.

Teilnehmerzahl (rund 50 Besucher) und bereits vorliegende Vortragsanmeldungen für das nächste Raumfahrthistorische Kolloquium im kommenden Jahr zeugen von dem großen Interesse an diesen Veranstaltungen. Die Beiträge von RHK 2023 werden wieder in einem Band der Abhandlungen der Leibniz-Sozietät erscheinen.

D. Spänkuch