Nachruf auf unseren Kollegen Prof. Dr. Klaus Mylius

Prof. Dr.Klaus Mylius, MLS (1930-2025) – Foto Reinhard Ferdinand, CC BY-SA 4.0

Die Leibniz-Sozietät trauert um ihr Mitglied, den Philologen und Indologen Prof. Dr. Klaus Mylius, der am 28. Juni 1925 verstorben ist.

Der am 24. August 1930 in Berlin geborene renommierte Indologe Klaus Albert Robert Curt Mylius verstarb am 28. Juni 2025 in Gottenheim bei Freiburg im Alter von 94 Jahren. Mit ihm verliert die wissenschaftliche Welt einen der bedeutendsten deutschsprachigen Vertreter der Sanskritistik und Indischen Altertumskunde – einen Gelehrten, der mit unermüdlicher Leidenschaft, intellektueller Strenge und kultureller Sensibilität über sieben Jahrzehnte hinweg das Verständnis für die indische Geisteswelt in Europa geprägt hat.

Mylius besuchte nach der Volksschule das Prinz-Heinrichs-Gymnasium in Berlin-Schöneberg und ab 1943 das Potsdamer Viktoria-Gymnasium und erlebte als Kind die Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Im Kriegsjahr 1945 wurde der Jugendliche nach Siegersleben in der Magdeburger Börde evakuiert. Er war bis 1948 als Landarbeiter und Zeitungsträger tätig und absolvierte eine kaufmännische Lehre im Warenvertrieb Siegersleben. Danach war er in verschiedenen Organisationen der DDR tätig und fand über autodidaktische Studien zur Wissenschaft. 1954 konnte Klaus Mylius eine Sonderreifeprüfung an der damaligen Arbeiter- und Bauernfakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ablegen. Seine akademische Laufbahn begann er an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, wo er zunächst Geographie und später Indologie studierte. Von 1958 bis 1964 arbeitete er als wissenschaftlicher Oberassistent am Geographischen Institut der MLU Halle-Wittenberg. Hier wurde Mylius 1962 zum Dr. rer. nat. in Geographie mit der Dissertation zum Thema Ökonomische Geographie Pakistans promoviert. Gutachter waren der Geograph Rudolf Käubler und der Indologe Karl Ammer. 1964 folgte seine zweite Promotion zum Dr. phil. in Indologie mit einer Arbeit zum Thema Die gesellschaftlichen Zustände Indiens nach dem Śatapatha-Brāhmaṇa, Gutachter waren Karl Ammer und Historiker Walter Markov. 1964 wechselte Mylius als Habilitationsaspirant an das Indische Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig, wo er sich 1968 mit einer Arbeit zum Thema Indien in mittelvedischer Zeit nach den Sanskrit-Quellen dargestellt habilitierte (Gutachter: Karl Ammer, der Althistoriker Rigobert Günther und Walter Markov).

Von 1976 bis 1991 war Klaus Mylius außerordentlicher Professor für Sanskrit und Indische Altertumskunde an der Universität Leipzig. Er bildete Generationen von Studierenden aus, die von seiner fachlichen Tiefe wie auch seinem pädagogischen Engagement profitierten. Seine Lehrtätigkeit setzte er nach der Wiedervereinigung an den Universitäten Bayreuth und Frankfurt am Main fort, wo er bis ins hohe Alter unterrichtete. Seine wissenschaftliche Produktivität war beeindruckend: Über 25 eigene Buchpublikationen, Beteiligung an rund 50 weiteren Werken, sowie über 500 Fachartikel und Rezensionen zeugen von einem Forschergeist, der nie zur Ruhe kam.

Besondere Verdienste erwarb sich Mylius durch seine Arbeiten zur vedischen Literatur, zur altindischen Philosophie und zur Ritualforschung. Werke wie Geschichte der altindischen Literatur, das Wörterbuch Sanskrit–Deutsch, Deutsch–Sanskrit oder seine Übersetzung des Kāmasūtra machten ihn auch über die Fachwelt hinaus bekannt. Seine Fähigkeit, komplexe Inhalte mit philologischer Präzision und kultureller Empathie zu vermitteln, war außergewöhnlich.

Mylius verstand sich nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Mittler zwischen den Kulturen. Seine Arbeiten trugen wesentlich dazu bei, das Verständnis für die indische Geistesgeschichte im deutschsprachigen Raum zu vertiefen. Für sein wissenschaftliches Schaffen wurde Klaus Mylius mit zahlreichen Ehrungen bedacht. 1986–1992 war er ordentliches und 1992–1994 korrespondierendes Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Philologisch-historische Klasse). 1985 erhielt er den renommierten Friedrich-Weller-Preis der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Im Jahr 2000 wurde ihm gemeinsam mit Hans Wolfgang Schumann der Rabindranath-Tagore-Literaturpreis zugesprochen – ein symbolträchtiger Akt deutsch-indischer Verständigung, auch wenn die offizielle Verleihung aus politischen Gründen unterblieb. Internationale Anerkennung erhielt er durch die American Medal of Honor des American Biographical Institute sowie den International Peace Prize der United Cultural Convention in den USA. Er war seit 1996 Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V.

Unabhängig von politischen Bewertungen bleibt sein wissenschaftliches Werk unbestritten. Mylius war ein streitbarer Intellektueller, der sich für Kollegialität in der Forschung einsetzte und sich nicht scheute, Missstände offen zu benennen. Seine Rezensionen waren kenntnisreich, kritisch, aber stets fair – getragen von einem tiefen Respekt vor der Wissenschaft.

Bis ins hohe Alter blieb Klaus Mylius publizistisch aktiv. Noch in den letzten Jahren veröffentlichte er neue Arbeiten zur altindischen Grammatik und Metrik. Sein Tod bedeutet einen tiefen Einschnitt für die deutschsprachige Indologie. Doch sein Werk lebt weiter – in seinen Büchern, in den Erinnerungen seiner Studierenden und Kolleginnen und Kollegen, und in der Brücke, die er zwischen Europa und Indien geschlagen hat.

In einer Zeit, in der interkulturelles Verständnis dringlicher denn je ist, bleibt das Lebenswerk von Klaus Mylius ein leuchtendes Beispiel für die Kraft der Geisteswissenschaften. Wir werden seinen Namen und sein Werk stets in Ehren halten.

Gerda Haßler