Wissenschaftliche Sitzungen der Klassen der Leibniz-Sozietät 2012

Nachfolgend werden die im Jahr 2012 stattgefundenen wissenschaftlichen Sitzungen der beiden Klassen der Leibniz-Sozietät zusammen mit den Kurzreferaten und Angaben zu den C.V. der Vortragenden aufgelistet.

Die Namen der Autoren sind mit dem Autorenverzeichnis verlinkt, weiterhin sind Links zu den Publikationen der Leibniz-Sozietät angegeben, falls die Vorträge bereits publiziert wurden.

 

09. Februar 2012

Rudolf Herrmann:
Der Weg zum absoluten Nullpunkt
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät

C.V.:
Prof. Herrmann (75) ist Physiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2011. Nach dem Studium an der Humboldt-Universität Berlin, der Promotion (1964) an der Staatlichen Moskauer Universität, der Habilitation (1968) am Institut für Physikalische Probleme bei Peter Kapitza in Moskau wurde er 1968 zum Dozenten und 1970 zum ordentlichen Professor für experimentelle Physik an der Humboldt-Universität berufen. Als Gastprofessor weilte er 1992 bis 1993 an der Universität 7 (Pierre et Marie Curie) in Paris und 1993 bis 1996 an der Ritsumeikan-Universität in Kyoto, außerdem seit 1994 als Berater und Mitarbeiter beim Konzern HORIBA, Ltd. in Kyoto.
Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Gerätebau GmbH bzw. im Institut für angewandte Photonik e.V. in Berlin-Adlershof.

Abstract:
Die Idee vom absoluten Temperatur-Nullpunkt ist so alt wie die Leibniz-Sozietät: In den 90-er Jahren des 17. Jh. fand der französische Physiker Guillaume Amontons heraus, dass bei -240°C der Luftdruck null wird. Da es keinen negativen Druck gibt, musste die Temperatur nach unten begrenzt sein.
Faraday verflüssigte im 19. Jh. eine Reihe von Gasen und erreichte so immer tiefere Temperaturen. 1883 gelang es den polnischen Physikern Karol Olchewski und Zigmunt Wroblewski, die Luft zu verflüssigen. Sie stellten Sauerstoff und Stickstoff bei ca. -200°C als wasserklare Flüssigkeiten her. Kurz darauf verflüssigte der Engländer James Dewar Wasserstoff und erreichte -259°C, 14K über dem absoluten Nullpunkt, der bereits von Lord Kelvin zu -273.15 °C gefunden worden war.
1908 gelang es dem Holländer Heike Kamerling Onnes, als letztes Gas Helium bei -268.9°C zu verflüssigen. Helium blieb auch bei -272.5°C, d.h. 0.7K über dem absoluten Nullpunkt, flüssig. Peter Kapitza, Fritz London und Lew Landau fanden heraus, dass diese „Superflüssigkeit“ ein bisher unbekannter Zustand der Materie, ein Bose-Einstein-Kondensat, ist.
Die nächsten Schritte zu tieferen Temperaturen waren die magnetische Kühlung von Spinsystemen und die Mischkühlung der Isotope He3 und He4 mit Temperaturen bis zu 2mK. Entsprechende Mischkühler wurden von uns im Institut für angewandte Photonik e.V. in Adlershof für die Kühlung von supraleitenden Detektoren entwickelt und hergestellt. Mit der magnetischen Kühlung von Atomkern-Spins werden in der Physikalisch-technischen Bundesanstalt in Berlin Temperaturen bis zu 27µK erreicht.
Seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts werden völlig neue Wege zu tiefen Temperaturen beschritten. 1995 erreichten Wolfgang Ketterle und die beiden Physiker Erik Kornell und Karl Wieman mit der Laser- und der Verdampfungskühlung, mit der ein Maxwellscher Dämon bemüht wurde, reine Bose-Einstein-Kondensate mit Temperaturen bis herab zu 1nK (10-9 K).
Im Vortrag wird ein Überblick über diese spannende Entwicklung der Physik der tiefen Temperaturen über drei Jahrhunderte, von der Gasverflüssigung bis zur Bose-Einstein-Kondensation, gegeben. Die von Kamerling Onnes und Kapitza gefundene Superfluidität öffnete über die Bose-Einstein-Kondensation und den Atomlaser eine Tür zu einer völlig neuen, makroskopischen Quantenwelt.

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 54; 15.03.12
Volltext: INTERNETZEITSCHRIFT Leibniz Online, Jahrgang 2013, Nr. 15

 

Ulrich Busch
Die Rolle der „Finanzindustrie“ in Wirtschaft und Gesellschaft
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät

C.V.:
Prof. Busch (61) ist Volkswirtschaftler mit besonderem Interesse für Geld- und Finanztheorie sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2009. Nach der Promotion (1976) an der Humboldt-Universität zu Berlin war er im Bankwesen leitend tätig. 1984 habilitierte er sich und wurde 1987 zum Hochschuldozenten berufen. Er lehrte und forschte auf volkswirtschaftlichem und finanzwissenschaftlichem Gebiet. Forschungs- und Lehraufenthalte führten ihn u. a. an die Wirtschaftsuniversität Budapest, das Rijksuniversitair Centrum Antwerpen und die Université de Vincennes-Saint-Denis (Paris VIII). Nach Lehrtätigkeit an der Frankfurt School of Finance & Management sowie Beratungstätigkeit in Banken war er zuletzt am Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin tätig sowie an der Universität Göttingen. Außerdem redigiert er das Journal Berliner Debatte Initial.

Abstract:
Unter „Finanzindustrie“ versteht man die Gesamtheit der Banken und monetären Finanzinstitute (MFIs), die Versicherungswirtschaft, die Geldanlagegesellschaften, die Investmentfonds, Pensionsfonds, Finanzintermediäre, Schattenbanken usw., den Geldmarkt und den Kapitalmarkt sowie die hier tätigen Akteure, die Zentralbanken, die internationalen Finanzinstitutionen, Ratingagenturen, Finanzkontrolleure, privaten Geldverleiher, Münzhändler usf. Schon diese Aufzählung macht deutlich, dass es sich hierbei in der Tat um so etwas wie eine „Industrie“ handelt, auch wenn das Finanzsystem und die Industrie gewöhnlich als gegensätzliche Bereiche, als dichotome Protagonisten der Geld- bzw. der Realsphäre, wahrgenommen werden. In den zurückliegenden 100 Jahren hat sich hier viel verändert. Die Bedeutung des Finanzsektors ist nicht nur gewachsen; inzwischen dominiert dieser die entwickelten Volkswirtschaften und seine Verwertungslogik, ausgedrückt in der Formel G-G‘, bestimmt die der Gesamtwirtschaft. Die Größe selbst einzelner Institute erreicht mitunter die Wirtschaftskraft ganzer Staaten oder übertrifft diese sogar wie in Island, Irland, Großbritannien oder der Schweiz. Ohne die zielbestimmenden, den Reproduktionsprozess vermittelnden und zahlreiche Dienstleistungen hervorbringenden Aktivitäten der Banken und Finanzinstitutionen funktioniert heute keine Wirtschaft mehr. Die Finanzindustrie erweist sich damit nicht nur für die Weltwirtschaft als fundamental. Von ihrer Leistungskraft und Stabilität hängt das Wohl und, wie die jüngste Krise offenbart, die Existenz ganzer Staaten ab. Die Kehrseite der Effizienz des Finanzmarktkapitalismus ist jedoch seine Krisenanfälligkeit und systemische Ungewissheit und Unsicherheit, welche nicht nur die Wirtschaft, sondern die Gesellschaft insgesamt betrifft

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 54; 15.03.12
Volltext: SITZUNGSBERICHTE DER LEIBNIZ-SOZIETÄT, Band 113 Jahrgang 2012

 

8. März 2012

Andreas Meisel:
Schlaganfall und Immunsystem
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät

C.V.:
Prof. Meisel (45) ist Arzt und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2011. Er hat von 1987 bis 1994 an der Humboldt-Universität zu Berlin Medizin studiert. Während des Studiums hat er am Institut für Medizinische Virologie der Charité und am Biozentrum der Universität Basel seine Doktorarbeit durchgeführt. 2003 wurde er Facharzt für Neurologie. Heute leitet er an der Charité die Neurologische Intensivmedizin, eine Schwerpunktambulanz zu neuromuskulären Erkrankungen sowie eine Arbeitsgruppe für experimentelle und klinische Schlaganfallforschung. 2006 wurde er Professor am Zentrum für Schlaganfallforschung Berlin, seit 2009 ist er Professor für Neurologie am NeuroCure Clinical Research Center der Charité. Mit der Berliner Schlaganfall-Allianz leitet er ein großes Netzwerkprojekt in Berlin und Brandenburg, das sich die Verbesserung der Schlaganfallforschung und -versorgung zum Ziel gesetzt hat.

Abstract:
Schlaganfälle entstehen infolge von Durchblutungsstörungen im Hirn und führen zu plötzlichen Funktionsverlusten mit charakteristischen Lähmungen der Extremitäten und Gesichtsmuskulatur, Seh-, Sprach- oder Sprechstörungen. Christoph Wilhelm Hufeland wusste schon vor fast 200 Jahren, dass Schlaganfälle mit Fieber und schweren lebensbedrohlichen Infektionen einhergehen können. Vor allem bakterielle Lungenentzündungen treten gehäuft nach Schlaganfällen auf und verschlechtern die Langzeitprognosen der betroffenen Patienten. Bis vor kurzem ging man davon aus, dass Schlaganfall-bedingte neurologische Defizite wie Schluckstörungen Ursache der Lungenentzündung sind. Heute weiß man, dass der Schlaganfall auch zu einer raschen und schweren Funktionsstörung der immunologischen Abwehrkräfte des Körpers und damit zu Infektionen führen kann. Aus dem verbesserten Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen der Schlaganfall-induzierten Immundepression ergeben sich neue therapeutische Ansätzen, die die Langzeitprognose von Schlaganfällen verbessern können. Zum einen könnten damit Infektionen besser vorhergesagt und effektiver behandelt werden. Zum anderen könnten spezifische immunmodulatorische Ansätze mit neuroprotektiven und regenerativen Effekten zur Therapien des Schlaganfalls entwickelt werden. Darüber hinaus können Immunparameter helfen, die Langzeitprognose von Schlaganfallpatienten besser vorherzusagen. Die ethischen Probleme in der Therapieentscheidung bei den häufig bewusstseinsgestörten Patienten werden dadurch jedoch nicht gelöst.

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 55; 01.06.12

Andrea Komlosy:
Globalgeschichte – Konjunkturen der Geschichtsschreibung zwischen Kleinraum, Nationalstaat und Weltwirtschaft
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät

C.V.:
Frau Prof. Komlosy ist Historikerin und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2011. Nach dem Studium der Geschichte und der Politikwissenschaft lehrt und forscht sie am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Sie ist maßgeblich am Aufbau und der Curriculumentwicklung der Globalgeschichte und Global Studies an der Universität Wien beteiligt.
Andrea Komlosy fasst Geschichte als historische Sozialwissenschaft auf. Ihre regionale Spezialisierung liegt in der europäischen Geschichte, wobei sie den Fokus auf Regionen und regionale Ungleichheit legt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Habsburgermonarchie und ihrer Nachfolgestaaten seit dem 18. Jahrhundert, der globalen Arbeits- und Unternehmensgeschichte, vor allem in der Erzeugung von Textilien, sowie der vergleichenden Erforschung von Grenzen und Imperien. Ihre wichtigsten Anregungen bezog sie aus der Weltsystemanalyse, die sie für ihre Fragestellungen adaptiert hat. Ihre jüngste Publikation erschien unter dem Titel “Methoden und Theorien der Globalgeschichte“ 2011 in Wien.

Abstract:
Der Vortrag setzt sich mit Globalgeschichte als neuem Paradigma der Geschichtswissenschaft auseinander. Die Vortragende geht bei ihren Überlegungen davon aus, dass Räume nichts Vorgegebenes sind, sondern im Lauf des historischen Prozesses selbst geformt werden. Dementsprechend wandelt sich auch die räumliche Perspektive, mit der historische Prozesse in den Blick genommen werden.
Ausgehend von der Frage, ob bzw. was an Globalgeschichte neu ist, nimmt die Vortragende Bezug auf die Geburtsstunde der Weltgeschichte im Geiste der Aufklärung. Die globale Dimension ist seither nicht aus der Geschichtsschreibung verschwunden. Zwar entstand im Zeitalter der Nationalisierung im 19. Jh. der Eindruck, als hätte Weltgeschichte ausgedient. Dieser Eindruck beruht darauf, dass den Eroberten, Kolonisierten und Beherrschten die Geschichtsfähigkeit abgesprochen wurde.
Während in Deutschland und den alten Kolonialmächten, aber auch in den aus der Entkolonialisierung hervorgegangenen Staaten, nach 1945 Nationalgeschichte auf der Tagesordnung stand, konnten die Großmächte USA und UdSSR ihre Nationalgeschichte mit ihren internationalen Beziehungen und folglich mit Weltgeschichte vereinen. Auch das Entwicklungsdenken für und in der Dritten Welt begünstigte das Interesse an globaler Ungleichheit. Die deutsche Geschichtswissenschaft blieb davon ziemlich unberührt, ihre Erneuerung in den 1970er Jahren setzte auf Mikro-, Alltagsgeschichte und Geschichte von unten.
Mit der Veränderung der Territorialitätsregime der Weltwirtschaft im Gefolge der Krise 1973/74 und den Transformationsprozessen 1989/91drängte sich die globale Ebene unaufhaltsam in den Vordergrund. Die neue Globalgeschichte dient der Verarbeitung der veränderten internationalen Beziehungen und stellt von daher neue Fragen an die Vergangenheit. Es handelt sich um eine Geschichte mit multiplen Schauplätzen, Akteuren, Triebkräften und Perspektiven, und sie ist mit widersprüchlichen und konkurrierenden Erfahrungen und Interessen verknüpft.
Kein Historiker kann sich der globalgeschichtlichen Herausforderung entziehen.
Globalgeschichte ist keine Entscheidung für einen bestimmten Untersuchungsraum, sondern eine Methode und Analyseperspektive, die sämtliche Raumdimensionen des historischen Geschehens vom Kleinraum bis zur Weltwirtschaft in ihrem Zusammenspiel berücksichtigen muss.

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 55; 01.06.12

 

12.April 2012

Michael Ketting:
Hintergründe zur konstruktiven Optimierung von Baumaschinenfahrwerken
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät

C.V.:
Prof. Ketting gilt als Spezialist für die Kettenfahrwerkstechnik an Baumaschinen. Über seine Forschungs- und Entwicklungsergebnisse auf diesem Gebiet hat er bereits seit Beginn der 1990er Jahre bei den weltweit bedeutendsten Baumaschinenfirmen berichtet und sich dadurch in Europa – aber auch in den USA und Japan – eine hohe fachliche Anerkennung erworben. Davon zeugen zudem eine Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen in Pre-Review-Zeitschriften.
Michael Ketting studierte an der TU Dresden Regelungstechnik sowie Wissenschaftsphilosophie an der HU Berlin. In seiner über 30jährigen Industrietätigkeit, zuletzt als Vorstand der Intertractor AG in Gevelsberg, beschäftigte er sich mit Fragen der fertigungstechnischen, vor allem aber konstruktiven Optimierung von Kettenfahrwerken, insbesondere unter dem Aspekt von Betriebsfestigkeit und Lebensdauer.
Derzeit ist er Wissenschaftlicher Direktor des Institutes für Baumaschinen, Antriebs- und Fördertechnik in Bochum. Seine aktuellen Forschungsarbeiten an diesem Institut sowie an der Ruhr-Universität Bochum beziehen sich auf die strukturelle Gestaltung von Gummifahrwerken, auf die lebensdauergerechte Auslegung von Bauteilen unter Berücksichtigung des abrasiven Verschleißes sowie auf das komplexe Systemverhalten von Baumaschinenfahrwerken.

Abstract:
Der Vortragende gibt einen beispielbezogenen Einblick in seine jahrelange, vornehmlich industriell orientierte Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Baumaschinenfahrwerke und beleuchtet derzeit sich herausbildende Tendenzen angeblicher „Unwissenschaftlichkeit“ konstruktiver Forschungstätigkeit.

Zusammenfassun: Leibniz-Intern Nr. 55; 01.06.12

Helga Schultz:
Lange Linien in der modernen Geschichte Ostmitteleuropas
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät

C.V.:
Frau Prof. Schultz ist Wirtschafts- und Sozialhistorikerin und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1997. Nach Promotion (1969) und Habilitation (1978) an der Universität Rostock arbeitete sie bis 1991 am Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin. Von 1993 bis zur Pensionierung 2006 hatte sie einen Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Neuzeit an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) inne, wo sie die „Frankfurter Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Ostmitteleuropas“ (16 Bde.) herausgab. Gegenwärtiges Forschungsprojekt: „Immer anders – Europäische Sozialisten von Kautsky bis Kuroń“ (2010-2015).

Abstract:
Der Glaube an die transformierende Kraft von Institutionen verstellt den Blick für die andauernde Andersartigkeit des östlichen Europa, das seit dem Mittelalter Peripherie des nordwestlichen Entwicklungskerns war. Agrargesellschaften mit großenteils unfreier Arbeit und andersethnischer gewerblicher Bevölkerung vollzogen zwar die Große Transformation nach westeuropäischem Muster, aber mit abweichenden Ergebnissen für Nationsbildung und Industrialisierung.
Die wirtschaftliche Modernisierung gebar heftige ethnische Rivalitäten („Volkstumskämpfe“), die nach den Staatsgründungen des 20. Jahrhunderts in Wirtschaftsnationalismus übergingen. Dessen ungeachtet spielte der Import ausländischen Kapitals eine große Rolle. Die ethnische Entmischung im 20. Jahrhundert beraubte die Region ihrer industriell aktivsten Bevölkerung.
Die Emanzipationsbewegungen Liberalismus und Sozialismus waren schwächer als im Westen, dafür entwickelten sich aus Wahlrechts- und Landreformbewegung mächtige Bauernparteien, die oftmals ein Bündnis mit dem aristokratischen Faschismus eingingen. Ein vom Westen unabhängiger Entwicklungspfad im RGW scheiterte vor allem an dem Erbe der peripheren Rolle.

Zusammenfassung:Leibniz-Intern Nr. 55; 01.06.12

 

10. Mai 2012:

Prof. Dr. Gerhard Rakhorst (Groningen):
Mechanische Unterstützung thorakaler und abdominaler Organe – Brücke von intensiver Behandlung zur Organtransplantation
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät:

C.V.:
Prof. Rakhorst (65) ist Experimenteller Mediziner und Mit¬glied der Leibniz-Sozietät seit 2011. Während des Studiums der Veterinärmedizin in Utrecht war er auch Trainee im Kunstherz-Forschungslabor der University of Utah (Salt Lake City, USA). Nach der Promotion arbeitete er 14 Jahre lang in einer Veterinärpraxis, wo er sich auf die orthopädische Operation kleiner Haustiere (Hunde und Katzen) sowie die Behandlung von Primaten spezialisierte. 1988 wechselte er in den Lehrkörper des Biomedizin-Technologiezentrums der Universität Groningen. Hier wurde er 1991 PhD für experimentelle Kardiologie. Zwischen 2000 und 2004 gründete er zwei universitäre Spin-off-Unternehmen – eines produziert Herzassistenzgeräte (IntraVasc BV), das andere Perfusionsmaschinen für menschliche Spenderorgane (Organ Assist BV). 2009 erhielt er die Professur am Universitäts-Medizinzentrum Groningen für künstliche Organe, Unterstützungsgeräte und Organersatzsysteme. Er hat über 100 Publikationen veröffentlicht und hält mehr als 10 Patente.

Abstract:
Wenn eine traditionelle pharmazeutische Therapie bei Patienten mit chronischer Herzerkrankung nicht das gewünschte Resultat zeigt, kann man heute das Herz mechanisch unterstützen. Mit Hilfe von implantierbaren Blutpumpen kann man so verhindern, dass andere Organe wie Lungen, Leber, Nieren, Pankreas usw. zu wenig von Blut durchflossen werden und deshalb zu wenig Sauerstoff bekommen, um gut funktionieren zu können. Vergleichbare Techniken kann man auch anwenden, um die Qualität von Spenderorganen nach der Entnahme aus dem Körper zu erhalten. Die Temperatur des Organs, die benutzte Perfusionslösung, der Sauerstoffdruck und die Strömungsgeschwindigkeit des Bluts spielen dabei eine große Rolle. Weitere Miniaturisierung und Weiterentwicklung der Batterietechnologie werden in den kommenden Jahrzehnten das Leben eines Patienten mit chronischer Herzerkrankung erleichtern und werden dazu beitragen, dass – wie vom Organspender gewünscht – kein Spenderorgan ungenutzt bleibt.

H.-Eberhard Schultz (Berlin):
Der antimuslimische Rassismus: Feindbild für Kriege nach außen und innen aus menschenrechtlicher Sicht
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät:

C.V.:
Herr Schultz (69) ist Jurist. Als Student beteiligte er sich an der Landshut 68er Studentenbewegung (Westberliner SDS mit Rudi Dutschke). 1972 legte er das Staatsexamen für das Lehramt an Grundschulen an der Pädagogischen Hochschule Berlin ab, 1978 folgten das zweite juristische Staatsexamen und die Zulassung als Rechtsanwalt am Oberlandesgericht Düsseldorf. Von 1978 bis 2008 war er als Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Bremen tätig (auch als Notar); seit 2009 arbeitet er nur noch in Berlin als Rechtsanwalt im Haus der Demokratie und Menschenrechte.
Er war Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Berlin, an der Universität Oldenburg sowie an verschiedenen Bildungseinrichtungen in Bremen, arbeitet aktiv in Rechtsanwalts- und Menschenrechtsorganisationen: als Vorstandsmitglied in der internationalen Liga für Menschenrechte, dem RAV, und der Berliner Strafverteidigervereinigung sowie in der Friedensbewegung. Öffentlich bekannt wurde er als Verteidiger in sog. »Terroristenprozessen« (Düsseldorfer PKK-Prozess u.a.), als Anwalt des früheren Rektors der Humboldt-Universität, Professor Dr. Fink, und von MigrantInnen und ihren Vereinigungen. Seine anwaltlichen Tätigkeitsschwerpunkte sind heute Strafrecht (Strafverteidigung auch international) und Menschenrechte.
Daneben arbeitet er als Referent und nimmt an internationalen Parlaments-Delegationen und Prozessbeobachtungen teil, so u.a. in der Türkei (Kurdenverfahren der 1980er und -90er Jahre), Südkorea (Professor Dr. Song) und den USA (seit 2004 dreimal zu öffentlichen Hearings im Rahmen der Berufungsverhandlung der sog. Cuban 5).
Er kann auf verschiedene Veröffentlichungen zu seinen Schwerpunkten Menschenrechte, Arbeitsrecht, Asylrecht und Strafverteidigung sowie zu Fragen frühkindlicher Erziehung und der 1968er Bewegung verweisen.

Abstract:
1. Einleitung zur Aktualität und Bedeutung des Themas:
– die Sarrazin-Debatte, Neonazis, Rechtspopulisten und der alltägliche Rassismus
2. Was ist »Rassismus«, Islamphobie, Antiislamismus?
– die internationalen Standards in (menschen-)rechtlicher und wissenschaftlicher Sicht und die Defizite in der BRD;
– die Wiederbelebung eines religiös/kulturell begründeten Rassismus;
– Verbreitung und Gefährlichkeit des »antimuslimischen Rassismus« (Heitmeyer-Studie)
3. Der institutionalisierte Rassismus in dialektischen Verhältnis zum alltäglichen:
– repressives Sonderrecht für ausgegrenzte Minderheiten und praktische Anwendung im Ausländer-, Asyl- und Nebenstrafrecht;
– die »verdachtsunabhängige Kontrolle« durch die Polizei als »Racial Profiling“
4. ausgewählte Fallbeispiele aus der Praxis als Menschenrechtsanwalt:
– die Überwachung einer Berliner Muslimin im Alltag;
– die so genannten »Hassprediger« und der »Salafismus«;
– das Ermittlungsverfahren gegen Sarrazin wegen Volksverhetzung u.a.
5. der »internationale Krieg gegen den Terrorismus« aus menschenrechtlicher Sicht:
– die Problematik der »Terrorismus-Verfolgung«;
– die permanente Verletzung des humanitären Kriegsvölkerrechts;
– die neuen Weltordnungskriege als gegenzivilisatorisches Projekt und die Rolle des »Feindbildes Islam«
6. die neue Dimension des Rechts-Terrorismus und die erforderlichen menschenrechtlichen und gesellschaftspolitischen Konsequenzen:
– Anmerkungen zur aktuellen Debatte um die Terrorzelle »NSU« und die Anschläge in Norwegen.

 

14 Juni 2012

 

Teilchen ohne Grenzen – Zum Gedenken an Karl Lanius
Kolloquium der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät

1. Vortrag Prof. Dr. Thomas Naumann (Zeuthen): Teilchen ohne Grenzen
Volltext: SITZUNGSBERICHTE DER LEIBNIZ-SOZIETÄT, Band 114 Jahrgang 2012

C.V. Thomas Naumann:
Prof. Naumann (58) ist Teilchenphysiker und arbeitet am größten Forschungsprojekt der Menschheit, dem 27 km langen Large Hadron Collider LHC des Europäischen Zentrums für Kernforschung CERN in Genf.

Nach dem Studium an der Technischen Universität Dresden untersuchte er ab 1975 am Institut für Hochenergiephysik der Akademie der Wissenschaften der DDR in Zeuthen bei Berlin die starken Wechselwirkungen von Elementarteilchen. 1980 wurde er an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert und ist seit 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Elektronen-Synchrotrons DESY. Am Elektron-Proton-Speicherring HERA des DESY arbeitete ab 1987 an der Präzisionsmessung der Strukturfunktion des Protons und der Kopplungskonstante der starken Wechselwirkung. Prof. Naumann war mehrere Jahre stellvertretender Leiter des DESY-Standorts in Zeuthen und lehrt seit 2005 als Honorarprofessor an der Universität Leipzig. Seit 2006 ist er Mitglied des ATLAS-Experiments am Large Hadron Collider LHC des CERN. Außerdem betreut er im Auftrag des BMBF die deutsche Öffentlichkeitsarbeit für CERN und den LHC.

 C.V. Karl Lanius:
Karl Lanius war von 1962 bis 1988 Direktor des Instituts für Hochenergiephysik (IfH) der Akademie der Wissenschaften der DDR in Zeuthen. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann er 1952 auf dem Gebiet der Kernphysik und der kosmischen Strahlung. Die Forschungsstelle für Hochenergiephysik in Zeuthen formte er 1962 zum „Institut für Hochenergiephysik“.
Dem toleranten und weltoffenen Teilchenphysiker Lanius gelang es, die Barrieren des Kalten Krieges zu überwinden: Neben der Arbeit in der Sowjetunion etablierte er eine enge Zusammenarbeit mit seinen Kollegen am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg und am Europäischen Zentrum für Kernforschung CERN in Genf. Im Institut etablierte er eine in der DDR seltene freie politische Atmosphäre.
Mit seiner Wissenschafts- und Personalpolitik legte Karl Lanius die Grundlage für die erfolgreiche Vereinigung des IfH mit DESY im Jahr 1992. Seine jahrzehntelange Ost-West-Kooperation garantierte nach dem Ende des Kalten Krieges die kontinuierliche Weiterarbeit in den internationalen Projekten der Teilchenphysik.
Karl Lanius wurde 1969 Mitglied der Akademie der Wissenschaften, in der er von 1988 bis 1992 die Klasse Physik als Sekretar leitete. In deren Nachfolgeorganisation, der Leibniz-Sozietät, war er von 1993 bis 1996 Sekretar der Klasse Naturwissenschaften.

2. Vortrag Prof. Dr. Werner Ebeling (Berlin): Karl Lanius und das Problem der Vorhersagbarkeit

C.V. Prof. Ebeling:
Prof. Ebeling (75) ist Physiker. Er wurde 1977 zum Korrespondierenden, 1989 zum Ordentlichen Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. Nach dem Studium in Rostock und Moskau wirkte er 20 Jahre lang an der Universität Rostock – erst als Mitarbeiter, dann als Dozent und schließlich als Professor für Theoretische Physik. Er arbeitete über statistische Physik, Plasmatheorie und Theorie der Selbstorganisation und erhielt 1978 den Nationalpreis der DDR. 1979 wurde er an die Humboldt-Universität nach Berlin berufen, wo er bis 2001 Theoretische Physik lehrte. Außerdem ist er Prof. h.c. der Universitäten Saratov und Moskau sowie der Moskauer Physikalisch-Technischen Universität und weilte zu Gastprofessuren an den Universitäten Krakow und Madrid. Ihm wurden die Onsager-Medaille der Universität Trondheim und der spanische Humboldt-Mutis-Preis verliehen.

3. Vortrag Prof. Dr. Rainer Schimming (Potsdam): Weltbild und Weltanschauung

C.V. Prof Schimming:
Prof. Schimming (67) ist Mathematiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2004. Er hat in Leipzig und in Kiew Mathematik studiert. Seine Dissertation (1971) und Habilitationsschrift (1979) behandeln Probleme der Mathematischen Physik und Relativitätstheorie. Die Publikationsliste umfasst etwa 100 Titel. An der Universität Greifswald, wo er seit 1981 wirkte, hat er sich im Zusammenhang mit dem 1998 dort eingerichteten Studiengang Biomathematik zunehmend der Mathematischen Biologie zugewandt. Er interessiert sich für Philosophie und hat auch dazu Veröffentlichungen. Zur Arbeitsgruppe Kosmologie an der Universität Szczecin bestehen enge Verbindungen.

Abstract:
Der Begriff “Weltbild” war zentral für Karl Lanius; er schrieb sogar ein Buch über die Menschheitsgeschichte mit dem Titel “Weltbilder”. Wir schlagen eine bestimmte Fassung des Begriffs vor und setzen ihn in Beziehung zu “Weltanschauung”. Dazu müssen wir etwas ausholen und verschiedene Formen des Denkens gegenüberstellen. Wir kommen unter anderem auf das Verhältnis Wissen versus Glauben zu sprechen und auf eine Wissenschaftsklassifikation.

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 56; 15.07.12

Dieter Kirchhöfer:
Diskurse der Kindheitstheorien: Kindheit und Kind in soziologischer und pädagogischer Sicht
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät

 C.V.:
Prof. Kirchhöfer (76) ist Erziehungswissenschaftler und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1998. Nach den Promotionen A und B an der Universität Leipzig beteiligte er sich in den Folgejahren an Forschungen zur Individualitätsentwicklung des Kindes und seiner Art und Weise, sich Werte anzueignen, an den Pädagogischen Hochschulen in Dresden, Zwickau und an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Nach 1989 arbeitete er mit an Projekten der Humboldt-Universität, der FU Berlin und der Universität Potsdam zu Fragen der Entwicklung ostdeutscher Kindheit im Systemumbruch und zu den sozioökologischen Bedingungen der Entwicklung von Kindheit in der Gegenwart. Seine jüngeren Publikationen sind u.a. „Aufwachsen in Ostdeutschland“ (1998), „Enttäuschte Hoffnungen“ (2001), „Grenzen der Entgrenzung“ (2005) und „Kinderarbeit? Ein pädagogisches Fragezeichen!“ (2009).

Abstract:
Der Vortrag widmet sich zunächst kindheitspolitischen Diskursfeldern: Generationsgerechtigkeit – Generationspräferenzen; soziale Differenzierung – Kinderarmut; Kindesmisshandlung, -missbrauch; Privatisierung von Kindheit; Globalisierung und Partizipation (Kinderrechte). Sodann werden wissenschaftsinterne Diskurse der Kindheitsforschung beleuchtet: Kinder und Kindheitsforschung, Systematisierungsversuche der Kindheitsforschung. Diskursfelder sind: Soziologische versus entwicklungs-psychologische Kindheitsforschung; Realitätsanpassung versus Realitätsgestaltung bzw. -erzeugung (Subjektstatus des Kindes); Kindheit als Schutz- oder Schonraum versus Aktionsraum; Kinder als Werdende versus Kinder als Seiende Schließlich werden aktuelle Forschungsfelder behandelt, die zugleich Forschungsdesiderate darstellen: Mediatisierung, Bildungswert des TV, PC, der Kommunikationstechniken, besonders auch der Sprachentwicklung der Kinder, widersprüchliche Tendenzen der Vergesellung und Verhäuslichung; Sakralisierung mit der Gegenüberstellung von ökonomischem und emotionalem Wert von Kindern; soziale Differenzierung nicht nur als Resultat ökonomisch und sozial unterschiedlicher Ressourcen/Kapitale, sondern auch als Resultat der familialen Habituskonstruktionen und der sozialen Vererbung; Kinder als Produzenten sozialer Distinktionen, Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und ethnischer Integration, das Spracherlernen, die Muttersprachbildung; Zusammenhang zwischen weiblicher und kindlicher Emanzipation, die analogen Entstehungs- und Entwicklungsprozesse in der Frauen/Gender- und Kindheitsforschung.

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 56; 15.07.12

 

13. September 2012

Johann Gross:
Lärminduzierte Erkrankungen des Menschen
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz- Sozietät

C.V.:
Prof. Gross (73) ist Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2010. Sein Fachgebiet ist die Pathobiochemie, die sich mit den biochemischen und molekularen Mechanismen der Entstehung von Krankheiten beschäftigt. Seine gesamte wissenschaftliche Arbeit hat ihren Niederschlag in etwa 300 Publikationen – überwiegend in internationalen Zeitschriften – gefunden. Mehrere Publikationen sind im Rahmen einer engen Zusammenarbeit mit Forschungsgruppen in Prag, Moskau, Milton Keynes, Oslo, Stockholm, Tokyo und Nagoya entstanden. Schwerpunkte waren die Untersuchung des Sauerstoffmangels und seiner Auswirkungen auf Blutzellen und das Zentralnervensystem.
Seit mehr als 10 Jahren hat er sich, gemeinsam mit den Mitarbeitern/innen des molekularbiologischen Forschungslabors der Hals-Nasen-Ohrenklinik der Charité, mit den molekularen Grundlagen von Schwerhörigkeit und Tinnitus beschäftigt. Sauerstoffmangel spielt auch bei der Lärm- und Alters-Schwerhörigkeit, den häufigsten Formen von Schwerhörigkeit, eine Rolle. Auch nach seiner Emeritierung im Jahre 2004 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig, z. Z. als Gastwissenschaftler des Tinnitus-Zentrums an der HNO-Klinik der Charité.

Abstract:
Durch Lärm fühlen sich in Deutschland etwa 60 % der Bevölkerung belästigt, 12 % davon stark. Im Vortrag geht es vor allem um die Mechanismen, wie Lärm zu einer Vielzahl von ernsten Erkrankungen führen kann. Das Ohr nimmt ständig akustische Informationen auf, sowohl im Wachzustand als auch im Schlaf. Handelt es sich um Lärm, d. h. um einen unerwünschten Schall, so kann es zu Schwerhörigkeit und Tinnitus, aber auch zu Erkrankungen anderer Organe (extra-aurale Erkrankungen) kommen.
Schwerhörigkeit und Tinnitus entstehen vor allem durch den lebenslangen Verlust von Zellen des Innenohrs. Grundlage für die Entstehung extra-auraler Erkrankungen durch Lärm (u.a. Herz-Kreislauf- und psychische Erkrankungen, Erkrankungen der Atemwege, der Gelenke und des immunologischen Systems) ist die Stress-Reaktion des Organismus. Lärm führt zur Erhöhung des Cortisol- und des Corticosteron-Spiegels im Blut, die bei chronischer Einwirkung u. a. die Gefäße schädigen und Bluthochdruck hervorrufen. Bei starker Lärmbelastung kann das Risiko für die genannten Erkrankungen doppelt so hoch sein wie normal.
Die fortschreitende wirtschaftliche Entwicklung ist mit einem weiteren Anstieg von Lärm verbunden. Die Einhaltung der WHO-Empfehlungen zum Lärmschutz ist für die Gesundheit der Bevölkerung dringend notwendig. Der internationale „Tag gegen Lärm“ (25. April) soll das Bewusstsein schärfen, die Belastung und Belästigung durch Lärm so gering wie möglich zu halten.

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 57; 15.11.12
Volltext: SITZUNGSBERICHTE DER LEIBNIZ-SOZIETÄT, Band 114 Jahrgang 2012

 

Fritz Helmedag:
Staatsschulden als permanente Einnahmequelle
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät

C.V.:
Prof. Helmedag (58) ist Volkswirtschaftler und Mikroökonom sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2005. Nach Promotion (1986) und Habilitation (1991) vertrat er an der RWTH Aachen von 1991 bis 1993 die Professur für Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft. 1993 wurde er an die Technische Universität Chemnitz zum Professor für Volkswirtschaftslehre (Mikroökonomie) berufen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wert und Preis, Einkommen und Beschäftigung sowie Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen. Er ist Autor oder (Mit-)Herausgeber von sechs Monografien und einer großen Zahl Zeitschriftenbeiträge.

Abstract:
Seit 2009 enthält das deutsche Grundgesetz eine “Schuldenbremse”, die Budgetdefiziten von Bund und Ländern einen Riegel vorschieben soll. Im Zuge eines sog. Fiskalpaktes ist überdies geplant, enge Verschuldungsgrenzen europaweit zu verankern und die Gemeinden ebenfalls einzubinden. Damit ist eine jahrzehntelang von interessierter Seite befeuerte Kampagne ihrem Ziel deutlich näher gerückt: Es ist gelungen, eine breite Mehrheit davon zu überzeugen, dass der Staat angeblich weit über seine Verhältnisse lebe und an die Kandare genommen werden müsse. In Wahrheit dokumentiert diese Position einen deprimierenden Verfall ökonomischen Wissens in der Gesellschaft, denn die Dynamik der kapitalistischen Entwicklung beruht auf der Bereitschaft von wem auch immer, Geldvermögen abzubauen, d.h. Kasse zu reduzieren oder Verbindlichkeiten in Kauf zu nehmen. Eine mehr oder weniger hohe dauerhafte Kreditfinanzierung öffentlicher Ausgaben erfüllt vor diesem Hintergrund eine wichtige Funktion im volkswirtschaftlichen Kreislauf. Eine vernünftige und sachgerechte Schuldenpolitik führt keineswegs zum fiskalischen Bankrott, sondern trägt stattdessen maßgeblich zur Wohlfahrtsteigerung der Bevölkerung bei.

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 57; 15.11.12

 

11. Oktober. 2012

 

Helga und Lothar Sprung:
Einheit in der Vielfalt. Psychologie zwischen Natur- und Geisteswissenschaften Vortrag vor der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät

C.V. Prof. Helga Sprung:
Frau Prof. Helga Sprung ist Psychologin mit den Arbeitsgebieten Klinische experimentelle Psychologie, Psychophysiologie, Psychopharmakologie, Methodenlehre, Psychodiagnostik, Allgemeine Psychologie, Geschichte der Psychologie und Frauen in der Geschichte der Psychologie. Von1962 bis 1977 war sie in der experimentellen Klinischen Psychologie in einer kardiologischen Spezialklinik der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin-Buch tätig. Anschließend arbeitete sie zehn Jahre lang freiberuflich auf den Gebieten der Methodologie und Methodik der Psychologie, Psychodiagnostik und Geschichte der Psychologie. Von 1987 bis 1991 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR. 1991 bis 1999 leitete sie zwei Forschungsprojekte über Geschichte der Psychologie, die von der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ (DFG) gefördert wurden; außerdem war sie 1994 bis 1996 im Rahmen des „Wissenschaftler-Integrations-Programms“ (WIP) wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin.
Vier Bücher verfasste sie gemeinsam mit Lothar Sprung, außerdem zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften und Monographien.

 C.V. Prof. Lothar Sprung:
Prof. Lothar Sprung ist Psychologe mit den Arbeitsgebieten Methodenlehre, Psychodiagnostik, Allgemeine Psychologie, Klinische experimentelle Psychologie, Theoretische Psychologie, Evolutionspsychologie und Geschichte der Psychologie sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2000. Nach einer Lehre als Bau- und Möbeltischler und dem Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Promotion 1970, Habilitation 1980, beide in Berlin) wurde er 1970 zum Dozenten und zum Stellvertretenden Direktor der Sektion Psychologie der Humboldt-Universität berufen, wo er Forschungsgruppen zur “Kognitiven Psychologie“ (Begriffsbildung), zur Experimentellen Psychopathologie und Psychodiagnostik sowie zur Psychodiagnostik und Geschichte der Psychologie leitete. In der Gesellschaft für Psychologie der DDR organisierte er von 1964 bis 1990 verschiedene Tagungen, teilweise mit internationaler Beteiligung.1985-95 wirkte er im Projektrat des interdisziplinären Forschungsprojektes “Bio-psycho-soziale Einheit Mensch” (Humanontogenetik) am (späteren) “Interdisziplinären Institut für Wissenschaftsphilosophie und Humanontogenetik” der Humboldt-Universität mit, wo er 1990 zum Ordentlichen Professor für Methodologie und Methodik der Humanwissenschaften berufen wurde. Seit 1970 wurde er 15mal zu Gastprofessuren, Vorträgen und Studienaufenthalten in sieben Ländern eingeladen. Er ist Autor, Mitautor oder (Mit-)Herausgeber zahlreicher Bücher und Fachartikel. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft(DFG) zieht ihn seit 1992 als Gutachter heran.

Abstract:
Die Jahrtausende alten Traditionen der Psychologie lassen sich stark vereinfacht in 4 Formen zusammenfassen: 1.als Psychosophie, 2.als Philosophiepsychologie, 3.als Psychognosie und 4. als Erfahrungsseelenkunde.
Aufbauend auf dieser mehr geisteswissenschaftlichen älteren Psychologie entwickelte sich die neuere Psychologie im 19. Jh. als Einzelwissenschaft. Der Durchbruch gelang durch den Transfer naturwissenschaftlicher Methoden auf die Untersuchung psychischer Phänomene. Die Psychologie als Lehre vom Erleben und Verhalten entfaltete sich seitdem in vielfältigen Varianten u. a. als Psychophysik, als Psychophysiologie, als Objektive Psychologie (Behaviorismus), als Entwicklungspsychologie, als Differentielle Psychologie (und als Tiefenpsychologie). Parallel dazu erfolgte ihre Disziplingenese, die Institutionalisierung und die Professionalisierung.
Es entstand ein Methodenkanon zur empirischen Untersuchung psychischer Phänomene, der im Vortrag ansatzweise dargestellt wird. Mit diesem ist die Psychologie zunehmend besser in der Lage, auch komplexere psychische Phänomene wie Kognitionen, Emotionen und Sozialbeziehungen empirisch zu untersuchen.

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 57; 15.11.12

 

Rudolf Herrmann:
Verborgene Eigenschaften des Wassers
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz- Sozietät

C.V.:
Prof. Herrmann (76) ist Physiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2011. Nach dem Studium an der Humboldt-Universität Berlin, der Promotion (1964) an der Staatlichen Moskauer Universität, der Habilitation (1968) am Institut für Physikalische Probleme bei Peter Kapitza in Moskau wurde er 1968 zum Dozenten und 1970 zum ordentlichen Professor für experimentelle Physik an der Humboldt-Universität berufen. Als Gastprofessor weilte er 1992 bis 1993 an der Universität 7 (Pierre et Marie Curie) in Paris und 1993 bis 1996 an der Ritsumeikan-Universität in Kyoto, außerdem seit 1994 als Berater und Mitarbeiter beim Konzern HORIBA, Ltd. In Kyoto.
Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Gerätebau GmbH bzw. im Institut für angewandte Photonik e.V. in Berlin-Adlershof.

Abstract:
Der Vortrag befasst sich mit zwei Wasserexperimenten, die schon an der Wende vom 19. zum 20. Jh. durchgeführt wurden. Aber erst heute, hundert Jahre später, beginnen gründliche Untersuchungen. Dabei geht es einmal um die Ausbildung freischwebender Wasserbrücken (nicht Wasserstoffbrücken) in starken elektrischen Feldern und zum anderen um das Entstehen von Ladungsschichten an Wassergrenzflächen, die eng mit der Oberflächenstruktur des Wassers verbunden sind.
In den Oberflächen der Wasserbrücken wird eine geringere Dichte als im Volumenwasser gemessen. Strömungsmessungen in Feldern mit Spannungen von 15 bis 20 kV zeigen ein Verhalten, das von der Ionenleitung des normalen Wassers abweicht.
An Wassergrenzflächen mit hydrophilen und Metalloberflächen werden Ladungsschichten beobachtet, die mit über 100 µm wesentlich breiter sind als die diffuse Schicht, über die das Zeta-Potential abfällt. Dabei bildet sich eine Ladungstrennung aus. Durch Bestrahlung mit infrarotem Licht kann sich die Ladungsschicht noch vergrößern. Beide Experimente wurden mit übersichtlichen Resultaten eindrucksvoll in renommierten Zeitschriften vorgestellt. Diese Phänomene werden mit unterschiedlichen Strukturmodellen der Wasseroberfläche erklärt. Dabei stützt sich das Modell für die Wasserbrücken auf die Quantenelektrodynamik. Dieses Modell wird z. Z. kontrovers diskutiert.
Im Modell, das Grenzflächeneffekte von Wasser an hydrophilen und Metalloberflächen beschreibt, wird in der Grenzfläche eine höhere Dichte als im Volumen angenommen und in der Struktur dieser Schicht eine vierte Phase des Wassers (neben fest, flüssig und gasförmig) vermutet. Als Ursache für die Ladungstrennung wird infrarote Strahlung angenommen.

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 57; 15.11.12
Volltext: INTERNETZEITSCHRIFT Leibniz Online, Jahrgang 2013, Nr. 15

08. November 2012

 

Frank Heinrich:
Fehler in Problembearbeitungsprozessen als mögliche Ansatzpunkte zur Fortentwicklung der Problemlösefähigkeit im Bereich Mathematik;
Fünfter Vortrag der Reihe „Menschliche Informationsverarbeitung – interdisziplinäre Elementaranalyse und diagnostische Anwendung“ zu Ehren von Friedhart Klix.
Vortrag in der Klasse Naturwissenschaften der Leibniz- Sozietät

Vorbemerkung:
Aus Anlass des 80. Geburtstages von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Friedhart Klix (1927-2004) hat die Klasse für Naturwissenschaften der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin 2007 mit dieser Vortragsreihe begonnen. Dazu ist jährlich ein Vortrag vorgesehen. Das wissenschaftliche Werk des Psychologen Friedhart Klix spannt einen Bogen von der Analyse elementarer Prozesse der menschlichen Informationsverarbeitung bis hin zur Untersuchung komplexer Prozesse des Sprachverstehens. Mit seinen Forschungen schuf er bleibende Brücken zwischen der Psychologie und anderen Disziplinen, insbesondere der Mathematik, Physik, Biologie und Philosophie.
Friedhart Klix war langjähriger Direktor des Instituts für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin und gehörte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1992 der Universität an. Er war Mitglied der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, der Akademia Europaea in London, der Finnischen Akademie der Wissenschaften, der Amerikanischen Akademie in New York, der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der Deutschen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Leibniz-Sozietät. Von 1980 bis 1984 war er Präsident der Internationalen Gesellschaft für Psychologie.

C.V.:
Prof. Heinrich ist Mathematikdidaktiker. Nach dem Studium an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Diplomlehrer für Mathematik und Physik, 1984) und anschließender dreijähriger Unterrichtstätigkeit kehrte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Jenaer Universität zurück und promovierte 1992 zu einem mathematikdidaktischen Thema. Im Anschluss daran war er in der Erwachsenenbildung als Lehrperson tätig, bevor er erneut als Mathematikdidaktiker an der Universität in Jena wirkte. Von 2001 bis 2007arbeitete er als selbständiger Fachvertreter für Mathematik und ihre Didaktik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Im Jahre 2003 habilitierte er sich. Seit April 2007 ist er Universitäts-professor am Institut für Didaktik der Mathematik und Elementarmathematik an der TU Braunschweig.
Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind „Problemlösen in der Mathematik und im Mathematikunterricht“, „Fehleranalysen und das Lernen aus Fehlern im Bereich Mathematik“ sowie die „Entwicklung und Erprobung von Lernangeboten für den obligatorischen Mathematikunterricht und zur Förderung mathematischer Begabungen“. Im Rahmen der Bearbeitung dieser Themen kooperiert er auf vielfältige Weise mit Mathematikdidaktikern anderer Einrichtungen, momentan insbesondere der Universitäten Halle/S. und Hannover.
In der universitären Lehre konzipiert und realisiert er mathematische und mathematik-didaktische Lehrveranstaltungen für verschiedene (lehramtsbezogene) Studiengänge an der Fakultät für Geistes- und Erziehungswissenschaften der TU Braunschweig. Zu seinen Schwerpunkten in der Lehre zählen Geometrie, Algebra und Zahlbereiche, Grundlagen der Vermittlung mathematischer Bildung sowie Problemorientierung und Kreativität im Mathematikunterricht.

Abstract:
Die (Fort-)Entwicklung der Fähigkeit, mathematische Probleme zu lösen, zählt seit längerem als wichtiges und weithin anerkanntes Ziel des Mathematikunterrichts. Dieses Ziel ist seit TIMSS wieder stärker in den Vordergrund mathematikdidaktischer Diskussionen geraten.
Überlegungen, wie die Problemlösefähigkeit (besser als bisher) gefördert werden kann, können an verschiedenen Stellen ansetzen. Ein grundlegender Ansatzpunkt besteht im Erkennen von und im Umgehen mit Fehlern und Defiziten von Lernenden beim Bearbeiten mathematischer Probleme.
Diese Thematik wird im Vortrag unter zwei miteinander verbundenen Aspekten behandelt. Zum einen werden durch empirische Erkundungsstudien herausgearbeitete Verhaltens-weisen von Problembearbeitern, die das Finden einer Lösung be- oder verhindern, vorgestellt und diskutiert. Insbesondere geht es dabei um strategische Fehler bzw. Defizite. Lehrende können dadurch Anregungen erhalten, welchen lösungshinderlichen Verhaltensweisen (durch Mathematikunterricht) entgegen zu wirken wäre. Zum anderen werden Befunde vorgelegt, wie es Problembearbeitern gelingt, eigene Fehler und Defizite selbst zu erkennen und ggf. zu beheben. Es wird berichtet, welche (Art) Fehler Versuchspersonen während ihrer Arbeit an mathematischen Problemen selbst entdeckten und welche Fehler sie zusätzlich in retrospektiver Auseinandersetzung mit dem Getanen bemerkt haben. Entsprechende Ergebnisse können Hinweise auf die Art und auf das erforderliche Ausmaß an Lehrerhilfe im Hinblick auf einen produktiven Umgang mit Fehlern im Kontext des Problemlösens erbringen.
Bei den vorgestellten Befunden handelt es sich im Wesentlichen um Analyseergebnisse von Problembearbeitungsprozessen von Sekundarstufenschülerinnen und -schülern.

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 58; 24.01.2013

 

Kerstin Störl:
Okzidentales und indigene Weltbilder in der Globalisierung
Vortrag in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät

C.V.:
Frau Prof. Störl ist Sprach- und Kulturwissenschaftlerin sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2012. Nachdem Studium der Hispanistik und Anglistik in Berlin und Havanna wurde sie 1984 zur hispanistischen Sprachwissenschaft promoviert und habilitierte sich1996 auf dem Gebiet der Romanischen Philologie. Sie nahm verschiedene Gastprofessuren wahr: 2000 an der Humboldt-Universität zu Berlin, 2002-2003 an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und ab 2004 an der Technischen Universität Berlin; 2005-2009 erfüllte sie Lehraufträge im Rahmen der Professur für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Rostock. Seit Oktober 2012 ist sie Gastprofessorin für Romanische Sprachen (Französisch) an der Humboldt-Universität zu Berlin. In Lehre, Forschung und Publikationstätigkeit befasst sie sich mit Iberoromanistik, Galloromanistik und Gesamtromanistik, mit Sprach- und Übersetzungswissenschaft, Ethnolinguistik, Lateinamerikanistik, Altamerikanistik sowie mit Kultur- und Kommunikationswissenschaft.
Sie ist an der Herausgabe der Buchreihen “Sprachen, Gesellschaften und Kulturen in Lateinamerika” sowie “Stil: Kreativität – Variation –Komparation” beteiligt. Außerdem ist sie als Vizepräsidentin des Lateinamerikaforums und als Mitarbeiterin der Arbeitsstelle” Diversität und Hybridität im Kontext von Kultur, Sprache und Kommunikation” an der Technischen Universität Berlin tätig.

Abstract:
In unserer heutigen, globalisierten Welt sind wir immer mehr darauf angewiesen, uns mit Menschen anderer Kulturen zu verständigen. Angesichts der Überhäufung durch unreflektierte Informationen, zum Beispiel seitens der Massenmedien, sind indigene Konzepte schwer zugänglich und – nach unseren Schemata – oft auch nicht verständlich, oder sie werden verdrängt. Deshalb ist es wichtig, zu den Menschen zu gehen und mit ihnen selbst zu sprechen. Ihre Gedanken und Gefühle, ihre Auffassungen von Wissenschaft sowie ihre Lebenspraxis geben uns reichhaltige neue Einblicke, die unser eigenes, festgeprägtes Weltbild und unsere Wissenschaft relativieren.
Die Referentin analysiert Aussagen von Vertretern andiner und amazonischer Kulturen der Region Cuzco (Peru), die von Hybridität, Transkulturalität und Konfliktivität gekennzeichnet sind. Sie präsentiert Video-Aufnahmen von Interviews und Ritualen, insbesondere von Quechuas und Machiguengas, die sie auf ihren Feldforschungen zwischen 2010 und 2012 in den Hochgebirgszonen der Anden sowie in den Urwaldregionen aufgenommen hat.
Das Erforschen kultureller Alterität und Diversität sowie das Hinterfragen eurozentristischer Stereotype ist ein wichtiges Forschungsthema ebenso wie ein spannendes Abenteuer, dem sich die Referentin von einer kognitiven Perspektive aus stellt. Nach einem Vergleich unseres okzidentalen, in der griechischen Antike wurzelnden, Weltbildes mit verschiedenen indigenen Konzepten beschreibt sie Kontaktsituationen und Paradoxien, die durch die fortschreitende Globalisierung entstehen.

Zusammenfassung: Leibniz-Intern Nr. 58; 24.01.2013